| Aktuelle Meldung | Nr. 014

Bischof Bätzing: Stellungnahme zur Antwort von Kardinal Kurt Koch vom 29. September 2022

Reaktion auf das Interview von Kardinal Koch zum Synodalen Weg in „Die Tagespost“

Nach dem Interview von Kardinal Kurt Koch am 29. September 2022 in der Zeitung „Die Tagespost“ habe ich in der Pressekonferenz vom gleichen Tag den Kardinal aufgefordert, sich für seine unhaltbaren Äußerungen eines Vergleichs von theologischen Debatten auf dem Synodalen Weg und der Nazi-Diktatur zu entschuldigen. Kardinal Koch hat mir am Abend des 29. September 2022 eine Stellungnahme zukommen lassen, die auch öffentlich ist.

Das Ringen um die Erschließung unseres Glaubens aus seinen Erkenntnisquellen heraus ist eine Kernfrage der Theologie. Hierfür gäbe es viele Möglichkeiten, Beispiele und Vergleiche heranzuziehen; solche, die aus der nationalsozialistischen Zeit herangezogen werden, sind besonders sensibel, und Kardinal Koch muss den im Interview verwendeten bewusst gewählt haben. Die Art und Weise, wie er die Antipode von „Deutschen Christen“ (und ihrem irrigen Versuch, den christlichen Glauben mit der nationalsozialistischen Ideologie als vereinbar zu erklären) und Bekennender Kirche in dem Interview verwendet, lässt keine andere Lesart zu, als dass er die Synodalversammlung, die den Orientierungstext mit einer klaren Mehrheit angenommen hat, den „Deutschen Christen“ gleichstellt und selbstverständlich, denn das ist der Sinn eines Vergleichs, stellt er die Synodalen damit in den Horizont des Regimes, das unvorstellbares Leid, insbesondere über das Jüdische Volk, gebracht hat.

Die Antwort auf meine öffentlich geäußerte Kritik kann ich nicht als zufriedenstellend akzeptieren, da Kardinal Koch sich im Kern nicht für die unhaltbaren Äußerungen entschuldigt, sondern sie – im Gegenteil – noch verschlimmert. Der Satz von Kardinal Koch in seiner gestrigen Stellungnahme: „Und ich muss wahrnehmen, dass Erinnerungen an Erscheinungen und Phänomene in der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland offensichtlich tabu sind“, verletzt erneut. Er suggeriert nämlich, in Deutschland würden wir uns nicht dem schrecklichen Erbe des Nationalsozialismus stellen. Mit Entschiedenheit weise ich diese neuerliche Unterstellung zurück. Nicht wir errichten ein Tabu, vielmehr ist es angesichts der Opfer des Nationalsozialismus ein Tabu, Vergleiche mit nationalsozialistischem Denken, das zu eben diesen Opfern geführt hat, mit irgendeinem heutigen Denken anzustellen.

Die wiederholte Behauptung eines absurden Vergleichs, der dem theologisch ausdifferenzierten Anliegen des Synodalen Weges im Orientierungstext (über den man durchaus sachlich debattieren kann) nicht gerecht wird, ist für mich keine Entschuldigung. Im Gegenteil: Die bereits oben zitierte Formulierung mutet in ihrer Arglosigkeit für einen international anerkannten und tätigen Kardinal der Weltkirche mit vielfältigen dienstlichen und persönlichen Kontakten nach Deutschland befremdlich an.

Ich erwarte nach wie vor von Kardinal Koch eine eindeutige Distanzierung zu diesen Aussagen.

Im Übrigen möchte ich der Sache nach der Argumentation von Kardinal Koch etwas hinzufügen, was auch der breiteren Öffentlichkeit deutlich machen kann, worum wir (nicht nur) im Synodalen Weg ringen und worauf sich die Argumentation des „Orientierungstextes“ des Synodalen Weges stützt.

