| Pressemeldung | Nr. PRD-025d

Von der Milieuschule zum missionarischen Ort - zum Paradigmenwechsel in der Katholischen Schule

Prof. Dr. Albert Biesinger, Tübingen, auf dem II. Bundeskongress Katholischer Schulen
am 11. Mai 2001 in Bonn

Es gilt das gesprochene Wort
0 Ein authentischer Erfahrungsbericht:
"Ich habe seit 1980 mit meinen Schülern von Klasse 5 - 13 Schweigeübungen im Unterricht gemacht, als Vorbereitung oder Nachwirkung von Text-, Bild- oder Musikmeditationen. Sie sind natürlich nicht immer voll gelungen, aber meistens von der Mehrzahl der Schüler als hilfreich erlebt worden. Für die Identitätsfindung, für die Konfliktbewältigung, für echte religiöse Erfahrungen. Außer im Unterricht (etwa einmal im Monat, 40 Minuten lang, in jeder Klasse, auch in den ('schwierigen') habe ich achtzehnmal bei der jährlichen sogenanten 'Route Spirituelle' (spiritueller Weg) mit 40 Teilnehmern, darunter einige 'ehemalige' und zwei Mütter, intensive Erfahrungen mit Schweigezeiten bei Kindern und Jugendlichen machen dürfen. Die Teilnehmer machen sonst auch mit bei der Reli-AG der Schule, die sich während der Schulzeit wöchentlich in der Bücherei zum Gebet, Meditation, Gespräch und zur Vorbereitung der geplanten Aktionen (z. B. Partnerschaft für Huandra) trifft. Bei der fünftägigen Route Spirituelle, meist in einem schönen Wanderheim in der Pfalz, halten wir drei Schweigezeiten, zwei kleine von einer Stunde und eine große von drei Stunden. Im Pfälzer Wald spielen natürlich auch Naturbeobachtungen eine besondere Rolle: Natur als Schöpfung Gottes erfahren. Die jeweilige Einführung in die Schweigezeit wird von erfahrenen Schülern und Religionslehrern vorgenommen. Zwei Texte von der Erinnerungstapete der 'Route Spirituelle' mögen die Bedeutung der Kunst des Schweigens auch bei heutigen Kindern und Jugendlichen aufzeigen. Jedem wurde klar, dass das Höchste, Liebste, Wahrste, nicht in Worten übermittelt werden kann, sondern im Schweigen. Das Geheimnis ist für Worte oft nicht erreichbar. Nico (16 Jahre) schreibt: ' Die 'Route Spirituelle' ist der Höhepunkt der Anreicherung von Stille und Freude im Jahr. Auf der Route tanken wir alle Stille, Frieden und Frischluft'. Und Katja (18 Jahre): 'Ich atme Schweigen. Es ist so wichtig für mich wie Brot. Ich brauche die Stille, um hören zu können. Ich brauche die Stille, um Mensch zu sein.'1
Sie werden jetzt denken, es geht hier nicht um Religionsunterricht, sondern um Katholische Schulen insgesamt. Ich halte dagegen: Sind solche Lernerfahrungen an einer Katholischen Schule nur eine Sache der Religionslehrer? Was spricht dagegen, solche visionären, und dennoch realistischen Projekte an einer Katholischen Schule interdisziplinär zwischen Biologieunterricht, Deutschunterricht und Religionsunterricht zu realisieren.
Wer sich als große gesellschaftliche Gruppe im Bildungswesen investiert, hat in der Regel Anliegen. Dies gilt für Reformschulen verschiedener Qualität ebenso - wie hoffentlich auch - für die katholische Kirche. Dies birgt logischerweise die Frage nach dem "Grund unserer Hoffnung" für menschliches Leben, die Frage, worauf hin wir und von woher wir bilden wollen - und spirituell radikal formuliert, ob nicht Gott selbst es ist, der bildet, weil er der Schöpfer des Lebens und die Liebesenergie für menschliche Kommunikation generell ist. Die Diskussion zum Profil Katholischer Schulen, die in den letzten Jahren erfreulicherweise intensiviert wurde - ich verweise hier auf viele Initiativen wie compassion, Marchtaler Plan u. a. soll mit diesem 2. Bundeskongress Katholische Schulen weiter profiliert werden.
Ich kann den Veranstaltern dieses Kongresses zur Formulierung des mir gestellten Themas nur gratulieren. Der Paradigmenwechsel, Katholische Schulen eben nicht nur als Milieuschulen, als Nischenbildung und möglicherweise auch missverstanden als Abschottung von den Anforderungen der Welt zu verstehen, ist ebenso einen Reflexionsgang wert, wie die damit implizierte Neubestimmung von "Mission" und "missionarisch". Zunächst Begriffsklärungen, die aber im Blick auf den Milieubegriff auch positives beinhalten:
1 "Milieu" und "missionarisch"
Milieu ist nach Karl Gabriel wie folgt zu beschreiben2: In allgemeinster Bestimmung gilt der Begriff des Milieu als Bezeichnung für die Gesamtheit der natürlichen (geographischen, klimatischen usw.) und sozialen Umwelt (Werte, Normen, ökonomische und politische Bedingungen) eines Individuums bzw. einer sozialen Gruppe. In der neueren sozialwissenschaftlichen Diskussion hat der Begriff besonders als sozial-moralisches Milieu Bedeutung erhalten. Unter Milieus versteht man hier soziale Einheiten, die durch die Koinzidenz einer Reihe von Strukturmerkmalen, wie Religion, regionale Tradition, wirtschaftliche Lage, kulturelle Orientierung und schichtenspezifische Zusammensetzung der inter-mediären Gruppen, gekennzeichnet sind. Milieus als gesellschaftliche Großgruppen weisen Gemeinsamkeiten im Bereich der Sinnkonstruktion, der Werte und Normen, eines gemeinsamen Netzwerkes von Institutionen und geteilte Ritualisierungen des Alltags- und Festtags-Lebens auf. Ein entsprechendes Begriffsverständnis hat sich u. a. an der Untersuchung konfessioneller Milieus, insbesondere des katholischen Milieus in Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz, bewährt. In der neueren Forschung zeichnet sich ein Konsens darüber ab, sozial-moralische Milieus in der Form gesellschaftlicher Großgruppen als ein historisch begrenztes Phänomen des Übergangs in die entfaltete Moderne zu betrachten. Im Kontext der Modernisierung