Pastoral-Kommission Dem Leben auf der Spur Einsichten und Hilfen beim Älterwerden 1. Januar 2000 / herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstr. 163, 53113 Bonn / erschienen in der Reihe: Die deutschen Bischöfe : Kommissionen Nr. 23 ------------------------------------------------------------------------------------- Geleitwort Die steigende Lebenserwartung der Menschen ist ein Geschenk, das die Kirche dankbar annimmt und als pastorale Aufgabe begreift. So schreibt Papst Johannes Paul II. in seinem Brief an die alten Menschen folgendermaßen: "Das Alter gehört in den Plan, den Gott mit jedem Menschen hat. Es ist der Zeitraum, in dem alles zusammenläuft, damit der Mensch den Sinn des Lebens besser erfassen und zur 'Weisheit des Herzens' gelangen kann... Das Alter stellt die entscheidende Etappe der menschlichen Reife dar und ist Ausdruck des göttlichen Segens" (vgl. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 142, Abs. 8, S. 13). Älterwerden und Altsein heißt nicht nur loslassen, aufhören und sich zurückziehen, sondern auch, sich mit Interesse und Lebenskompetenz einbringen, Neues anfangen und mitgestalten. Die Probleme und Herausforderungen des Alters und Alterns sollen dabei nicht verharmlost, aber die Chancen auch nicht übersehen werden. Älterwerden und Altsein verlangt von jedem Menschen eine bewusste Auseinandersetzung mit seiner Lebensgeschichte und Lebenssituation wie auch ein sinnerfüllendes Ausloten von verbleibenden und sich neu eröffnenden Möglichkeiten im Miteinander der Generationen. Demnächst werden die über Sechzigjährigen ein Drittel in unserer Gesellschaft und damit auch in unseren Pfarrgemeinden stellen. Die Fragen des Alters und des Alterns als eine mehrere Jahrzehnte umspannende Dritte Lebensphase werden immer bedeutsamer. Deshalb ist dieses Wort "Dem Leben auf der Spur - Einsichten und Hilfen beim Älterwerden" eine Ermutigung der Deutschen Bischofskonferenz zum Heiligen Jahr 2000 und auch eine Antwort auf den Brief des Papstes an die alten Menschen. Unsere Kirche fühlt sich in besonderer Weise den älteren und alten Menschen verpflichtet. Eine Pastoral in der Dritten Lebensphase ist von der Botschaft vom Wirken und vom Lebensschicksal Jesu Christi geleitet. Sie lebt von den vielfältigen Einsichten und Erfahrungen der Seelsorge. Sie bemüht sich um Offenheit und Flexibilität gegenüber den Aufgaben in Verkündigung, Sakramentendienst und Diakonie. Die vorliegende Arbeitshilfe der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz richtet sich an alle - die älteren Menschen, die alten Menschen und solche, die an der Schwelle zu dieser Lebensphase stehen. Sie bezieht auch diejenigen mit ein, die sich in ihren vielfältigen Verantwortlichkeiten, sei es ehrenamtlich oder hauptamtlich, in diesem Bereich engagieren. Die Arbeitshilfe der Bischöfe will als Impuls für das Heilige Jahr 2000 verstanden werden, sich diesem Lebensbereich in besonderer Weise seelsorglich zuzuwenden. Dabei bietet sie nicht einfach fertige Rezepte zur Pastoral, vielmehr will sie zum Nachdenken anregen, Informationen geben und Anstöße vermitteln, das Leben im Alter christlich zu gestalten. Bischof Dr. Joachim Wanke Vorsitzender der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz ------------------------------------------------------------------------------------- Inhalt Ein Wort zuvor 7 1. Bewusst älter werden 9 1.1 Altern - ein vielfältiger, lebenslanger Prozess 9 1.2 Bewältigung von "Altersschicksalen" 13 1.3 Besondere Herausforderungen 15 1.4 Sterben - Tod - Trauer 19 2. Alter beziehungsreich leben 21 2.1 Persönlichkeitsfindung und Identität im Alter 21 2.2 Partnerschaft und Ehe im Alter 22 2.3 Gelingendes Miteinander der Generationen 25 2.4 Älterwerden in der Fremde 28 3. Glaubend älter werden 30 3.1 Neue Lebensdimensionen entdecken 30 3.2 Der Beitrag des Glaubens zur Wahrung der eigenen Identität 32 3.3 Unterschiedliche Zugänge zu einem vertieften Glauben 34 4. Leben solidarisch gestalten 36 4.1 Leitbilder solidarischen Handelns 36 4.2 Ehrenamtliches Engagement im Alter 38 4.3 Pastoral im Lebenszusammenhang 42 4.4 Impulse für eine zukunftsorientierte Pastoral 46 5. Älterwerden als geistliche Lebensaufgabe 49 5.1 Armut als Nichthaben oder Nichtverfügenkönnen 50 5.2 Gelingendes Leben in Ehelosigkeit 50 5.3 Gehorsam gegenüber den Lebensgesetzen 51 Ein Wort zum Schluss 53 ------------------------------------------------------------------------------------- Ein Wort zuvor Menschen werden älter als früher. Dies ist eine Errungenschaft des zu Ende gegangenen Jahrhunderts. Die immer größer werdende Zahl von älteren und alten Menschen stellt auch die Kirche vor neue Aufgaben. Entsprechend der Altersstruktur der Gesamtbevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland sind von 27,2 Millionen Katholiken fast 6 Millionen 60 Jahre, davon 3 Millionen über 70 Jahre, annähernd 1 Million über 80 Jahre und mehr als 100.000 über 90 Jahre alt. Diese Entwicklung wird verstärkt durch den Geburtenrückgang in den Familien der nachwachsenden Generationen. Statt drei leben vier bis fünf Generationen gleichzeitig. Davon zählen mindestens zwei zu den "Alten". Die meisten haben heute mit 60 nahezu ein Viertel ihres Lebens noch vor sich. Nach Kindheit/Jugend sowie Erwerbs- und Familienphase folgt mittlerweile eine eigenständige Dritte Lebensphase mit spezifischen Herausforderungen und Problemen, aber auch Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten. Die vorliegende Arbeitshilfe möchte in fünf Schwerpunkten diese Fragen und Anliegen aufgreifen und Menschen ansprechen, die ihre Biographie, den Prozess ihres Älterwerdens, ihre persönliche Situation in einer sich rasch wandelnden Gesellschaft, Welt und Geschichte bedenken, tiefer begreifen und daraus für ein christliches Leben im Alter Konsequenzen ziehen wollen. Das Kapitel: BEWUSST ÄLTER WERDEN will Orientierungsdaten über das Leben im Alter und Informationen über schwierige Lebenssituationen und Lebenskrisen im Altern vermitteln sowie Aspekte zur Bewältigung von "Altersschicksalen" aufzeigen. Im Schwerpunkt: ALTER BEZIEHUNGSREICH LEBEN geht es um die Auseinandersetzung mit der Identität im Älterwerden, um eine selbständige Lebensplanung und partnerschaftliche Lebensführung der Ehe im Alter, um ein gelingendes Miteinander der Generationen sowie um die Sorge um alte ausländische Mitbürger/-innen. Die Lebenseinstellung, die dem bisherigen Leben Halt und Orientierung gegeben hat, kommt durch die Erfahrungen des Alters und Alterns verschiedentlich auf den Prüfstand. Die meisten Älteren verstehen ihr Leben als ein Unterwegssein, auch im Glauben. Das Kapitel: GLAUBEND ÄLTER WERDEN thematisiert diese Anliegen. Dem Leben auf der Spur zu sein, beinhaltet auch: LEBEN SOLIDARISCH GESTALTEN. Persönliche Neigungen, Fähigkeiten und Kompetenzen im Alter können entdeckt und weiterentwickelt werden. Gefragt sind auch das Engagement in gemeinschaftlichen Aufgaben und ehrenamtlichen Tätigkeiten sowie die Solidarisierung mit den "Armen" in unserer Gesellschaft. Angesichts des hohen Anteils der älteren und alten Menschen in unseren Gemeinden will diese Arbeitshilfe aber auch für den pastoralen Umgang mit ihnen sowie für die kirchlichen Aufgaben, insbesondere für eine Pastoral in der Dritten Lebensphase, sensibel machen, diese stärken und intensivieren. Das abschließende Kapitel: ÄLTERWERDEN ALS GEISTLICHE LEBENSAUFGABE will deutlich machen, dass alternstypische Veränderungen und spezifische Formen des gelebten Christseins zu unterscheiden sind. Dies zeigt sich unter anderem im Leben der alternden Priester und Ordenschristen mit ihren durch Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam geprägten besonderen Lebensformen. ------------------------------------------------------------------------------------- 1. Bewusst älter werden Alle Menschen stehen im Prozess des Alterns. Es gibt jedoch nicht "das Alter" und "die Alten", sondern eine Vielzahl unterschiedlichster Frauen und Männer im höheren Alter, die ihre Lebensgeschichte leben, allerdings nicht unabhängig von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Ein Leben in der Dritten Lebensphase ist keine pathologische Variante menschlichen Lebens, keine Krankheit. Ältere und alte Menschen sind und bleiben zunächst einmal "Erwachsene". Sie wie auch die Altengenerationen insgesamt stehen in einem vielfältigen Bezugsfeld. Älterwerden und dabei lebendig bleiben bedeutet, Altern als einen Anpassungsprozess an die gesamte Lebensentwicklung zu begreifen, den Veränderungen des Alterns und den damit verbundenen Gefährdungen wichtiger Lebensbereiche aktiv zu begegnen, sich auf Einstellungs- und Verhaltensänderungen einzulassen und dadurch zu leben bis zuletzt. 1.1. Altern - ein vielfältiger, lebenslanger Prozess Altern ist kein punktuell eintretender Zustand mit eindeutig markierenden Einschnitten und Übergängen, sondern ein Gesamtgeschehen. Dieser Prozess des Älterwerdens ist zum einen von geistigen, psychischen, körperlichen und sozialen Entwicklungen abhängig, zum anderen durch persönliche, gesellschaftliche und kulturelle Bedingungen beeinflusst und beeinflussbar. Alter und Altern sind daher im Zusammenhang der gesamten Lebensgeschichte und des Lebensumfeldes zu sehen. * Die Dritte Lebensphase Von den weittragenden Veränderungen in diesem Jahrhundert ist vielleicht die bedeutendste, dass zum ersten Mal in der Geschichte immer mehr Menschen ein immer höheres Alter erreichen. Während des Mittelalters lebten Menschen durchschnittlich 35 Jahre und am Beginn unseres Jahrhunderts 49 Jahre. Heute liegt die Lebenserwartung in Deutschland für männliche Neugeborene bei 74 Jahren und für weibliche Neugeborene bei 80 Jahren mit steigender Tendenz. Im Alter von 60 Jahren haben demnach Frauen im Durchschnitt nahezu ein Viertel, Männer etwa ein Fünftel ihres Lebens noch vor sich. Die statistisch verbürgten ältesten Menschen der Welt sind derzeit 115 Jahre alt. Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Der Anteil der über Sechzigjährigen betrug um die Jahrhundertwende 5 Prozent. Heute liegt er mit 17 Millionen von 82 Millionen der Gesamtbevölkerung bei 21 Prozent und wird im Jahre 2030 auf etwa 37 Prozent steigen. Schon heute sind 26 Prozent aller Frauen 60 Jahre und älter, bei Männern sind es knapp 16 Prozent. Das Verhältnis der Generationen zueinander verändert sich. Kamen vor 100 Jahren auf einen über 75-Jährigen noch 79 Jüngere, so sind es heute 12, im Jahre 2030 werden es nur noch 6 sein. Einem Rückgang der Drei-Generationen-Haushalte steht die gleichzeitige Zunahme der Vier- oder sogar Fünf-Generationen-Familien gegenüber. Das Altern der Gesamtbevölkerung vollzieht sich jedoch nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern weltweit. Prognosen zeigen, dass der Anteil der über Sechzigjährigen bis zum Jahre 2075 auf ein Viertel der Weltbevölkerung ansteigen wird. Dabei gibt es regionale Unterschiede, insbesondere in der Geschwindigkeit dieser Entwicklung. * Altern als eigene Lebenszeit Älterwerden als mehrdimensionaler Prozess ist heute nicht mehr Restzeit nach Jugend- und Erwachsenenjahren, sondern eine eigene, bedeutsame, oft jahrzehntelange Lebensphase, die den bisherigen Lebenszielen und Lebenserfahrungen neue Möglichkeiten hinzufügt. Angesichts des demographischen und sozialen Wandels ist heute von einer Ausdifferenzierung der Dritten Lebensphase in mehrere Altengenerationen auszugehen, die mit einem Strukturwandel des Alterns einhergeht: - Ältere Menschen werden immer früher mit Alternsproblemen konfrontiert, weil sie ihre Erwerbstätigkeit vorzeitig aufgeben müssen. Bereits über 45-Jährige gelten als ältere Arbeitnehmer. Der Trend zur Verjüngung verschlechtert immer mehr die Beschäftigungschancen der Älteren. - Die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen nimmt laufend ab. Man spricht in diesem Zusammenhang von Entberuflichung des Alterns. Davon ist ein immer größerer Teil unserer Bevölkerung betroffen. Damit wird auch die Chance, dass jüngere Arbeitnehmer Erfahrungen mit älteren haben, geringer. - Mit höherem Lebensalter nimmt auch der Anteil der Alleinstehenden zu. Zunehmende Singularisierung im Sinne des Alleinlebens - Ledige, Verwitwete und Geschiedene - ist ein deutlicher Trend bei den älteren Generationen. - Unsere Alternsgesellschaft ist eine Zwei-Drittel-Frauengesellschaft. Infolge der höheren Lebenserwartung der Frauen bleibt dieses Geschlechterverhältnis in der Dritten Lebensphase bis weit ins nächste Jahrhundert hinein prägend. - Früher wurden bereits die über 60- und 70-Jährigen zu den sehr alten Menschen gezählt. Heute gelten erst die über 80-Jährigen als Hochaltrige. Die Zunahme dieser Altersgruppe ist ein wesentliches Merkmal, das zukünftig die Situation des Älterwerdens mitbestimmen wird. In hohem Maße auffallend ist, dass nicht nur der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung wächst, sondern dass die Gruppe der hochbetagten Menschen am stärksten zunimmt. So leben derzeit 2,2 Millionen über 80-Jährige unter uns, davon nahezu 410.000 über 90-Jährige. Mit den spezifischen Anforderungen eines hohen Alters müssen sich in erster Linie wiederum Frauen arrangieren. Alter wird individuell und situativ erfahren als Rentenalter, biographisches Alter, Zugehörigkeit zu einer Großelterngeneration oder als kalendarisches Ereignis. Die Bandbreite dieser Erfahrungen ist damit naturgemäß groß. Neue Altengenerationen leben unter uns, die ihre Jugend und Ausbildung sowie ihre