Pastoral-Kommission Die Immunschwäche AIDS - Eine pastorale Aufgabe der Kirche 23. September 1997 / herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstr. 163, 53113 Bonn /erschienen in der Reihe: Die deutschen Bischöfe : Kommissionen Nr. 18 ------------------------------------------------------------------------------------- Geleitwort Immer häufiger wird in der letzten Zeit im Zusammenhang mit der Immunschwäche AIDS über erfolgversprechende Forschungs- und Behandlungsergebnisse berichtet. Da erscheint es auf den ersten Blick überraschend, daß die Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz gerade jetzt die Bitte äußert, sich mit der Krankheit intensiver zu beschäftigen, besonders aber sich den HIV-Infizierten und AIDS-Kranken zuzuwenden. Aus mehreren Gründen ist es nach Auffassung der Pastoralkommission erforderlich, sich auch zukünftig mit dieser Krankheit und ihren Folgen auseinanderzusetzen: Der Wissenszuwachs über die Entstehung und Ausbreitung von HIV und AIDS hat zwar enorme Fortschritte gemacht, damit verbunden aber ist die Gefahr eines nachlassenden Präventionsbewußtseins. Zudem tritt die Krankheit nicht mehr allein in sog. Risikogruppen auf, sondern immer weitere Bevölkerungsschichten sind von ihr betroffen. Die erfreulichen Ergebnisse bei der Behandlung von AIDS-Kranken können nicht darüber hinwegtäuschen, daß wohl noch über einen langen Zeitraum hinaus Menschen sich mit dem HI-Virus infizieren und an AIDS erkranken. Verändert haben sich auch die Orte, an denen HIV-Infizierte und AIDS-Kranke leben. Es sind nicht mehr vorrangig die städtischen Ballungsgebiete, sondern in allen Teilen Deutschlands leben Menschen mit dieser Krankheit. Von Anfang an hat die katholische Kirche auf die Herausforderungen durch die Immunschwäche AIDS mit vielfältigen caritativen und pastoralen Aktivitäten reagiert, z.B. durch den Aufbau von Beratungs- und Hilfeeinrichtungen oder durch die Bereitstellung von eigenen Seelsorgern. Daß die Kirche aus ihrer Verantwortung heraus für den umfassenden Schutz des menschlichen Lebens auch die Frage nach einem ethisch gebotenen Verhalten des Einzelnen gestellt hat, ist auf manche Kritik gestoßen, hat aber auch zu mehr Nachdenklichkeit geführt. In der derzeitigen Situation gewinnt aus den oben genannten Gründen sowohl die Information und Prävention in allen Teilen der Bevölkerung an Bedeutung als auch die Frage der Integration der von HIV und AIDS Betroffenen und deren Angehörigen. Die vorliegende Erklärung will dazu ermutigen, unbegründete Ängste abzubauen und die von der Immunschwäche AIDS Betroffenen sowie deren Angehörige in unsere Gemeinden und Einrichtungen aufzunehmen. Freiburg, im September 1997 Erzbischof Dr. Oskar Saier Vorsitzender der Pastoralkommission ------------------------------------------------------------------------------------- Inhalt 1 Warum meldet sich die Kirche zu Wort? 2 AIDS - Medizinische und psychologische Aspekte 2.1 Medizinische Aspekte - Was ist AIDS? - Krankheitsverlauf - Übertragungswege für das HI-Virus - Behandlungsmöglichkeiten - Zahlenmäßige Entwicklung von AIDS in Deutschland 2.2 Psychologische Aspekte - AIDS - eine besondere Krankheit - Die Angst vor der Immunschwäche AIDS - Psychische Bewältigung von AIDS 3 AIDS als Aufgabe der Kirche - Integration statt Isolation - Integration durch Vertrauen - Integration durch Information - AIDS als Thema in Liturgie und Verkündigung - Die Nähe Gottes spürbar machen 4 Kirchliche Beratungsstellen und Einrichtungen für HIV-Infizierte und AIDS-Kranke 4.1 Kirchliche Beratungsstellen 4.2 Stationäre Einrichtungen 5 Glossar ------------------------------------------------------------------------------------- 