moderner Gesellschaften verändert sich heute der Milieu-Begriff und nimmt stärker die Bedeutung von Lebensstil-Gruppen an. Sie sind gekennzeichnet durch eine erhöhte Binnenkommunikation und Gemeinsamkeiten des expressiven (Freizeit-Aktivitäten, Konsum-Muster usw.), interaktiven (Geselligkeit, Heiratsverhalten usw.), evaluativen (Wahlverhalten, Wertbindungen) und kognitiven Verhaltens (Selbstidentifikation, Wirklichkeitswahrnehmung). Für die Gesellschafts-Analyse gewinnt heute die gesellschaftliche Gliederung nach Milieus im Sinn von lebensweltlichen Zusammenhängen (Lebenswelt) mit gesteigerter Dichte sozialer Interaktion und Kommunikation aufgrund von Ähnlichkeiten normativer Orientierungen, Wissensbeständen und Verhaltensweisen gegenüber herkömmlichen Klassen- und Schichtmodellen an Bedeutung. Im Blick auf Milieupastoral ist mit Konrad Baumgärtner festzuhalten: Die Praxis der jeweiligen Lebenswelt wird von vorherrschenden Milieus positiv und negativ entscheidend beeinflusst: mit Ansätzen für die christliche Botschaft (Evangelisation, Sozialpastoral), aber auch mit das Mensch- und Christsein behindernden, ja zerstörenden Vorgängen, die zum Widerstand verpflichten. Bereits vor dem und in der Mitte des 20. Jh. hatten Theologen wie Viktor Schnurr und Seelsorger wir Joseph Cardijn eine entsprechende Milieupastoral (z. B. in der Arbeitswelt) inspiriert und organisiert. Das Vatikanum II betonte die Milieupastoral im Sinne eines "Apostolats im sozialen Milieu" (vgl. GS 2553) und votierte für spezielle Aus- und Fortbildungsmaßnahmen, Institute und Dokumentations- und Studienzentren (Paul VI. entwarf in Evangelii nuntiandi ein Programm der Milieus im Sinn der Evangelisierung). Lepsius wollte die - von ihm soweit erkennbar synonym gebrauchten - Begriffe "sozial-moralisches Milieu" verstanden wissen "als Bezeichnung für soziale Einheiten, die durch eine Koinzidenz mehrerer Strukturdimensionen wie Religion, regionale Tradition, wirtschaftliche Lage, kulturelle Orientierung, schichtenspezifische Zusammensetzung der intermediären Gruppen gebildet werden. Das Milieu ist ein sozio-kulturelles Gebilde, das durch eine spezifische Zuordnung solcher Dimensionen auf einen bestimmten Bevölkerungsteil bestimmt wird."3
Gesellschaftswissenschaftlich ist unter Milieu negativ ein Vergemeinschaftungsprozess zu verstehen, in dem eine Gruppe von Menschen die ihr wichtigen Deutekategorien und Verhaltensmuster kommuniziert, eigene Riten und ethische Muster realisiert; abgrenzend und ausgrenzend, ohne diese offensiv in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs der brisanten Situation einzubringen.
Ein Beispiel: Die Lateinamerikanischen Bischofskonferenzen haben sich in Medellin 1968 im Blick auf kirchliche Schulen radikal bekehrt (Medellin Nr. 17.18). In Kurzfassung: Katholische Schulen dürfen nicht nur der Reproduktion des Oberschicht-Milieus dienen. Die Kirche mache gerade sich schuldig, die ungerechten und inhumanen Verhältnisse der Gesellschaft dadurch zu zementieren, dass sie Milieuschulen unterhält, in denen die Kinder der Reichen und Einflussreichen für die Zukunft so ausgebildet werden, dass sich für die hungernden und verelendeten Kinder in Armenvierteln nie etwas ändern kann. Theologisch radikal formuliert und heute immer noch nicht selbstverständlich: Gerechtigkeit beginnt mit Bildung. Papst Johannes Paul II. hat gerade im Blick auf die ungerechten Strukturen entschiedene Sozialkritiken formuliert. Leider wird diese Enzyklika in der innerkirchlichen Diskussion viel zu wenig als ebenso wichtige kirchliche Lehre kriteriologisch erörtert und durchgestritten wie etwa "Humanae vitae".
Beim Begriff "missionarisch" sind auf den ersten Blick Bedenken und Störungen zu bearbeiten. Natürlich assoziiere ich mit "missionarisch" auch die blutige lateinamerikanische Missionsgeschichte, die Verirrungen unserer Kirche in der weltweiten Verkündigung, die unsensible Zerstörung fremder Kulturen, die Apartheid in Südafrika u. a. Auch Ihnen fällt dazu genügend ein. Aber: "Mission" und "missionarisch" ist ein edler theologischer Begriff. Wenn ich im Folgenden von "missionarisch" spreche, dann impliziert dies immer auch eine begriffliche Selbstbekehrung und -erneuerung im Blick auf die "missionarische" Dimension unserer Kirche. Es ist keineswegs im Sinne Jesu Christi, wenn Menschen verletzt, getötet, unterdrückt werden - und dies auch noch in seinem Namen. Dafür den Weg der Vergebungsbitte zu gehen - wie dies durch den derzeitigen Papst geschieht, halte ich für mehr als richtig.
Mission meint: Die Botschaft Jesus Christi in dieser Welt präsent machen und halten, dass Gott Herkunft, Ankunft und Zukunft der Zukunft der Menschheit und des Universums ist (vgl. Helmut Riedlinger). Und es ist sehr wohl im Sinne des Anspruchs Jesu Christi, wenn unsere Kirche das Reich Gottes als den von Gott geschaffenen und zugesagten, von uns Menschen aber mit zu gestaltenden Bereich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens in dieser Welt als die große Vision bezeugt und damit präsent hält. Diese Botschaft ist Durchkreuzung oberflächlicher gesellschaftlicher Trends, "Durchkreuzung des Üblichen" im Bereich von Wirtschaftsstrukturen, von Familienzusammenbrüchen, von Ausländerhass und Antisemitismus, von Hoffnungslosigkeit und Langeweile. Dazu ist die Kirche Jesu Christi gesandt: "Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt." (Mt. 28,19-20.) Darin gründet ihre Sendung. Katholische Schulen sind Orte solchermaßen verstandener missionarischer Kommunikation unserer Herkunft, Ankunft und Zukunft.