Erwerbs- und Familienarbeit in der Kriegs- und Nachkriegszeit erlebt haben. Sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von der Vorkriegsgeneration. Betrachtet man die jetzigen älteren Generationen, so ergibt sich ein vielschichtiges Bild. Sie sind körperlich gesünder, ökonomisch unabhängiger, mobiler, aber auch anspruchsvoller und zunehmend kirchendistanzierter. Innerhalb dieser Altengenerationen - 40 Jahrgänge und mehr - zeichnen sich unterschiedliche Lebensstile ab. Vielfältige und vielfarbige Alternsmilieus bilden sich heraus. Gesündere und Jüngere versuchen sich von Kranken und Hochbetagten abzugrenzen, Aktive distanzieren sich von Hilfs- und Pflegebedürftigen. Für diese Generationen in der Dritten Lebensphase stellt sich die Frage nach ihrer Rolle in Kirche und Gesellschaft. Das Älterwerden als eigene Lebenszeit macht deutlich: Die Dritte Lebensphase weitet sich aus biologischer Sicht immer mehr aus und soziologisch betrachtet differenziert sie sich zugleich. Der Beginn dieser Lebenszeit wird nicht mehr nach dem Lebensalter an sich, dem chronologischen Alter bestimmt. Vielmehr ist Altern auch die Folge eines Prozesses von Veränderungen der eigenen Rolle in der sozialen Mit- und Umwelt. * Lebensqualität im Alter Studien widerlegen gängige Vorurteile vom Älterwerden. Drei Viertel der bis zu 75-Jährigen sehen sich in ihren Alltagsaktivitäten gesundheitlich selten oder gar nicht eingeschränkt. Sie bestätigen, dass das geistige Vermögen kaum nachlässt und ältere Erwachsene nicht weniger zufrieden und nicht häufiger depressiv sind als jüngere. Zudem sind Frauen und Männer in der Dritten Lebensphase überwiegend selbständig und zeichnen sich durch überdurchschnittliches soziales, kulturelles und politisches Engagement aus. Das Älterwerden belastet viele Menschen wegen des gehäuften Auftretens von Erkrankungen. Dabei muss man zwischen alternden Krankheiten, Alterskrankheiten und Krankheiten im Alter unterscheiden. Als alternde Krankheiten werden solche Erkrankungen bezeichnet, die den Menschen schon früh im Leben treffen und ihn dann in Form eines chronischen Leidens bis ins hohe Alter begleiten. Typische Alterskrankheiten wie Osteoporose und Demenz treten erstmals im Alter auf. 10 Prozent der 80-Jährigen und 30 Prozent der 90-Jährigen sind von der Alzheimerschen Krankheit betroffen. Zu Krankheiten im jeweiligen Alter gehören Infektionskrankheiten, Allergien und vieles mehr, die alte und junge Menschen zwar gleichermaßen betreffen, die sich aber bei Älteren gravierender auswirken. Der Umstand, dass diese drei Krankheitsformen unabhängig voneinander, aber zeitlich synchron auftreten, führt zu den bekannten und bedrückenden Einbußen an Lebensqualität im Alter, die für viele Menschen so schwer zu ertragen sind. Es ist naheliegend, dass sich die positive Grundstimmung der aktiven älteren Frauen und Männer nicht ohne weiteres auf pflegebedürftige ältere Menschen übertragen lässt. Die wichtigsten Bedürfnisse dieser häufig 80- bis über 100-Jährigen sind anderer Art. Wer hilfs- und pflegebedürftig ist, bedarf vor allem einer guten pflegerischen, medizinischen Versorgung und menschlichen Zuwendung. Alter und Altern muss aber nicht heißen, pflegebedürftig zu werden. So sind fast Zweidrittel aller über 80-Jährigen noch in der Lage, selbstständig zu leben. Es kann vieles getan werden, um Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Die gerontologische Forschung hat vier Grundpfeiler für ein gesundes Älterwerden und Altsein und damit für die Lebensqualität im Alter aufgezeigt: - Die "Optimierung", d.h. die Schaffung geistiger Entwicklungsbedingungen in Kindheit und Jugend. Hier geht es um die körperliche Entwicklung, die richtige Ernährung, die Entwicklung von Freude an der Bewegung und Aktivität. Zugleich gilt es, die geistigen Fähigkeiten zu entwickeln durch Schulausbildung und Bildung von Freizeitinteressen. - Die "Prävention", d. h. die Vorbeugung von Krankheiten, die Verhinderung von Abbau- und Verlusterscheinungen im körperlichen, geistigen und sozialen Bereich. - Die "Rehabilitation", d. h. das Rückgängigmachen von Störungen, die durch Krankheiten verschiedenster Art, von Knochenbrüchen bis zum Schlaganfall, ausgelöst werden. Dazu gehört aber auch das Rückgängigmachen von Folgen sogenannter kritischer Lebensereignisse im psychischen Bereich. - Die "Bewältigung von Situationen bei bleibenden Einschränkungen", d.h. das Zurechtkommen mit Grenzen und mit unveränderbaren Problemsituationen. Die Herausforderung ist, auch dann noch eine zufriedenstellende Lebensqualität für sich zu erreichen bzw. zu erhalten. Alle vier Aspekte sind während des ganzen Lebens von Bedeutung. Die Alternsforschung spricht in diesem Zusammenhang vom Altern als biographischem Schicksal. 1.2. Bewältigung von "Altersschicksalen" Ereignisse im Alter, die das Leben verändern können, sind nicht immer einfach zu ertragen; etwa wenn die Kinder das Haus verlassen, wenn die Berufstätigkeit aufhört, wenn der Lebenspartner stirbt oder wenn man aus dem gewohnten sozialen Lebensumfeld in ein Alten(Pflege)Heim ziehen muss. Zusätzlich können gesundheitliche Probleme oder zunehmende Hilfsbedürftigkeit belastend wirken. Dasselbe Lebensereignis kann deshalb als Herausforderung erlebt und konstruktiv bewältigt werden oder lähmend wirken. Wenn man sich frühzeitig mit dem Unvermeidlichen auseinandersetzt, können Lösungsmöglichkeiten bei Bedarf leichter greifbar sein. Auch die soziale Einbindung, der persönliche Lebensstil und die verbleibenden Perspektiven belasten bzw. erleichtern das Leben eines alten Menschen. Untersuchungen deuten auf drei charakteristische Formen der Bewältigung hin: * Bereitschaft zur Neuorientierung Die Anpassungen an das Älterwerden gelingen leichter, wenn der Mensch lebensverändernde Ereignisse zunächst einmal akzeptiert und nicht verdrängt und sich dann damit auseinandersetzt. In der Tat wenden sich viele ältere und alte Menschen schon sehr bald neuen Aufgaben und Kontakten zu und bemühen sich, Aspekte des Lebens wahrzunehmen, die den Alltag bereichern. Diese Haltung überwiegt dort, wo sich der alternde Mensch schon vor Eintritt eines Verlustes innerlich mit der bevorstehenden Veränderung befasst hat und sich z. B. auf das Berufsende, den Auszug der Kinder oder den Verlust des Partners vorbereitet hat. Als positiv erweist sich auch die Einbindung in ein soziales Netz, das durch partnerschaftlichen Austausch, wechselseitige Verantwortung und gegenseitige Wertschätzung gekennzeichnet ist. Viele Fähigkeiten und Fertigkeiten sind an diese soziale Dimension gebunden. Sie erfordern allerdings auch Konfliktbereitschaft und Durchsetzungsvermögen. * Verharren in emotionaler Betroffenheit Die Bewältigung eines Altersschicksals wird weniger gut gelingen, wenn man in emotionaler Betroffenheit verharrt, etwa in Selbstmitleid, Resignation oder Niedergeschlagenheit. Unmittelbar nach einem schweren Verlust, z.B. nach dem Tod des Partners, appellieren viele Menschen an die Hilfe anderer, weil sie Angst haben, aus eigener Kraft nicht mehr aus der Verzweiflung herauszufinden. Später stellen sich manchmal erhebliche psychosomatische Beschwerden ein. Im Vordergrund steht dabei die Neigung, sich auf andere zu verlassen und verantwortliche Entscheidungen für das eigene Leben zu umgehen. Die Gedanken kreisen um das Verlorene, die Vergangenheit wird idealisiert und die Lebensumwelt immer mehr eingeschränkt. Dieser Rückzug aus der Gegenwart, der auch keinen Zukunftsausblick mehr kennt, ist nicht selten begleitet von Krankheit, Isolation und Einsamkeit. Frauen und Männer sind bei der Verwitwung in unterschiedlicher Weise gefährdet. Frauen, die in ihrer Ehe wenig eigene Identität entfaltet haben und in allen Lebensbereichen von ihrem Partner abhängig waren, sind vor allem gefährdet. Für solche Frauen kann es nach dem Verlust sehr schwer sein, zu einer selbstbestimmten Lebensführung zu finden. Hier sind Hilfen notwendig, um dieses überholte soziale Bild zu korrigieren, Defizite auszugleichen, die Identitätsfindung nachzuholen und soziale Fertigkeiten zu erlernen. Verwitwete Männer sind dagegen stärker in der Gefahr, zu vereinsamen. Sie neigen stärker dazu, sich zurückzuziehen und haben mehr Schwierigkeiten als Frauen, neue Kontakte zu knüpfen. * Suche nach neuer Lebensperspektive Nach einem lebensverändernden Ereignis können Menschen mit ihrem Schicksal hadern und sich zunächst einmal gegen Zuspruch von außen sperren. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung neigen viele dazu, einer Problembewältigung auszuweichen. Nach und nach kommt es allerdings meistens zur einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, die nicht selten zu einer Sinndeutung führt. Dieser Entwicklungsweg ist im hohen Maße daran gebunden, dass ältere Menschen über Kontakte zu Angehörigen, Freunden und Nachbarn verfügen, die sie als bereichernd empfinden. Solche Kontakte ermutigen zur emotionalen Verarbeitung seines Schicksals und helfen, sich dem Leben erneut zuzuwenden. Ältere und alte Menschen haben sich im Laufe ihres Lebens in der Regel Fähigkeiten, das eigene Schicksal zu meistern, erworben. Es kann aber auch eine Begleitung erforderlich sein. Zum Beispiel dort, wo ältere Menschen ihre Bedürfnisse und Anliegen nicht selbst formulieren können und wo sich ihnen Hindernisse bei der Umsetzung in den Weg stellen. Der individuelle Alternsprozess kann auch durch geistige Anregung, durch das Entwickeln von Interessen und durch gesundheitsbewusstes Training der körperlicher Funktionen hinausgezögert werden. 1.3 Besondere Herausforderungen Veränderungen im Altern, die die Gesundheit, den Beruf, die Familie und Gesellschaft betreffen, führen häufig zu Gefährdungen wichtiger Lebensbereiche. Diese Gefährdungen wiederum können mögliche Problemlagen für ältere und alte Menschen darstellen. Im fünften Lebensjahrzehnt konzentrieren sich die Herausforderungen, sich mit den körperlichen und sozialen Umbrüchen auseinanderzusetzen, sich neu zu orientieren und Perspektiven für die weiteren Lebensjahrzehnte zu finden. * Auszug der Kinder aus dem Elternhaus Eltern sind beim Auszug der Kinder oftmals in mehrfacher Weise herausgefordert. Zum einen gilt es zu akzeptieren, die Kinder gefühlsmäßig freizugeben in dem Wissen, dass man ihnen als Eltern vieles mit auf den Lebensweg gegeben hat und die Kinder nunmehr in eigener Verantwortung und nach eigener Vorstellung das weitere Leben gestalten. Vielfach erleben die Eltern dabei nicht die gewünschte ökonomische Entlastung gegenüber ihren Kindern. Bei aller Verbundenheit jedoch gilt es, "Intimität auf Abstand" zu gewinnen, der beiden Generationen künftig ein selbständiges Leben und einen partnerschaftlichen Umgang miteinander ermöglicht. Die Aufgabe der Ablösung fällt Eltern zum anderen schwer, weil diese häufig mit der Ungewissheit über die eigene Zukunft und Unklarheit über mögliche sinnvolle Aufgaben in der wachsenden freien Zeit einhergeht. Männer und Frauen, die zu diesem Zeitpunkt im Erwerbsleben stehen oder ehrenamtlich engagiert sind, bewältigen dies im allgemeinen leichter, weil sie eine über den Familienrahmen hinausgehende Tätigkeit wahrnehmen, in der sie Bestätigung erfahren. * Entpflichtung aus dem Erwerbsleben Für die meisten Menschen bedeutet die Erwerbstätigkeit einen wichtigen Lebensinhalt, der Selbstverwirklichung, Leistung und Erfolg dokumentiert und gesellschaftliche Anerkennung garantiert. Die oftmals durch die festgesetzte Altersgrenze erzwungene Entpflichtung aus dem Erwerbsleben geht dann einher mit Prestige- und Sinnverlust. Für andere kann dies Befreiung von einer lästigen und belastenden Pflicht, als Beginn einer Lebensphase wohlverdienter Ruhe bedeuten. Dieser Übergang gehört zu den wichtigen Lebensabschnitten eines jeden erwerbstätigen Menschen, betrifft aber auch den Partner. Für manche Eheleute bedeutet dies eine Belastung ihrer Beziehung. Aufgrund von beruflichen und familiären Aufgaben wurden Partnerprobleme zurückgestellt, die Partnerschaft selbst nur wenig gepflegt. In der nachberuflichen Phase gilt es, das gemeinsame Leben und den nun wesentlich höheren Anteil an gemeinsamer Lebenszeit neu zu gestalten. Dabei können Schwierigkeiten mit der nie zuvor in solchem Ausmaß erlebten freien Zeit entstehen. Der Umgang erfordert ein hohes Maß an Selbstbestimmung, diese "Freizeit" sinnvoll zu nutzen. Wer aus dem Erwerbsleben ausscheidet, muss sich in seinem Selbstwertgefühl wie auch in seiner Lebensweise neu orientieren und ausrichten: die verlorenen beruflichen Sozialkontakte ersetzen, Anerkennung und Freude an der eigenen Leistung gewinnen, einen neuen Alltags- und Zeitrhythmus finden. Eine frühzeitige Vorbereitung auf diese Lebenssituation ist sinnvoll wie auch notwendig. * Hilfs- und Pflegebedürftigkeit Wenn auch im Alter gesundheitliche Störungen zunehmen, so tritt die Wahrscheinlichkeit, von Krankheit und Pflegebedürftigkeit betroffen zu sein, verstärkt bei Hochaltrigen auf. Die Zahl der Pflegebedürftigen in privaten Haushalten beträgt heute in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 1,2 Millionen, etwa 500.000 Menschen leben pflegebedürftig in einem Heim. Wie bereits aufgezeigt, können Menschen durch Prävention und Rehabilitation ein hohes Lebensalter bei größtmöglichem psychophysischen Wohlbefinden erreichen, aber auch innerhalb von gegebenen Grenzen zu einer neuen sinnvollen Lebensgestaltung finden. Im Unterschied zu früheren Generationen sind die Pflegenden, und das sind in der Regel die (Schwieger-)Töchter - die gleichzeitig Ehefrauen, Mütter und Großmütter sind - gegenwärtig selbst sechzig oder gar siebzig Jahre alt, wenn sie die häusliche Pflege der Eltern, bzw. Schwiegereltern oder des Ehemannes leisten. Pflegebedürftigkeit eines alten Angehörigen bedeutet vielfach nicht nur ein einschneidendes Ereignis in den familiären Lebenszyklus, das die Ehe- und Familienbeziehungen dramatisch verändern kann. Eine besondere Not kann sich für die Angehörigen in der Veränderung der Beziehung zu dem Pflegebedürftigen ergeben. Nicht selten führt eine Unausgewogenheit im Verhältnis von Geben und Nehmen zu vielfältigen Nöten und Missverständnissen. Dazu kommt eine prinzipielle "Aussichtslosigkeit" der Pflegetätigkeit, die ja nicht zu einer Gesundung führt: Zu erwarten ist in der Regel nur eine ständige Verschlechterung des Zustandes des Gepflegten und eine Zunahme der Belastungen für die Pflegenden. Im Unterschied zu früher hat sich zudem die Dauer der Pflegebedürftigkeit enorm verlängert auf durchschnittlich ca. 8 bis 13 Jahre. Nicht selten machen Frauen unmittelbar nach der Erziehungsphase eine regelrechte "Pflegekarriere" von 20 und mehr Jahren mit, in der sie mehrere (Schwieger-)Eltern und den Ehemann pflegen. Am Schluss sind sie dann häufig selbst pflegebedürftig. Eine gelingende Pflege zu Hause braucht zum einen Begleitung im Sinne einer pflegerischen Anleitung, aber auch Bewältigungshilfen durch Gesprächskreise, Selbsthilfegruppen und Entlastungen in der Betreuung des Pflegebedürftigen. Zum anderen sind Beratungsstellen notwendig, die Aufklärung, Wissensvermittlung sowie Rechtsbeistand und psychotherapeutische Hilfen ermöglichen, etwa um physische und/oder psychische Gewaltanwendung in der Pflege zu vermeiden. Zugehende Dienste ermöglichen ferner ein längeres Verbleiben auch Alleinstehender in der eigenen Wohnung. Die Übersiedlung in ein Heim ist nach den Richtlinien der Pflegeversicherung oft erst möglich, wenn die höchste Pflegestufe erreicht ist. Hier droht die Gefahr der Isolation und Vereinsamung, welcher mit Besuchs- und Wohnviertel-Apostolaten begegnet werden kann und soll. Angesichts des demographischen und sozialen Wandels kann heute die Pflege durch Angehörige nicht mehr als selbstverständlich und als Verpflichtung betrachtet werden. Viele werden deshalb überfordert. Die Wahrscheinlichkeit, seinen letzten Lebensabschnitt in einem Alten(Pflege)Heim zu bringen, ist für alte Menschen sehr hoch. Jeder fünfte Mensch über 90 Jahre - im Jahre 2030 wohl jeder vierte - wird in eine Einrichtung der stationären Altenhilfe übersiedeln. Dieser Einzug geschieht häufig nicht aus eigenem Entschluss, sondern als "zwangsweise" Übersiedlung nach einem Klinikaufenthalt, wenn die Rückkehr in die eigene Wohnung oder in das gewohnte familiäre Umfeld nicht mehr möglich ist. Je älter ein Mensch wird und je mehr er gesundheitlich beeinträchtigt ist, desto schwerer fällt es ihm, sich in eine fremde Lebenswelt einzugewöhnen. Im Heim selbst sind die neuen Bewohner/-innen mit weiteren Belastungen konfrontiert, etwa mit Einschränkungen, die sich aus dem Heim selbst und dem eigenen Alter ergeben. Die Heimbewohner/-innen erleben sich oft als nutzlos, eingeengt und einsam. Nach der Aufnahme in ein Pflegeheim, bzw. in Pflegestationen der Altenheime ist die Sterblichkeit sehr hoch: 14 Prozent im ersten Monat, 33 Prozent im ersten Vierteljahr, im ersten halben Jahr 46 Prozent und im gesamten ersten Jahr 58 Prozent. 1.4 Sterben - Tod - Trauer Aufgrund der erhöhten Lebenserwartung bekommen Sterben und Tod eine andere Bedeutung. Sie spielen im aktiven Leben keine so bedeutsame Rolle mehr. Deshalb fällt es heute auch vielen Menschen schwer, sich mit der Endlichkeit ihres Lebens zu befassen und im Sterben und Tod einen Sinn zu sehen. In einer Gesellschaft und Welt, die keine Hoffnung auf ein Jenseits mehr kennt, die aber Sinnerfüllung im Diesseits nur den wenigsten Menschen verschaffen kann, muss der Tod als unerträgliches Versagen, als endgültige Niederlage erscheinen. Das Wort Romano Guardinis von der Notwendigkeit, das menschliche Leben als ein Leben der Grenze auf sich zu nehmen und durchzutragen, erinnert daran, dass die Existenz des Menschen auf Erden immer eine fragmentarische, eine bruchstückhafte sein wird; eine letzte Vollendung auf Dauer ist ihm hier versagt. Sterben und Tod sind die letzten großen Lebensaufgaben des Menschen. Auf sie gilt es sich vorzubereiten, nicht erst, wenn es zu Ende geht. * Einstellungen zur Endlichkeit und zum Sterben Alter und Altern bedeutet nicht das Ausrinnen einer Quelle, in die nichts mehr nachströmt, sondern ist Leben, das seinen Wert behält. So gesehen ist Sterben nicht nur ein Auflösen und Zunichtewerden, sondern ein Prozess des Reifens. Es trägt seinen Sinn in sich selbst - das Leben wird im Tod vollendet. Die Geburt ist der Anfang des Sterbens. Im Alter werden die Sterbenselemente, die während des ganzen Lebens auftauchen, dichter bis hinein in den eigentlichen Vorgang des Sterbens. Der Tod kann als Fortdauer oder auch als Ende gesehen werden, als Freund oder als Feind, als Wiedervereinigung oder als Isolation, als Erlösung oder Strafe. Über das Lebensende nachzudenken, nimmt mit zunehmendem Alter nicht automatisch zu. Gerade in einer Zeit der Verdrängung von Sterben, Tod und Trauer brauchen viele Menschen Unterstützung, um bei der Aufarbeitung ihrer Biographie eine positive Lebensbilanz ziehen zu können. Es gilt zu lernen, bewusst Abschied zu nehmen, Trauer zuzulassen und eine Kultur der Akzeptanz im Umgang mit Sterben und Tod zu erarbeiten. Angenommene eigene Lebenserfahrungen werden zu einem unverlierbaren Reichtum eines Menschen und verleihen ihm ein Profil. * Auseinandersetzung mit der Unausweichlichkeit des Todes Betroffene neigen zunächst dazu, die Grenzen des Lebens und damit verbundene Verlusterfahrungen zu ignorieren. Sie erkennen erst allmählich, dass sich etwas Grundlegendes geändert hat. Diese Erkenntnis ist aber eine wichtige Voraussetzung dafür, diesen Einschnitt im Lebensverlauf anzunehmen. Darum muss man sich schon in jungen Jahren bemühen. Verharrt der Schwerstkranke und Sterbende im Gefühl der Niedergeschlagenheit, hindert ihn dies daran, sich den anstehenden Aufgaben zu stellen. Bedeutsam für die Einstellung zum Tod ist sowohl das Beziehungsnetz, in das ein Mensch eingebunden ist, als auch seine Weltanschauung. Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Religiosität und der Einstellung zum Tod deuten zwei unterschiedliche Auswirkungen an, je nachdem ob die Religiosität als starre Norm oder als lebens- und sinnerfüllend verstanden wird. Wer seine Religiosität allerdings als sinnstiftend erlebt, der wird daraus Kraft und Trost für das Durchstehen von Leiden und Sterben finden. Die Todesfurcht kann das Denken und Handeln eines Menschen bestimmen. Das Gottesbild und die Glaubenserfahrung eines Menschen prägen wesentlich sein Sterben. Angst ist häufig die Ursache für die gesellschaftliche Verdrängung des Todes. * In Würde sterben Es gibt kein Leitbild für ein würdevolles Sterben. Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod. Doch zeigen sich im Verlauf des Sterbens gewisse Elemente, die offensichtlich bei vielen Menschen sehr ähnlich sind. Dazu gehören existentielle Betroffenheit, Verhandeln mit dem eigenen Schicksal, Erkenntnis und Einsicht in die Lebensdeutung des eigenen Todes, Bejahen der Verbindlichkeit und Abschied nehmen. Beim Annehmen der Endlichkeit des eigenen Lebens und der Endgültigkeit des Todes sind Verhaltensnormen und Werte in Kirche und Gesellschaft eine wichtige Hilfestellung. Christen sterben nicht leichter als andere, können aber Kraft aus ihrem Glauben schöpfen und so ein Zeugnis ihrer Hoffnung geben. Heinrich Fries hat dies im "Praktischen Lexikon für Spiritualität" folgendermaßen beschrieben: "Wenn Gott wirklich Gott ist, dann kann der Tod für ihn keine Grenze sein, sondern die Stelle, an der uns Gott begegnet, an der wir Gott begegnen. Dass dem so ist, bezeugen Tod und Auferstehung Jesu von den Toten, die für uns geschehen sind. Sie wollen uns zugute kommen" (vgl. Art. Grenze, Sp. 570). Sterbebegleitung ist eine wichtige Hilfe bei der Bewältigung des Sterbens. Viele bedrückt vor allem, sterben zu müssen. Es gilt den Lebenswillen und das Selbstwertgefühl des Sterbenden zu stärken, damit er sein irdisches Leben in Eigenverantwortung vollenden kann. In der Sterbebegleitung erfahren Sterbende menschliche und pflegerische Zuwendung, medizinische Hilfe zur Linderung von Schmerzen, seelsorglich-geistliche Begleitung und tröstende Nähe in der Trauersituation. Angehörige brauchen in ihrer Trauer ebenfalls Beistand und Unterstützung. 2. Alter beziehungsreich leben Sinnvoll und beziehungsreich älter werden heißt, das Alter und die neue Lebenssituation als Reifungs- und Vollendungschance anzunehmen. Es heißt aber auch, die anderen Generationen wahrzunehmen und ein gutes Miteinander zu gestalten. Dabei sollte der Blick auf eine gemeinsame Zukunft im Vordergrund stehen. 2.1. Persönlichkeitsfindung und Identität im Alter Identität erwächst dem Menschen aus seinem Verhältnis zu sich selbst, zu anderen Menschen, aus seiner Beziehung zur Natur und Umwelt, aus dem historischen und geographischen Eingebundensein und aus seinem religiösen Bewusstsein. Ein Leben lang befinden sich die Menschen in diesem Prozess der Identitätsfindung und Identitätssicherung. * Individuelle und soziale Identität In unserer nachmodernen Gesellschaft gibt es keine einheitliche und allgemein verbindliche Weltauffassung mehr, sondern nur noch verschiedene, ineinander übergehende Versionen der Weltsicht. Infolgedessen wird das Herausbilden einer Identität zu einer persönlichen, privaten Herausforderung. Wer sich einfach treiben lässt, findet nie zu sich selbst. Der ältere Mensch ist herausgefordert, seine Eigenständigkeit und Selbstbestimmung so lange wie möglich zu bewahren. Dabei hat er auch die Chance, einen unverwechselbaren persönlichen Stil zu entwickeln. Untersuchungen zeigen, dass die Auseinandersetzung mit einschneidenden Veränderungen erleichtert wird, wenn jemand in einem Lebensereignis einen Sinn zu sehen und selbst bei äußerst negativen Schicksalsschlägen noch einen Bezug zu solchen Sinndeutungen im Hinblick auf das eigene Leben herzustellen vermag. * Identität und Sinnfindung Die vordringlichste Entwicklungsaufgabe ist - im ganzen Leben ebenso wie im Alter - die Wahrnehmung von Verantwortung gegenüber sich selbst. Dabei muss der alte Mensch auch in sich hineinhorchen. Erst das Erspüren von aufbauenden Erfahrungen in seiner eigenen Lebensgeschichte lehrt ihn, sein Leben in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Dies trägt entscheidend dazu bei, das Alter zu meistern. Aus den kritischen Ereignissen, die der ältere Mensch durchzustehen hat, kann er mit einem verstärkten Gefühl der inneren Einheit und einem Zuwachs an Urteilskraft hervorgehen. Gelingendes Leben geht auch mit einem Gespür für die Realität einher. Das Scheitern kann zu einer Zersplitterung des Selbstbildes, einem Verlust der Mitte, im schlimmsten Fall zur Angst vor völliger Auflösung führen. Einen Sinn im Älterwerden zu finden, bedeutet auch den Zusammenhang zu erkennen, den ein Leben umgreift und in dem der Mensch einmalig und unersetzbar ist. Dadurch lernt der Mensch seine Biographie als eine einmalige Geschichte zu verstehen. Ein solches Lebenswissen hilft, Grundkonflikte und Reifungskrisen zu bestehen. Außerdem hilft es dem Menschen einen Ort in dieser Welt zu finden und seine Berufung und einzelne Lebensbezüge zu erkennen. Es verweist inmitten aller Resignation angesichts der begrenzten Möglichkeiten des Alters und inmitten des Sich-Abfindens mit den Ungerechtigkeiten des Lebens auf ein übergeordnetes Ziel. 2.2 Partnerschaft und Ehe im Alter Die künftige Altersstruktur unserer Gesellschaft hat auch zur Folge, dass zunehmend mehr ältere Menschen in Partnerschaft und Ehe leben werden. Wie ein gemeinsames Leben im Alter zu gestalten ist, darüber hat man sich noch wenig Gedanken gemacht. Aus der Sicht der Heiligen Schrift gehört zum Menschsein das Leben in einer Beziehung, das Leben auf ein Du hin. Der biblische Schöpfungsbericht drückt das am deutlichsten im Gegenüber von Mann und Frau aus (vgl. Gen 1,27). Die personale Würde trägt der Eigenständigkeit der beiden Geschlechter Rechnung und gründet letztlich in der Gottebenbildlichkeit. Sie drückt sich durch die verantwortungsvolle Mitgestaltung der Welt, der Familie und der menschlichen Gesellschaft nach dem Leitbild der Partnerschaft aus. Dieses Ideal spielt eine derart wichtige Rolle, dass es in allen Lebensbereichen bestimmend sein sollte, auch im Alter und Altern. * Intimität, Vertrautheit und Zuneigung Befragt nach der glücklichsten Zeit ihrer langjährigen Ehe benennen Ehepaare oft die späten Jahre als eine Zeit der ausgeprägten Zufriedenheit und Harmonie. Dies setzt jedoch eine bestimmte Qualität der Beziehung voraus. Die eigene Identität in einer Paarbeziehung zu finden, kann eine lebenslange Entwicklungsaufgabe sein. Meistens wechseln Phasen stärkerer Konzentration auf sich selbst und Perioden größerer Öffnung gegenüber dem Partner einander ab. Eine partnerschaftliche Beziehung sollte so beschaffen sein, dass sie dies zulässt und immer wieder Raum für eine Neubegegnung schafft. Nur so können beide Partner miteinander wachsen. Indem sich jeder einzelne weiterentwickelt, macht auch die Beziehung einen Entwicklungsprozess durch. Beständigkeit, gegenseitige