1 Warum meldet sich die Kirche zu Wort? Keine andere Krankheit hat in diesem Jahrhundert zu so viel Aufmerksamkeit und Angst, aber auch zu so intensiver medizinischer Forschung geführt, wie die Immunschwäche AIDS. Waren die Begriffe HIV und AIDS vor 15 Jahren noch weitgehend unbekannt, so wissen die meisten Menschen heute, daß diese Worte für eine bislang nicht heilbare Krankheit stehen. Im Rückblick zeigt sich, daß sich die gesellschaftlichen und individuellen Wahrnehmungen, von HIV und AIDS bedroht zu sein, unterschiedlich entwickelt haben. Die ersten Jahre der AIDS-Epidemie waren von einer hohen Unsicherheit hinsichtlich der epidemiologischen Entwicklung und der Infektionswege geprägt. Dies führte zu vielen unbegründeten Ängsten. Die gesellschaftliche Betroffenheit wurde noch dadurch verstärkt, daß das HI-Virus hauptsächlich durch Blut bzw. Sexualkontakte übertragen wird. Damit wurden ethische Fragen nach dem persönlichen Verhalten des Einzelnen laut, die die Wahrnehmung und die Auseinandersetzung mit der Krankheit schwierig gestalteten. Innerhalb der katholischen Kirche wurde differenziert auf die Konsequenzen, die sich aus HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen ergaben, reagiert. Neben Appellen an das sittlich-verantwortliche Handeln des Einzelnen gab es viele caritative und pastorale Aktivitäten: Diözesen veröffentlichten eigene Orientierungsrahmen für die Seelsorge (z.B. Trier 1987); in Großstädten, wo die Krankheit verstärkt auftrat, wurden eigene Beratungs- und Hilfeeinrichtungen aufgebaut und Seelsorger für die Betroffenen und ihre Angehörigen freigestellt. Seit Beginn der 90er Jahre hat sich die Wahrnehmung für HIV und AIDS deutlich gewandelt. Die anfängliche Sorge, daß bald große Teile der Bevölkerung infiziert sein werden, hat sich in den Industrienationen nicht bestätigt. Auch die Infektionswege sind inzwischen bekannt. Dies hat zwar einerseits zu einem Rückgang der Ängste, gleichzeitig aber auch zu einem nachlassenden Präventionsbewußtsein geführt. Die Krankheit tritt nicht nur in sogenannten Risikogruppen auf, sondern Menschen aller Bevölkerungsgruppen können sich infizieren. Da die Krankheit trotz beachtlicher Behandlungserfolge immer noch nicht heilbar ist, muß davon ausgegangen werden, daß auch in Zukunft Menschen, denen wir in unseren Gemeinden und in unserem Alltag begegnen, an AIDS erkranken und sterben werden. Als Christen sind wir dem Beispiel Jesu verpflichtet, uns jedem Kranken zuzuwenden und ihm zu helfen. Jeder Mensch ist uns Schwester oder Bruder. Diskriminierung oder Ausgrenzung entspricht nicht dem Verhalten Jesu. Aus unserer Verantwortung für jeden Menschen in Not sowie aus dem Wissen heraus, daß die Immunschwäche AIDS uns auch in Zukunft noch herausfordern wird, soll die folgende Aussage dazu ermutigen, unbegründete Ängste vor HIV-Infizierten und AIDS-Erkrankten abzubauen. Sie will einen Beitrag zur Prävention wie auch zur Integration von Betroffenen sowie deren Angehörigen in unseren Gemeinden, Diensten und Einrichtungen leisten. 2 AIDS - Medizinische und psychologische Aspekte 2.1 Medizinische Aspekte Was ist AIDS? AIDS ist die Abkürzung von Acquired Immune Deficiency Syndrome (= Erworbenes Immunmangelsyndrom). Die gebräuchliche deutsche Bezeichnung ist "Erworbene Abwehrschwäche". Das Krankheitsbild wurde erstmals 1981 von amerikanischen Medizinern beobachtet. Nach intensiven Untersuchungen in Amerika und Europa gelang es 1994 Luc Montagnier vom "Institut Pasteur" in Paris und Robert Gallo von den "National Institutes of Health" in Bethesda im US-Staat Maryland, den Human Immunodeficiency Virus (HIV; dt: Menschliches Immundefektvirus) als Krankheitsursache zu isolieren. Das Virus1 wird nur durch Körperflüssigkeiten von Person zu Person übertragen. Viren können sich nicht ohne fremde Hilfe vermehren und sind deshalb auf geeignete Wirtszellen angewiesen. Das AIDS Virus befällt und zerstört hauptsächlich die T4-Helferzellen des Immunsystems und nimmt dem Körper damit ganz allmählich die Fähigkeit, andere Erreger und Krankheiten zu bekämpfen. In der Folge entwickeln sich lebensbedrohliche Erkrankungen wie beispielsweise Lungenentzündung, Hirnhautentzündung und Krebs, die schließlich zum Tode führen. Krankheitsverlauf Unmittelbar nach der Ansteckung mit dem HI-Virus kommt es bei den Betroffenen zu einem vorübergehenden Abfall der T4-Helferzellen und zu einem starken Anstieg der Virusmenge im Blut. Diese Phase wird von Symptomen wie Fieber, Halsschmerzen, Unwohlsein und masernartigen Hautausschlägen begleitet, und sie ist mit einem hohen Übertragungsrisiko verbunden. Dann folgt eine unterschiedlich lange, symptomfreie Zeit, in der der Infizierte durch keinerlei Krankheitsanzeichen oder Beschwerden gewarnt ist. Während dieser Zeit nimmt die Zahl der T 4-Helferzellen im Blut kontinuierlich ab. Wenn die Zahl dann sehr gering ist, kommt es zum Zusammenbruch des Immunsystems und zum Ausbruch der Immunschwäche AIDS. Auch während der symptomfreien Zeit, die in der Regel sechs bis acht Jahre beträgt, kann der HIV-Infizierte das Virus auf andere Personen übertragen. Es war lange Zeit nichts über den Verbleib des HI-Virus während der beschwerdefreien Zeit bekannt. Heute weiß man, daß ein erbitterter Kampf zwischen dem Virus und dem Immunsystems geführt wird. Tag für Tag werden rund eine Milliarde Viren neu gebildet und zerstört. Dabei verliert der Körper ungefähr zwei Milliarden Immunzellen, die er aber wieder ersetzen kann. Der Infizierte merkt von diesen Vorgängen in seinem Körper nichts. Auf lange Sicht gewinnt das HI-Virus den Abwehrkampf, denn jedesmal, wenn es sein Erbmaterial vervielfältigt, nimmt es kleine Veränderungen vor und läßt neue Varianten entstehen. Irgendwann kann das Immunsystem keine Gegenwehr mehr leisten und bricht zusammen. Übertragungswege für das HI-Virus Hauptträger des HI-Virus im Körper sind Blut, Sperma und Vaginalsekret. Das Virus dringt über die Schleimhäute oder die Blutbahn in den Körper ein. Die häufigste Infektionsursache ist homo- und heterosexueller Geschlechtsverkehr. Weitere Infektionsursachen sind gemeinsam benutzte Spritzen bei Drogenabhängigen, die Übertragung von der Mutter auf das Kind während der Schwangerschaft und die Übertragung durch Blut und Blutprodukte. Das HI-Virus wird nicht durch alltagsübliche, zwischenmenschliche Kontakte wie zum Beispiel Händeschütteln, Umarmen oder Küssen übertragen. Es wird ebenfalls nicht durch Weinen, Husten oder Niesen oder im Schwimmbad, in der Sauna oder in der Badewanne weitergegeben. Auch von gemeinsam benutzten Bettlaken, Handtüchern, Gläsern, Toiletten, Türgriffen und Haushaltsgegenständen geht keine Gefahr aus. Die Gefahr einer Ansteckung über Blut und Blutprodukte ist in der Bundesrepublik weitgehend gebannt, da seit dem 1. Oktober 1985 sowohl Blutspender als auch Blutkonserven auf HI-Viren untersucht werden. Behandlungsmöglichkeiten2 Die meisten Arzneimittel greifen das HI-Virus dort an, wo es sich nicht wesentlich verändern darf, bei den chemischen Werkzeugen, die es für seine Vervielfältigung braucht. Zu dieser Gruppe gehört auch das bekannte Präparat AZT (Azidothymidin) und die verschiedenen Hemmstoffe der Virus-Protease, die erst seit einiger Zeit auf dem Markt sind. Allerdings haben die vergangenen Jahre gezeigt, daß