2 Wer bestimmt, wohin sich die Schule entwickeln soll?
Im Blick auf die Situierung Katholischer Schulen plädiere ich von diesem Fokus her, theologische Kriterien und Postulate zu kommunizieren, die für Bildung bedeutsam sind. Wirtschaft und Gesellschaft formulieren aus ihrer Interessenslage heraus vehemente Veränderungen im Schulsystem, Verkürzung der Schulzeiten, vermehrt Persönlichkeitskompetenzen - soziale, kommunikative, auch zur Konfliktbearbeitung, zu immer höherer Verfügbarkeit, bis hin zur Verdrängung der Familie.
Eine große Unternehmensberatung, die letztes Jahr 30 Theologen einstellen wollte, vorwiegend übrigens katholische Theologen, weil diese 'gewohnt sind, sich in Hierarchien kreativ zu bewegen', erklärte einem meiner jungen Mitarbeiter, dass sich eine Partnerbeziehung bei Annahme einer solchen Tätigkeit nicht realisieren lasse. Sollen sich Katholische Schulen etwa nach solchen Kriterien richten? Christen haben das Recht und die Pflicht, im Blick auf die Weiterentwicklung von Schule und Gesellschaft ihre eigenen Optionen zu entwickeln. Dies um so mehr, als die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen Kinder immer elternloser machen und zunehmend mehr Eltern, was die kompetente Begleitung und Erziehung ihrer Kinder angeht, ratloser sind denn je. Sollen also sich Katholische Schulen so entwickeln, dass sie die gesellschaftlich produzierten Defizite in den Familien auszugleichen haben oder müsste nicht eine gesamtgesellschaftliche Umkehr unterstützt werden, die es Eltern möglich macht, auf humane Weise Kinder und Beruf als sich selbst gestellte Aufgabe zu realisieren? Und vor allem müsste sich nicht die Berufswelt auch auf Familien einstellen und nicht nur umgekehrt? Hier kann dieses gesellschaftlich hoch brisante Problem nur skizziert werden, aber es wäre fatal, darüber reden zu wollen, ohne diese gravierenden gesellschaftlichen Veränderungen und Orientierungsdefizite für Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft als hermeneutischen Hintergrund bewusst zu machen.
3 Den Menschen als "Existenz in der Gottesbeziehung" deuten
Der Konzilstheologe Karl Rahner hat in seiner theologischen Anthropologie den Menschen als Wesen der Freiheit, als Wesen des Geheimnisses, als Wesen der Transzendenz, als Wesen der Grenze und als Wesen der Interkommunikation beschrieben. In solchen theologisch-anthropologischen Deutekategorien bergen sich weite Horizonte für Katholische Schulen. Es ist ein großer Unterschied, ob Menschen vorwiegend unter dem Aspekt ihrer Funktionsfähigkeit für berufliche Kompetenzen eingestuft werden, sie also dazu zu dienen haben, dass die Wirtschaft floriert. Es spricht viel für eine gut florierende Wirtschaft, so die Menschenwürde gewahrt bleibt, so Menschen auch in ihrer Freiheit, in ihrer Geheimnishaftigkeit, in ihrer Bezogenheit auf Transzendenz, aber auch in ihrer Grundbefindlichkeit, begrenzt und fehlbar zu sein, akzeptiert sind und in ihrer Befähigung zur Interkommunikation unterstützt werden. In der Wirtschaft ist derzeit in einigen Sektoren auch schon ein Umdenkungsprozess festzustellen, der die Grenzen einer lediglich funktionalisierten Wahrnehmung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufsprengt.
Wenn der Mensch konstitutiv ein Wesen der Freiheit ist, dann ist für die Weiterentwicklung und Konturierung schulischer Bildung und damit auch von organisatorischer Weiterentwicklung zu fragen, wie die Begegnungsräume beschaffen sein müssen, damit eine solche Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung der Schülerinnen und Schüler als Wesen der Freiheit unterstützt wird. Dies gilt selbstverständlich auch für die Qualität des Umgangs mit Themen, Projekten, mit Förderung von Motivation, auch in Situationen, in denen einfach etwas gelernt werden muss, auch wenn die Begeisterung der Schülerinnen und Schüler nicht von vornherein gegeben ist. Der Mensch als Wesen der Freiheit - dies meint nicht egozentrische Beliebigkeit oder banales Desinteresse. Dieser Deuteprozess als Wesen der Freiheit ist anstrengend, er entsteht durch gegenseitige Provokation, durch Botschaften und Visionen, die uns Menschen zugesagt sind, die uns von Gott selbst her zukommen, die wir gerade nicht selber produzieren können.
Freiheit ist die von Gott gesetzte Freiheit, wir Menschen sind Freigelassene der Schöpfung (J. Moltmann), beladen auch mit der Bürde, uns in dieser Freiheit selbst zu realisieren, wie Gott es in uns hineingestiftet hat. Nicht nur Schülerinnen und Schüler, sondern auch Lehrerinnen und Lehrer ringen mit diesem Anspruch und dieser Verheißung - Katholische Schulen als missionarischer Ort.
