| Pressemeldung | Nr. 019

Vorstellung des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens Querida Amazonia von Papst Franziskus durch den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx

Pressekonferenz am 12. Februar 2020 in Bonn

Die Exhortation Querida Amazonia („Geliebtes Amazonien“), die heute (12. Februar 2020) veröffentlicht wurde, ist eine lehramtliche Reflexion von Papst Franziskus auf die Sonderversammlung der Bischofssynode für die Amazonas-Region, die vom 6. bis 27. Oktober 2019 im Vatikan stattfand und an der ich teilnehmen konnte. Das Thema der Synode lautete „Amazonien – neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie“ und gibt die inhaltlichen Schwerpunkte des nun vorliegenden Apostolischen Schreibens vor. Dieses will das Schlussdokument der Synode weder ersetzen noch wiederholen. Keineswegs ist es mit der Veröffentlichung der Exhortation vom Tisch! Papst Franziskus spricht vielmehr davon, dass er mit dem Apostolischen Schreiben „das Schlussdokument offiziell vorstellen“ möchte, und lädt dazu ein, „es ganz zu lesen“ (3).

Die Exhortation bietet einen Reflexionsrahmen an, um „einer Zusammenschau einiger großer Anliegen konkret Gestalt zu geben“ (2). Querida Amazonia stellt vier Visionen in den Mittelpunkt, die sich an den vier Wegen zur Umkehr, welche im Schlussdokument der Synode aufgezeigt wurden, orientieren. So antwortet der Papst auf die Synode mit der Beschreibung einer sozialen, einer kulturellen, einer ökologischen und einer kirchlichen Vision.

1.    Im ersten Kapitel über die „soziale Vision“ zeigt Papst Franziskus die Ungerechtigkeiten und Verbrechen auf, unter denen die einfachen Menschen in Amazonien, vor allem die indigenen Völker, leiden. Die rücksichtlose Ausbeutung der Rohstoffe und die Gewalt gegen die, die sich nicht wehren können, müsse Ablehnung und Empörung hervorrufen. Die Kirche müsse „den Schrei der Völker Amazoniens“ (19) hören und prophetisch an ihrer Seite stehen, sie müsse solidarische Beziehungen fördern und sich entschieden gegen Korruption jeglicher Art einsetzen. Der Papst verdeutlicht mit dem Schreiben einmal mehr, dass Ökologie und Soziales untrennbar miteinander verbunden sind. Er weist, seine Enzyklika Laudato si’ zitierend, darauf hin, dass „ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde“ (8). In diesem Sinne müssen Wirtschafts-, Sozial-, Entwicklungs- und Umweltpolitik immer zusammengedacht werden.
In seiner Kritik an einer rein kapitalistisch orientierten Wirtschaftsweise beklagt der Papst vor allem Situationen, in denen es Staaten nicht gelingt, den nötigen Rahmen und die Leitplanken für die Wirtschaft vorzugeben (14, 24). Er benennt die Grundübel in Amazonien, die es zu bekämpfen gilt: die Ermordung von Indigenen, Bestechung, Menschenrechtsverletzungen, Sklaverei, Rauschgifthandel, Menschenhandel, Umweltverschmutzung und Zerstörung der Wälder. Der Staat ist ja vor allem in den entlegenen Regionen Amazoniens deutlich schwächer und abwesender, als wir uns das in Deutschland vielleicht vorstellen können. Häufig gilt dort das Gesetz des Stärkeren. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass die Vorstellungen eines starken Staates, der die Regeln setzt, mit handlungsfähigen Institutionen deren Einhaltung überwacht und für Gerechtigkeit sorgt, auch bei uns aktuell und relevant sind. Es braucht starke und vertrauenswürdige Institutionen im Staat und in der Zivilgesellschaft, gerade in der heutigen Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger Ängste und Verunsicherung verspüren. Franziskus betont weiterhin die Bedeutung des Dialogs, wenn er zu einem sozialen Dialog über Amazonien aufruft, bei dem „die Geringsten“ die Hauptgesprächspartner sind (26). Mit ihnen soll die große Frage beraten werden, was unter einem „buen vivir“, einem „guten Leben“ zu verstehen ist.

