| Pressemeldung

Gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Internationale Verschuldung - eine ethische Herausforderung

An der Schwelle zum dritten Jahrtausend hat die internationale Gemeinschaft der Völker die Aufgabe, die Globalisierung politisch zu gestalten. In unserem gemeinsamen Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ haben wir im vergangenen Jahr ausdrücklich hervorgehoben: Die Globalisierung ereignet sich „nicht wie eine Naturgewalt, sondern muß im Rahmen der Wirtschafts- und Finanzpolitik gestaltet werden. Sie kann zahlreichen wirtschaftlich wenig entwickelten Ländern neue Chancen geben. Die Chancen bestehen freilich nur so lange, wie die reichen Länder bereit sind, ihre Märkte offen zu halten und weiter zu öffnen ... Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der ärmeren Länder zu fördern, ist nicht nur ein Gebot weltweiter Solidarität und Gerechtigkeit, es ist auch ein Gebot des Selbstinteresses“ (Nr. 33).

In diesem Zusammenhang sehen wir die internationale Verschuldung als eine ethische Herausforderung. Arme Länder müssen einen großen Teil ihrer Mittel für die Zahlung von Auslandsschulden aufwenden. Sie sind dadurch häufig nicht in der Lage, ihren Bürgern ein menschenwürdiges Leben, Nahrung, Wohnung, Bildung und Arbeit zu sichern. Aus Solidarität mit den Armen treten Kirchen in aller Welt seit vielen Jahren dafür ein, „wirksam und nachhaltig die Schuldenlast der Entwicklungsländer zu verringern und ihre strukturellen Ursachen sowie ihre bedrohlichen Auswirkungen in der Weltwirtschaft und der Weltpolitik zu beseitigen“ (Bewältigung der Schuldenkrise, Eine Stellungnahme der Kammer der EKD für Kirchlichen Entwicklungsdienst 1988). Wir sollten nicht vergessen: Eine besondere Verantwortung der reichen Länder zur Lösung der internationalen Verschuldungsproblematik rührt auch daher, daß Gläubiger – Staaten und Banken – in früheren Jahren nicht selten viel zu leichtfertig Kredite an arme Länder vergeben haben.

Christen und Kirchen in aller Welt nehmen das Jahr 2000 zum Anlaß, ihren Appell für Entschuldung zu erneuern und in der Erinnerung an das alttestamentliche Erlaß- und Jubeljahr (Lev/3. Mose 25,8–28) zu verstärken. In diesem Geist ruft Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Tertio millennio adveniente nachdrücklich zu einem Schuldenerlaß für die ärmsten Länder der Welt auf: „So werden sich ... die Christen zur Stimme aller Armen der Welt machen müssen, indem sie das Jubeljahr als eine passende Zeit hinstellen, um unter anderem an eine Überprüfung, wenn nicht überhaupt an einen erheblichen Erlaß der internationalen Schulden zu denken, die auf dem Geschick vieler Nationen lasten“ (Nr. 51). Dieser Appell hat seinen tiefsten Grund in der vorrangigen Option für die Armen, die Jesus Christus vorlebte, indem er sich selbst mit den Armen identifiziert hat (vgl. Mt 25,35–40).

Wie in vielen anderen Ländern der Welt sind auch in den Staaten der Europäischen Union Entschuldungskampagnen entstanden, die sich gegenüber den internationalen Finanzorganisationen und den Regierungen der Gläubigerländer für einen Schuldenerlaß zugunsten armer Länder einsetzen. Manchen Beobachtern scheint eine Politik konsequenter Entschuldung ein schwieriges, ja vielleicht utopisches Unterfangen zu sein. Demgegenüber zeigen die Erfahrungen bis in die jüngste Vergangenheit, daß Entschuldung möglich ist, wenn ein ernsthafter politischer Wille besteht. Das war bei allen hier zu beachtenden Unterschieden auch beim Londoner Schuldenabkommen von 1953 der Fall, in dem der Bundesrepublik Deutschland noch ausstehende Schulden weitgehend erlassen wurden. Dadurch wurde eine wichtige Voraussetzung für den Wiederaufbau Deutschlands geschaffen. Wir wollen mithelfen, den entsprechenden politischen Willen auch heute im Blick auf verschuldete arme Länder durchzusetzen.

