| Pressemeldung | Nr. 016
Bischof Meier zum Tag der Geschwisterlichkeit
Aus Anlass des Internationalen Tages der Geschwisterlichkeit aller Menschen erklärt der Vorsitzende der Kommission Weltkirche und der Unterkommission für den Interreligiösen Dialog der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Bertram Meier (Augsburg):
„‚Die Religionen im Dienst an der Geschwisterlichkeit‘ – so beschreibt Papst Franziskus in der Enzyklika Fratelli tutti die Aufgabe gläubiger Menschen im Angesicht von Hass und Gewalt. Der Papst ist überzeugt, dass zwischen den Religionen ein Weg des Friedens möglich ist. Um einen solchen Weg gemeinsam beschreiten zu können, kommt es darauf an, die Mitmenschen mit dem ‚Blick Gottes‘ zu sehen (vgl. FT 281). Denn ‚Gottes Liebe ist für jeden Menschen gleich‘, unabhängig von Religion und Weltanschauung. Damit erinnert der Papst daran, dass wir als Kinder Gottes alle geschwisterlich miteinander verbunden sind – mit ‚gleicher Würde geschaffen‘.
Papst Franziskus nimmt dabei eine Formulierung aus dem christlich-muslimischen Dokument von Abu Dhabi auf, das er am 4. Februar 2019 bei einer Begegnung mit Großimam Ahmad al-Tayyib unterzeichnet hat. Diese Erklärung kann auch heute noch als Meilenstein des interreligiösen Dialogs gelten: Erstmals haben ein Oberhaupt der katholischen Kirche und eine namhafte muslimische Autorität in einem gemeinsamen Konsensdokument festgehalten, dass jeder Mensch Anspruch auf ‚Bekenntnis-, Gedanken-, Meinungs- und Handlungsfreiheit‘ hat. Nicht Diskriminierung und Gewalt, sondern eine Kultur der Toleranz und des Friedens ist daher die Leitschnur für das Handeln gläubiger Menschen.
Von Abu Dhabi 2019 lässt sich eine direkte Linie zu Jakarta 2024 ziehen: Auch hier ist der Papst mit einem hochrangigen muslimischen Repräsentanten zusammengekommen, auch hier wurde eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet. Sehr eindringlich rufen Papst Franziskus und Großimam Nasaruddin Umar in der Gemeinsamen Erklärung von Istiqlal dazu auf, zwei große Herausforderungen unserer Zeit anzugehen: ‚das globale Phänomen der Entmenschlichung‘, das sich in gewaltsamen Konflikten und Verletzungen der Menschenwürde niederschlägt, sowie den menschengemachten Klimawandel, der ‚zu zerstörerischen Folgen wie Naturkatastrophen, globaler Erwärmung und unvorhersehbaren Wetterbedingungen führt‘. Damit diese beiden Großkrisen überwunden werden können, bedarf es einer gelebten Kultur der geschwisterlichen Solidarität.
Die Orientierungen, die in Abu Dhabi und Jakarta für die gemeinsame Verantwortung von Christen, Muslimen und allen Menschen guten Willens formuliert wurden, haben einen hohen normativen Wert. Und doch wissen wir: In der Praxis ist es immer wieder beschwerlich, wirklich zu einem guten Miteinander zu finden. In letzter Zeit mussten wir viel zu oft erleben, dass Religionen instrumentalisiert werden und radikale Strömungen im Aufwind sind. Umso wichtiger ist es, jene Initiativen zu würdigen und zu stärken, die schon heute von der Kraft der Versöhnung zwischen den Religionsgemeinschaften zeugen. Dass es hier – gerade auch unter schwierigen Rahmenbedingungen – beeindruckendes Engagement gibt, durfte ich erst vor Kurzem auch auf meiner Reise nach Nigeria erleben.
Besonders bewegend war für mich der Besuch einer kleinen Ortschaft im Plateau State, die an Weihnachten 2023 von brutalen Angriffen betroffen war. Eine Initiative aus Muslimen und Christen, Frauen und Männern gleichermaßen, hat sich dort gegründet, um wieder ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen. Mit sozialen Projekten und regelmäßigen Gesprächsforen versuchen sie, die Menschen zusammenzubringen und Spannungen abzubauen. Der Dialog, den die Frauen und Männer damit in Gang bringen, ist ein Dialog mitten im Alltag. So wird ein großartiges Zeichen der Hoffnung auf ein friedliches Miteinander in dieser von Konflikten und Gewalt gebeutelten Region gesetzt.
Für alle, die sich um ein friedliches Miteinander der Religionen bemühen, möchte ich mit den Worten von Papst Franziskus beten: ‚Gieße den Geist der Geschwisterlichkeit in unsere Herzen ein. Wecke in uns den Wunsch nach einer neuen Art der Begegnung, nach Dialog, Gerechtigkeit und Frieden.‘“
Hintergrund
Während seiner Apostolischen Reise in die Vereinigten Arabischen Emirate ist Papst Franziskus am 4. Februar 2019 mit dem Scheich der ägyptischen Al-Azhar, Großimam Ahmad al-Tayyib, zusammengetroffen, der vielen als höchste Autorität des sunnitischen Islam gilt. Bei ihrer Begegnung unterzeichneten der Papst und der Großimam das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt, das auch unter dem Namen Abu-Dhabi-Dokument bekannt geworden ist. Aufgrund eines Beschlusses der Generalversammlung der Vereinten Nationen wird der 4. Februar seit 2021 jedes Jahr als Internationaler Tag der Geschwisterlichkeit aller Menschen begangen. Die Begegnung zwischen Papst Franziskus und dem indonesischen Großimam Nasaruddin Umar fand am 5. September 2024 in Jakarta statt. Dabei verständigten sich der Papst und der Großimam auf eine Erklärung über die „Förderung des Einklangs der Religionen zum Wohl der Menschheit“, die sogenannte Gemeinsame Erklärung von Istiqlal.