2.    Das zweite Kapitel skizziert eine „kulturelle Vision“, die der kulturellen und menschlichen Vielfalt Amazoniens eine besondere Bedeutung beimisst, statt sie einer „postmodernen Kolonialisierung“ (29) zu unterwerfen. Der Papst wirbt für eine Wertschätzung und differenzierte Wahrnehmung der in den Kulturen Amazoniens vorhandenen Weisheiten, die „mit externen Denkmustern schwer zu verstehen“ seien (31). Er würdigt die Bemühungen, die kulturellen Identitäten zu wahren und den interkulturellen Austausch zu fördern. Angesichts einer globalisierten und in Amazonien vorrangig an Rohstoffausbeutung interessierten Wirtschaft sei die kulturelle Vielfalt massiv bedroht. Auch die Massenmedien ignorierten die lokalen Gegebenheiten Amazoniens und trügen nur zur Verbreitung westlicher Konsummuster bei. Der Papst zählt in diesem Zusammenhang auch die Schattenseiten des westlichen Lebensstils auf, zu denen er unter anderem unser Konsumverhalten, den Individualismus, Diskriminierung und Ungleichheit zählt (36).

3.    Das dritte Kapitel widmet sich einer „ökologischen Vision“, die davon ausgeht, dass die Sorge um die Menschen untrennbar mit der Sorge um die Ökosysteme verbunden ist. Es gelte, so Franziskus, sich von einer Übermacht technokratischer und konsumistischer Paradigmen zu befreien, und das Ökosystem Amazonien gegen rein wirtschaftliche Interessen zu verteidigen. Der Papst beschreibt in seiner Vision die lebenspendende Kraft des Wassers (43 ff.) und die unermessliche Schönheit der Biodiversität (46 ff.). Das Ökosystem werde massiv bedroht, daher ruft der Papst dazu auf, „sorgsam und respektvoll mit der Schöpfung zu leben, im klaren Bewusstsein ihrer Grenzen, das jeden Missbrauch verbietet“ (42). Franziskus sieht Amazonien gewissermaßen als Kristallisationspunkt der globalen Bemühungen um den Schutz der Umwelt, des Klimas und der Artenvielfalt, wenn er sagt: „Das Gleichgewicht des Planeten hängt auch von der Gesundheit Amazoniens ab“ (48). Unter vielfältiger Bezugnahme auf lateinamerikanische, teils kontemplative Poesie und Literatur ruft er dazu auf, die Schönheit der Natur neu zu entdecken und deren Bedeutung für den Menschen zu schätzen. So sei „der Hilfeschrei Amazoniens an den Schöpfer ebenso stürmisch wie der Hilfeschrei des Gottesvolkes in Ägypten“ (52). Der Papst wirbt für einen neuen Lebensstil, der „weniger unersättlich ist, ruhiger, respektvoller, weniger ängstlich besorgt und brüderlicher ist“ (58). Damit spricht er auch zu den Gläubigen und allen Menschen hier bei uns in Deutschland.

