Empfehlungsliste 2025

Die Jury des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises der Deutschen Bischofskonferenz empfiehlt neben dem Preisbuch außerdem 14 weitere Titel, die auf herausragende Weise Kindern und Jugendlichen wertvolle, gesellschaftlich relevante, gemeinschaftsstiftende und vor allem religiöse Themen näherbringen können. Die literarische Tiefe und die altersgerechten Illustrationen heben diese Werke hervor und ermöglichen, mit Kindern und Jugendlichen über ihren Alltag, Freundschaft, Familie, Krisen, Träume und Hoffnungen oder die Zukunft ins Gespräch zu kommen und sie damit zugleich in ihren Lebensvollzügen ernst zu nehmen. Die ausgewählten Bücher eignen sich besonders für literaturpädagogische Tätigkeiten im gesamten Spektrum der Literaturvermittlung und Medienbildung in Kindergärten, Schulen, Pfarrgemeinden und Bibliotheken.

Kim Fupz Aakeson, Stian Hole: Dinge, die verschwinden

Carl Hanser Verlag, München 2024
ISBN 978-3-446-27926-1, 32 Seiten, € 16,00
ab 6 Jahren

 

Axels bester Freund Bosse ist mit seiner Familie umgezogen – sozusagen ans andere Ende der Welt: nach Australien. Axel vermisst ihn sehr, gerade weil Bosse so ein schräger Vogel war, der ihn zum Lachen gebracht hat und mit dem er alles teilen konnte. Jetzt steht das Haus leer, in dem Bosse gewohnt hat, und weil Axel immer wieder daran vorbeikommt, beginnt er, tiefer über Dinge und Menschen nachzudenken, die verschwinden. Entlang der Freundschaftsgeschichte zwischen Bosse und Axel fächert die komplexe Bilderbuchgeschichte die Varianten von Leere und Verlust auf. Miteinbezogen werden kindliche Fragen an Erwachsene und deren Erfahrungen mit Trennungen, dem Älterwerden, dem Tod, der Trauer.

Stian Hole lässt in seinen schrägen und detailverliebten, oft auch irritierenden und herausfordernden Bildern mithilfe einer unendlichen Fülle an Requisiten und Details Leerräume entstehen, die aber auch zeigen, wie leer sich der Ich-Erzähler innerlich trotz einer mit tausend Dingen angefüllten Wirklichkeit fühlt. Am Ende wird deutlich, dass das Ich ein Du braucht, um ein gemeinsames Ganzes sein zu können. Und dass man vielleicht nicht immer nur etwas verliert, sondern auch jemand Neues finden kann.

Andrej Bulbenko, Marta Kajdanowskaja: Elektrizität und Himmelsfische

dtv Reihe Hanser, München 2024
ISBN 978-3-423-64119-7, 192 Seiten, € 18,00
ab 14 Jahren

 

Das Buch ist eine Collage aus Eindrücken und Erlebnissen der 14-jährigen Protagonistin Marzia und ihrer Familie auf der Flucht, notiert auf der Rückseite einzelner Blätter einer in krudes Deutsch übersetzten chinesischen Bauanleitung. Diese hat Marzia in einen Umschlag gesteckt und dem Co-Autor übergeben, den sie auf der Flucht in dem Motel „Ruhebank“ getroffen hat. Beim Öffnen sind die Blätter durcheinandergeraten und daher folgt das Erzählen auch keiner chronologischen, sondern einer vom Co-Autor gewählten Reihenfolge. Vieles bleibt im Unklaren: die Lokalisierung der Handlung, die Datierung und der Ausgang der Flucht. Die Handlung selbst ist oft bedrückend, dann wieder surreal bis absurd-komisch und spiegelt damit den Irrsinn des Krieges wider. Viele Szenen zeigen die Grausamkeit des Krieges und die Brutalität der Beteiligten bzw. die Erfahrungen von Gewalt und Erniedrigung derer, die ihn erleiden. Zugänglich wird die Ausnahmesituation der Flucht durch die so nachvollziehbare und dabei oft auch so absurde Familiendynamik im engen Innenraum eines Autos, in dem alle durcheinanderreden und die üblichen Familienkonflikte wie in einem Brennglas immer deutlicher werden.

Ein Buch, das verstört und aufstört und zugleich authentisch und schonungslos von der unmenschlichen und traumatischen Erfahrung des Krieges erzählt.

Anna Dimitrova: Kanak Kids

Arctis, Zürich 2024
ISBN 978-3-03880-085-9, 384 Seiten, € 19,00
ab 15 Jahren

 

Dessie liebt ihre Neuperlacher Hood – und trotzdem möchte sie auch am Gymnasium in der Münchner Innenstadt dazugehören. Weil diese beiden Welten ihr aber völlig unvereinbar scheinen, verwandelt sie sich jeden Tag auf dem Weg zur Schule in der alten Fotokabine in der U-Bahnstation von der dunkelhaarigen Dessislava in Jogginghose und Shirt in Daisy mit blonder Perücke, blauen Kontaktlinsen und schicken Klamotten. Leider wird sie dabei eines Tages von Bo beobachtet, der dann auch noch der neue Schüler in ihrer Klasse ist. Aber auch er hat ein Geheimnis zu verbergen, wie Dessie bald herausfindet. Und so werden sie zu Verbündeten im Kampf um Anerkennung und Dazugehören. Doch es kommt, wie es kommen muss: Sie fliegen auf – und damit stürzt das Leben beider völlig in sich zusammen. Bis es ihnen gelingt, sich aus allen Lügen zu befreien, zu sich zu stehen und in beiden Welten sie selbst zu sein.

