| Pressemeldung | Nr. PRD99-072

„Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts"

Statement von Bischof Prof. Dr. Dr. Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, zur Vorstellung der Publikation

hrsg. von Helmut Moll im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz – 2 Bände – (Paderborn u.a. 1999) am 18. November 1999

Papst Johannes Paul II. hatte eine zündende Idee, als er im Apostolischen Schreiben Tertio millennio adveniente vom 10. November 1994 – also vor genau 5 Jahren – die Ortskirchen aufrief, alle Männer und Frauen dem Vergessen zu entreißen, die um des christlichen Glaubens willen verfolgt und gewaltsam getötet worden sind. Im Kapitel über die „unmittelbare Vorbereitung“ des Jubiläumsjahres 2000 heißt es: „In unserem Jahrhundert sind die Martyrer zurückgekehrt, häufig unbekannt, gleichsam ,unbekannt Soldaten' der großen Sache Gottes. Soweit als möglich dürfen ihre Zeugnisse in der Kirche nicht verlorengehen. Wie beim Konsistorium empfohlen wurde, muss von den Ortskirchen alles unternommen werden, um durch das Anlegen der notwendigen Dokumentation nicht die Erinnerung zu verlieren an diejenigen, die das Martyrium erlitten haben.“ (Nr. 37)

Die Aufarbeitung der Vergangenheit unter den Bedingungen unserer Erinnerungsmöglichkeiten korreliert mit der Erschütterung der Denktradition seit der Shoa, insofern Vergangenheit nur fragmentarisch wahrgenommen werden kann. Sowohl die Sinnzerstörung als auch die Verweigerung des Sich-Erinnerns untermauern dies. Die durch die realisierte Sinnlosigkeit ausgelösten Verwerfungen, vor allem durch die Ideologien des Nationalsozialismus und des Kommunismus, dürfen nicht verharmlosend und bloß durch Rituale, denen keine Konsequenzen folgen, vergegenwärtigt werden. Wir dürfen uns ebenso wenig aus unserer Verantwortung stehlen und die menschliche Leidensgeschichte verschleiern, sondern durch eine geläuterte Vernunft und eine erneuerte „Diakonie“, der heutigen Caritas, dem oft geforderten Schluss-Strich entgegenwirken. Während des diesjährigen weltweiten Tags der Vereinten Nationen sprach UNO-Generalsekretär Kofi Annan die bedrückende Tatsache aus: „Das 20. Jahrhundert war das mörderischste Zeitalter der menschlichen Geschichte.“ Oder auf einer anderen Ebene mit den Worten Johannes Pauls II.: „Am Ende des zweiten Jahrtausends ist die Kirche erneut zur Martyrerkirche geworden. Die Verfolgung von Gläubigen – Priestern, Ordensleuten und Laien – hat in verschiedenen Teilen der Welt eine reiche Saat von Martyrern bewirkt“ (Nr. 37).

Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich das Anliegen des Heiligen Vaters ohne Zögern zu Eigen gemacht. Die im Auftrag des Vorsitzenden der Liturgie-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, Joachim Kardinal Meisner, zu leistende Arbeit fand bei den 27 Diözesanbeauftragten, bei den zehn Beauftragten der Visitatoren sowie bei den Provinzialaten der männlichen und weiblichen Ordensgemeinschaften regen Anklang. In knapp vier Jahren, die bis zum Heiligen Jahr 2000 noch blieben, konnte der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Prälat Dr. Helmut Moll, auch dank der Hilfe von mehr als 135 Fachleuten das deutsche Blutzeugenverzeichnis erstellen. Bereits der Einführungsband „Die katholischen deutschen Martyrer des 20. Jahrhunderts. Ein Verzeichnis“ (Paderborn u. a., 1999), den der Verlag Ferdinand Schöningh im vergangenen Juni ausgeliefert hat, enthält eine Zusammenstellung der über 700 Männer und Frauen, die nach den bis heute geltenden Kriterien des späteren Papstes Benedikt XIV. (1740–1758) unter Einschluss der im Pontifikat Pauls VI. vorgenommenen Erweiterungen als Martyrer ausgewiesen worden sind; verschieden nach Herkunft und Geschlecht, nach Stand und Stellung, nach Beruf und Bildung, nach der Zeit, in der sie lebten und nach der Sprache, die sie erlernten, aber verbunden durch den einen Glauben und das gemeinsame Opfer ihres Lebens. Entsprechend dem Hinweis Johannes Pauls II. auf den „Ökumenismus der Martyrer" und dem „ökumenisch beredten Zug“ (Nr. 37), den das Martyrologium haben soll, werden die nichtkatholischen Christen namentlich erwähnt und ihr Zeugnis ausdrücklich gewürdigt, sofern sie in ökumenischen Gruppen tätig waren. Das jetzt vorliegende zweibändige Hauptwerk „Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ stellt alle 700 Personen in biographischen Artikeln von bis zu fünf Seiten vor, dazu – soweit vorhanden – mit einem Porträtfoto ausgestattet und mit einem Werk-, Quellen- und Literaturverzeichnis versehen. Es sind demnach viel mehr leidgeprüfte Menschen, die für die Wahrheit des Glaubens den gewaltsamen Tod erlitten haben, als wir zunächst vermutet haben, ohne dass hier der Anspruch erhoben wird, ausnahmslos alle wirklich erfasst zu haben.