Bereicherung und die Bereitschaft, an der Beziehung zu arbeiten, sind Voraussetzungen dafür, dass sich die Partner bei der Entwicklung ihrer Identität nicht behindern, sondern fördern. Dazu kann eine Umgebung, die der Persönlichkeitsdynamik beider Personen zugute kommt, wesentlich beitragen; sie erhöht übrigens auch die Qualität der Beziehung. Bei einer in die Jahre gekommenen Ehe hat auch die gemeinsame Lebensgeschichte eine stabilisierende Wirkung. Je nach Ausprägung der persönlichen Identität gibt es unterschiedliche Erscheinungsformen der gegenseitigen Vertrautheit. Gerade die Vertrautheit der gemeinsamen Jahre, des gemeinsamen Glücks und der gemeinsamen Sorgen, können eine Nähe schaffen, die vielen Menschen unvorstellbar ist. Gesellschaftliche Vorurteile vermitteln oft den Eindruck, als würden sich Partnerschaft, Intimität, Zuneigung und Alter gegenseitig ausschließen. Der Gedanke, dass ältere Menschen ein Bedürfnis nach Zuneigung, Zärtlichkeit und Sexualität haben, wird oftmals als peinlich angesehen. Sexualität als Zärtlichkeitserleben drückt die Nähe des Partners aus. Es ist Zeichen der Freude und Lust aneinander und füreinander, aber auch des Trostes und der Geborgenheit. Da Sexualität, Zärtlichkeit und Zuneigung zu den lebensbejahenden Möglichkeiten gehören, können sie gerade für ältere Menschen eine wichtige Form des gemeinsamen Lebens werden, in der sich die Liebe der Partner "ausdrückt und verwirklicht", wie das Zweite Vatikanische Konzil es formuliert hat (vgl. Gaudium et spes 49). * Kommunikation, Konflikte und Rollenorientierung Gemeinsame Erlebnisse, gemeinsame Anliegen und Aufgaben bilden eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklungsfähigkeit und Kommunikation in der Ehe. Die Art, in der Partnerschaft erlebt wird, ist abhängig von den Einstellungen und Erwartungen des einzelnen und der Gruppe, in der er lebt. Nur wenn individuelle Motive und soziale Leitbilder von der Ehe miteinander im Einklang stehen, wird die Ehe als positiv erlebt. Hingabefähigkeit, Aufopferung und Hilfsbereitschaft - typisch weibliche Eigenschaften im traditionellen Sinne - werden im Falle der Pflegebedürftigkeit eines Ehegatten auf eine harte Probe gestellt. Die Qualität der Beziehung erhöht sich in dem Maße, wie das Paar Strategien zur Konfliktlösung entwickelt hat. Konflikte, die die Entwicklung fördern, sind Chancen für die Partner und für die Beziehung selbst. Zu einem dynamischen Prozess wird die Beziehung dann, wenn beide Partner ihre Achtung voreinander bewahren und zu einer Ausgewogenheit zwischen Geben und Nehmen finden. Das Durchstehen von Konflikten bietet auch die Chance, anstehende Probleme zu lösen. In vielen Fällen bleibt die Konfliktstruktur jedoch latent vorhanden und wird durch unterschiedliche Formen der Bewältigung nur in ihrem Ausprägungsgrad gemildert. Partner, die sich konstruktiv streiten können, neigen zu einer übereinstimmenderen gegenseitigen Wahrnehmung. Hingegen führt das Ausweichen vor Konflikten eher zu Wahrnehmungsverzerrungen und Missverständnissen. Im Alter kommt es oft zu einer Veränderung der Aufgabenteilung und der Rollenorientierung. Wie Untersuchungen zeigen, tendieren ältere Ehemänner zu mehr emotionalen Äußerungen und zeigen ein eher mütterlich anmutendes Verhalten. Ehefrauen legen dagegen im Alter oft selbstsichere und aggressivere Verhaltensweisen an den Tag. Diese Angleichung oder Umkehrung der Verhaltensweisen wird häufig als Tendenz zur Verinnerlichung und Festigung der Beziehung gedeutet. Durch solche Verinnerlichung können widersprüchliche Gefühlsempfindungen eher angstfrei in das Bewusstsein integriert werden, da sie die innere Verbundenheit nicht im Kern gefährden. * Chancen ehelicher Partnerschaft Heute ist die Phase des Wieder-zu-zweit-Seins im Alter oft die längste Zeit einer Ehe. Es gilt, gemeinsam Abschied zu nehmen von der Jugend und der gemeinsamen Zeit in der Lebensmitte. In der Dritten Lebensphase wird sich zeigen, ob Ehepartner eine gemeinsame Zukunft haben. Wenn die Partner einander verstehen, kann ihre gegenseitige Zuneigung und Liebe sie ermutigen, ihr Leben, auch gegen die latenten Rollenerwartungen von außen, zu gestalten. Diese Aufgabe zu bewältigen, vermittelt gerade im Älterwerden das notwendige Selbstwertgefühl. Als Ehepartner können sich ältere Menschen auch vor einem neuen Leistungsethos durch Überforderungen oder durch einen ständigen Tourismusstress schützen, indem sie ihre Begrenzungen sehen und bewusst annehmen. Überhaupt liegen die Chancen ehelicher Partnerschaft darin, sich gegenseitig zu helfen, das Älterwerden und Altsein zu integrieren. Identität, gegenseitige Vertrautheit und Zuneigung machen den Wert und die Schönheit des Partners auch im Alter erfahrbar und offenbar. 2.3. Gelingendes Miteinander der Generationen Die demographischen Veränderungen werden das Verhältnis zwischen den Generationen künftig wesentlich beeinflussen. Dank der gestiegenen Lebenserwartung sind nach der Erwerbszeit noch zwanzig bis dreißig Lebensjahre zu erwarten. Es kommt zur Mehr-Generationen-Familie und Erwachsene werden mehr Eltern als Kinder haben. Für viele bilden drei Großelterngenerationen keine Ausnahme mehr. * Individuelle, soziale und strukturelle Veränderungen Neben den bereits genannten demographischen Veränderungen und dem wachsenden Anteil älterer und alter Menschen in unserer Bevölkerung, verändern sich auch die Familienstrukturen. Die Großfamilie wurde von der Kernfamilie abgelöst; vielfach sind Teilfamilien Realität geworden. Auch geht die Entwicklung vom Drei-Generationen- zum Zwei- und Ein-Generationen-Haushalt, schließlich zum Ein-Personen-Haushalt. Von den 75-Jährigen wohnen 68 Prozent aller Frauen und 28 Prozent aller Männer in einem Ein-Personen-Haushalt. Das hat Konsequenzen bei der Versorgung und Betreuung. Andererseits gibt es eine Zunahme der Vier- und Fünf-Generationen-Familien, die jedoch nicht mehr unter einem Dach wohnen. Rund 20 Prozent aller über 60-Jährigen haben noch einen lebenden Elternteil, ebenso viele Urgroßenkel. Nach einer interdisziplinären Langzeitstudie hatten von den untersuchten Mittsechzigern noch 38 Prozent einen lebenden Elternteil, 18 Prozent sogar lebende Eltern und Schwiegereltern. Lebenssituationen, in denen Großeltern die Urgroßeltern unterstützen und, wenn nötig pflegen, sind nicht selten. Kinder ziehen früh aus dem Elternhaus aus, ein Trend, der allerdings in den letzten Jahren nachgelassen hat. Immer mehr Erwachsene bleiben ledig, auch wenn feste Partnerbindungen vorhanden sind. Zudem nehmen die Scheidungen ohne Wiederheirat zu. Diese Entwicklungen haben auch Auswirkungen auf die Pflege und Versorgung älterer Menschen. Oftmals sind sie dann auf fremde Hilfe angewiesen. Die zunehmende Singularisierung bedeutet nicht unbedingt, dass der Mensch vereinsamt. Ältere aktive Menschen fühlen sich keineswegs einsam. * Verhältnis von Jung und A1t Altersstudien zeigen eine erstaunlich positive Einstellung der Generationen zueinander. Sie weisen aber auch auf zunehmende Unsicherheiten hin, die die Beziehungen zwischen Jung und Alt gefährden können: So gibt es ein gegenseitiges Verständnis der Generationen füreinander. Bereis erwachsene Kinder stehen ihren Eltern in der Regel emotional sehr nahe, haben häufig Kontakt zueinander. Die Situation ist durch innere Nähe bei äußerer Distanz gekennzeichnet und durch eine gegenseitige Anteilnahme und Unterstützung in beiden Richtungen - von Alt zu Jung und von Jung zu Alt - geprägt. Sie leisten konkrete Hilfe in Pflege und Kinderbetreuung, helfen in Krisensituationen und bieten finanzielle Unterstützung. Aber es gibt auch die Auffassung, dass der Kontakt zwischen den Generationen eher konfliktbeladen ist, insbesondere sind Konflikte aufgrund der Wirtschaftslage eher größer geworden. Problematisch erscheint dabei, dass der Kontakt zwischen den Generationen außerhalb der Familie stark eingeschränkt ist und dass dieser fehlende Austausch vielfach Anlass für bestehende Missverständnisse zwischen den Generationen bietet. Insgesamt lassen sich positive Einsichten und Erkenntnisse über das Verhältnis von Jung und Alt feststellen. Fruchtbare Lösungen von Konflikten setzen allerdings voraus, dass alle Generationen Offenheit füreinander zeigen. Es bedarf der Bereitschaft, an Veränderungen und am Wandel mitzuwirken und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, auch wenn sie mit Einschränkungen bei sich selbst verbunden sind. * Verständigung zwischen den Generationen Wie kann man die Begegnung zwischen Jung und Alt und damit die Verständigung und den Dialog zwischen den Generationen fördern? Die Chancen einer Verständigung steigen, wenn die Interessen, Bedürfnisse, Anliegen und Wünsche der jüngeren und älteren Generationen aufgegriffen werden. Wer die Intensivierung der Verständigung und das gelingende Miteinander der Generationen will, muss die wechselseitige Achtung voreinander kultivieren. Dabei sind folgende Gesichtspunkte mitzubedenken: Wenn Enkelkinder da sind, müssen sich die Beziehungen zwischen den Generationen in der Familie neu einspielen. Der Loslösungsprozess der eigenen Kinder wird zeigen, ob eine innere Beziehung gegeben ist. Die Enkel machen die Großeltern auf das eigene Älterwerden aufmerksam. Wenn Großeltern für ihre Enkelkinder zu wichtigen Bezugspersonen werden, wächst ihnen nicht nur in der Haushaltsversorgung, sondern auch in der Betreuung und Erziehung, insbesondere in der religiösen Erziehung Verantwortung zu. Die Lebendigkeit der Enkel und die Aufmerksamkeit und die Nähe der Großeltern bei gegenseitig notwendigem Freiraum wird die Verständigung fördern und vertiefen. Durch die Mobilität unserer Gesellschaft leben aber viele Familien räumlich weit getrennt. Oft sind auch eigene Nachkommen nicht vorhanden. Hier sollten die verschiedenen Generationen in der Gemeinde durch geeignete Angebote zum Gespräch und zur Begegnung von Jung und Alt zusammengeführt werden. Es gilt ferner, die Bedeutung und Notwendigkeit einer Solidarität der Altengenerationen untereinander - die Hilfe der Älteren für Alte und Hochbetagte - aufzuzeigen und zu stärken. So machen Studien deutlich, dass Freundschaften im Alter einen immer höheren Stellenwert erhalten und dass sie teilweise mehr Einfluss auf das Wohlbefinden des einzelnen haben als Familienbeziehungen. Freunde werden zu Quasi-Verwandten mit positiven Auswirkungen auf das soziale Verhalten. Außerdem bedarf es einer neuen Solidarität zwischen den Geschlechtern. Soll der viel zitierte "Generationenvertrag" auf eine neue Grundlage gestellt werden, muss eine neue Kultur des Verstehens zwischen den Geschlechtern entwickelt werden. Dazu wird es nötig sein, dass auch Männer künftig bereit sind, einen Teil der Sorge um alte, hilfs- und pflegebedürftige Menschen zu übernehmen. Echte Begegnungen und eine gute Verständigung zwischen den Generationen gelingen zunächst auf der Basis gemeinsamer Interessen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass jede Generation hinreichend über die Lebenswelt wie auch über die Probleme der anderen Generation informiert ist. Es gilt die Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen zu erkennen und die Individualität des Einzelnen - unabhängig von seinem Alter - respektieren und schätzen zu lernen. Wie offen können Jung und Alt miteinander diskutieren und "streiten"? Wie groß ist die Bereitschaft, die Augen vor den Andersdenkenden zu öffnen? Wird dabei deutlich, dass alles, was Menschen erkennen und aussprechen, nicht endgültig und umfassend ist, sondern von Gott erschaffen, erhalten und verändert wird? Wie weit geht die Bereitschaft, die Unvollkommenheit der Mit- und Umwelt und der eigenen Person auszuhalten und offen für Veränderungen zu bleiben? 2.4 Älterwerden in der Fremde Wie in den anderen europäischen Ländern gibt es auch in der Bundesrepublik Deutschland eine steigende Anzahl von alten Menschen ausländischer Herkunft. * Aspekte zur Lebenssituation Derzeit leben 7,4 Millionen ausländische Mitbürger/-innen in der Bundesrepublik Deutschland, davon 500.000 (7 Prozent) über 60 Jahre. Im Vergleich mit unserer Gesamtbevölkerung ist die Altersstruktur der Migrantenbevölkerung relativ jung. Aktuelle Prognosen machen jedoch deutlich, dass sich der Altersaufbau der ausländischen Bevölkerung zunehmend der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung angleichen wird. Bei der ausländischen Altenbevölkerung handelt es sich um sehr heterogene Gruppen. Abgesehen von Einkommen, Bildungsniveau und Familienstatus unterscheiden sie sich auch in der Nationalität, Sprache, Kultur und Religion. Zudem gibt es Belastungen und Schwierigkeiten durch fehlende Sprachkenntnisse, unklare Lebensperspektiven oder ausländerrechtliche Beschränkungen. * Räumliche Kontinuität: Rückkehrorientierung Die meisten alten Migranten haben rückkehrorientiert gelebt, d.h. sie haben ihre Lebensplanung immer auf das Herkunftsland bezogen. Dorthin wurden die Ersparnisse überwiesen und im Landkauf und Hausbau angelegt. Im Alter ergeben sich oft Gründe, die die Rückkehr erschweren oder unmöglich machen. Eine Entscheidung zu bleiben ist deshalb nicht unbedingt eine Frage des Bleiben-Wollens, sondern oft des Nicht-mehr-zurückkehren-Könnens. Da die nachfolgenden Generationen in der Regel in Deutschland bleiben wollen, würde die Rückkehr eine endgültige Trennung von der eigenen Familie bedeuten. Viele sind auch infolge der schweren körperlichen Arbeit gesundheitlich angeschlagen und bleiben wegen der besseren medizinischen Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland. Nicht zuletzt ist ihnen die alte Heimat im Laufe der Zeit fremd geworden. * Kulturelle Kontinuität und Identität Für die alten ausländischen Mitbürger/-innen sind nationale Vereine und Zusammenschlüsse von entscheidender Bedeutung. Sie leisten Orientierung und Unterstützungshilfe, fördern das Selbstwertgefühl, vermitteln Gemeinschaft und Geborgenheit, pflegen Sprache, Religion, Kultur und Brauchtum. Damit werden Anpassungsprobleme leichter bewältigt. Volkstum ist Teil der Identität, die die Kontinuität der Person während des Älterwerdens in der Fremde sichert. Die Einbettung in ethnische Netzwerke kann Migranten seelischen Halt geben. Oftmals wird die ethnische Insulation in der Fremde überbewertet und sogar als Ghettobildung oder fehlende Bereitschaft zur Integration missverstanden. Allerdings passen sich Migranten auch zunehmend den Lebensverhältnissen ihres Umfeldes an, etwa was die Zahl ihrer Kinder angeht. Unsere Kommunen und christlichen Gemeinden sehen sich durch diese Tatsachen mit neuen Fragen und Aufgaben konfrontiert: Gelingt es, Gelegenheiten und Räume zu schaffen, wo ein Dialog zwischen Menschen verschiedener kultureller Herkunft und Eigenart möglich ist? Welche Hilfen können kirchliche Einrichtungen und Gemeinden älteren Migranten, die in Not geraten sind, bieten? Welche Möglichkeiten der Integration von alten Migranten gibt es in Alten- und Pflegeheimen? 