Die Qualität der Themensetzung, aber auch die Qualität der kommunikativen Strukturen in einer zukünftigen Schule müssen sich auf dieses Ringen um die Fremd- und Selbstinterpretation eines solchen Freiheitsprozesses einlassen - ansonsten verlieren Katholische Schulen ihre Glaubwürdigkeit und letztlich ihre Seele. Der Mensch ist Wesen des Geheimnisses. Schülerinnen und Schüler in der Suche nach ihrem eigenen Lebensgeheimnis zu unterstützen ist eine vornehme Aufgabe, - dies hat auch mit Begabungen zu tun, die sich erst langsam entwickeln und die einen Hinweis auf zukünftige Tätigkeiten auch in der Berufswelt ergeben. - Die Frage "zu wissen, was die Welt, im inneren zusammenhält", ist eine der vornehmsten Herausforderungen von Schule und Schulentwicklung. Katholische Schulen dienen der Entdeckung des Geheimnisses der eigenen Existenz im Horizont der Geheimnishaftigkeit Gottes.Den Menschen als Wesen der Transzendenz zu verstehen, widersteht der Versuchung zur immanenten Abschottung des von Menschen gemachten Schubladendenkens, widersteht darüber hinaus der Verdrängung des Todes, gibt sich nicht zufrieden mit der "Ex und hopp"-Mentalität. Die "Durchkreuzung" des Üblichen im Sinne kreuzestheologischer Radikalität verortet die Verheißung göttlicher Rettung aus dem Tod in der Katholischen Schule vernetzt in allen Fächern: Literatur, Physik, Astronomie, Musik, ...Der Mensch als Wesen der Grenze, dies ist angesichts des Drucks zur Senkung der Fehlerquote, zur genetischen Selektion, zur Verdrängung von Fehlern und Schwächen eine spezielle künftige menschenwürdige Perspektive. Immerhin ist davon auszugehen, dass Jesus genau die, die schuldig werden, die schwach sind und die gängige Normen nicht erfüllen können oder erfüllt haben, an seinen Tisch lädt.
Wichtig für Katholische Schulen ist es, in der Spannung von Spitzenleistungen einerseits und dem Zugeständnis eigener Fehlerhaftigkeit andererseits Erfahrungsräume und Projekte zu erschließen, in denen Angenommensein mit den eigenen Grenzen und Veränderungsdynamik ausbalanciert werden.
Gerade angesichts grenzenloser Machbarkeitsideologien, dass alles "sicher" sei - man denke nur an Kernkraftwerke, Bergbahnen, Alpentunnels, Straßenverkehr - kann aus einer solchen Selbstreflexion des Menschen, "Wesen der Grenze" zu sein, mehr Sensibilität und mehr Verantwortung im Blick auf diese Bereiche und vor allem: Versöhnung mit der eigenen Endlichkeit entwickelt werden.
Es ist eine Frage der Humanität, sich selbst auch in den eigenen Begrenzungen, auch im eigenen Schuldigwerden zu akzeptieren. Aber es ist auch ein religiöser Akt, sich in der eigenen Grenze und im eigenen Schuldigwerden zu akzeptieren, weil Gott selbst es ist, der uns in unserer eigenen Grenze und in unserem eigenen Schuldigwerden akzeptiert - wenn wir erlösungstheologisch konsequent argumentieren und fühlen.Der Mensch als Wesen der Interkommunikation - dies ist eine zentrale Herausforderung im Blick auf Schulatmosphäre, Kommunikationsstile, Kommunikationsstörungen, auch auf Autoritätsausübung. Mit Schülerinnen und Schülern auf gleicher Augenhöhe mit hohem Respekt vor ihrer Würde und ihrer Personalität zu kommunizieren ist unerlässlich, wenn wir die Botschaft Jesu nicht nur begrifflich nachbeten, sondern wirklich zu Anspruch und Vision unseres Handelns machen wollen.44 Auf der Suche nach einer Vision von Schule
In der in Kürze erscheinenden Tübinger Dissertation von Friedhelm Lott wird der Zusammenhang zwischen einer Vision von Schule und Religionsunterricht, der dafür nötigen Organisationsentwicklung als Visionsarbeit und die Frage, was ist eine gute Schule, sehr kompetent erörtert.5 Neil Postman fordert in seinem Band "Keine Götter mehr - vom Ende der Erziehung"6 , eine große Vision oder eine große Erzählung für unsere Schulen. "Nicht irgendeine Erzählung, sondern eine, die von Ursprüngen spricht und die Vision einer Zukunft heraufbeschwört; eine Erzählung, die Ideale aufstellt, Verhaltensregeln vorschreibt, Autoritäten schafft und vor allem ein Gefühl von Kontinuität und Zielbewusstsein vermittelt". 7 Er geht davon aus, dass eine solche Erzählung den Menschen für ihr Leben einen Sinn und Zweck begründet, einen transzendentalen Sinn, ohne den schulische Erziehung nach seiner Meinung nicht realisiert werden kann. Diese generelle Rückfrage gilt für alle Schulen. Ich halte es für wichtig, mit Hartmut von Hentig im Blick auf eine Pädagogik der Zukunft entgegen vieler gesellschaftlicher Erwartungen folgende wichtige Fragen zu stellen8:
Was braucht ein (junger) Mensch, um in unserer Gesellschaft überhaupt frei, würdig, für andere nützlich leben zu können?Was hat er für Gaben, die ohne Schutz und rechtzeitige Förderung nicht zur Entfaltung kommen? Und: Welche Förderung kann ich ihm zukommen lassen?Was davon muss die Gemeinschaft, der Staat gewährleisten? Was muss und kann der junge Mensch selber davon aufbringen? Was sollten die späteren Nutznießer - die Wirtschaft, die Wissenschaft, die einzelnen Einrichtungen - beisteuern?Welche sind die geeigneten Mittel, für die Erfüllung des pädagogischen Auftrags: Die wirksamsten Anlässe, Gegenstände, Verfahren, Zeiteinteilungen, Orte - und welche sind die vernachlässigten Maßstäbe für den Erfolg des ganzen Vorgangs?Von Hentig versteht die Pädagogik nicht als die Potenz, die Welt in Ordnung zu bringen oder sogar zu verbessern, sie kann auch nicht die große Erzählung im Sinne von Postman liefern; diese großen Erzählungen gibt es bereits. Nach Postmans Einschätzung sind die Texte im Alten Testament, im Neuen Testament, im Koran, in der Bhagavadgita: "Wo sonst, außer in der großen Erzählung von Jesus, kann man eine Geschichte finden, die den geduckten Massen so überzeugend ihre Würde gibt?"9 Es bedarf also eines Verständigungsprozesses zwischen allen, die am Schulleben beteiligt sind, um einen Grundkonsens darüber zu finden "Welche Inhalte, Ziele, schulische Erziehung geeignet sind, um Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg der Entwicklung und Entfaltung ihrer Talente nachhaltig zu begleiten und zu fördern, um ihre Biographie zu stärken."10 Immer mehr Schulen realisieren als gesamtes Kollegium einen solchen Reflexionsprozess, der in einen pädagogischen Schulentwicklungsprozess einmünden kann und die Erneuerung des Unterrichts einerseits und die Veränderung der ganzen Schule andererseits in den Blick nimmt.