ein Wirkstoff alleine nicht genügt, um die Virusmenge zu unterdrücken. Deshalb versucht man mit einer Kombination aus zwei oder drei Medikamenten das AIDS-Virus in Schach zu halten, was offensichtlich auch sehr gut gelingt. Bei den Patienten, die mit einer solchen Kombinationstherapie behandelt werden, ist das Virus nach einigen Wochen kaum noch nachweisbar. Auch bei der symptomatischen Behandlung der Begleiterkrankungen, wie beispielsweise der Lungenentzündung, sind sehr gute Fortschritte erzielt worden. Diese Ergebnisse lassen eine mögliche Heilung zum ersten Mal wahrscheinlich werden, und die nächsten Jahre müssen zeigen, ob es tatsächlich gelingen wird, alle Viren, die sich in den entlegenen Teilen des Körpers versteckt halten, mit der Kombinationstherapie zu beseitigen. Die Aussichten sind jedenfalls gut. Ganz ausgerottet sein wird die Immunschwäche AIDS allerdings erst dann, wenn es eine Schutzimpfung gibt und die Kombinationstherapie auch in den Entwicklungsländern bezahlbar ist. Zahlenmäßige Entwicklung von AIDS in Deutschland3 Über die Zahl der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die mit dem HI-Virus infiziert, aber noch nicht an AIDS erkrankt sind, gibt es nur Schätzwerte. Man weiß aufgrund von positiven Testergebnissen, daß sich seit dem Beginn der Epidemie 78.085 Menschen in Deutschland mit dem HI-Virus angesteckt haben. Die genaue Zahl der Infizierten ist nicht bekannt. Pro Jahr werden 2.000 bis 3.000 Neuinfektionen angegeben, wobei die Ansteckung über heterosexuelle Kontakte in der Zukunft wahrscheinlich weiter zunehmen wird. Neben den HIV-Infektionen sind insgesamt 16.138 AIDS-Fälle gemeldet. Davon sind 10.419 Personen bereits verstorben. Nach dem Geschlecht verteilt sind 89% der Betroffenen Männer und 11% Frauen. Insgesamt sind 110 Kinder unter 13 Jahren an AIDS erkrankt. Die Zahl der Neuerkrankungen wird mit rund 1.800 pro Jahr angegeben. Von den Patienten, die 1996 an AIDS erkrankt sind, haben sich 52% der Betroffenen durch homosexuelle Kontakte unter Männern infiziert, 15% durch intravenösen Drogenkonsum, 11% bei heterosexuellen Kontakten und 3% durch Blut und Blutprodukte. 6% der Patienten kommen aus Afrika oder Asien und haben sich dort angesteckt, und 13% der Patienten wollten keine Angabe machen, wie sie sich angesteckt haben. 54% aller Erkrankten leben in den Großstädten Frankfurt/Main, München, (West-)Berlin, Köln, Düsseldorf und Hamburg. 44% der Erkrankten leben außerhalb der genannten Großstädte in den alten Bundesländern. Aus den neuen Bundesländern sind bisher nur 271 AIDS-Erkrankungen gemeldet. Das entspricht etwa 2%. Viele AIDS-Patienten leben nicht mehr dort, wo sie sich angesteckt haben, sondern ziehen sich in die vertraute Umgebung des Heimatortes zurück. Damit werden sie eine Anfrage an das Verhalten unserer Gemeinden. Durch die verbesserten Behandlungsmöglichkeiten nimmt gegenwärtig die Zahl derjenigen, die an AIDS sterben, ab. Gleichzeitig verlängern sie auch den Zeitraum von der Ansteckung mit dem HI-Virus bis zum Ausbruch der AIDS-Erkrankung. Dadurch wird es in Zukunft immer mehr Menschen geben, die mit dieser Krankheit leben. 