Wir erkennen dankbar an, daß mit der laufenden Initiative von Weltbank und Internationalem Währungsfonds für die hochverschuldeten armen Länder ein wirklicher Fortschritt in der internationalen Entschuldungspolitik erreicht worden ist. Obwohl diese Vereinbarungen noch unzureichend und verbesserungswürdig sind und bislang nur eine kleine Anzahl von Ländern davon profitiert, stellen sie doch einen geeigneten Ausgangspunkt für weitergehende Bemühungen dar. Die Überschuldung ist nach wie vor eines der gewichtigsten Entwicklungshemmnisse für viele arme Länder. Sie darf jedoch nicht als isoliertes Problem aufgefaßt werden. Überschuldung ist Teil eines Teufelskreises, dem viele Länder kaum entrinnen können. Starkes Bevölkerungswachstum, geringe Ersparnisbildung, ein geringer Bestand an Sachkapital, ein niedriger Stand der allgemeinen und beruflichen Bildung und ungeeignete politische und gesellschaftliche Institutionen führen zu einem niedrigen Produktionsergebnis, das wiederum die so wichtige Kapitalbildung nicht erlaubt. Hohe Inflationsraten, falsche Wechselkurse, das Fehlen eines institutionellen Rahmens für wirtschaftliches Handeln, überbordende staatliche Interventionen und eben die Auslandsverschuldung halten den Teufelskreis in Gang, der durchbrochen werden muß, wenn wirtschaftliche Entwicklung gelingen soll.

Entscheidend ist daher, daß das Schuldnerland die Schuldenerleichterung dazu nutzt, die eigentlichen Ursachen der wirtschaftlichen Instabilität und des sozialen Elends wirksam zu bekämpfen. Die Auflagen, die den Schuldnerländern gemacht werden, sollten nicht alleine volkswirtschaftliche Daten (z. B. Handelsbilanz- und Haushaltsdefizite sowie Inflationsraten) berücksichtigen, sondern auch die sozialen und ökologischen Folgewirkungen. Die Strukturanpassungspolitik muß vielmehr auch die nachhaltige Verbesserung der sozialen und zunehmend auch der ökologischen Bedingungen in den armen Ländern anstreben. So könnte z. B. eine Stundung der Schulden an die Verringerung der Analphabetenrate, die Verbesserung des Bildungs- oder des Gesundheitssystems geknüpft werden. In jedem Fall ist darauf zu achten, daß durch Auflagen nicht die ohnehin schon unzureichenden Gesundheits- und Bildungssysteme weiter geschwächt werden. Wichtig ist, daß diese internen Reformen überprüfbar sind und nach einer Stundung der Schulden durch einen Schuldenerlaß honoriert werden. Entschuldete Länder, die keine internen Reformen durchführen, besitzen auf den internationalen Kapitalmärkten keine Kreditwürdigkeit. Eine nicht an Auflagen gebundene Entschuldung ist denjenigen Ländern gegenüber, die interne Anstrengungen unternommen haben, kaum zu rechtfertigen. Der zwischen einzelnen Ländern bzw. Regionen unterschiedliche Entwicklungsprozeß läßt bei allen Nachteilen und Funktionsstörungen der derzeitigen weltwirtschaftlichen Strukturen auf einen beachtlichen Handlungsspielraum für eigenständige Gestaltung schließen. Diese Spielraume müssen von Ländern, denen Entschuldung angeboten wird, im Interesse einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung tatkräftig genutzt werden.