Wir kommen um die Frage, was denn eine "gute Schule" sei, nicht herum. Einige der überzeugenden Argumente lassen sich mit R. Miller11, wie folgt zusammenfassen:
'Gute' Schulen zeichnen sich aus nicht durch
Konkurrenz, sondern durch Akzeptanz;Statik, sondern durch Dynamik;Dominanz, sondern durch Toleranz;Desinteresse, sondern durch Engagement;Lustlosigkeit, sondern durch Freude;Passivität, sondern durch Aktivität;Leistungsfeindlichkeit, sondern durch Leistungsbereitschaft;Ergebnislosigkeit, sondern durch Ergebnisse.12Sieht man die Diskussion der Schulentwicklung unter dem Aspekt, wie Schulen effektiv sind, ist mit G. Kleinschmidt13 folgende Kriteriologie interessant:
Entwicklung eines eigenen ,Schulethos' und einer speziellen Schulstruktur;Bereitschaft zur schulpädagogischen Innovation;Interesse der Schulleitung an qualitativen Verbesserungen;Pflege einer guten Arbeitsatmosphäre und guter Umgangsformen;Betonung eines anspruchsvollen Leistungsniveaus;Bemühungen um einen pädagogischen Grundkonsens;Synkronisierung von Lerntechniken, Lerntypen und Lehrstilen;Akzentuierung der Zusammenarbeit mit den Eltern;Interesse an neuen didaktischen Konzepten und deren Lerneffektivität."14Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass für die Schulentwicklung allgemein zwei Dimensionen unerlässlich sind:
Die humane Dimension (Arbeitszufriedenheit, Beziehungen, Klima) und die effiziente Dimension (Leistung, Ergebnisse)15; dies erfordert für jeden guten Unterricht als wichtiges Merkmal vertrauensvolle Zusammenarbeit über die Altersgrenzen hinweg, die sich folgendermaßen zeigt:
In einer guten Unterrichtsatmosphäre, in der sich jeder Schüler als Person angenommen weiß,in angenehmer Gestaltung der Lernumgebung;in einem menschenstärkenden Umgangston;in feinfühligem Takt;im steten Bemühen um Gerechtigkeit für jeden Schüler und jeden Lehrer, jeden Vater und jede Mutter;in entlastenden Unterrichts- und Erziehungsritualen;in umsichtiger Reaktion auf Störungen und Konflikte;in vertrauensvoller Zusammenarbeit von Lehrern und Eltern, d. h. hier vor allem in breiter und rechtzeitiger Information über Unterrichtsziele, -themen und -methoden."165 Was gewinnt also ein Schüler durch eine Katholische Schule?
Ich versuche die gestellte Thematik aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern zu entwickeln - kontextuell und gesellschaftlich orientiert - nicht einfach dem Ist-Stand verpflichtet:
Schülerinnen/Schüler haben das Anrecht, kompetent unterstützt zu werden, ihren eigenen religiösen Weg zu suchen, sich in einem Weg zu verwurzeln, aber auch zu zweifeln und sich zu distanzieren, vor allem aber auch, den eigenen religiösen Weg im Sinne von Selbstleitung dialogisch zu realisieren.Schülerinnen/Schüler haben ein Anrecht darauf, in der Entfaltung ihrer Persönlichkeit, auch in ihren religiösen Krisen und Verwundungen wahrgenommen und entsprechend begleitet zu werden.Schülerinnen/Schüler haben ein Anrecht darauf, zu Leistungen herausgefordert zu werden, die sie ohne Begegnungsräume, ohne Provokation, ohne Lehrer und Lehrerinnen aus sich selbst heraus nicht erreichen können.Schülerinnen/Schüler haben ein Anrecht darauf, im Sinne einer spiralförmigen Weiterentwicklung sich die ihnen möglichen Lernschritte und Kompetenzen anzueignen und zu realisieren.Schülerinnen/Schüler haben ein Anrecht darauf, vernetztes Denken kennen und praktizieren zu lernen.Schüler haben ebenso ein Anrecht darauf, dass Lehrpläne entstehen, die es ihnen ermöglichen, Grundbefähigungen für eine berufliche und kommunikative Existenz erwerben zu können.Schülerinnen/Schüler haben ein Anrecht darauf, Lehrerinnen und -lehrer zu haben, die von ihrem Glaubensweg konstruktiv kritisch überzeugt sind und ihnen als spirituelle Wegbegleiter zur Verfügung stehen. Hier bietet die These von der Selbstkundgabe des Religionslehrers/der Religionslehrerin, die Werner Tzscheetzsch entwickelt hat, noch viele neue Aspekte. Warum soll dies nicht für alle Lehrerinnen und Lehrer an Katholischen Schulen gelten?Schülerinnen/Schüler haben ein Anrecht darauf, Religion als Rückbindung an Gott auf einem konkreten religiösen Weg wahrzunehmen und zu erproben.Schülerinnen/Schüler haben das Recht, Gott entgegenzuzweifeln und Gott zu klagen, ihn anzuklagen - genauso wie die alttestamentlichen Beter.Bildung darf die Durchkreuzung des Üblichen - Gott ist die Durchkreuzung des Üblichen - nicht behindern, sondern muss sie vielmehr provokativ thematisieren und sich den Wirklichkeitsdeutungen des eigenen Weges stellen, ihren Zuspruch und Anspruch erschließen und konkret auch auf kirchliche Praxis hin eröffnen.17 Wer die alternativ-pädagogischen Ansätze und die neueren Diskussionszusammenhänge im Blick auf Handlungsorientierung für die einzelnen Schulfächer auch nur einigermaßen kennt und einschätzen kann, wird wahrnehmen müssen:
Gestaltpädagogik, Themenzentrierte Interaktion nach Ruth C. Cohn, Montessori-Pädagogik, zielen selbstverständlich auf einen Theorie-Praxis-Zirkel, der kompetente Handlungsorientierungen für die Kinder und Jugendlichen im Unterricht selbst und in Vernetzung mit gesellschaftlichen Gruppen impliziert - dies gilt auch für religiöse Handlungsorientierung.