3. Glaubend älter werden Ältere und alte Menschen haben im Laufe ihres Lebens bereits oft erlebt, dass ein bewährter Lebenssinn, dass eine religiöse Grundhaltung, dass ein mutiger, christlicher Glaube eine konkrete Hilfe für die Bewältigung ihres Lebens ist, ja neue Lebensdimensionen erschließen hilft. Auf der anderen Seite ist es immer weniger selbstverständlich, dass die Älteren und Alten Antworten auf ihre Lebensfragen im Zusammenhang von Kirche und Gemeinden finden. Gläubigkeit und Kirchlichkeit älterer Frauen und Männer sind in Bewegung geraten, unterliegen oftmals einem deutlichen Gestaltwandel oder sind gar fragwürdig geworden. 3.1. Neue Lebensdimensionen entdecken Im Alter stellt sich die Frage nach einer tragfähigen Lebensperspektive besonders deutlich. Die Dritte Lebensphase wird häufig nicht als Chance erlebt, sondern als Verlust an Lebensqualität. Abnehmende physische Leistungsfähigkeit und zunehmende Anfälligkeit kommen hinzu. Wer diese Lebensphase bewusst leben möchte, braucht tragende Lebensgrundlagen. * Dem tragenden Lebensgrund auf der Spur Hinter dem Wunsch nach Leben steht das Verlangen nach bleibendem Sinn des Daseins. Viele tun sich schwer mit Antworten auf die Fragen nach den Hintergründen des Lebens: Woher komme ich, wohin gehe ich? Hat das Leben ein Ziel? Steht hinter all dem Unfassbaren und Schrecklichen des Lebens die waltende Hand eines liebenden Gottes?. Während des Alterns versuchen viele Menschen sich Rechenschaft über ihr bisheriges Leben zu geben. Freilich weigern sich manche, die Wirklichkeit so anzunehmen, wie sie ist. Mit dem Augenblick zufrieden, stehen sie weder zu ihrer Vergangenheit, noch bedenken sie in der Flüchtigkeit ihrer Lebenserwartungen die Zukunft, die ihnen in der Vollendung bei Gott offen steht. Eine wachsende Zahl von Menschen traut Forschungsergebnissen und Erkenntnissen der Naturwissenschaft eher als ihrer Religion, den tieferen Sinn des Daseins zu ergründen. Von daher besteht im Denken naturwissenschaftlich gebildeter Menschen zunehmend ein Zwiespalt zwischen gesicherten Ergebnissen der Naturwissenschaft und elementaren Glaubensaussagen. Fragen der persönlichen Beziehung zu Gott bedrängen manche Menschen intensiv, während sie für andere irrelevant sind. Bei der Suche nach Gott geht es heute nicht so sehr um Antworten auf die Frage: "Wer ist Gott?", sondern vor allem um das Problem "Wo bleibt Gott angesichts der Leidensgeschichten unzähliger Menschen in unserer Welt, angesichts der zahllosen namenlosen Opfer von Gewalt, Terror und Kriegen?" Für viele gehört die Neugewinnung oder Stabilisierung ihres Gottesbildes zu den wichtigsten Herausforderungen ihres Glaubens. * Einflüsse aus der eigenen Biographie Forschungsergebnisse ebenso wie Zeugnisse aus den persönlichen Lebensschicksalen belegen, welche tiefgreifenden Auswirkungen weltanschauliche und ideologische Einflüsse auf die Lebensgeschichte ausüben können. Beispiele bewältigter und unbewältigter Lebenssituationen verdeutlichen, wie sehr eigene Erlebnisse und Erfahrungen heilende oder auch zerstörende Kräfte freisetzen können. Zu den Problemen, die dem Leben Sinn und Inhalt geben, gehört auch der Umgang mit Konflikten und Schuld. Dabei ist die Frage wichtig, ob die Werte stimmen, auf die der einzelne sich bezieht, wenn er Schuld oder Schuldgefühle empfindet oder auch nicht empfindet. Wer sich mit den Wurzeln seiner Herkunft und den tief in ihm wirkenden inneren Kräften auseinandersetzt, ist mit den Quellen verbunden, aus denen sein Leben gespeist wird. Er kann Ja sagen zu seiner Existenz und im Einklang stehen mit seiner Tiefe, auch mit der Stimme seines Gewissens. Ältere Menschen entdecken dabei, wie sehr neben den Eltern, Geschwistern und Großeltern, auch Freunde, Nachbarn, Lehrer, Seelsorger und andere Bezugspersonen eine bedeutsame Rolle in ihrem Leben spielen oder gespielt haben. Weil dem so ist, werden Glaubende dafür einzutreten haben, dass ältere Menschen zu der Einsicht kommen, wie wichtig es ist, ihre Vergangenheit positiv in den gesamten Lebensverlauf zu integrieren. * Lösungswege existentieller Lebensfragen Zahlreiche ältere Menschen suchen in esoterischen Bewegungen, Spiritismus und New-Age-Gruppen Antworten auf ihre Grundfragen. Bei vielen wurde der Kern des christlichen Glaubens, die Auferstehungsbotschaft, durch die Angst verdunkelt, dass sie das endgültige Ziel ihres Lebens verfehlen und vom ewigen Leben bei Gott ausgeschlossen sind. Dieser Fehlschluss lässt ehemalige Christen in den Heilslehren der östlichen Religionen (z.B. des Hinduismus und des Buddhismus), vor allem in der Seelenwanderung, Zuflucht suchen. Auch unter älteren Menschen ist eine Einstellung verbreitet, die Gott zwar nicht leugnet, aber den Menschen so leben lässt, als gäbe es ihn nicht. Der Humanismus ohne Gott entspricht dem Lebensgefühl vieler Zeitgenossen. Aufgeschlossenheit für menschliche Nöte sowie der Blick für individuelle und gesellschaftliche Realitäten sind nicht mehr selbstverständlich mit dem Glauben an die Existenz eines personalen Gottes verbunden. 3.2 Der Beitrag des Glaubens zur Wahrung der eigenen Identität Persönliche Glaubensgestalt und Gottesvorstellungen sind von der Lebensgeschichte, den Einflüssen auf die psychosoziale Entwicklung und vom religiösen Milieu geprägt. * Gefragte oder gemiedene Kirche? Lebenskrisen, menschliches Versagen und permanente Kirchenkritik haben auch viele ältere Menschen in ihrem Ja zur Kirche verunsichert. Sie können sich mit den Lebensäußerungen und Lebensformen dieser konkreten Kirche nicht mehr identifizieren. Außerdem gibt es unter den Älteren viele, die sich mit der Annahme von Glaubenswahrheiten schwer tun, in deren Augen einige Formen der Frömmigkeit als veraltet gelten oder die durch die gängige kirchliche Praxis im Zusammenhang mit der Familienplanung oder der Eheschließung mit einem anderskonfessionellen Partner in Konflikt mit der Kirche geraten sind. Innerkirchliche Veränderungsprozesse belasten gerade oft ältere und alte Menschen. Ihrer Meinung nach trägt die Beliebigkeit im Bereich der Liturgie, die Inflation der Worte, der routinemäßige Vollzug, die mangelnde Verbindung zwischen Liturgie und Leben zur abnehmenden Identifizierung mit dem Glauben und den Ausdrucksformen der Frömmigkeit bei. Nach Zeiten der Distanzierung von der Kirche beginnt bei manchen ein tastendes Suchen nach Lebenshilfen und Orientierungsmustern. Doch hat dieses Suchen nicht ohne weiteres die Wiederaufnahme der abgebrochenen kirchlichen Beziehungen zur Folge. Dazu bedarf es auch von Seiten der Kirche einer erheblichen Anstrengung und "Beziehungsarbeit". * Glaube als Deutungshilfe Jeder lebt in einem vielfältigen Bezugsfeld persönlicher, gesellschaftlicher, politischer, kultureller und religiöser Art. Wenn sich die Bewältigung kritischer Lebensereignisse und die Stabilisierung der eigenen Identität im Alter als zentrale Aufgaben stellen, so bietet der Glaube einen Sinnhorizont dafür an. Der Mensch kann sich im Glauben neu beheimaten. Freilich sollte dieser Glaube im ganzen Leben seine Wurzeln haben. Es bedarf einer identitätsstiftenden und identitätserhaltenden Mitte, um belastende Situationen annehmen zu können. Bei der Bewältigung dieser Probleme zeigt der Glaube immer wieder seine tragende Kraft. Er kann dazu befähigen, schwierige Lebenslagen in einem neuem Licht zu sehen. Der Mensch lebt nicht nur als jemand, der etwas leistet, sondern auch als jemand, der etwas empfängt. Jeder einzelne soll Sorgender und Umsorgter sein. Der Rückblick auf den Verlauf des Lebens und die Versöhnung zwischen dem, was ursprünglich angestrebt war und dem, was tatsächlich erreicht worden ist, kann die Einsicht vermitteln, dass alles Menschliche bruchstückhaft ist. Christliches Glaubenswissen kann helfen, unsere heutigen Wertmaßstäbe zu relativieren und Frieden mit seinem Lebensweg zu schließen. * Eine gelebte Gottesbeziehung Jeder einzelne hat eine Fülle von Eindrücken, Erfahrungen und Erlebnissen, die sein Verhalten prägen. Leider sehen viele nicht, dass ihre Lebensgeschichte mit Gottes Führung zu tun hat und dass Gott von Anfang an ihr Lebensbegleiter gewesen ist. Wer den Mut hat, eigene Dunkelheiten im Leben zuzugeben, darf wie Paulus die Feststellung machen, dass Gottes Gnade nicht bei unseren Idealen, sondern bei unserer Schwachheit ansetzt (vgl. 1 Kor 15,10 u. 2 Kor 11,3). Gerade durch dieses Ringen kann die Freude an Gott neu wachsen. Gott wird in der Tat geehrt oder missachtet. Das Verhältnis zu Gott realisiert sich vor allem in der Begegnung mit dem Nächsten. Auch die Pflege ansprechender Ausdrucksformen der inneren Frömmigkeit verdient besondere Aufmerksamkeit. Eine Hilfe sind Besinnungs- und Einkehrtage, Gebetsgemeinschaften, Exerzitien, Wallfahrten, Gottesdienste, Feste im Kirchenjahr. Es ist wichtig, vertraute und eingeübte Frömmigkeitsübungen gelten zu lassen und zu nützen. Doch sind alte Menschen offen für neue Ausdrucksformen ihres Glaubens. 3.3 Unterschiedliche Zugänge zu einem vertieften Glauben Die Alternsforschung hat gezeigt, dass es viele Stile des Alterns und des Alters gibt. In Anlehnung dessen gibt es auch unterschiedliche Zugänge und Wege, den Glauben neu zu entdecken und zu leben. * Im Alter frömmer sein oder werden? Älterwerden bedeutet nicht unbedingt, reifer, weiser und frömmer zu werden. Viele bleiben in ihrer persönlichen Religiosität und Frömmigkeit auf einer bestimmten Entwicklungsstufe stehen. Die Neigung und Bereitschaft, sich religiös weiterzubilden und religiöse Auffassungen und Vorurteile aus dem Kinderglauben zu überwinden, ist wichtig, weil sich Fragen nach dem Sinn des Lebens und dem Ziel des persönlichen Lebensweges heute unausweichlich und je nach Lebenssituation anders und neu stellen. Um so mehr gewinnen die Auseinandersetzung mit religiösen Fragen und religiöse Gespräche an Bedeutung. Es braucht Mut gerade für ältere Menschen, sich den neuen Fragen zu stellen und alte, vielleicht liebgewordene Vorstellungen aufzugeben, weil sie dies Zeit ihres Lebens z. T. nicht gelernt haben. Dadurch aber kann auch der Glaube wachsen. Erfreulicherweise sind viele Ältere für Neues offen, auch in Fragen des Glaubens. Ein gereifter Glaube ist eine echte Hilfe bei der Suche nach Orientierung für ein eigenständiges Leben im Alter. * Das Leben noch "vor" sich haben Durch seine Lebenssituation wird der ältere Mensch in besonderer Weise daran erinnert, dass er auf das Ende hin lebt. Christen glauben an das ewige Leben. So stehen alte Menschen in der Spannung zwischen der Freude am noch vor ihnen liegenden Leben und der Hoffnung auf das ewige Leben. Jeder möchte das Leben, das ihm geblieben ist, so gut wie möglich nutzen. Dabei darf er auch erfahren, dass nicht nur das Tätigsein und Geben, sondern auch das Empfangen und Nehmen das Dasein erfüllt. Der Volksmund sagt, dass ältere Menschen ihr Leben hinter sich haben. Aber der tiefer Denkende und Glaubende weiß, dass er sein Leben in einem zweifachen Sinn noch vor sich hat: Einmal kann er beim Versuch, eine Lebensbilanz zu ziehen, feststellen, dass er im Alter der ist, der er geworden ist. Auf der anderen Seite ist die eigene Lebensgestalt noch nicht vollendet. Insofern hat der ältere Mensch das Leben noch vor sich. Dies gilt besonders für die Vollendung, die durch Gottes Tat an uns geschehen wird. Der Mensch entwickelt sich bis zum letzten Atemzug. Im wahrsten Sinn des Wortes ist noch alles offen. Der Ausgang des Lebens ist Zukunft und steht unter dem Spruch des Gottes einer alles verwandelnden Liebe. Auf dieser Basis können ältere Menschen Mut schöpfen und gelassener werden. Mit ihrer Umkehr zu Gott dürfen sie das, was im bisherigen Leben ungut verlaufen sein mag, im Blick auf den verzeihenden Gott versöhnend beurteilen. Zugleich kann ein solcher Rückblick auf das eigene Leben toleranter machen. * Wege zur Glaubenserneuerung Glaubend älter werden bedeutet, sich mehr und mehr auf die Beziehung zu Gott einzulassen. Ein christlicher Lebensentwurf gründet auf dem Glauben an Gott, der selbst das Leben ist, der den Menschen zu seiner wahren Identität führen will, zu einem "Leben in Fülle" (vgl. Joh 10,10). Es gilt, seiner Glaubensgestalt immer näher zu kommen. Diese ist zwar im Leben verborgen, will sich aber auf der Spur des Wachstumsprozesses immer mehr eröffnen. Ein solches Wachstum ist aber kein geradliniger, ungestörter Prozess, sondern schließt Suchen, Irrwege, Brüche, Ermüden, Stagnieren und einen ständigen Neuanfang mit ein. Wer sich beim Älterwerden bewusst darauf einlässt, braucht Geduld, damit diese Neuorientierung sein ganzes Menschsein durchdringen kann. Durch diesen Prozess wird sich auch die in der Taufe und Firmung geschenkte Gemeinschaft mit Gott entfalten. Dabei kommt es nicht auf eine plötzliche und gewaltsame Anstrengung an, sondern auf ein stetiges und beharrliches Hinordnen auf Gott. Eine lebensgeschichtliche Glaubensbegleitung hilft das Leben zu deuten. Wer dafür empfänglich ist, kann in seinem Leben ordnen, was verworren oder verfahren ist und neue Perspektiven für die Zukunft entdecken. Ein erprobter Glaube im Sinne des Schriftwortes "Dein Glaube hat dir geholfen" (Mk 10,52) trägt das Leben, auch durch seine letzten Phasen und schließlich das Sterben. 