2.2 Psychologische Aspekte AIDS - Eine besondere Krankheit AIDS ist eine schwere, körperliche Erkrankung, bei der bislang davon ausgegangen werden muß, daß sie tödlich endet. Darin unterscheidet sich die Immunschwäche noch nicht von anderen Erkrankungen, wie z.B. von bestimmten Formen von Krebs. Dennoch nimmt AIDS im Bewußtsein vieler Menschen eine Sonderstellung ein. Die Krankheit ruft angstvolle Bilder und Phantasien hervor, und man hat anfänglich die Immunschwäche mit den großen Seuchen früherer Jahrhunderte verglichen. Auch heute noch reagieren viele Menschen mit Angst, Panik, Diskriminierung, Flucht und Schuldzuweisung, wenn sie von einer HIV-Infektion hören oder Kontakt mit einem AIDS-Kranken haben. Wie kaum eine andere Krankheit beeinflußt AIDS das soziale Verhalten und das Bewußtsein. Viele HIV-Infizierte und deren Angehörige fürchten das Bekanntwerden der Infektion. Deshalb wird die Krankheit von den meisten nur im Vorborgenen gelebt und durchlitten. Nur wenige gehen mit ihrer Krankheit offen um. Damit wird eine Isolation der HIV-Infizierten und AIDS-Kranken gefördert. Die Angst vor der Immunschwäche AIDS Obwohl in zahlreichen Kampagnen offen und umfassend über die Übertragungswege des HI-Virus aufgeklärt worden ist, ist in weiten Teilen der Bevölkerung die Angst, sich durch den bloßen Kontakt mit einem HIV-Infizierten oder AIDS-Kranken anzustecken, ungebrochen groß. Wie die täglichen Anrufe in den kirchlichen Beratungsstellen zeigen, gibt es viele unbegründete Ängste vor der vermeintlichen Infektion bis hin zu sogenannten "AIDS-Phobien". Das bedeutet, daß entweder doch noch zu wenig Wissen über die Infektionswege vorhanden ist oder daß wider besseres Wissen Panikreaktionen auftreten, wenn es zu einer Begegnung mit einem HIV-Infizierten oder AIDS-Kranken kommt. Diese Reaktionen lassen die Vermutung zu, daß sich in dem Wort AIDS die jedem Menschen innewohnende Urangst vor dem Tod in besonderer Weise manifestiert. Psychische Bewältigung von AIDS Da Menschen an AIDS leiden und sich viele Menschen von der Immunschwäche bedroht fühlen, ist ein weit gefächertes Angebot psychologischer Hilfen notwendig: •Menschen, die aus begründetem Verdacht einen HIV-Antikörpertest vornehmen lassen, sollten unbedingt vor dem Test psychologisch fundiert beraten werden, sowohl zur Vorbereitung auf ein möglicherweise positives Ergebnis als auch bei negativem Resultat zur Vermeidung künftiger Risiken. •Auch wenn inzwischen die Therapiechancen deutlich gestiegen sind, muß weiterhin damit gerechnet werden, daß Menschen an der Immunschwäche erkranken und sterben. Hier kann eine psychologische Begleitung helfen, die Mitteilung der Diagnose zu verarbeiten und Krisen zu bewältigen. •Während der langen Zeitspanne zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit kann eine Beratung dem Infizierten und seinem sozialen Umfeld helfen, Wege zu finden, mit der Infektion zu leben. •Und schließlich können die kirchlichen Beratungsdienste mit ihrem breitgefächerten Angebot in den unterschiedlichsten Lebenskrisen, in der Krankheits- und Sterbephase begleitende Zuversicht geben. 3 AIDS als Aufgabe der Kirche Integration statt Isolation Die Krankheit AIDS erinnert - wie alle lebensbedrohenden Krankheiten - daran, daß das Leben des Menschen begrenzt ist, daß Krankheit und Sterben zum Leben gehören. In einer Zeit, in der Sterben und Tod verdrängt werden, ist AIDS eine Anfrage an jeden einzelnen Christen, welche Einstellung er zum Leben und zur Welt hat, wie er sein eigenes Sterben, aber auch das Sterben anderer sieht. Als Christen glauben wir, daß der Tod nicht das Ende ist, sondern daß in Jesus Christus, in seinem Leben, Sterben und Auferstehen, Gottes neue Welt angebrochen ist, die jedem Menschen eine Zukunft über den Tod hinaus gibt. Aus dieser Hoffnung heraus gewinnen wir die Kraft, jeden Menschen, besonders den Kranken und Leidenden, mitzutragen und zu trösten. Es ist Ausdruck unseres Glaubens, wenn wir uns gemäß dem Beispiel Jesu Christi besonders den Menschen am Rand, den Außenseitern, den Leidenden, den Menschen ohne Hoffnung zuwenden. Jeder ist "unser Nächster", wie dies eindrucksvoll im Gleichnis vom barmherzigen