6 "Lehrer" und/oder "Erzieher"?18
Walter Zifreund definiert Unterricht als "Lernen, das unter nicht-zufälligen Bedingungen stattfindet".19 Eine dieser nicht-zufälligen Bedingungen sind die "Einstellungen der entscheidenden ausübenden Rollenträger: der Lehrerschaft".20 Alfred Petzelt differenziert zwischen "Unterricht" und "Erziehung". Das Ziel des Unterrichts wird durch den Begriff des "Wissens" und die Beurteilung des Unterrichtserfolges durch die Kriterien des "Richtigen" und "Falschen" definiert. "Erziehung" intendiert nicht "Wissen", sondern "Haltung".21 Indem Petzelt Unterricht vom Lernenden her definiert, ist das Ziel des Unterrichts das zu erreichende Possessivverhältnis des Schülers zu den in den einzelnen Unterrichtsfächern geordneten einzelnen Unterrichtsgegenständen. "Die Beurteilung des Unterrichtserfolges bezieht sich auf das erreichte Possessivverhältnis des Schülers, sie ist darauf ausgerichtet, ob der jeweilige Gegenstand erkannt worden ist oder nicht und klassifiziert im Sinne der Unterscheidung zwischen richtig und falsch."22 Erziehung hat dagegen eine besondere Intentionalität; sie richtet sich nicht mehr nach Wissen und Gewusstem, sondern "sie richtet sich auf das Ich selbst aus Anlaß seines Wissens... Wir fragen also, wie das Ich selbst im Hinblick, in Ansehung auf seine Erkenntnis, im Verhältnis zu ihr ist. Nicht wie es erkannt hat, wollen wir wissen, sondern wie es aussieht angesichts seiner vollzogenen Erkenntnis."23 Erziehung tendiert nach Dietrich Benner "auf die Wahrhaftigkeit des Selbst- und Du-Verhältnisses des Educandus."24
"Erziehender Unterricht"
Grundsätzlich ist zu fragen, ob Erziehung und Unterricht sich faktisch überhaupt unterscheiden lassen. "Wo erzogen wird, findet immer auch Unterricht und Lernen statt, und wo gelernt wird, vollzieht sich stets auch Erziehung."25 Für vor- und innerschulisches Lernen trifft dies auf jeden Fall zu. Unterscheidet man Wissen und Haltung, dann wird Wissen aus seiner Haltungsgebundenheit und Haltung aus ihrer Erkenntnisbezogenheit herausgelöst. Dies wäre für den Unterricht, bei dem es um die Vermittlung eines religiös-christlichen Sinnhorizontes und dessen Anspruch für Handeln geht, nicht aufrecht zu erhalten. Unterricht ist immer erziehender Unterricht. "Der erziehende Unterricht zielt gerade darauf, dass Wissen haltungsbezogen und Haltung erkenntnisbezogen angeeignet werden. Er fußt nicht auf dem Unterschied von reinem theoretischem Wissen und reiner praktischer Haltung, sondern auf der Identität und Differenz von haltungsbezogenem Wissen und erkenntnisbezogener Haltung."26 Der erziehende Unterricht stellt sich damit die Aufgabe, "die Haltungsgebundenheit des Wissens in ihrer Vielfalt zu erschließen, und dies ist nur möglich, wenn die Haltungsbezogenheit des Wissens ebenso zum Gegenstand des Unterricht gemacht wird wie die Erkenntnisbezogenheit der Haltung zum Gegenstand der Erziehung."27 Die Beziehung zwischen Wissen und Haltung ist als Aufgabe des Ich zu verstehen. Der Religionslehrer hat die Aufgabe, die Herstellung dieser Beziehung mit-zu-ermöglichen. In der Konsequenz der Ich-Bezogenheit des Lernprozesses weist Alfred Petzelt auf die damit zusammenhängende Aufgabe des Lehrers hin: "Kein Lehrender darf wirken, sondern er zeigt jene Haltung als Muster, nach welcher der Schüler selbst in eigenen Akten seine Haltung zu gestalten hat, also sich selbst erzieht."28 Ein leider nicht erfundenes Beispiel: Ein mir bekannter Biologielehrer lässt im Unterricht der Realschule den Aufbau einer Tulpenblüte analysieren. Danach in der großen Pause sieht er, wie seine Schüler allen Tulpen im Schulhof den Kopf abschlagen. "Was also habe ich jetzt erreicht" - so die Frage des irritierten Kollegen.
Im Blick auf den Unterricht ist in allen Fächern eine Grundfrage, welche Qualität von Praxis er initiiert. Wenn er sich nur begrifflich konzipiert, verliert er seinen ganzheitlichen Lehr- und Lernansatz und viel an Ausstrahlung bei den Schülern. Die Wirklichkeit kann eben nicht lediglich auf der begrifflichen Ebene gelehrt und gelernt werden; wenn lediglich religiöses Wissen angestrebt wird, dieses aber nicht vernetzt und existentiell verstanden und konstruktiv-kritisch praktiziert wird, was mit diesen Begriffen gemeint ist, bleibt Unterricht auf halbem Wege stehen und verbaut vielen Jugendlichen den Zugang zu einer eigenständigen Persönlichkeitsentwicklung. Ich war bisweilen über die Reaktionen von Schülerinnen und Schülern einer meiner neuen Klassen entsetzt, die mir am Beginn eines Schuljahres sagten: "Sie können mit uns in diesem Schuljahr machen was sie wollen, aber nichts mit der Bibel." Wenn das nicht ein Alarmsignal ist?! Gottfried Bitter29, der Bonner Religionspädagoge hat bereits 1981 in einem fundierten Beitrag festgestellt: "Was Glaubensüberlegungen teilen lässt, ist nicht zunächst die rationale Einsicht von Argumenten, die für die Plausibilität religiöser Interpretationen von Welt und Leben sprechen, als vielmehr die emotionale Erfahrung, dass dem, was Eltern und Lehrer sagen, zu trauen ist30. Wer die Gottesbeziehung nicht auch erlebt, kann sie nur bedingt reflektieren. Wer die Gottesbeziehung aber nur erlebt und nicht auch kompetent und wissenschaftlich fundiert reflektiert, kann keine biblische Gotteserfahrung machen. Wer mit Schülern nie Meditationsübungen anleitet, bringt sie möglicherweise um eine wichtige Erfahrung; wer mit Schüler vorwiegend nur Meditationsanleitungen realisiert, bringt sie um kognitiv kritische Auseinandersetzungsprozesse und nimmt ihnen die Möglichkeit, sich kompetent begründete Denkmuster im Blick auf den eigenen religiösen Weg aufzubauen31.