„Orte der Theologie“ (lat. „loci theologici“) kann man auch als Erkenntnisquellen der Theologie bezeichnen. An diesen Orten und aus diesen Quellen schöpfen die Menschen, die über Gott nachdenken, ihre Erkenntnisse darüber, was Gott für sie bedeutet, was er von ihnen möchte und wie sie ihr Leben auf ihn hin ausrichten sollen. Im Lauf der Zeit und im langen Prozess des Nachdenkens wurde deutlich, dass es verschiedene dieser Quellen gibt, die je eine unterschiedliche Bedeutung und eigene Würde und Gewicht haben und sich gegenseitig ergänzen und bestärken. Hier lassen sich die Heilige Schrift, die Lehrtradition der Kirche, das kirchliche Lehramt, die theologische Reflexion und der Glaubenssinn der Gläubigen nennen. Im Zueinander dieser Erkenntnisquellen verdichtet sich die Gewissheit der Glaubensaussagen.  Der Orientierungstext geht darüber hinaus davon aus, dass auch die „Zeichen der Zeit“ zu diesen „Orten der Theologie“ gehören. Was ist damit gemeint?

Menschen leben und reflektieren ihren Glauben immer auch als „Kinder ihrer Zeit“. Sie haben einen Verstehens-Hintergrund, der von den Zeitumständen geprägt ist, in denen sie leben und in denen sie eben auch aus den theologischen Quellen schöpfen. Das allein macht die jeweilige Zeit noch nicht zu einem eigenen theologischen Ort. Der Orientierungstext geht nun aber, gemeinsam mit einer Reihe von lehramtlichen Texten, wie etwa der Konzilskonstitution Gaudium et spes und der Enzyklika Pacem in terris des hl. Papstes Johannes XXIII., davon aus, dass Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt, sich auch in dieser Welt und in der Geschichte der Menschen immer wieder offenbart, dass sein Wirken und sein Wesen also an Ereignissen der Geschichte verdichtet erkennbar wird. Selbstverständlich eignen sich nicht alle geschichtlichen Ereignisse und Entwicklungen in gleicher Weise als solche „Fingerzeige Gottes“. Hier kam es in der Geschichte der Kirche immer wieder auch zu erschreckenden Fehlurteilen. Deshalb betont ja auch das Zweite Vatikanische Konzil, dass solche „Zeichen der Zeit“ im Lichte des Evangeliums zu deuten sind. Die „Zeichen der Zeit“ sind also im Kontext der anderen theologischen Orte zu betrachten und zu würdigen.

Unter dieser Rücksicht aber sind sie tatsächlich nicht nur „Verstehens-Hintergrund“, sondern echte Quellen für die Reflexion des Glaubens. Nicht allein aus Schrift und Tradition, Theologie, Lehramt und Glaubenssinn der Gläubigen kann etwas über den Willen Gottes für die Menschen und für seine Kirche erfahren werden, sondern auch aus Zeitereignissen und Zeitentwicklungen in der Geschichte, durch die das Volk Gottes pilgernd unterwegs ist. Beispiele dafür gibt es aus der ganzen Geschichte. So hat etwa Papst Johannes XXIII. die gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frau als „Zeichen der Zeit“ benannt. Aus der Theologiegeschichte ließe sich etwa auf die Bedeutung der Erkenntnisse heidnischer Philosophen (z. B. Platon und Aristoteles) für das vertiefte Verständnis der Theologie hinweisen. Augustinus und Thomas von Aquin haben mit der Hilfe dieser explizit nichtchristlichen Quellen ein tieferes Verständnis des christlichen Glaubens erlangt und formuliert. Aber auch auf die Bedeutung der Erkenntnisse der Astronomie für ein vertiefte Verständnis der Größe und Weite der Schöpfung kann verwiesen werden. Hier war es ein inzwischen als solcher anerkannter Fehler der Kirche, sich gegen diese innerweltlichen Erkenntnisse zu versperren. So wurden schon immer Entwicklungen der „profanen“ Welt zu „Zeichen der Zeit“ und zu theologischen Erkenntnisquellen, auch wenn dies nicht schon immer auf diesen Begriff gebracht werden konnte.

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