Samariter dargestellt ist (vgl. Lk 10,25-37). Jesus Christus hat sich mit den Kranken und Schwachen identifiziert: "Ich war krank und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank, und ihr habt mich besucht" (vgl. Mt 25,31f.). Christen setzen Zeichen der Hoffnung und der Erlösung, wenn sie den Kranken und den Angehörigen durch praktische Hilfen beistehen. HIV-Infizierte und AIDS-Kranke brauchen Menschen, die ihnen zur Seite stehen und sie in ihrer Not begleiten und unterstützen. So kann die Isolation der Betroffenen durch solidarisches Verhalten in der Kirche überwunden werden. Dies beinhaltet auch die Integration in das Leben der Gemeinde. Dies schließt weiter ein, daß kirchliche Sozialstationen AIDS-Kranke pflegen und daß in den kirchlichen Einrichtungen, wie Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen, Jugend- und Erholungsheimen, HIV-Infizierte und AIDS-Kranke Aufnahme finden. Das Anliegen der Hospizbewegung, ein Sterben in Würde zu ermöglichen, kann Orientierung bei der Begleitung der Kranken in der letzten Lebensphase geben. Integration durch Vertrauen Die von der Immunschwäche AIDS Betroffenen erwarten ein Klima des Vertrauens, der Offenheit und der Akzeptanz, auch hinsichtlich ihrer individuellen Lebensgestaltung. Der Sonderstatus ihrer Krankheit macht die Betroffenen besonders sensibel für Kränkungen und Zurückweisungen. Gerade in der Beurteilung ihrer Lebenssituation ist deshalb Zurückhaltung zu üben, denn nur so können sie unbedingtes Angenommensein spüren und erfahren. HIV-Infizierte und AIDS-Kranke befinden sich stärker als andere Menschen in einem psychischen und gesellschaftlichen Sonderstatus. In einer solchen Situation steht es mit der christlichen Botschaft im Einklang, ethische Beurteilungen nicht in den Vordergrund zu stellen. Zwar wird bei einer HIV-Infektion bzw. einer AIDS-Erkrankung sehr oft die Frage nach der Schuld der Betroffenen gestellt, doch darf diese Frage nicht Bedingung für die Nächstenliebe in der Nachfolge Christi sein. Im übrigen ist es nicht gerechtfertigt, der Schuldfrage hier einen anderen Stellenwert einzuräumen als sonst. Es kommt vielmehr darauf an, den AIDS-Kranken zu helfen, ihr Leben verantwortlich zu gestalten und in Gemeinschaft mit der Kirche Wege der Versöhnung zu finden. HIV-Infizierte, AIDS-Kranke und deren Angehörige sind über lange Zeit ständig mit dem Tod konfrontiert. Dabei erleben sie nicht selten den sozialen Tod vor dem physischen Tod. Im Licht des Evangeliums ist es deshalb geboten, sich im Umgang mit ihnen am Leitbild einer barmherzigen, solidarischen und dienenden Kirche zu orientieren. Ein vom Glauben getragener, würdevoller Umgang mit HIV-Infizierten und AIDS-Kranken entspricht dem Reden und Handeln Jesu Christi. Wenn Menschen diesen im Evangelium wurzelnden Liebesdienst erleben, ist Glaubenserfahrung möglich. Integration durch Information Angesichts der bestehenden Ängste vor einer Ansteckung mit dem HI-Virus, ist eine umfassende und präzise Information notwendig, um Betroffene zu integrieren und die weitere Ausbreitung der Krankheit zu verhindern. Durch eine enge Zusammenarbeit von Ärzten, Selbsthilfegruppen und den kirchlichen Beratungsdiensten und Einrichtungen können emotionale Überreaktionen und negative Pauschalurteile im Rahmen der Jugend- und Erwachsenenarbeit überwunden werden. Die Immunschwäche wird vor allem auf sexuellem Wege übertragen, deshalb kann die Frage nach der verantwortlichen Gestaltung der Sexualität nicht ausgeklammert werden. Es muß vermittelt werden, daß der Geschlechtsverkehr seinen legitimen Ort in dem durch Treue und Vertrauen geschützten Raum einer festen Partnerbindung