| Pressemeldung | Nr. 41

Stellungnahme des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, und des Vorsitzenden des Rates der EKD, Präses Manfred Kock, zu den Vorschlägen der Unabhängigen Kommission Zuwanderung des Bundesministers des Innern

Der Bundesminister des Innern hat am 4. Juli 2001 den Bericht der von ihm einberufenen Unabhängigen Kommission "Zuwanderung" - unter dem Vorsitz von Frau Prof. Dr. Rita Süßmuth - entgegengenommen und der Öffentlichkeit vorgestellt.
Wir begrüßen diesen Bericht und erkennen in ihm wesentliche Impulse für eine zukunftsorientierte und langfristig angelegte Zuwanderungspolitik. Er bietet die Chance für einen grundlegenden Perspektivenwechsel.
Eine detaillierte Analyse der umfangreichen Ausarbeitung steht noch aus, aber schon die Zusammenfassung lässt erkennen, dass die Empfehlungen der Kommission auf der Einsicht basieren: Migrationsfragen sind keine Randprobleme, sondern zentrale gesellschaftspolitische Aufgaben, die ein umfassendes und weitsichtiges Konzept verlangen. Dieses entspricht dem Grunderfordernis, wie es das Gemeinsame Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht "... und der Fremdling, der in deinen Toren ist" 1997 formuliert hat.
Wir anerkennen das Bemühen des Berichtes, durch klare Darstellung der demographischen Entwicklung, der arbeitsmarktpolitischen Fakten und der rechtlichen Bindungen, die sich aus dem Grundgesetz und aus europäischen sowie internationalen Verpflichtungen ergeben, Akzeptanz und Konsens im Blick auf die Zuwanderung zu fördern. Nur so ist erfolgreiche Migrationspolitik möglich.
Der Bericht macht Ernst mit der Tatsache, dass Deutschland faktisch ein Einwanderungsland ist. Deswegen ist ein Gesamtkonzept für Zuwanderung und Integration erforderlich, an dem es bislang gefehlt hat. Die Kommission hat sich dieser Herausforderung gestellt.
Wir unterstützen die Einschätzung des Berichtes, dass eine neue, nach festen Regeln gesteuerte Zuwanderung nötig ist, um den Wohlstand in unserem Land langfristig zu sichern. Diese Zuwanderung bleibt klar unterschieden von der Schutzgewährung für Menschen, die Verfolgung oder Bürgerkrieg ausgesetzt sind.
Asyl und Flüchtlinge
Wir begrüßen die Empfehlung der Kommission, das Asylrecht nach Art. 16a nicht weiter einzuschränken und Art. 19 IV Grundgesetz nicht zu ändern, zumal die menschen- und völkerrechtlichen Verpflichtungen unverändert bestehen. Diese liegen auch der Richtlinie der EU-Kommission zu Mindestnormen für Asylverfahren zugrunde. Die Durchführung der Asylverfahren ist nach unserer Auffassung auf der Basis der bestehenden Rechtslage in angemessener Zeit möglich. Weiterer Einschränkungen rechtsstaatlicher Garantien bedarf es nicht.
Wir unterstützen grundsätzlich die Absicht des Berichtes, die humanitären Grundsätze zu stärken und den menschen- und völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands Rechnung zu tragen.
Wir sind der Überzeugung, dass die Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen bei geschlechtsspezifischer und nichtstaatlicher Verfolgung einen Niederschlag in der Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention und in der daraus folgenden Anwendungspraxis in Deutschland finden sollte.
Zu begrüßen ist, dass die Kommission zur Entlastung der Verwaltungsgerichte eine Verbesserung der Sachverhaltsaufklärung am Anfang des Verfahrens und eine bessere Aufklärung der Asylsuchenden über ihre rechtliche Situation sowie das Verfahren empfiehlt. Seit Jahren fordern die Kirchen die Einführung einer qualifizierten und staatlich unabhängigen Verfahrensberatung.
Wir bedauern, dass die Kommission keine geeigneten Vorschläge zur Lösung von Härtefällen im Asylverfahren vorgelegt hat. Bei abgelehnten Asylbewerbern ist nach der derzeitigen Rechtslage die Berücksichtigung humanitärer Belange rechtlich nicht vorgesehen. Aus kirchlicher Sicht ist es dringend erforderlich, dass in humanitären Härtefällen eine Aufenthaltsbefugnis erteilt werden kann.
Aussiedler
Wir begrüßen, dass für die Deutschen aus den Nachfolgerepubliken der Sowjetunion das kollektive Kriegsfolgenschicksal weiterhin unterstellt wird. Die Stichtagsregelung, nach der nur vor dem 1. Januar 1993 Geborene den Spätaussiedlerstatus erlangen können, reicht aus.
Eine gesetzliche Klarstellung des § 6 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes (Sprache als Merkmal für die Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe) halten wir nicht für notwendig. Es kann durchaus sein, dass Aussiedelnde in deutschen Familien groß wurden, die deutsche Sprache wegen staatlichen und gesellschaftlichen Druckes aber nicht ausreichend lernen konnten, so dass andere Merkmale zur Klärung herangezogen werden müssen.
Wichtig ist die Konzentration des Aufnahmeverfahrens bei einer Bundesbehörde. Die durch die bisherige föderale Praxis entstandenen Altfälle sollten einer großzügigen Regelung zugeführt werden. Nur die Einbürgerung sollte den Landesbehörden vorbehalten sein (so wie bereits im Bundesland Brandenburg praktiziert).
