| Pressemeldung | Nr. 031

Eucharistiefeier zur Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Ingolstadt

Predigt von Erzbischof Dr. Stefan Heße

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
wann hat Sie, wann hat Euch das letzte Mal etwas getroffen. Ich meine nicht einen Trauerfall oder die Nachricht von einer Krankheit. Sondern ich meine, wann hat Sie etwas im positiven Sinne getroffen? Zum Beispiel ein Satz, ein Moment, ein Gedanke, eine Begegnung oder ein Erlebnis, das auf einmal die Dinge in einem neuen Licht erscheinen lässt oder Zusammenhänge ganz neu erhellt – ja, vielleicht sogar ein Moment von innerer Umkehr.

Einen solchen Moment hatte der vor rund 20 Jahren verstorbene Philosoph Josef Pieper. Als junger Philosophie- und Jurastudent ist Pieper in den 1920er Jahren mehrmals auf der Burg Rothenfels zu Gast, einem der Zentren der katholischen Jugendbewegung. Bei einer Werkwoche im Sommer 1924 hält der Priester und Philosoph Romano Guardini eine improvisierte Ansprache. Pieper kann sich später nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern. Aber ein Gedanke aus Guardinis Vortrag trifft den jungen Studenten so stark, dass er daraus seine ganze Doktorarbeit entwickelt und davon letztlich sein ganzes weiteres Denken und Arbeiten beeinflusst wird (1).

Liebe Schwestern und Brüder,
auch im heutigen Evangelium geht es um ein Sich-treffen-lassen, oder besser gesagt: um das Gegenteil. Lukas berichtet, dass immer mehr Menschen zu Jesus kommen. Aber Jesus freut sich nicht über ihr Interesse, sondern fällt ein klares und eindeutiges Urteil: „Diese Generation ist böse.“ Sie fordern Zeichen, obwohl sie schon längst eines haben: Jesus selber. Er ist das Zeichen. Jesus wirft seinen Zuhörern vor, dass selbst die Bewohner von Ninive – also im damaligen Verständnis ‚Heiden‘ – sich nach der Predigt des Jona bekehrt haben. Aber „diese Generation“, verweigert sich seiner Botschaft und fordert weiterhin Zeichen. Könnte es diese Verweigerungshaltung sein, die Jesus zu diesem harschen Urteil führt? Könnte es sein, dass diese vielen Menschen, die um ihn herum sind, sich letztlich ihm und seiner göttlichen Wirklichkeit verweigern und deswegen böse sind?

Liebe Schwestern und Brüder,
der Satz, beziehungsweise das Wort, das Josef Pieper so getroffen hat, ist uns nicht überliefert. Ja, er selber konnte sich nicht mehr recht daran erinnern. Er hat versucht, es zu umschreiben und stellt diesen Gedanken seiner Doktorarbeit voran: „Die Wirklichkeit ist das Fundament des Ethischen. Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße. Wer das Gute wissen und tun will, […] muss absehen von seinem eigenen […] und hinblicken auf die Wirklichkeit.“(2)

Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße: Wer Gutes tun und wissen will, muss seinen Blick auf die Wirklichkeit richten. Ja, man könnte fast sagen auf die wirkliche Wirklichkeit. Denn die Wirklichkeit dieser Welt, unseres Lebens, ja meines Lebens ist Gott, ist Gottes liebender Blick, sind seine Verheißungen und Zusagen. Er hat diese Welt gut geschaffen, will uns Gutes und denkt groß von uns Menschen – von jedem einzelnen.

Das Böse wäre demgegenüber das Verfehlen der Wirklichkeit. Das Böse nimmt die Wirklichkeit als Ganze nicht ernst. Das Böse blendet aus. Das Böse lässt Teile nicht zu. Das Böse betreibt ein Versteckspiel. Es traut Gott nichts Gutes zu. Es verweigert sich der Wirklichkeit.

Liebe Schwestern und Brüder,
am Beispiel der Menschen aus Ninive macht Jesus deutlich: Der Zeitpunkt zur Umkehr ist jetzt. Wir sollen uns treffen lassen. Jesu Botschaft vom Reich Gottes soll für die Menschen damals, soll für uns heute alles in ein neues Licht rücken. Er will, dass die Menschen die Realität sehen: Der Menschensohn ist da, das Reich Gottes ist nahe.

Jesus Christus selber ist alles andere als ein Wirklichkeits-Verweigerer. Er nimmt die menschliche Wirklichkeit voll und ganz an und bringt sich in sie ein. Er wird einer von uns. Sein Weg führt immer tiefer in die Wirklichkeit hinein. Das ist der Gang zwischen der Inkarnation an Weihnachten und dem Kreuzestod am Ende der Passion. Christus verweigert sich nicht dieser Wirklichkeit, sondern er wird ein Teil von ihr und verwandelt sie zur Wirklichkeit Gottes.

Liebe Schwestern und Brüder,
wir stehen noch am Beginn der Fastenzeit. Es ist noch nicht zu spät, diese Fastenzeit zu nutzen und etwas daraus zu machen. Es wäre lohnend, in dieser Fastenzeit immer tiefer in die wirkliche Wirklichkeit unseres Lebens zu finden. Ich meine die Wirklichkeit Gottes, für die wir uns Tag für Tag in Schweigen, Gebet, Besinnung, Gottesdienst öffnen können. Ich meine auch die Wirklichkeit dieser Welt, die wir Tag für Tag immer mehr annehmen und durchdringen können, ganz konkret im Schicksal von Menschen, so wie Jesus sich ihnen zuwendet. Und ich meine unsere eigene Wirklichkeit mit unserer Größe, aber auch mit unseren Begrenzungen.

Erinnern Sie sich an dieses schöne Wort Josef Piepers: „Das Gute ist das Wirklichkeitsgemäße.“ Hoffentlich trifft uns nicht ein ebenso hartes Wort wie damals die Menschen: „Diese Generation ist böse.“ Sondern hoffentlich steht über unserem Leben, über unserer Kirche: Diese Generation ist gut, sie ist wirklichkeitsgemäß. Sie ist offen für die liebende Wirklichkeit Gottes und lässt sich von ihr treffen. Braucht es mehr Vorsätze für die Fastenzeit?

Schrifttexte:
Jona 3,1–10; Lk 11,29–32

Fußnoten:
 (1) Vgl. Wald, Berthold: Josef Pieper, in: Barbara Stambolis (Hg.): Jugendbewegt geprägt. Essays zu autobiographischen Texten von Werner Heisenberg, Robert Jungk und vielen anderen (Göttingen 2013), S. 501–511.

(2) Pieper, Josef: Bedeutende Fördernis durch ein einziges Wort. Romano Guardini zum 70. Geburtstag, in: Pieper, Josef: Werke, Bd. 8.2 (Miszellen), S. 658–660, hier 659.

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