Dazu gehört vor allem auch die Förderung rechtsstaatlicher und demokratischer Strukturen, wie sie Papst Johannes Paul II. auch schon in Sollicitudo Rei Socialis (Nr. 44–45) angemahnt hat. Erforderlich ist darüber hinaus eine Verringerung von Korruption und Kapitalflucht, eine soziale marktwirtschaftliche Ordnung in Verbindung mit der öffnung zum Weltmarkt, hohe Investitionen in die Bildung breiter Bevölkerungsgruppen, Beschränkung der Rüstungsausgaben, Monopolkontrolle und eine Agrarreform. Besonders wichtig und dringlich ist auch eine Verringerung der Korruption, die zu einer Verzerrung des wirtschaftlichen Austausches führt, eine verläßliche Marktordnung verhindert und damit einer Orientierung der Politik an der Armutsbekämpfung zuwiderläuft.

Das Solidaritätsgebot verpflichtet allerdings zur Soforthilfe, wenn das Leben von Menschen direkt in Gefahr ist. „Der Grundsatz, daß die Schulden gezahlt werden müssen, ist sicher richtig. Es ist jedoch nicht erlaubt, eine Zahlung einzufordern oder zu beanspruchen, die zu politischen Maßnahmen zwingt, die ganze Völker in den Hunger und in die Verzweiflung treiben würden. Man kann nicht verlangen, daß die aufgelaufenen Schulden mit unzumutbaren Opfern bezahlt werden. In diesen Fällen ist es notwendig – wie es übrigens teilweise schon geschieht –, Formen der Erleichterung der Rückzahlung, der Stundung oder auch der Tilgung der Schulden zu finden, Formen, die mit dem Grundrecht der Völker auf Erhaltung und Fortschritt vereinbar sind“ (Centesimus Annus, Nr. 35). Die Einrichtung eines internationalen Insolvenzrechts könnte der Überschuldung von Ländern in Zukunft vorbeugen und durch ein transparentes und faires Verfahren den Interessenausgleich zwischen internationalen Gläubigern und Schuldnern ermöglichen.
Um den Teufelskreis der Marginalisierung armer Länder zu durchbrechen, ist in Verbindung mit dem Schuldenerlaß neben internen Reformen in diesen Ländern auch eine neue Praxis in der Wirtschafts- und Sozialpolitik der reichen Staaten unerläßlich. Der Protektionismus in seinen unterschiedlichen Ausprägungen und vor allem die in vielen Industrieländern ausufernden Subventionen für schwächere Wirtschaftszweige mindern die Entwicklungschancen der armen Länder. Die Verschlechterung der Wettbewerbschancen der Agrarländer und schwach industrialisierter Nationen durch die Industrieländer betrifft überwiegend Branchen, in denen diese Länder vergleichsweise Wettbewerbsvorteile haben könnten. „Ein wesentlicher Beitrag der Industrieländer zur Überwindung der Armuts- und Schuldenprobleme läge darin, den Entwicklungsländern bessere Chancen zu bieten, als Handelspartner von unseren Märkten zu profitieren. Wer Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer fordert, darf nicht zugleich hierzulande – etwa durch Abschottung unserer Märkte, nicht zuletzt des europäischen Binnenmarktes – die strukturelle Anpassung umgehen" (Gemeinwohl und Eigennutz, Eine Denkschrift der EKD, 1991, Nr. 191).

In Gemeinschaft mit zahlreichen Kirchen der Welt ermutigen wir deshalb alle, sich mit dem Schicksal der armen Völker nicht abzufinden. Zu einer „Globalisierung ohne Ausgrenzung“, einer „Globalisierung in Solidarität“ (Botschaft von Papst Johannes Paul II. zum Weltfriedenstag 1998) braucht es entschiedene Reformen und mutige Schritte in den armen wie den reichen Ländern. Eine konsequente Politik der Entschuldung gehört unverzichtbar dazu.

Bonn/Hannover, den 21. Oktober 1998

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