Christliche Bildung als "In-Existenz"
Mein Schüler und heutiger Kollege an der Universität Frankfurt Thomas Schreijäck hat in seiner Dissertation "Bildung als In-Existenz" (Herder 1989) im Dialog mit Romano Guardini einen Argumentationsgang vorgelegt, der für die Weiterprofilierung katholischer Schulen von entscheidender Bedeutung sein dürfte. "En Christo einai" ist eine zentrale, wenn nicht sogar die zentrale missionarische Botschaft des Christentums. Indem wir in der Mystik der Jesus Christus Beziehung eine klare Zugehörigkeit, eine eindeutige Verwurzelung und eine große Vision der Wandlung und Verwandlung unserer Existenz hinein in neues Leben in uns tragen, muss das eine zentrale Option Katholischer Schulen sein, die kompetenter und offensiver durchbuchstabiert werden sollte. Sich in heutigen gesellschaftlichen Strukturen mit einer solchen Botschaft zu verstecken, und sich nur vorsichtig und zaghaft zu "outen" ist ein großer Fehler. Die Botschaft ist zu groß, das "Goldstück", das uns der Herr der Kirche in die Hände gegeben hat, ist zu wertvoll und zu strahlend, als das es in verstaubten Argumenten und in nebensächlichen Kirchenkämpfen verunstaltet werden dürfte.
7 Optionen für die Weiterentwicklung Katholischer Schulen
Katholische Schulen haben spezielle Möglichkeiten, die von den dargestellten Deutekategorien des christlichen, der theologischen Anthropologie mit den allgemein pädagogischen Reflexionen korrespondieren. Die Begleitung und Förderung von jungen Menschen auf dem Weg ihrer Sinn- und Gottessuche findet vernetzt in den Wirklichkeitsdeutungen aller Schulfächer statt. Der Kommunikationsqualität und Atmosphäre kommt schließlich auch im Chemie-, Mathematikunterricht, u. a. hohe Bedeutung zu. Vernetzter Unterricht hat eine theologische Fundierung: Die Wirklichkeit ist mehr als die Summe ihrer Teile. Und die Möglichkeiten, menschliches Leben vernetzt zu interpretieren - im Physik-, Biologie-, Chemie-, Deutsch- und im Religionsunterricht - erbringt für Jugendliche spezielle kognitive Herausforderungen und Qualitäten. Naturwissenschaftler machen m. E. - ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht - nichts anderes, als die Geheimnisse in Gottes Schöpfung zu enträtseln und sie besser zu verstehen. Je mehr kompetente Forschungsergebnisse über den Kosmos, über Mikroorganismen, über die Gene des Menschen vorliegen, desto mehr lobe ich meinen Schöpfer.
Die ethischen Aspekte des Verwertungszusammenhangs von Bildung, von naturwissenschaftlichen Ergebnissen im Besonderen sind an einer Katholischen Schule kompetent zu thematisieren. Dies ist ja gerade eine der Möglichkeiten, wenn sich Lehrer, die sich als Christinnen und Christen verstehen, zu Lehrerkollegien an Katholischen Schulen zusammenschließen. Auch an Katholischen Schulen gibt es Divergenzen, Dissonanzen und Auseinandersetzungen. Aber dennoch habe ich immer ein erstaunlich hohes Maß an Konsens an solchen Schulen entdecken können.Katholische Schulen haben die Möglichkeit, religiös hoch begabte Menschen zu begleiten und diejenigen Schülerinnen und Schüler, die religiöse Vorbehalte und Zweifel haben, gerade auch in ihren Zweifeln ernst zu nehmen und sie darin spirituell zu begleiten.Katholische Schulen haben die Möglichkeit und den Auftrag, junge Menschen auch auf verantwortungsvolle Positionen in Politik, Wirtschaft und Medien vorzubereiten. Dies ist nicht vorschnell unter "elitär" abzuhaken, es gibt vielmehr eine Verantwortung dafür, dass junge Menschen Schritt für Schritt diese Bereiche als Gestaltungsmöglichkeit für die Zukunft dieser Welt als der Welt Gottes verstehen und wahrnehmen.Katholische Schulen haben die Möglichkeit, sich als Kommunikationsort für konfessionelle Kooperation, aber auch für den interreligiösen Dialog im Sinne von Verständigung und Zukunftsfähigkeit weltweiter Kommunikation zu verstehen und dies auch konkret durch Projekte, durch internationalen Austausch usw. zu realisieren. Den Anderen als anderen wahrzunehmen und dabei auch den religiösen und konfessionellen Unterschieden gerecht zu werden, gehört zu einem solchen Schulkonzept.8 Katholische Schulen sind Orte der Glaubenskommunikation zwischen den Generationen
Schülerinnen und Schüler mit ihren Eltern sind systemisch zu verstehen. Dies ist entwicklungspsychologisch für die verschiedenen Altersphasen nur verschieden zu buchstabieren. In den Kindheitsjahren realisieren sich Eltern-Kind-Schulprojekte anders als in der Pubertätsphase. Aber auch in der Pubertätsphase haben Schülerinnen und Schüler das Recht, ihre Eltern und Lehrer als Autoritätspersonen wahrzunehmen, in ihnen ein Gegenüber für die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu haben. Familienreligiosität und Schulpastoral ist für Katholische Schulen projektorientiert weiter zu bedenken. Dies kann über gemeinsame Projekte: Eltern-Schüler-Lehrer-Projekte im Blick auf Lateinamerika ebenso geschehen wie über Fußballfahrten, Arbeitsgemeinschaften zu religiösen Projekten, Pilger-Projekte wie Santiago de Compostella und Sozialprojekte vor Ort. Wir stehen in diesen Bereichen immer wieder neu am Anfang. Aber wenn man schulpädagogisch und religionspädagogisch weiterdenkt, dann sind die Grenzen zwischen Schule und Elternhaus durchlässiger zu machen. Schulpädagogisch wird heute zu Recht gefordert, den Sportunterricht auf Sportvereine hin, den Musikunterricht auf Musikvereine hin zu öffnen, warum öffnen sich Katholische Schule nicht konsequent auf ihre Ortsgemeinden hin und warum öffnen sich die Ortsgemeinden nicht konsequent auf die ihnen anvertrauten Katholischen Schulen hin? Dies kann über Liturgieprojekte, Meditationswochenenden, Gottesdienst-Mitgestaltungen, biblisches Musical, Bibeltheater und Schulchöre u. a. konkret Gestalt annehmen.BR
Literatur:
Biesinger, A., Strack, H-B. mit Beiträgen von Christoph Schmitt: Gott, der Urknall und das Leben, Was Glaube und Naturwissenschaft voneinander lernen können, München 1996, 221S.