Durch nicht rechtzeitigen Einbezug von Familienangehörigen in den Ausreiseantrag entstehen immer wieder besonders bedauerliche Härtefälle. Sie sollten im Sinne einer erweiterten Familienzusammenführung gelöst werden können.
Familien
Die Familie hat nicht nur aus christlicher Sicht einen hohen Wert. Sie ist die Keimzelle der Gesellschaft und muss unter allen Umständen geschützt werden. Vor allem aus Gründen der Integrationsförderung befürworten wir den Familienbegriff, wie er im Entwurf für eine "Richtlinie des Rates der Europäischen Union betreffend das Recht der Familienzusammenführung" verwendet wird. Deswegen begrüßen wir die vorgesehene Anhebung des Nachzugalters bei Kindern auf 18 Jahre.
Menschen in der Illegalität
Der Bericht greift erfreulicherweise auch die Situation der Menschen auf, die ohne Aufenthaltstitel in unserem Land leben. Im Blick auf den Krankheitsfall, das Arbeitsverhältnis, die Meldepflicht der Schulen und die humanitäre Hilfe für Menschen in der Illegalität werden Schritte in die richtige Richtung vorgeschlagen. Es bleibt in diesem Problemfeld jedoch noch erheblicher Handlungsbedarf (wie z.B. die Beschulung von Kindern, medizinische Versorgung, Anspruch auf einklagbaren Lohn).
Arbeitsmarktorientierte Zuwanderung
Wir begrüßen die Überlegungen zur Zuwanderung aus Gründen der Bevölkerungsentwicklung und des Arbeitsmarktes.
Allerdings muss bewusst bleiben: Wenn man Arbeitskräfte ruft, kommen Menschen. Deshalb müssen mit der Anwerbung Hilfen zur Integration einher gehen. Die Kirchen sind weiter bereit, auch hier ihren Beitrag zur Integration zu leisten.
Die Anwerbung von auswärtigen Fachkräften darf die Ausbildung und Qualifizierung von jungen Menschen und Arbeitslosen in Deutschland nicht vernachlässigen oder gar ersetzen; Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind notwendig. Auch ist Sorge dafür zu tragen, dass Fachkräfte nicht aus solchen Ländern abgezogen werden, die auf diese selbst dringend angewiesen sind.
Integration
Wir teilen die Sicht der Kommission, dass zwischen Zuwanderung und Integration ein unaufgebbarer Zusammenhang besteht. Die Integrationsförderung ist die vorrangige Aufgabe, um Zuwanderern eine gleichberechtigte Teilhabe am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben zu ermöglichen.
In einem Zuwanderungs- und Integrationsgesetz sollten deshalb Rechtsansprüche auf Integrationsförderung verankert werden. Sie schließen vor allem Sprachförderung, Integrationsberatung und -begleitung sowie berufliche Qualifizierung und Arbeitsförderung ein. Die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände verfügen über große Erfahrungen und Kompetenzen in der Integrationsarbeit auf örtlicher Ebene und stellen diese zur Verfügung.
Wir unterstützen die Forderungen der Kommission nach einer Schulpflicht für alle Flüchtlingskinder unabhängig von ihrem Status, nach Angleichung des Status von Konventionsflüchtlingen an denjenigen von anerkannten Asylbewerbern und nach verbesserten Aufnahmebedingungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit bei der Einbürgerung von Ausländern, die bis 1973 angeworben wurden, und ein vollständiger Ausweisungsschutz für in Deutschland geborene oder aufgewachsene Kinder und Jugendliche sind eine überfällige Maßnahme. Solche Maßnahmen dienen der Vertrauensbildung und sind ein Gebot "nachholender Integrationspolitik".
Wir sind deshalb dankbar für das umfassende und detailreiche Integrationskonzept, das die Kommission vorgelegt hat und das es in dieser Form bislang nicht gegeben hat. Wir verkennen nicht, dass mit der Umsetzung erhebliche Mehrkosten verbunden sein werden. Dieses Konzept darf jedoch nicht an der Kostenfrage scheitern, da auf längere Sicht integrationspolitische Versäumnisse für die Gesellschaft unvergleichlich kostenaufwendiger sein werden.
Integration ist ein wechselseitiger Prozess, der beide Seiten in Pflicht nimmt. Wir teilen die Einschätzung der Kommission, dass die Einführung von Sanktionen ein sowohl rechtlich als auch sozialpsychologisch ungeeignetes Mittel zur Motivation ist. Das vorgeschlagene Anreizsystem, verbunden mit einer durch Wohlfahrtsverbände gewährleisteten individuellen Integrationsplanung und -begleitung, dürfte erheblich effektiver sein.
Die Schaffung transparenter und einfacher Zuwanderungsregelungen, die Vereinfachung des Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisrechtes und die Schaffung gesetzlich verankerter Integrationsförderungsansprüche sind notwendige Konsequenz des geforderten Perspektivenwechsels. Entscheidend ist, dass diese Intention des Berichtes zügig und in möglichst breitem Konsens umgesetzt wird.
Bonn/Hannover, den 04.07.2001

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