| Pressemeldung | Nr. 058
Predigt von Bischof Bätzing an Karfreitag
Beim Lesen der Johannes-Passion in drei Sprechrollen wird mir bewusst: Die Partien in diesem Drama sind ungleich verteilt. Der Evangelist hat wahrlich viel zu sagen. Bis ins kleinste Detail hinein zeichnet er in dieser zentralen Erzählung nach, worauf sein Evangelium letztlich hinausläuft. Passion und Auferstehung Jesu Christi konzentrieren die ganze Botschaft so sehr, dass der Apostel Paulus sogar überzeugt ist, seine ganze Verkündigung im Grunde darauf beschränken zu können: „Denn vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf“ (1 Kor 15,3–5). Das – so Paulus – sei das Evangelium, das er verkündet habe, und durch dieses Evangelium würden wir gerettet.
Wem in der Liturgie die Aufgabe zukommt, die Worte sonstiger Personen vorzutragen, muss gehörig aufpassen, denn er oder sie leiht vielen unterschiedlichen Beteiligten die Stimme. Zu Wort kommen römische Soldaten und Gerichtsdiener, die Pförtnerin am Hoftor, Knechte am Kohlenfeuer, Petrus, ein Diener des Hohepriesters, Pilatus, die Juden und die Hohepriester der Juden.
Die dritte Sprechrolle ist im Lektionar jeweils mit einem Kreuz gekennzeichnet. Hier spricht Jesus selbst. Es sind wenige Stellen und in aller Regel sehr knappe Sentenzen, klar in der Aussage, aber geradezu karg in den Worten. Der, der in seinem Leben so unglaublich werbend zu den Menschen von Gott sprechen konnte; der in seinen Gleichnissen Sprachbilder kreiert hat, die weit über die Grenzen unserer Glaubensgemeinschaft hinaus bis heute im Gedächtnis vieler Menschen lebendig sind; er, der in bester schriftgelehrter Manier mit Anhängern und Gegnern zu argumentieren verstand, dessen Worte heilen, aufrichten, ins Gewissen reden, mahnend, drohend und voll von Zuversicht und Verheißung klingen konnten; der, der so sehr mit dem Wort seiner Verkündigung identisch war, dass ihn der Autor des Johannesevangeliums „den Logos“ nennt, das Wort selbst, mit dem die göttliche Weisheit sich selbst bezeugt, alles ins Leben ruft und ihm Sinn verleiht – dieser Jesus spricht in seiner Passion offenbar nur mehr das Nötigste, manchmal scheint er um eine Antwort zu ringen. Worte wie kostbare Perlen erscheinen auf dem Grund der Passion, die dem Leidenden ja gerade jede Aktivität zu nehmen, jede Gestaltungsmöglichkeit abzusprechen versucht. Und in seinen wenigen letzten Worten macht Jesus deutlich, wer in all dem hastigen Treiben seine Souveränität bewahrt: Er bleibt der Herr – auch der Geschichte seines Leidens. Und es kommt mir vor, als kehrten in diesen letzten Stunden die vielen Worte des Gotteswerbens seiner Wanderjahre wieder zurück in das eine kraftvolle Schöpfungswort vom Anfang, durch das alles und alle ins Dasein gerufen wurden. Der göttliche Logos findet sich selbst und zu sich selbst.
Die sprachmächtige Dichterin und Schweizer Benediktinerin Silja Walter (1919–2011) hat das innerste Wesen Jesu mit folgenden Worten hymnisch beschrieben:
Du Wort, das der Vater spricht,
behältst deine Gottheit nicht
als Beute und Raub,
du springst in den Staub:
Du Leben, du Licht
wirst Mensch, der zerbricht,
da fließen die lebenspendenden Wasser
des Heils.
Herr, gib uns zu trinken davon.
Dein Wort ist nicht irgendein Ton.
Es dringt in uns ein
wie Feuer, wie Wein:
Wer glaubt, der hat schon
das Leben im Sohn,
dem Urquell der lebenspendenden Wasser
des Heils.