Biesinger, A., Schmitt, Chr.: Gottesbeziehung, Freiburg i. Br. 1998, 327 S. Biesinger, A.: Kinder nicht um Gott betrügen, überarbeitete und erweiterte Neufassung, Freiburg i.Br. 112001, 158 S.
Biesinger, A., Bendel, H., (Hg.): Gottesbeziehung in der Familie, Ostfildern 2000, 376 S.
Anmerkungen:
1 H. Heine, Leserbrief in: CiG Nr. 3/99, 24. 2 K. Gabriel, Lth K, Bd. 7, 254. 3 Vgl. M. Rainer Lepsius: Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Wilhelm Abel (Hg.): Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Friederich Lütge. Stuttgart 1966, 371-393. Wiederabgedruckt in: Gerhard A. Ritter (Hg.): Deutsche Parteien vor 1918. Köln 1973, 56-80. 4 Günter Biemer hat gemeinsam mit Dietrich Benner bereits 1973 Schulentwicklung und Curriculumentwicklung unter theologische Kriterien gestellt : Sinn als vorausgesetzte Freiheit, Liebe als frei gesetzt sein zu solidarischem Handeln und Hoffnung als frei gesetzt sein über sich selbst und über den Tod hinaus. 5 Religionsunterricht als Themenzentrierte Interaktion, Ostfildern 2001. 6 Berlin 1995, 18. 7 ebd. 18. 8 H. v. Hentig, Ach, die Werte! Über eine Erziehung für das 21. Jahrhundert, München/Wien 1999, 51. 9 N. Postman, a.a. O. 20.28. F. Lott, a. a. O. Kap. 1.6, S. 33. 10 Schul- Intern 8/1995, Informationen für Lehrerinnen und Lehrer in Baden-Württemberg. Ministerium Kultus Jugend und Sport (Hrsg.), S. 2. 11 R. Miller, Beziehungsdidaktik, Weinheim 1997, 21 f. 12 R. Miller, ebd. 22. 13 G. Kleinschmidt, Neues Denken und Schulentwicklung, in: Erziehungswissenschaft und Beruf 1995/3, 243 14 ebd 243. 15 Vgl. dazu R. Miller ebd. 23. F. Lott, a.a. O. Kap. 1.6.2, S.36. G. Friedrich, Merkmale eines guten Unterrichts in: Eltern - journal 4/94, 9. 16 G. Friedrich, ebd. 9. 17 Vgl. A. Biesinger, Wie der Religionsunterricht Zukunft hat, Theologische Quartalschrift (ThQ) 179 (1999), 119-120. 18 G. Biemer, A. Biesinger (Hrsg.), Christ werden braucht Vorbilder, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz 1983. 19 W. Zifreund, ebd. 628. 20 Vgl. Grundzüge systematischer Pädagogik, Feiburg 31964, 18. 21 D. Benner, Hauptströmungen der Erziehungswissenschaft. Eine Systematik traditioneller und modernern Theorien, München 1973, 234. 22 A. Petzelt, Grundzüge systematischer Pädagogik, Feiburg i. Br. 31964,263. 23 D. Benner, ebd. 235. 24 D. Benner, ebd. 235. 25 D. Benner, ebd. 239. 26 D. Benner, ebd. 240. Vgl. den bildungskategorialen Ansatz von Franz Fischer und Josef Derbolav, der eine Vermittlung von szientifischem Wissen und Handlungssinn anstrebt. Vgl. J. Derbolav, Die Entwicklungskrise der deutschen Pädagogik und ihre wissenschaftspolitische Konsequenzen, Wuppertal-Ratingen-Düsseldorf 1970; ders., Frage und Anspruch. Pädagogische Studien und Analysen, Wuppertal-Ratingen-Düsseldorf 1970; ders., Systematische Perspektiven der Pädagogik, Heidelberg 1971. F. Fischer, Die Erziehung des Gewissens, in: Geist und Erziehung. Aus dem Gespräch zwischen Philosophie und Pädagogik, Bonn 1955, 147-188. F. Fischer, Darstellung der Bildungskategorien im System der Wissenschaften, hrsg. und eingeleitet von D. Benner und E. Schmied-Kowarzik, Ratingen 1975. 27 A. Petzelt, Grundzüge systematischer Pädagogik, ebd. 32. 28 M. Buber, Bildung und Weltanschauung, in: ders., Reden über Erziehung, Heidelberg 1953, 41-51. 29 Zur sozialen Dimension der Glaubensvermittlung. Eine religionspädagogische Zwischenbilanz, in: KatBl. 106 (1981) 122-131, 123. 30 ebd. 123. 31 A. Biesinger, Wie der Religionsunterricht Zukunft hat, a.a.O. 121.

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