hat. Nach katholischem Verständnis ist dies die Ehe. Diese Überzeugung darf aber nicht zur Verurteilung von Menschen führen. Jesus Christus hat jeden Menschen in seiner persönlichen Lebensgeschichte angenommen, ihn jedoch immer auch zur Umkehr aufgerufen. Angesichts der tatsächlichen Lebensbedrohung, die von der Immunschwäche AIDS ausgeht, ist alles zu tun, um eine Infektion zu vermeiden. Prävention hat deutlich Vorrang und muß verantwortungsvoll gestaltet werden. Dabei sind die Grundsätze katholischer Ethik mitzubedenken. Nur wenn die medizinischen, psychologischen, sozialen und ethischen Aspekte der AIDS-Prävention angesprochen werden, kann das Problembewußtsein für die Übertragungswege und Infektionsrisiken wachsen. Generell gilt, daß die Aufklärung zwar umfassend und wahrheitsgetreu, aber auch maßvoll gestaltet sein soll. Sie darf nicht als verdeckte Werbung für sexuelle Freizügigkeit benutzt werden. AIDS als Thema in Liturgie und Verkündigung Die Immunschwäche AIDS betrifft nicht nur das caritative Handeln der Gemeinde, sondern sollte auch in Liturgie und Verkündigung thematisiert werden, z.B. am Welt-AIDS-Tag. Wenn die Thematisierung der Immunschwäche AIDS beim Begräbnis eines verstorbenen AIDS-Kranken erforderlich scheint oder gewünscht wird, sollte dies aus Rücksicht auf die Familienangehörigen mit großer Sensibilität und Verantwortlichkeit erfolgen. In der Predigt und in den Fürbitten ist darauf zu achten, daß im Geist des Evangeliums würde- und liebevoll die Barmherzigkeit Gottes, der Freund jeden Lebens in seiner ganzen Vielfalt ist, erfahrbar wird. Die Nähe Gottes spürbar machen Viele Menschen verbinden mit dem Wort AIDS Hoffnungslosigkeit. Als Christen aber wissen wir, daß Jesus und sein Evangelium, seine Worte und Taten Hoffnung bedeuten. Er selbst hat sich berühren lassen und hat selber berührt. Er nahm jeden Menschen an, den Aussätzigen, den Blinden, den Kranken. HIV-Infizierte und AIDS-Kranke sowie deren Angehörige können durch unsere Zuwendung spüren, daß Gott ihnen nahe ist und sie nicht alleine läßt. Wir alle leben unter der Verheißung Gottes. 4 Kirchliche Beratungsstellen und Einrichtungen für HIV-Infizierte und AIDS-Kranke4 4.1 Kirchliche Beratungsstellen AIDS-Beratungsstelle des Caritasverbandes für das Bistum Essen Bahnhofstr. 37 58762 Altena Tel. 02352-1737 Hospiz-Dienst Tauwerk e. V. Wollankstr. 19 13187 Berlin Tel. 030/4883069 Beratungs- und Betreuungsstelle für AIDS-Infizierte Bismarckstr. 6 52351 Düren Tel. 02421-10001 AIDS-Beratungsstelle des Caritasverbandes für das Bistum Essen Alfredstr. 297 45133 Essen Tel. 0201-42924 Drogen- und AIDS-Beratung Kalkstr. 41 51465 Bergisch Gladbach Tel. 02202/54071 AIDS-Prävention des Caritasverbandes Bonn Fritz-Tillmann-Str. 8-12 53113 Bonn Tel. 0228-108245 Psychosoziale HIV- und AIDS-Beratung Caritasverband für die Stadt Düsseldorf Klosterstr. 88 40211 Düsseldorf Tel. 0211-1602-302 Cafe Nachtfalter Segerothstr. 47127 Essen Psychosoziale Betreuung zu Hause für HIV-positive und an AIDS erkrankte Frauen, Familien und Alleinstehende Mainkai 40 60311 Frankfurt Tel. 069-2982-162 Sozialdienst Kath. Frauen e. V. Psychosoziale Beratungsstelle für HIV-infizierte Frauen und Kinder Kaiser-Joseph-Str. 244 79098 Freiburg Tel. 0761-280031 Diözesan-Caritasverband Referat Gefährdetenhilfe Georgstr. 7 50676 Köln Tel. 0221-2010-0 Sozialdienst katholischer Frauen AIDS-Beratung Hansaring 20 50670 Köln Tel. 0221/120421 Region Mönchengladbach des Bistums Aachen AIDS-Prävention Bettrather Str. 22 41061 Mönchengladbach Tel. 02161-9806-0 Caritas Psychosoziale AIDS-Beratungsstelle Schrenkstr. 3 80339 München Tel. 089-5021101 Caritasverband Koblenz Psychosoziale AIDS-Beratung Rizzastr. 