| Pressemeldung | Nr. PRD-033b

Leben in der Illegalität in Deutschland - eine humanitäre und pastorale Herausforderung

Statement von Weihbischof Dr. Josef Voß, Münster, Vorsitzender der Kommission für Migrationsfragen (XIV) der Deutschen Bischofskonferenz

Die vorliegende Arbeitshilfe ist entstanden vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerseelsorge sowie der Caritas und anderer kirchlicher Einrichtungen in den letzten Jahren machen.
Sie stoßen zunehmend auf Männer, Frauen und Kinder, die aus unterschiedlichen Gründen in unserem Land ein Leben in der Illegalität führen: Sie halten sich ohne Aufenthaltsrecht und ohne Duldung in unserem Land auf, dürften gar nicht hier sein - es dürfte sie bei uns gar nicht geben. Sie geben sich bei pastoralen Anlässen zu erkennen, z. B. anlässlich der Feier der Sakramente oder in einer Krankheit. Viele Kontakte entstehen, wenn die Betroffenen in einer sozialen, finanziellen oder rechtlichen Notsituation sind und Hilfe suchen. Bei staatlichen Stellen wagen sie nicht vorzusprechen, weil sie Angst haben vor sofortiger Festnahme und Abschiebung. Diese Erfahrungen sind zwischenzeitlich durch gezielte Untersuchungen bestätigt worden.
Das Leben in der Illegalität stellt einen von vielen Aspekten der aktuellen weltweiten Migrationsbewegungen dar und ist nur vor diesem Hintergrund zu verstehen. Noch nie waren in der Geschichte der Menschheit so viele Menschen gezwungen, ihre Heimatstaaten zu verlassen, um in der Fremde Schutz oder Arbeit auf dem inzwischen globalen Markt zu suchen.
Leben in der Illegalität - dies ist ein grenzüberschreitendes, europäisches und weltweites Problem. Schon in seiner Botschaft zum Welttag der Migranten 1996 hatte Papst Johannes Paul II. auf die schwierige Situation der Menschen hingewiesen, die illegal in einem fremden Land leben. Der IV. Internationale Kongress der Seelsorge für Migranten und Flüchtlinge vom 05.-10. Oktober 1998 im Vatikan hat dieses Problem als Schwerpunktthema behandelt und lapidar festgestellt: "Auch Menschen in der Illegalität haben ein Recht auf Seelsorge" - damit ist die Herausforderung für die Kirche aufgezeigt. Diese Herausforderung gilt insbesondere für die Kirche in Europa, wie ein aktueller Bericht des Päpstlichen Rates für die Migrantenseelsorge im Jahr 2000 darlegt.
Naturgemäß gibt es über die Menschen, die sich ohne Aufenthaltsrecht und Abschiebungsschutz in Deutschland aufhalten, kein gesichertes statistisches Material. Wir bewegen uns in einer großen Grauzone. Begründete Schätzungen gehen davon aus, dass sich die Zahl der Menschen in der Illegalität in Deutschland zwischen 500.000 und 1 Million bewegt. Diese Schätzung wird von den Delegaten und Sprechern der Ausländerseelsorge in Deutschland bestätigt. Hinweise deuten darauf hin, dass die Zahl wächst.
Durch die Globalisierung der Wirtschaft und die gestiegene Mobilität, aber auch als Folge des attraktiven Bildes, das die weltweiten Kommunikationsmedien von den großen Industrienationen und ihren Demokratien zeichnen, verlassen mehr und mehr Menschen ihre schwierigen Lebensverhältnisse in der Heimat, begeben sich in andere Staaten, um dort Schutz, Arbeit und Aufenthalt zu suchen.
Vereinfacht lässt sich sagen, dass das Phänomen des Lebens in der Illegalität das Resultat der Entwicklung zur nationalstaatlichen Souveränität ist, weil diese erst das Aufenthaltsrecht geschaffen hat. Das kultursoziologische Phänomen irregulärer Migration gibt es, wie oben erwähnt, schon länger, aber grenzüberschreitende Wanderungen hatten früher nicht notwendig die Inhaftierung bzw. Abschiebung irregulärer Migranten in ihre Heimatländer zur Folge.
Vor diesem Hintergrund sind im Sinne dieser Schrift Menschen, die ein "Leben in der Illegalität" führen, "Menschen ohne Aufenthaltsrecht und ohne Duldung".
Vier hauptsächliche Gruppen von Menschen ohne Aufenthaltsrecht stehen im Blickfeld dieser Schrift:
Personen, die aus Sicherheitsgründen einen vorläufigen oder dauerhaften Aufenthalt in Deutschland anstrebenPersonen, die dauerhaft oder zeitweilig eine Arbeit suchen (und auch finden)Familienangehörige von hier legal oder illegal lebenden AusländernMänner, Frauen und Kinder, die unfreiwillig Opfer von Menschenhandel, insbesondere Zwangsprostitution, geworden sind.
Illegaler Aufenthalt bedeutet in erster Linie faktische Rechtlosigkeit auf allen Gebieten des täglichen Lebens. Zwar sind Menschen in der Illegalität nicht nur Träger von Menschenrechten, sondern auch von gesetzlich normierten und garantierten Rechtsansprüchen nach der deutschen Rechtsordnung. Doch lassen sich diese in der Regel nicht durchsetzen, jedenfalls nur unter dem Risiko der Inkaufnahme einer Ausweisung. Durch diese faktische Rechtlosigkeit sind Menschen in der Illegalität Bedrohungen, Belästigungen (auch sexueller Art) und Ausbeutungen aller Art, auch Erpressungen, ohne ausreichenden rechtsstaatlichen Schutz ausgeliefert. Die Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche ist ein Grundproblem für Menschen in der Illegalität, das sich über alle Lebensbereiche erstreckt. Die Gefahr, dass mafiöse oder quasi-mafiöse Gruppen z. B. materiell-rechtliche Lohnansprüche gewaltsam durchsetzen, wächst.
Menschen in der Illegalität - soweit sie sich nicht mit dem Ziel krimineller Handlungen hier aufhalten - sind in der Regel sehr gesetzestreu und vermeiden jegliches Auffallen (z. B. durch "Schwarzfahren" oder durch Überlebensdelikte in Form von Ladendiebstählen). Sie leben in ständiger Angst vor der Polizei, denn verdachtsunabhängige polizeiliche Überprüfungen richten sich vor allem gegen Ausländer, die aufgrund ihrer äußeren Erscheinung als solche erkennbar sind.
Sowohl die Komplexität des Problems als auch die Zahl der Menschen, die im Schatten unserer Gesellschaft leben, verlangen nach größerer Aufmerksamkeit sowohl in der Kirche als auch in der Gesellschaft.
Die vorliegende Arbeitshilfe versucht, die schwierige humanitäre, gesellschaftliche und auch pastorale Situation der Menschen in der Illegalität darzustellen und für die entsprechenden Herausforderungen sensibel zu machen. Sie berücksichtigt dabei die Tatsache, dass zum Phänomen der Illegalität nicht nur die Menschen gehören, die ohne Aufenthaltsrecht und ohne Duldung in unserem Land leben, sondern zugleich auch jene, die in irgendeiner Weise mit ihnen zu tun haben. Wir bewegen uns auf einem schwierigen, oft undurchsichtigen und konfliktreichen Feld.

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