4. Leben solidarisch gestalten Es gibt viele Frauen und Männer, die erst nach der Familien- und Erwerbsphase das breite Spektrum ihrer Interessen entdecken, auch Interessen für das Gemeinwesen. Aufgrund ihrer vielfältigen Biographien und Lebenserfahrungen haben ältere Frauen und Männer Kompetenzen, die sie einbringen wollen. Es gilt, Orte und Gelegenheiten zu schaffen, an denen ältere Menschen die Zukunft in unserer Gesellschaft und Kirche mitgestalten können. Dementsprechend ist eine vielschichtige Pastoral in der Dritten Lebensphase gefragt. 4.1. Leitbilder solidarischen Handelns Christliche Solidarität bedeutet ein Sich-Einsetzen für Menschen über ausgrenzende Unterschiede hinweg. Besonders das Eintreten für die Schwächeren ist notwendig. Es gehört schon zu den demokratischen Grundrechten, die Interessen von Benachteiligten zu vertreten. Aber Christen, Alt und Jung, dürfen entscheidende Fragen und Anliegen in unserer Gesellschaft und Kirche nicht allein denen überlassen, die sich lautstark zu Wort melden. * Einheit von Leben und Glaube Viele sind darauf angewiesen, dass andere für sie Partei ergreifen, besonders die Hilfsbedürftigen, Einsamen, Vernachlässigten und Sprachlosen. Der Bibel geht es um die ganzheitliche Zuwendung zu Menschen, die der entschiedenen Parteinahme im Sinne des Prophetentextes: "Dem Schwachen und Armen verhalf der Herr zum Recht" (Jer 22, 16ff.) bedürfen. Schritte in dieser Richtung zu gehen, ist nicht einfach. Es gilt, die christliche Solidarität in den Alltag zu übersetzen. Solidarität bedeutet wesentlich mehr als bloße Fairness im Umgang miteinander und Achtung vor den Bedürfnissen der anderen. Aktuelle Fragen des Miteinanders in unserer Gesellschaft, etwa im Bereich der Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Sozialpolitik, stoßen in weiten Kreisen der Bevölkerung zunehmend auf Interesse. Doch mit dem Größerwerden der eigenen Probleme überlässt man das soziale Engagement gerne jenen, die sich von Berufs wegen um Solidarität mit den Benachteiligten bemühen. Eine Grundstimmung ist: Der Einzelne muss sehen, wie er zurecht kommt. Papst Johannes Paul II schreibt in seiner Sozialenzyklika "Sollicitudo rei socialis" dazu: "So wie die Welt heute ist, können wir überhaupt nicht mehr überleben ohne die ,Wechselseitigkeit': einer für den anderen, einer mit dem anderen" (Nr. 26). Die raschen Veränderungen im Alltag fordern immer wieder zu neuem verantworteten Handeln heraus. Gefundene Problemlösungen verlieren ihre Wirkung und müssen ersetzt werden. Dadurch werden christliche Traditionen nicht bedeutungslos, sie gelten jedoch nicht mehr selbstverständlich und müssen sich neu bewähren. Vor allem kommt im Alltag der Einheit von Leben und Glaube ein großes Gewicht zu. Menschen erwarten von unserer Kirche Orientierungshilfen, Begleitung und Unterstützung. Lebenshilfe ohne Berücksichtigung der Verantwortung und Leistungsfähigkeit, die jeder Mensch hat, kann rasch zur Abhängigkeit führen. In Formen einer praktizierten Solidarität soll auf die konkreten Erfahrungen Einzelner, auf ihr Lebensumfeld, auf ihre Erwartungen, Sehnsüchte und Ängste eingegangen werden. * Anteil geben an der eigenen Hoffnung Hoffnung geben, bedeutet, andere nicht allein zu lassen, weder mit ihren Freuden, noch mit ihrem Leid. Jedes Leid, mag es von außen gesehen noch so klein erscheinen, ist für den, der es erfährt, groß genug. Es gibt Situationen, in denen Menschen trotz vielerlei Anstrengungen wenig erreichen. Es gibt Lebensumstände, die nur noch erlitten werden können. Ohnmacht und Ausweglosigkeit begraben die Hoffnung unter sich. Einen Ausweg gibt es, wenn dem Menschen von anderswoher, jenseits seiner Möglichkeiten, ein Tor geöffnet wird. Es muss sich um etwas handeln, das bleibt und nicht zerstört werden kann. Eine solche Hoffnung können nicht einmal der Tod und das Ende der Welt zunichte machen. Der Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazaret als Gott der Lebenden ist die eigentliche "Beglaubigung" aller menschlichen Hoffnung; er ist ihr letzter Grund. Das Schicksal des Mitmenschen mitfühlen und mittragen ist eine Frucht des christlichen Glaubens. Sie ist mit Sicherheit die stärkste Kontrasterfahrung zu jener Hoffnungslosigkeit, die sich in einer Welt der Egoismen ausbreitet. Als Christen können ältere Menschen durch ihr Leben, ihren Glauben und durch ihr Handeln Hoffnungszeichen für alle Generationen setzen. Sie können damit ein Zeugnis von der Hoffnung geben, dass der lebendige Gott selbst alles gelebte und ungelebte, geglückte und bruchstückhafte Leben annehmen, aufrichten, heilen und vollenden wird. 4.2. Ehrenamtliches Engagement im Alter Noch nie in der neueren Geschichte konnte sich unsere Gesellschaft und Kirche einer so großen Zahl ehrenamtlich tätiger Frauen und Männer erfreuen wie in der Gegenwart. Dies ist mit Blick auf ältere Menschen in doppelter Hinsicht bedeutsam. Zum einen stellt ehrenamtliches Engagement ein wichtiges und interessantes Betätigungsfeld für Ältere dar. Zum anderen hat ein nicht unerheblicher Teil ehrenamtlicher sozialer Arbeit ältere Menschen als Adressaten. Allerdings vollzieht sich ein Wandel des Ehrenamtes, der wahrgenommen und gestaltet werden muss, soll ehrenamtliches Engagement seine Anziehungskraft behalten. Dazu tritt immer deutlicher ins Blickfeld, dass ehrenamtliches Engagement, besonders im Sozialbereich, allein den Frauen zugeschrieben wird. Frauen, auch ältere Frauen verweigern sich nicht dem Ehrenamt, wohl aber einer Praxis nach dem Motto "Das Amt den Männern, der Dienst den Frauen". Amt und Ehrenamt stehen auch in der Kirche aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklungen unter Anfrage. * Das Ehrenamt im Wandel Mit dem Aufkommen der Industrialisierung ist das Ehrenamt bei frommen Einrichtungen und Stiftungen im sozialen, kulturellen und künstlerischen Bereich gefragt, zunächst nur für Männer. Später wurden auch Frauen zu sozialen Aufgaben im Ehrenamt zugelassen. Die Sorge für die gemeinsamen Interessen brachte gesellschaftliche Ehre und Anerkennung ein. Für Christen sollte in all ihrem Tun Gott im Mittelpunkt stehen, wobei sie durch ihr Ehrenamt den Herrn preisen und ihm die Ehre zurückgeben. Das Amt in der Kirche ist von geistlicher Vollmacht der Verkündigung, der Versöhnung und der Heilsvermittlung Gottes geprägt. Dem Amt wohnt der Auftrag inne, um Gottes und der Menschen willen tätig zu werden. Es ist also eine Für-Sorge für den anderen. Dies gilt entsprechend auch für das Ehrenamt. Das und nur das gereicht dem Ehrenamt zur Ehre. Unser heutiges Verständnis von ehrenamtlichem Engagement verbindet objektive Notwendigkeiten mit persönlichen Faktoren wie Kompetenz, Erfahrung und Entfaltungsmöglichkeiten. Außerdem geht es um die Festlegung der Ziele, Nennung der Rahmenbedingungen, Erwartung von Begleitung und Fortbildung, Austausch von Informationen, zeitliche Befristung, Anerkennung durch die Gemeinde und die Kostenerstattung. Mittlerweile geht es auch um die Anerkennung durch die Sozialversicherung. Deutlich werden auch die Schwierigkeiten und Störfaktoren, denen ehrenamtliches Engagement begegnet: Übererwartungen oder mangelndes Verständnis von Hauptamtlichen für die Lebenssituation der Ehrenamtlichen; Konkurrenzdenken zwischen Ehren- und Hauptamtlichen; deren Neigung, unbequeme Aufgaben den Ehrenamtlichen zuzuschieben; das Missverständnis, die ehrenamtlich Tätigen hätten die Hauptamtlichen zu entlasten und nicht ein zusätzliches Angebot zur Abhilfe von Not darzustellen; mangelnde Informationen und Organisation; die verwirrende Vielfalt von Gruppen und Gremien, die ein Mitspracherecht besitzen oder beanspruchen; das Ausbleiben des Dankes; auch die manchmal in ungerechtfertigtem Anspruchsdenken verhafteten Hilfesuchenden und vieles mehr. * Die Kirche: Ein Ort ehrenamtlichen Engagements im Alter Die bisher angesprochenen Aspekte ehrenamtlichen Engagements gelten für alle gesellschaftlichen Tätigkeitsfelder, im sozialen, kulturellen und politischen Bereich. Im folgenden sollen einige besondere Merkmale und Aufgaben der Kirche als Ort ehrenamtlichen Engagements zur Sprache kommen. Die deutschen Bischöfe formulierten in ihrer "Erklärung zum kirchlichen Dienst" für ehrenamtliches Engagement: "Zum kirchlichen Dienst gehören auch solche Gläubige, die auf Dauer oder auf Zeit ohne Entgelt besondere Aufgaben in der Kirche erfüllen, um durch dieses Apostolat mitzuhelfen, dass die Kirche ihre Aufgaben erfüllen kann. Sie geben mit ihrem Einsatz eine Ermutigung, sie stützen und bestärken die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie tragen dazu bei, dass im Alltag der kirchlichen Dienste die missionarische Kraft nicht erlahmt" (Die deutschen Bischöfe Nr. 51, S. 14). Ehrenamtliches Engagement, auch im Alter, ist somit ein wichtiger Tätigkeitsbereich in der Kirche: - Ehrenamtliche Dienste sind zur Entfaltung vieler Bereiche kirchlichen Lebens notwendig. - Ehrenamtliche Verbandsarbeit bietet ein wichtiges Erfahrungsfeld für soziales und gesellschaftliches Handeln. - Räte als gewählte, ehrenamtliche Mandatsträger, vom zuständigen Diözesanbischof anerkannte Organe, sind auf allen Ebenen der Kirche zur Koordinierung des Laienapostolats und zur Förderung pastoraler Aufgaben tätig. Für das ehrenamtliche Engagement in der Gemeinde gibt es viele Betätigungsfelder, die nach einem breiten Spektrum von Fähigkeiten verlangen. Den umfangreichsten Bereich ehrenamtlicher Tätigkeit stellt der soziale Bereich, insbesondere der diakonische Dienst für alte Menschen dar. Für Menschen im hohen Alter sind die professionellen Pflege- und Sozial-Dienste unverzichtbar. Immer mehr muss in Zukunft menschliche Zuwendung, psychosoziale und seelsorgerliche Begleitung ehrenamtlich durch Frauen und Männer geleistet werden. * Die Verantwortung der Kirche für ältere Menschen im Ehrenamt Auch wenn das Ehrenamt heute seine Selbstverständlichkeit eingebüßt hat, ist doch eine Vielzahl älterer Frauen und Männer fähig und willens, am gesellschaftlichen und kirchlichen Leben aktiv teilzunehmen. Untersuchungen zeigen, dass die Beteiligungsquote beim ehrenamtlichen Engagement nicht nur bei den 40-, 50- und 60-Jährigen, sondern selbst bei den über 70-Jährigen höher ist als bei den 20-Jährigen. Die Gewinnung von ehrenamtlich engagierten älteren Frauen und Männer stellt dabei eine wichtige Aufgabe dar. Es gilt, sie zu ermutigen, nach ihren Möglichkeiten an den bestehenden Aufgaben mitzuarbeiten oder sich neue Tätigkeitsfelder zu eröffnen. Ältere Frauen und Männer stellen wertvolle Zeit zur Verfügung. Sie bieten persönliche Gestaltungs- und Leistungskraft und nicht nur maschinelle Produktivität an. Sie wollen in ihrem persönlichen Lebens- und Glaubenszeugnis wahrgenommen werden. Es ist wichtig, den Lebenszusammenhang älterer Menschen im Blick zu haben und nicht nur ihre inhaltliche oder organisatorische Funktion. Diese ganzheitliche Sicht erfordert von Organisationen und Einrichtungen, die ehrenamtliches Engagement älterer Menschen entgegennehmen, eine Gegenleistung: die Suche nach einem Arbeitsfeld entsprechend der jeweiligen Befähigung; eine möglichst klare Aufgabenumschreibung zur Orientierung sowie Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten, ein verlässliches Angebot von Information und Kooperation; Zugang zu den nötigen organisatorischen Einrichtungen wie beispielsweise ein Büro; subsidiäre Hilfeleistungen, wenn die Kräfte der ehrenamtlich tätigen älteren Menschen nicht hinreichen; regelmäßige Besprechung und Reflexion im Kreis der betroffenen Haupt- und Ehrenamtlichen; Verständnis für die Selbsthilfe und das Selbstvertretungsbemühen der Älteren im ehrenamtlichen Engagement; Erstattung der Kosten, die im Dienst entstehen; persönliche und öffentliche Anerkennung und nicht zuletzt die Bereitschaft, eine zeitliche Begrenzung des ehrenamtlichen Engagements Älterer zu akzeptieren. Um die Freude am Ehrenamt und eine größtmögliche gegenseitige Vergewisserung zu erreichen, bedarf es einer "Ordnung für ehrenamtliches Engagement im Alter". Gewinnung, Begleitung und Fortbildung ehrenamtlich engagierter älterer Frauen und Männer verlangt nicht zuletzt von den Hauptamtlichen selbst entsprechende Qualifikation und Einsatz. 