14 56068 Koblenz Tel. 0261-14991 Sozialdienst Kath. Männer e. V. Beratungs- und Betreuungsstelle für HIV-Infizierte und AIDS-Kranke Gleueler Str. 179 50931 Köln Tel. 0221-4060581 Caritasverband f. d. Stadt Magdeburg u. d. Dekanate Magdeburg und Burg e.V. AIDS-Beratung Max-Josef-Metzger-Str. 3 39104 Magdeburg Tel. 0391-5961-208 AIDS-Informations- und Beratungsstelle Bahnhof 16 b 94032 Passau Tel. 0851-71065 AIDS-Beratung beim Caritasverband für Saarbrücken und Umgebung e. V. Kantstr. 14 66111 Saarbrücken Tel. 0681-309060 Caritasverband für die Diözese Würzburg Psychosoziale Beratungsstelle für HIV-Infizierte und AIDS-Kranke Friedrich-Spee-Haus Röntgenring 3 97070 Würzburg Tel. 0931-32226-0 4.2 Stationäre Einrichtungen5 Eschenbachhaus Betreute Wohngemeinschaft für HIV-infizierte Drogenabhängige Eschenbachstr. 29 60596 Frankfurt Tel. 069/6313020 Franziskushaus Beratungs- und Betreuungsstelle für HIV-Infizierte und AIDS-Kranke Sandweg 57 60316 Frankfurt Tel. 069-944368-0 Haus Maria Frieden Auf der Hub 1 77784 Oberharmersbach Tel. 07837-92960 Haus Horizont Betreute Wohneinrichtung für HIV-infizierte und AIDS-kranke Menschen Rheinhöhenweg 3 56112 Lahnstein Tel. 02621-40504 Caritasverband für die Diözese Würzburg Wohngemeinschaft für HIV-Positive/AIDS-Kranke c/o Friedrich-Spee-Haus Röntgenring 3 97070 Würzburg Tel. 0931-32226-0 5 Glossar Chemische Werkzeuge Eiweiße, die für die Virusvermehrung notwendig sind, und die durch die geringste Abwandlung funktionsuntüchtig werden. Immunzellen Alle Zellen, die an der Abwehr körperfremder Stoffe beteiligt sind. Es gibt Zellen, die Eindringlinge und Fremdstoffe erkennen, und Zellen, die sie dann vernichten. Infektion Befall des Körpers mit Krankheitserregern. Es kann sich bei den Erregern um Viren oder Bakterien handeln. T4-Helferzellen Untergruppe der Immunzellen, die eine wichtige Rolle bei der Erkennung der körperfremden Stoffe übernehmen. Viren Erreger von Infektionskrankheiten bei Menschen, Pflanzen und Tieren. Virus-Protease Eiweiß, das vom Virus gebildet wird und die anderen Virusbausteine so verändert, daß sie funktionstüchtig werden. Wirtszelle Zelle, die mit ihren Lebensfunktionen die Vermehrung eines Virus unterstützt. Zelle kleinste Einheit des lebenden Organismus, die alle Eigenschaften des Lebens besitzt. ------------------------------------------------------------------------------------- In der Bundesrepublik gibt das Robert-Koch-Institut Auskunft über die AIDS-Erkrankung und ihre Behandlungsmöglichkeiten sowie über neueste epidemiologische Daten. Robert-Koch-Institut AIDS-Zentrum Reichpietschufer 74-76 10783 Berlin Tel.: 030/4547-3425 Fax.: 030/4547-3566 ------------------------------------------------------------------------------------- 1 Erläuterung der Fachbegriffe im Glossar, S. 22 2 Stand: Juli 1997 3 Die Angaben beruhen auf dem Quartalbericht I/97 des AIDS-Zentrum im Robert-Koch-Institut in Berlin 4 In den hier nicht genannten Städten können sich Ratsuchende an die allgemeinen kirchlichen psychosozialen Beratungsstellen etc. wenden. Die Adressen sind in den verschiedenen Diözesan- oder Ortscaritasverbänden zu erfragen (bzw. über das Referat "Besondere Lebenslagen", Karlstr. 40, 79104 Freiburg, Tel.: 0761/200368). Dort bzw. in den Seelsorgeämtern in den Diözesen sind auch die Adressen der in manchen Bistümern beauftragten AIDS-Seelsorger zu erfahren. 5 Die hier genannten Einrichtungen kümmern sich schwerpunktmäßig um HIV-Infizierte und AIDS-Kranke. Eine Begleitung und Betreuung erfolgt aber auch in vielen anderen Hospizen und kirchlichen Einrichtungen, wie z.B. Krankenhäusern und Sozialstationen.