Das deutsche Martyrologium besteht aus vier Kategorien:

1. Größenwahn und Ideologie von Blut und Boden, Machthunger und verbrecherische Menschenverachtung prägten die Zeit des Nationalsozialismus. Die versteckten Angriffe nicht nur auf die katholische Kirche sowie die Aushöhlung des am 20. Juli 1933 geschlossenen Konkordats zwischen der deutschen Reichsregierung und dem Heiligen Stuhl provozierten eine Auseinandersetzung mit dieser Terrorherrschaft. Millionen wurden geschunden und gequält, getötet und ermordet. Soldaten wurden in kaum lösbare Gewissenskonflikte gestürzt und in die Untaten des Zweiten Weltkriegs und der Gewalt verstrickt. Gleichwohl wuchs die Zahl derjenigen, die sich über Hitlers Verbrechen empörten, von Jahr zu Jahr. Auch aus Gründen des Glaubens schlossen sich Menschen zusammen, um als „Zeugen für Christus" zu widerstehen. 170 Priester aus deutschen Bistümern und den Jurisdiktionsbereichen der Visitatoren starben – häufig in Konzentrationslagern, Zuchthäusern und Gefängnissen –, dazu 58 Ordensmänner aus 23 Orden bzw. Kongregationen, vier Ordensfrauen, zwei Mitglieder von Instituten des geweihten Lebens sowie 120 Laien, 106 Männer und 14 Frauen. Das Ehepaar Kreulich aus Essen ging gemeinsam in den blutigen Tod. Während die Priester in der Regel gut erforscht sind, betritt das „deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ bei den Laien weithin historisches Neuland.

2. Die chronologisch weiträumiger gefasste Kategorie der Blutzeugen aus der Zeit des Kommunismus darf ebenso wenig dem Vergessen anheim fallen. Nach der Oktoberrevolution 1917 in Rußland kam es auf Grund der Trennung von Staat und Kirche zu einer fortschreitenden Auflösung der Institution der römisch-katholischen Kirche. Unter Stalin, seit 1927 Diktator der Sowjetunion, mussten viele Menschen ihr Leben einbüßen. Zwei rußlanddeutsche Bischöfe und über 70 Priester starben um ihres Glaubens willen in den dreißiger Jahren eines gewaltsamen Todes. Darüber hinaus wurden über 30 Donauschwaben – Bischöfe, Priester und Laien –, die unter dem kommunistischen Staatspräsidenten Tito oft grausam ermordet worden waren, in das Martyrologium aufgenommen.

3. Die Kategorie der Reinheitsmartyrien stellt 61 schutzlose weibliche Jugendliche, Ordensschwestern und Frauen vor allem aus den Ostgebieten vor, die in der Kraft des Glaubens ihren unsittlichen Angreifern die Stirn geboten haben, dabei aber tödlich verletzt wurden. Weitere 12 männliche und zwei weibliche Beschützer der bedrohten Frauen bilden ein bisher wenig beachtetes Phänomen. Indem sie sich den Rotarmisten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs unerschrocken widersetzten, um Schutzbefohlenen das Leben zu retten, wurden sie zu Opfern blutiger Rache.

4. Die Blutzeugen aus den Missionsgebieten thematisieren den Zusammenhang von Mission und Martyrium. In unserem Jahrhundert zogen Tausende in verschiedene Länder aller Kontinente, um das Evangelium Jesu Christi unter den Bedingungen ihrer Zeit zu verkündigen. Nicht wenige von ihnen mussten dabei bestehende Animositäten der Stammesreligionen aus dem Weg räumen oder ideologischen Machenschaften trotzen. Allein 116 Patres und Brüder, 60 Ordensfrauen sowie die Missionsärztin Johanna Decker aus Nürnberg gaben - in China, Nordkorea, Papua-Neuguinea, auf den Philippinen, in der Demokratischen Republik Kongo, in Simbabwe, Namibia und Brasilien – ihr Leben für die einmal erkannte Wahrheit.

Unter Aufbietung aller noch erreichbarer Zeitzeugen, die der Untersuchung sämtlicher noch vorhandener Quellen, die wichtige Lebensdaten bargen, ist der Herausgeber des vorliegenden deutschen Martyrologiums zusammen mit den mit ihm zusammenarbeitenden Fachleuten allen Wegen nachgegangen, um die Martyrer des 20. Jahrhunderts dem Vergessen zu entreißen. Unter dieser Rücksicht kann im Blick auf das fast 1.400 Seiten starke Werk von einer Forschungs- und gewiss auch Pionierarbeit gesprochen werden, weil hier eine große Zahl von Martyrern aus allen vier Kategorien zum ersten Mal biographisch erfasst worden ist.

Die deutschen Bischöfe danken dem Herausgeber, Prälat Dr. Helmut Moll, Köln, mit allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die unermessliche Arbeit an diesem Werk, die sorgfältige Überprüfung, die gute Zusammenarbeit mit vielen Fachleuten, die Zuverlässigkeit in der Planung und die kirchliche Gesinnung. Dem Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, danke ich nicht nur für die Freistellung von Herrn Prälat Dr. Moll für diese Aufgabe, sondern auch für die konkrete Verantwortung, die er als Vorsitzender der Liturgischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz für dieses Projekt übernommen hat.

Indem ich dem Werk eine fruchtbare und segensreiche Aufnahme wünsche, freue ich mich, dieses gelungene Werk dem Heiligen Vater in Namen der Deutschen Bischofskonferenz überreichen zu können, in dessen Auftrag es erarbeitet wurde.

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