4.3 Pastoral im Lebenszusammenhang Eine Pastoral in der Dritten Lebensphase muss zunächst die Lebenswirklichkeit der älteren Menschen wahrnehmen und bei allen Überlegungen berücksichtigen. Daraus ergibt sich die Aufgabe, Gottes Heilsangebot, die Botschaft vom Wirken und Lebensschicksal Jesu Christi dort zur Geltung zu bringen, wo sich das Leben der älteren Menschen und die Absicht Gottes begegnen können. * Bereiche einer lebensfördernden Pastoral Seelsorge ist Sakramentenpastoral und Teilhabe am kirchlichen Leben. Die sakramentale Begegnung, besonders auch in der Eucharistie, ist die Mitte allen seelsorgerlichen Handelns. Dabei geht es nicht nur um den Sakramentenempfang, sondern auch um die Sakramentalität der Lebenswelt der Älteren. Entsprechend des kirchlichen Auftrages gehört zur Seelsorge eine lebensgeschichtliche Begleitung; sie hilft älteren und alten Menschen das Leben im Licht des Glaubens zu bejahen, zu deuten und zu gestalten. Die Kirche hat im Alten und Neuen Testament und in ihrer Tradition ein Lebens- und Glaubenswissen erworben und bewahrt. Es kann dem gläubigen Menschen helfen, seine persönliche Lebenssituation wahrzunehmen, zu verstehen und den Weg zu einem erfüllten Leben zu finden. Bildung und Katechese als Hilfe zur Lebensorientierung sollen immer stärker auch von Fragen der älteren Generationen ausgehen: Was bewegt Menschen in der Dritten Lebensphase? Welche Haltung nehmen sie gegenüber der Kirche, der Gemeinde ein? Was sind ihre Sorgen und Nöte und wie können im gemeinsamen Gespräch, in gemeinsamen Überlegungen aus christlicher Sicht Antworten gefunden werden? Die Diakonie als soziale Pastoral berücksichtigt die vielfältigen Alltagsnöte der älteren Menschen und versucht in gesundheitlichen, psychosozialen, wirtschaftlichen und anderen lebenspraktischen Belangen zu helfen. Sie bemüht sich um die Selbstbestimmung und Würde des einzelnen, nicht zuletzt auch dann, wenn die Möglichkeiten dazu abnehmen. Sie sucht nach neuen Wegen, um die Lebenskompetenz der älteren und alten Menschen auch für die Familie und Gesellschaft erkennbar werden zu lassen. Die Einbindung in wohnortnahe Gemeinden spielt dabei eine große Rolle. Die Altenbewegung meint Organisationsformen, in denen Ältere selbst Initiative ergreifen, Verantwortung übernehmen sowie ihre Anliegen, insbesondere auch die Interessen hilfsbedürftiger Menschen in Kirche und Gesellschaft wirksam vertreten. In dem Maße, in dem ältere Frauen und Männer in Verantwortungsbewusstsein, Klugheit und mit Gespür zu verstehen geben, was sie noch immer mitgeben möchten, finden sie auch Berücksichtigung und Beachtung. Es gilt dabei aufzuzeigen, dass es nicht in erster Linie um die Lobby der Älteren gegen die Jüngeren geht, sondern um einen Wertekonsens, der die Würde des Menschen in allen Lebensphasen schützt, um eine gemeinsame Zukunft aller Generationen in dieser Mit- und Umwelt. * Pastoral im Lebensraum "Alten(Pflege)Heim" Gegenwärtig leben in der Bundesrepublik Deutschland rund 800.000 Menschen in etwa 8.300 Einrichtungen der stationären Altenhilfe. Etwa 500.000 dieser Menschen sind pflegebedürftig, bei ca. 420.000 liegt das Durchschnittsalter über 80 Jahren. Altenheime, Altenwohnheime und Altenpflegeheime finden sich seit einigen Jahren im Zuge der Alterung der Bevölkerung, des veränderten Spektrums der Krankheiten, der Zunahme der Pflegebedürftigkeit sowie der gesundheits- und sozialpolitischen Kostendämpfung und Leistungsbeschränkung in einem dramatischen Wandel. Diese demographischen und soziostrukturellen Veränderungen bestimmen sowohl die Situation der dort lebenden alten Menschen als auch der Mitarbeiter/-innen. Sie können folglich für das pastorale Handeln nicht ohne Bedeutung bleiben. So zeigt sich immer mehr, dass stationäre Einrichtungen der Altenhilfe zum "letzten Glied" in der Kette von Hilfsangeboten für alte Menschen werden. Das bedeutet, dass der Aufenthalt in einem Alten(Pflege)Heim für viele alte und hochbetagte Menschen der in ihrem Lebensverlauf "letzte Ort" ist, der ihnen noch Lebenshilfe bietet. Pflegekonzepte in stationären Einrichtungen müssen heute schwerpunktmäßig drei neue Aufgabenfelder berücksichtigen: - die aktivierende Pflege stark körperlich pflegebedürftiger alter Menschen, - die Begleitung und Pflege verwirrter bzw. dementer alter Menschen, - die Begleitung der Pflegebedürftigen im Sterben und ihrer Angehörigen in der Trauer. "Alte Menschen sollen nicht im Heim leben, um gepflegt zu werden, sondern sie wollen gepflegt werden, um leben zu können". Dieser Grundsatz zielt damit auf die Lebenskultur in den Heimen, insbesondere auf das, was notwendig ist, damit auch die "Seele" im Heim daheim sein kann. Aus christlicher Sicht entwürdigen Krankheit und Leid, Armut und Pflegebedürftigkeit den Menschen nicht. Dennoch ist es für alte Menschen in Alten(Pflege)Heimen oft schwierig, an ihren eigenen Wert, ihre Würde, Individualität und Mündigkeit zu glauben. Gerade die Erfahrung größter Abhängigkeit und Fremdbestimmtheit scheint die Verwirklichung dieser Werte in weite Ferne zu rücken. Deshalb ist es unbedingt notwendig, dass Heimbewohner/-innen über Beziehungen verfügen, die sie in ihrer persönlichen Identität und ihrem Selbstwert, aber auch in der Strukturierung ihrer Zeit unterstützen. Viele alte Heimbewohner/-innen suchen dringend Möglichkeiten mit Menschen außerhalb des Alten(Pflege)Heims, die für sie Kontakte aufrechterhalten können und ihnen als Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Eine Pastoral, die in der mitgehenden und mitleidenden Zuwendung Gottes zu den Menschen in Jesus Christus gründet, bemüht sich, diese Zuwendung in den besonderen Lebenssituationen erfahrbar zu machen. Dies geschieht in der Form des Besuchs, im Gespräch, der gemeinsamen Besinnung auf die biblische Botschaft, in gottesdienstlicher Gemeinschaft von Wort und Sakrament. Diese Lebenskultur in stationären Einrichtungen der Altenhilfe verdeutlicht, dass Leib, Seele und Geist sowie das Bedürfnis nach mitmenschlichem Kontakt nicht vergessen werden dürfen. Alten(Pflege)Heime sind nicht in erster Linie Versorgungs- und Bewahrstätten, sondern Lebensraum und Glaubensort. In ihnen soll sichtbar werden, dass alte Menschen ihre Lebenssituation in den Heimen aus dem Glauben annehmen und sinnvoll, gelingend, heilvoll erfahren können. Eine Pastoral in den Alten(Pflege)Heimen gilt auch den Mitarbeiter/- innen dieser Einrichtungen, die in besonderer Weise mit dem Altern und der Endlichkeit des menschlichen Daseins konfrontiert sind und sich oft zwischen medizinischen und finanziellen Suchzwängen und den Erfordernissen einer menschenwürdigen Pflege aufgerieben und überfordert sehen. Durch die Öffnung der christlichen Gemeinden kann die Lebens- und Arbeitsqualität der Pflegefachkräfte sowie die Lebensqualität der alten Menschen selbst eine Bereicherung finden. Bewohner/-innen von Alten- und Pflegeheimen sind Pfarrangehörige der Ortsgemeinde, in welcher sich das Heim befindet. Dies kann für die betroffene Gemeinde eine Chance sein, das "Tabu-Thema" Altern und Sterben anzugehen. Christen aus den Gemeinden, Verbänden und Institutionen können ihre seelsorgerliche Begabung und Berufung als Brückenbauer und pastorales Bindeglied zwischen den Gemeinden, Familienangehörigen und Alten(Pflege)Heimen einbringen und verwirklichen. * Sterbebegleitung als Aufgabe der Gemeinde Zu den konstitutiven Aufgaben der Gemeinde hat es immer gehört, den Armen, Notleidenden und Ausgegrenzten zu helfen. In einer besonderen Weise gehören dazu auch die Kranken und Sterbenden. In vielen zurückliegenden Generationen wurde Kranksein und Sterben hineingenommen in die Familie und Gemeinde. Die Menschen wurden daheim geboren, sie starben auch in ihrem gewohnten Zuhause. Es verstand sich von selbst, dass sich die ganze Familie um den Sterbenden versammelte, um mit ihm zu beten. Das war christlicher Brauch und gründet in dem biblischen Auftrag: "Ich war (sterbens-)krank und ihr habt mich besucht" (Mt 25,36). Heute werden in Krankenhäusern und Alten(Pflege)Heimen weithin Sterben und Tod in die Anonymität verdrängt. Inzwischen aber wird der Wunsch immer lauter, in der gewohnten Umgebung bleiben zu können. Es werden zu Recht Wege gesucht, wie der zutiefst menschliche und christliche Wunsch, im Kreise der Angehörigen oder mitsorgenden Menschen zu sterben, erfüllt werden kann. Sterbebegleitung ist gelebte Gastfreundschaft mit dem Sterbenden. Es gilt den Sterbenden in seiner Einsamkeit und Ungeborgenheit aufzusuchen. Denn nur zusammen mit dem, der ihn in seinem Sterben aufsucht, kann der Sterbende er selbst bleiben. Aus diesem Grund ist Sterbebegleitung Sakrament, das heilige Zeichen der Treue und Nähe Gottes zu diesem Sterbenden, etwa in einem seelsorglich-geistlichen Gespräch, in der Beichte, in der Kommunion als Wegzehrung oder durch die Krankensalbung. Viele Sterbende sind dankbar, wenn ihnen jemand kurze Gebete vorspricht. Sterbebegleitung meint demnach nicht einen Heilungsauftrag zum "körperlichen Gesundbeten" des Sterbenden. Vielmehr geht es um die "Heilung und Versöhnung" als Fortsetzung der Sorge Jesu um das ganze Heil des Menschen, auch in seinem Sterben und Tod. Daher sind die Gemeinden aufgerufen, Wege zu finden, wie Sterbende in stationären Einrichtungen oder in der eigenen Wohnung, liebevolle Zuwendung und menschenwürdige Begleitung erfahren. Die Hospizinitiativen und -gruppen bemühen sich um Hilfen, die auf Dauer von unseren Gemeinden noch besser mitgetragen werden müssen. Wie die Gemeinden mit den Kranken und Sterbenden umgehen und die Begleitung, die sie ihnen geben, ihre christliche Überzeugung ausdrückt, Söhne und Töchter des ewigen Gottes zu sein, so beweist das Gebet für die Verstorbenen lebensvolle Verbundenheit mit ihnen über den Tod hinaus. 4.4. Impulse für eine zukunftsorientierte Pastoral Eine Pastoral, die Begleitung aus dem Glauben ermöglicht und die ältere und alte Menschen in ihrer besonderen Lebenssituation ansprechen will, erfordert eine konzeptionelle Neuorientierung und eine Verbesserung der Rahmenbedingungen. Nach wie vor ist die Gemeinde durch ihre Überschaubarkeit und die bestehenden Lebensräume der Menschen eine wichtige Drehscheibe zur Verwirklichung einer Pastoral in der Dritten Lebensphase. Sie kann zur Einheit von Leben und Glaube, von Jung und Alt, von Hilfsbedürftigen und Helfern wesentlich beitragen. * Konzeptionen einer Pastoral in der Dritten Lebensphase Ob es unserer Kirche gelingt, das gesellschaftliche wie kirchliche Altenbild nachhaltig zu ändern, hängt nicht zuletzt davon ab, welcher Gestaltungswille und welche Leistungskraft bei den älteren Frauen und Männern selbst für dieses kirchliche Engagement vorhanden ist. Die kulturellen, sozialen und politischen Selbsthilfegruppen und Eigeninitiativen nehmen an Zahl zu. Diese Initiativen können gewissermaßen als Trendsetter in einer sich entwickelnden Kultur in der Dritten Lebensphase ausgemacht werden. Und dies muss zum Impuls für eine notwendige konzeptionelle Neuorientierung kirchlicher Pastoral für und mit älteren Menschen werden. Gegenwärtig lassen sich folgende Konzeptionen einer Pastoral in der Dritten Lebensphase feststellen: - Die "betreuende Pastoral" richtet sich am individuellen Wohl und Heil des einzelnen und damit verbunden an den Aufgabenzuweisungen der Seelsorger in den Gemeinden aus. Sie will die alten Gemeindemitglieder menschlich-religiös begleiten. Dazu zählen die Mitarbeiter/ -innen der örtlichen Caritas, die Pflege und Versorgung kranker und an das Haus gebundener alter Menschen, materielle Hilfe oder auch Besuchsdienste in den Alten(Pflege)Heimen garantieren. - Die "Organisation von Diensten und Angeboten" will die Voraussetzungen schaffen und erhalten, damit ältere und alte Menschen ihre individuellen Lebensmöglichkeiten wahrnehmen, am sozialen Leben in Familie, Gemeinde und Gesellschaft teilnehmen sowie Älterwerden und Altsein als sinnvoll und lebenswert erfahren können. - Die "Selbstorganisation älterer Frauen und Männer" orientiert sich daran, dass die Älteren selbst ihre Belange am besten kennen, ihre Wünsche und Interessen selber artikulieren wollen, einander Helfende und Hilfesuchende sein können und sich in verschiedenen Formen kommunikativer, sozialer und politischer Altenselbsthilfeinitiativen organisieren. Die Entwicklung einer differenzierten Konzeption für eine Pastoral in der Dritten Lebensphase kann nur mit den älteren Frauen und Männern gemeinsam erarbeitet und umgesetzt werden. Die Kirche wird sich verstärkt um ein Verständnis für die Bedingungen dieser Lebensphase der Menschen bemühen müssen. Durch die gestiegene Lebenserwartung und die gesellschaftlichen Verschiebungen können in der Dritten Lebensphase Krisen und Konflikte entstehen, auf die kaum jemand vorbereitet wurde. Deshalb müssen die Angebote der Pastoral durch stärkere Förderung der Eigeninitiativen und privaten Aktivitäten ergänzt werden. Dies erfordert eine größere Unterstützung beim Aufbau und bei der Sicherung informeller Hilfsnetze, aber auch eine deutliche Verbesserung der Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement und Mitverantwortung älterer Menschen am Gemeindeleben wie auch an gesellschaftlichen Prozessen. Als Mittel sind die biographische Vergewisserung, die biblische Orientierung und Inspiration sowie die politische Stellungnahme zu stärken. Eine Pastoral in der Dritten Lebensphase, die den ganzen Menschen mit seinen spirituellen und sozialen Bedürfnissen im Blick hat, sollte vor allem der Gefahr entgegenwirken, dass Menschen, die auf tägliche außerfamiliäre