4.    Das vierte Kapitel widmet der Papst einer Vision von Kirche. Es ist ein Aufruf zu einer missionarischen, inkulturierten und engagierten „Kirche mit einem amazonischen Gesicht“ (61 ff.) Die weitergehende Inkulturation der Liturgie (81 ff.), der kirchlichen Organisationsformen und der Ämter (85 ff.) ist ein großes Anliegen des Papstes. Der kirchliche Dienst müsse so gestaltet werden, „dass er einer größeren Häufigkeit der Eucharistiefeier dient, auch bei den Gemeinschaften, die ganz entlegen und verborgen sind“ (86). Das Priesteramt sei in der Weltkirche „nicht monolithisch und nimmt an verschiedenen Orten der Erde unterschiedliche Ausformungen an“ (87). Es müsse, so der Papst, ein Weg gefunden werden, um diesen priesterlichen Dienst auch in abgelegeneren Gebieten zu gewährleisten (89). Zugleich hebt er darauf ab, dass es nicht nur um geweihte Amtsträger gehen kann, wenn neues Leben in den Gemeinden entstehen soll. Vielmehr müssten Priester, Diakone, Ordensleute und Laien gemeinsam „Verantwortung für das Wachstum der Gemeinschaften übernehmen“ (92 f.). Ausdrücklich nennt der Papst hier auch die „mit entsprechenden Vollmachten ausgestatteten Laien-Gemeindeleiter“ (94). Eine kirchliche Präsenz in der Fläche Amazonien setze voraus, dass „die Laien eine wirksame zentrale Rolle innehaben“ (94). Auch regt er „das Entstehen anderer spezifisch weiblicher Dienste und Charismen“ (102) an, ohne dabei konkret zu werden. Zugleich warnt Franziskus vor einer Diskussion über eine Weihe von Frauen, die auf deren „Klerikalisierung“ hinlenkt (100). Das schließt aber nicht aus, „dass Frauen einen echten und effektiven Einfluss in der Organisation, bei den wichtigsten Entscheidungen und bei der Leitung von Gemeinschaften haben“ (103). Sich der Grenzen des bisher Gesagten bewusst, erinnert der Papst an den hebräischen Ursprung des Glaubens und dessen Übergang in die griechisch-römischen Kulturen. Er resümiert: „Ähnlich fordert uns Amazonien in diesem Moment der Geschichte heraus, begrenzte Perspektiven und pragmatische Lösungen, die bei Teilaspekten der großen Herausforderungen stehen bleiben, zu überwinden, um nach breiter angelegten und kühneren Wegen der Inkulturation zu suchen“ (105). Er schließt mit einem Appell für ein ökumenisches und interreligiöses Zusammenleben.

Der postsynodale Rat, der über die Umsetzung der Ergebnisse der Amazonien-Synode wachen soll, besteht aus 16 Mitgliedern. Sie wurden am Ende der Synode gewählt. Unter ihnen finden sich der emeritierte Bischof von Xingu, Erwin Kräutler, sowie der brasilianische Kardinal Cláudio Hummes, der Präsident des kirchlichen Panamazonien-Netzwerks REPAM ist. Drei Laien aus der Region hatte Papst Franziskus im Nachhinein in diesen Rat berufen. Wer mit dem Nachsynodalen Schreiben von Papst Franziskus konkrete Entscheidungen und Handlungsanweisungen erwartet hat, wird sie in dieser Exhortation nicht finden. Stattdessen hat der Papst eine weltkirchlich relevante, vom päpstlichen Lehramt getragene Rezeption der Synode und deren Schlussdokument vorgenommen. Wie bekannt, sprach sich im Abschlussdokument zur Synode die 2/3-Mehrheit der 280 Synodalen auch für Ausnahmen vom Pflichtzölibat aus und regte ein weiteres Nachdenken über die Zulassung von Frauen zum Diakonat an. Vor dem Hintergrund der hierzulande diskutierten Reformvorschläge fanden diese Themen in der kirchlichen und öffentlichen Aufmerksamkeit einen besonderen Widerhall, es waren aber nicht die Hauptthemen der Synode. Entsprechend geht auch das Nachsynodale Schreiben nicht direkt auf diese Fragen ein, sondern ermutigt, das Priesteramt weiter zu entwickeln und so die regelmäßige Feier der Eucharistie zu ermöglichen (85ff.). Diese Diskussion wird weitergehen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die vielen Aspekte des neuen Dokumentes wichtige Impulse für die Arbeit der Kirche mit Blick auf soziale und ökologische Fragen bieten und so gut an die Enzyklika Laudato si’ von 2015 anschließen. Die Fragen der „kirchlichen Vision“ werden gut, auch für die Situation bei uns in Deutschland, studiert werden müssen. Ich sehe nicht, dass eine Diskussion abgeschlossen ist. Wir werden bei der anstehenden Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Mainz über diesen Text und dessen Bedeutung für die Kirche in Deutschland, aber auch die Weltkirche, beraten. Sicherlich werden auch Punkte in die entsprechenden Foren des Synodalen Weges mit einfließen.


Hinweise:

Eine Datei der deutschsprachigen Fassung des Nachsynodalen Apostolischen Schreibens Querida Amazonia ist unter www.vatican.va verfügbar. Mehr Informationen zur Bischofssynode sind auf der Themenseite „Amazonassynode 2019“ zu finden.

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