Das göttliche Wort – und wir. Durchdringender Ton – durchfährt uns. Wahrheit – geistvoll treffsicher und lebenspendend wie eine Quelle frischen Wassers, das bedeutet doch: Wenn Jesus spricht, dann führt er kein Selbstgespräch. Wir sind angesprochen und gemeint. Auch, ja gerade seine letzten Worte meinen uns und sind uns testamentarisch zugeeignet. Lassen wir ihn noch einmal zu uns sprechen:
„Wen sucht ihr?“ – Ein Lockruf gegen die Selbstzufriedenheit in wahrlich beunruhigenden Zeiten. Der Herr fragt, wonach und wohin wir uns innerlich ausrichten; was uns Orientierung gibt, wem wir trauen und vertrauen und wer uns in allen Unwägbarkeiten des Lebens letzten Endes Halt gibt. Ein Lockruf fürs menschliche Herz, das – nach den Worten des heiligen Augustinus – unruhig ist, bis es Ruhe findet in DIR.
„Steck dein Schwert in die Scheide“ und: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt“ – gegen das verführerische Missverständnis, Gottes Reich der Gerechtigkeit und des Friedens ließe sich unter den Bedingungen dieser Welt mit Macht und Gewalt, mit arglistiger Berechnung oder kühler Strategie herbeiführen. Es wird nicht gelingen. Im Gegenteil: Wer im Namen des Glaubens nach Menschen greift und deren Würde und Freiheit antastet, missbraucht Gottes heiligen Willen.
„Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ – Wir haben die Wahrheit nicht gepachtet, nicht angesichts politischer Einschätzungen, religiöser Überzeugungen oder weltanschaulicher Positionen. Wahrheit öffnet sich den Suchenden, den Nachdenklichen, Hörbereiten, Aufmerksamen. Und wenn es einen Lehrer der Wahrheit gibt, dann ist es Gottes ureigenes Wort, zu uns ins Leben gekommen in Jesus und seinem Evangelium.
„Warum fragst du mich? Frag doch die, die gehört haben, was ich zu ihnen gesagt habe.“ – Wir sind gefragt. Es liegt auch an uns, ob die Gottesrede in unserer Zeit hörbar bleibt oder unter dem Druck der Säkularität verstummt; ob der Himmel offen bleibt für die Kinder nachfolgender Generationen oder ob er sich mehr und mehr schließt, weil wir ja selber vorleben, dass wir ohne ihn ohnehin genug Erfüllung finden. Wie sorgsam gehen wir eigentlich mit denen um, die ihre existenziellen Fragen stellen als Anfragen an uns? Rede und Antwort stehen für die Hoffnung, die uns erfüllt. Heute können wir die Kirche der Zukunft gründen helfen.
„Frau, siehe dein Sohn.“ Und zum Jünger: „Siehe, deine Mutter.“ – Das gilt auch uns hier unter dem Kreuz. Haben Sie den Mut, sich jetzt einmal umzuschauen, einander anzuschauen: Siehe! Wir gehören zusammen. Wir sind einander anvertraut. Wir sind verantwortlich – auch für die Seele der anderen. Weil die Kraft dazu von Jesus kommt, ist es keine Überforderung. Wer glaubt, ist nie allein.
„Mich dürstet.“ – Das ist Ausdruck der unstillbaren Sehnsucht Jesu. Er will Menschen mit Gott verbinden, mit der Quelle des Lebens. Weil er zuletzt dieses Wort gesprochen, diese Sehnsucht ausgesprochen hat, darum will ich glauben, dass er auch mich meint, dass er für mich betet, für mich gelitten und bis zuletzt auf Gott vertraut hat. In seiner großen Liebe meint der Herr auch mich und zwar mit einer Leidenschaft, wie sie zutreffend nur mit Durst verglichen werden kann.
„Es ist vollbracht!“ – Das klingt wie eine Genugtuung nach übermäßiger Anstrengung. Der Herr hat seine Mission erfüllt, sie durchgetragen und zu einem guten Ende gebracht. Mich erinnert das letzte Wort Jesu daran, dass wir Christinnen und Christen kein Anrecht haben auf angenehme Glaubensbedingungen. Wer an Jesus Christus glaubt, bezahlt einen Preis: Vielen unserer Geschwister weltweit wird er abverlangt. Womöglich lockt uns gerade in der letzten Zeit der Ruf des Herrn heraus aus der Komfortzone. Wir haben eine Mission. Darf der Herr auf mich zählen?
Du Wort des Herrn bist ein Schwert,
das Sehne und Mark durchfährt
und Wahrheit heißt
und Macht ist und Geist,
das ewig währt
und uns verklärt
in der Kraft der lebenspendenden Wasser
des Heils.
Lesungen: Jes 52–53; Hebr 4–5
Evangelium: Joh 18,1–19,42
Hinweis:
Die Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing in der Karfreitagsliturgie ist untenstehend auch als PDF-Datei verfügbar.