Hilfe und Pflege angewiesen sind, zu einem Objekt namenloser, untereinander konkurrierender, nicht aufeinander abgestimmter Dienstleistungen werden. Hierzu gehört zuallererst eine funktionierende, gemeinde- und trägerübergreifende Kooperation, Koordinierung und Konzeptentwicklung. * Perspektiven für christliche Gemeinden und Einrichtungen Aufgrund der bleibenden Bedeutung des Wohnorts, der für das Miteinander-Kirche-sein grundlegend ist, bilden Begegnungen und Beziehungen in der Pfarrgemeinde für ältere und alte Menschen angesichts der Komplexität der modernen Lebensvollzüge wichtige Kristallisationspunkte für den Alltag. Josef Müller beschreibt dies folgendermaßen: "Gemeinden können und sollen an den Schnittpunkten der Grundvollzüge des menschlichen und des religiösen Lebens überschaubare Lebenswelten und damit eine handlungsfähige Lebenspraxis gewährleisten helfen, die flexibel auf die Lebensfragen der Menschen eingehen können und ihren eigenständigen Platz zwischen Primärgruppen und gesellschaftlichen Großgebilden haben. Die Sozialformen christlicher Gemeinden und ihre Einrichtungen sind im Lebensraum der Menschen Orte, an denen wie sonst kaum irgendwo denen nachgegangen werden kann, die nicht sowieso schon dazugehören" (vgl. Älterwerden mit Zukunft, S. 42). Wenn christliche Gemeinden in Lebensnähe der Menschen stehen, sind sie in der Lage, unterschiedlichste Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenzuführen: Alte und Junge, Familien und Alleinstehende, Gesunde und Kranke, Erfolgreiche und Notleidende, Gottsucher und sozial Engagierte, Menschen mit seelischen Verletzungen und solche, deren Leben eher unproblematisch verläuft. In jedem Fall bleibt die Gemeinde eine wichtige Bezugsgröße. Wichtig ist das Zeugnis der Christen im Geben und Nehmen. * Anstöße für eine Kultur des längeren Lebens Eine Pastoral in der Dritten Lebensphase muss stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt werden. Die längere Lebenszeit und die Vielfalt der Lebenslagen im Alter und Altern verlangen nicht nur Unterstützungs- und Entlastungshilfen. Sie rücken auch andere Fragen in den Blickpunkt, etwa wie das Leben bis zuletzt selbständig und gelingend gestaltet werden kann, welche Orientierungen und geistlichen Begleitungsangebote eine lebensfördernde Pastoral einzubringen vermag. Ein Zukunftsbündnis mit Frauen und Männer in der Dritten Lebensphase kann gelingen, wenn die Kirche und ihre Gruppen - offener für neue Lebensstile und Lebensziele älterer Menschen sind, - Vertrauen in die älteren Frauen und Männer setzen und sie in ihrem Streben nach Unabhängigkeit und Eigenverantwortung unterstützen, - ältere Menschen die Überzeugung vermitteln, dass sie Fähigkeiten und Kompetenzen besitzen, die geschätzt, geachtet werden und ihnen entsprechende Aufgaben sowie Verantwortung übertragen, - den älteren und alten Menschen neue Informationen zukommen lassen und ihnen bei deren Verarbeitung helfen, - alten Menschen bezeugen kann, dass Grenzsituationen und Problemlagen, die nicht zu verändern sind, dennoch häufig Freiräume erschließen, die sinnstiftend wirken können, - eine breit angelegte fachliche Aus- und Fortbildung sowie seelsorglich-geistliche Begleitung für ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter/-innen einer Pastoral in der Dritten Lebensphase anbieten und nicht zuletzt - erfahrbar machen, dass der christliche Glaube für die Sinnfindung und Lebensgestaltung - in allen Lebensphasen - konkrete und einzigartige Hilfe ist. 5. Älterwerden als geistliche Lebensaufgabe Jedes Christenleben trägt einmalige, individuelle Züge, hinter dem eine unverwechselbare Glaubensgeschichte steht. Einmalig, unverwechselbar durch Lebensumstände, Alter, Bildung, bleibende Entscheidungen und Interessen sucht der Christ im Mitglauben der anderen Christen, in der Glaubensgemeinschaft der Kirche die Wege seines Christseins zu gehen und zu verwirklichen. Älterwerden als geistliche Lebensaufgabe ist jedem Getauften gestellt. Besonders deutlich, so die Erwartung vieler, sollte das Geistgewirkte zum Ausdruck kommen in den vielen alternden Priestern und Ordensleuten unserer Zeit. Sie haben sich verbindlich und öffentlich eingelassen auf den Nachfolgeruf Jesu, der den Menschen drängt, aus Seinem Geist zu leben bis zuletzt. Sie haben sich namentlich durch ihre Lebensform und ihre Verpflichtung bekannt zu den drei sog. "Evangelischen Räten": Armut, Ehelosigkeit, Gehorsam um des Gottesreiches willen. Nicht aus Eigenem, sondern aus der Kraft des Geistes Jesu und ihm zum Zeichen können sie daher die Chance wahrnehmen, ihrer Verpflichtung treu zu bleiben bis zum Ende und so zur Freiheit zu gelangen. Damit ist kein elitärer Anspruch erhoben. Letztlich sind im Leben eines jeden Menschen mehr oder minder deutlich die "Räte" in ihren verschiedenen Formen wirksam und ausgeprägt. In ihnen ist ja der eine Rat des Evangeliums: die Liebe, verdichtet und zugleich ausgefaltet. Die Liebe fordert, so oder so, den Menschen. Dabei sind die beiden Fragen, die jeden geistlichen Lebensweg begleiten: "Wer bist Du, Gott, für mich?" und: Wer bin ich, Gott, für Dich?" allen Menschen gemeinsam. So trennt nichts das "normale" Christenleben vom professionellen geistlichen "Stand" außer der Ausdrücklichkeit des "Zeichens", das nicht der Mensch, sondern Gott durch seine Berufung setzt. Gerade darum mag es hilfreich sein, die klassisch gewordenen "Evangelischen Räte" auf ihre menschlich-existentielle Bedeutung speziell für das Älterwerden und Altsein zu befragen. 5.1 Armut als Nichthaben und Nichtverfügenkönnen Die Hilflosigkeit des Kleinkindes holt den Alternden wieder ein. Besonders im hohen Alter auf andere angewiesen, muss er sich helfen lassen. Vieles kann er nicht mehr allein tun, er kann nicht mehr gut hören, sehen, laufen. Sein Gedächtnis lässt nach. Seine Lebenserfahrung ist kaum mehr gefragt. Er kommt sich überflüssig vor. Armut hat viele Gesichter. Der "Evangelische Rat" der Armut um des Himmelreiches willen ist eine Hilfe und eine Einladung, sich frei und früh auf das Nichthaben und Nichtmehrverfügenkönnen einzuüben. Wer der Einladung ein Leben lang folgt, weil "für Gott alles möglich" ist (Mt 19, 26), der wird die äußerste Beraubung im Altern und Sterben anders bestehen als der Ungeübte. Er wird sich williger hineinnehmen lassen in das Geheimnis der Armut: in Gottes Selbstmitteilung und Entäußerung, durch die wir "nichts haben und doch alles besitzen" (2 Kor 6, 10). 5.2 Gelingendes Leben in Ehelosigkeit In der veränderten Lebensbeziehung des Alters kommt der Isolierung ebenso wie der Sehnsucht nach Nähe und Intimität, ja Zärtlichkeit ein besonderes Gewicht zu. Das Ende nähert sich unaufhaltsam, zugleich intensiviert sich nicht selten die Leidenschaft zum Leben. Die Frau, der Mann, die in der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen verbindlich verzichtet haben auf die Begegnung mit einem geliebten Partner in der Ehe, auf Familie und das persönliche Weiterleben in eigenen Kindern, stehen damit im Alter oft vor einer radikalen Glaubensentscheidung, die wie nie zuvor letztgültigen Charakter hat. Es ist die Zumutung aus dem Ewigen, die dann den zölibatär lebenden Menschen ganz neu treffen kann. Er ahnt, und vielleicht begreift er, dass es um die Erfüllung oder um das Ende von allem geht. Je nachdem wird der alternde Priester oder Mönch, die alternde Ordensfrau bitter sein oder gütig, gelöst, heiter, eine Wohltat für seine/ihre Umgebung. Wer im Alter mit Gottes Hilfe und mit viel Gebet sein Lebensversprechen einholt und Frucht bringen lässt, kann vielen vieles werden, auch in äußerer Vereinsamung. Denn nicht leibliche Mutter- oder Vaterschaft garantieren das gelingende Leben, sondern einzig die Liebe. Wo sie, auch menschlich glaubwürdig, fruchtbar wird - und fruchtbare Liebe gibt es ebenso gewiss wie im Leben der Verheirateten! -, da ist sie Konsequenz und Ausdruck des Sich-enteignen-lassens in der Teilhabe am sich verschenkenden Jesus Christus, des Erlösergottes. "Wer es fassen kann, der fasse es" (Mt 19, 12), sagt darum dieser Jesus und weist damit ein in seine ureigene Spur des Lebens. 5.3 Gehorsam gegenüber den Lebensgesetzen Niemand wird sich selbst loslassen in das Undurchschaubare und doch so Konkrete hinein, wenn er nicht den Ruf hört, der ganz persönlich ihn meint und will. Wieder ist es der Ruf der Liebe. Vernehmbar wird er nicht jenseits oder abseits der Tagesereignisse und Lebensfügungen, sondern in ihnen, wie sonst nirgendwo. Darum wird Hören dort zum Gehorsam, wo der Glaubende über sich verfügen lässt von Gott wie Abraham, der Vater aller Glaubenden. Gehorsam im Sinn des "Evangelischen Rates", eingeübt in oft vielen Jahren, öffnet den Blick, das Ohr des Glaubens für Gott in allem und in allen, auch im Kräfteschwund des verrinnenden Lebens. Fügsamkeit wie Widerstand, vielleicht durch Jahre verdeckt von Regel- und Gebotgehorsam, klären sich, schließlich im Alter zu blankem Vertrauen in den, der allein Gehorsam fordern kann, weil Er allein sagen darf: "Mein bist du - fürchte dich nicht!" Das bleibt, das gilt. Das ist Leben ohne Tod, auch wenn einer stirbt. Er stirbt ja mit dem, der, obwohl der Sohn, durch Leiden den Gehorsam gelernt hat (vgl. Hebr 5,8). Er folgt dem bis in den Tod Gehorsamen (Phil 2, 8), weil er ihn liebt (vgl. Joh 21, 17). Darin vollendet sich das "Zeichen", das Gott setzen will. ------------------------------------------------------------------------------------- Ein Wort zum Schluss Ältere und alte Menschen stellen aufgrund ihrer Biographie, ihrer Lebenssituation und ihres Lebensgefühls eine komplexe und hochdifferenzierte Gruppe dar. Diese Differenzierung wird noch zunehmen. Die Lebensgeschichte und Glaubensgeschichte älterer Frauen und Männer gewinnt für das pastorale Handeln der Kirche an Bedeutung. Aus pastoral-theologischer Sicht gilt es, Alter und Altern nicht einfach als eine Verlängerung des Lebens oder als ein Warten auf den Tod zu verstehen. Vielmehr soll deutlich werden, dass dem Menschen diese Phase des Lebensweges als Aufgabe anvertraut ist. Deren Würde und Verantwortung liegt darin, dass Gott selbst den Weg jedes einzelnen mitgeht. Der pastorale Auftrag der Kirche gründet darin, den Menschen in allen Lebensphasen zu begleiten, ihm immer wieder die Menschenfreundlichkeit Gottes nahe zu bringen, ihm zu zeigen, dass in jedem Lebensalter seine Lebenswelt für diese Treue Gottes offen und transparent ist. Eine Pastoral in der Dritten Lebensphase ist deshalb vor allem lebensgeschichtliche Begleitung aus dem gemeinsamen Glauben - in Verkündigung, Sakramentenpastoral und Diakonie. ------------------------------------------------------------------------------------- Literaturhinweise (Auswahl): • Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Johannes Paul II. - Brief an die alten Menschen, in: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 142, Bonn 1999 • Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Leben im Alter, in: Arbeitshilfen 104, Bonn 1993 • Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Schwerstkranken und Sterbenden beistehen - Menschenwürdig sterben und christlich sterben, in : Die deutschen Bischöfe 47, Bonn 1991 • Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.): Christliche Patientenverfügung - Handreichung und Formular, Bonn-Hannover 1999 • Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.): Gott ist ein Freund des Lebens, Bonn-Hannover 1989 • Auer Alfons: Geglücktes Altern. Eine theologisch-ethische Ermutigung, Freiburg-Basel-Wien 1995 • Blasberg-Kuhnke Martina: Gerontologie und Praktische Theologie, Düsseldorf 1985 • Guardini Romano: Die Lebensalter. Ihre ethische und pädagogische Bedeutung Mainz-Paderborn (7. Aufl.) 1996 • Hungs Franz-Josef: Das Alter - ein Weg zu Gott? Orientierungen für die Altenpastoral, Frankfurt/M. 1988 • Müller Josef: Alter(n) solidarisch gestalten, in: Älterwerden mit Zukunft, hrsg. von der Bundesarbeitsgemeinschaft-Katholisches Altenwerk, Bonn 1999, 33-43. • Müller Josef (Hrsg.): Neue Lebensdimensionen entdecken - Religiosität und Glaube, in: Pastorale Begleitung im Alter, Bd 2, München 1994 • Rahner Karl: Zum theologischen und anthropologischen Grundverständnis des Alterns, in: Schriften zur Theologie, Bd 15, Einsiedeln-Zürich-Köln 1983, 315-325 • Lehr Ursula: Altern - ein lebenslanger Prozess, in: Älterwerden mit Zukunft, hrsg. von der Bundesarbeitsgemeinschaft-Katholisches Altenwerk, Bonn 1999, 9-17 • Lehr Ursula: Psychologie des Alterns, Heidelberg (8 Aufl.) 1996 • Lehr Ursula (Hrsg.): Älterwerden - Chance für Mensch und Gesellschaft, München 1994 • Kruse Andreas (Hrsg.): Psychologie der Lebensalter, Darmstadt 1995 • Olbrich Erhard (Hrsg.): Kompendium der Gerontologie. Interdisziplinäres Handbuch für Forschung, Klinik und Praxis, Landsberg 1994 • Rosenmayr Leopold: Die Kräfte des Alterns, Wien 1990 • Rosenmayr Leopold: Die späte Freiheit. Das Alter - ein Stück bewusst gelebten Lebens, Berlin 1983 • Schmitz-Scherzer Reinhard: Ressourcen älterer und alter Menschen, Stuttgart-Berlin-Köln 1994 • Thomae Hans: Alternsstile und Altersschicksale. Ein Beitrag zur Differentiellen Gerontologie, Göttingen 1983 • Kuratorium Deutsche Altershilfe (Hrsg.): Rund ums Alter. Alles Wissenswerte von A bis Z, Köln 1996 • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Eine Gesellschaft für alle Lebensalter, Stuttgart-Berlin-Köln 1999 • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Die Lebenssituation älterer Menschen in Deutschland, Bonn 1993