Der Debütroman der 1998 in Sofia geborenen Autorin lässt sich in Teilen sicher autobiografisch lesen. Zudem merkt man dem mit fast filmischer Dynamik erzählten Roman an, dass Dimitrova auch Drehbücher schreibt. Die Culture-Clash-Komödie, die mit vielen popkulturellen Anspielungen gespickt ist, zeigt anhand ihrer Protagonistin die große Sehnsucht vieler Heranwachsender nach Zugehörigkeit. Sie macht aber auch deren Zerrissenheit zwischen den Kulturen und den Wunsch, es allen recht zu machen, deutlich. Der Text lädt dazu ein, über Identität, kulturelle Konflikte und vor allem über Alltagsrassismus zu sprechen und nachzudenken. Im aktuellen politischen Klima ein wichtiges Buch.

Ariane Grundies: Als Anders in mein Leben rollte

Rotfuchs, Frankfurt am Main 2024
ISBN 978-3-7571-0019-3, 208 Seiten, € 14,90
ab 9 Jahren

 

Eigentlich ist Ronjas Leben gerade voll in Ordnung – bis sie im Schulmärchen die Rolle der Gretel verpasst bekommt und ihre Eltern ihr dann auch noch verkünden, dass sie sich trennen. Oder vielmehr schon getrennt haben und ihre Mutter jetzt zu ihrem neuen Freund ziehen wird. Ronja ist wie vor den Kopf gestoßen – ausgerechnet ihre hyperkorrekten Helikoptereltern, für die Mezzomix und Handy den Untergang des Abendlandes bedeuten! Völlig unerwartet kommt ihr in diesem Moment Anders zur Hilfe, ein neuer Schüler in ihrer Klasse, der im Rollstuhl sitzt. Anders heißt nicht nur so, er ist auch anders – selbstständig, empathisch, witzig. Und, wie Ronja ganz bald feststellt, ein verdammt guter Freund, der ihr nicht nur hilft, mit der neuen Lebenssituation klarzukommen, sondern auch für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse einzustehen.

Ein wunderbar witziges, warmherziges Buch, das sich völlig unverkrampft mit dem Thema Behinderung und Inklusion beschäftigt und Klischees entlarvt. Dabei zeigt es auch die Fallstricke, die Menschen sich selbst durch falsch verstandene politische Korrektheit aufspannen, über die sie dann prompt stolpern. Wichtig: Das Buch den Kindern nicht nur zum Selbstlesen überlassen, sondern unbedingt auch vorlesen – sonst verpasst man als Erwachsener den ganzen Spaß!

Karen Köhler, Bea Davies: Himmelwärts

Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2025
Carl Hanser Verlag, München 2024
ISBN 978-3-446-27922-3, 192 Seiten, € 19,00
ab 10 Jahren

 


Kurz nach Tonis zehntem Geburtstag verstirbt ihre Mutter an Krebs. Sie und ihr Vater leiden an einer großen „Vermissung“. Aber auch ihre beste Freundin YumYum vermisst die lebenslustige Frau. Deshalb möchten die Freundinnen über ein selbst gebautes Funkgerät im Himmel mit ihr Kontakt aufnehmen. In einer sternklaren Nacht starten die Freundinnen den Versuch: Ausgestattet mit reichlich Snacks sitzen sie hinter dem Zelt im Garten.

Tatsächlich hören die beiden nach einigen Fehlversuchen mit ihrem „kosmischen Radio“ eine weibliche Stimme: Die Astronautin Zanna, die auf der Internationalen Raumstation ISS forscht, empfängt die Funksignale und nimmt Kontakt auf. Wenige Minuten können sie miteinander sprechen, bevor der Kontakt abreißt. Dreimal sind auf diesem Wege Gespräche möglich. Und sie werden von Mal zu Mal intensiver: Ausgerechnet als Toni Zanna fragt, ob sie ihre Mutter gesehen habe, bricht der Kontakt ab. Dann geht es um Zannas Alltag in der Schwerelosigkeit, und nachdem Toni festgestellt hat, dass Zanna schon länger um die Erde kreist, als ihre Mutter tot ist, erzählen die beiden Mädchen der Astronautin von der Verstorbenen. Zanna geht empathisch und ehrlich auf die Fragen Tonis ein – und benennt die Grenzen des Wissens klar: Zwar geht im Universum keine Energie verloren, und Erinnerungen halten Tote so lange lebendig, wie sich Menschen an sie erinnern. Aber wo die toten Personen in ihrer Einzigartigkeit nun sind – das weiß niemand. Im dritten Gespräch fragt Toni, ob sie am Tod ihrer Mutter schuld sei, denn sie hatte kurz vor der Diagnose der Krebserkrankung einen schlimmen Streit mit ihr. Tonis Schuldgefühle kann Zanna mit der Autorität der Wissenschaftlerin zerstreuen. Es entsteht ein Gespräch auf Augenhöhe bis zu Theorien, was vor dem Urknall gewesen sein könnte: Auch wenn Tonis Hirn sich beim Wort „Singularität“ verknotet, spiegelt sich darin doch die Einzigartigkeit einer jeden Person wider.

Karen Köhler gliedert die Nacht im Garten, die aus der Perspektive Tonis erzählt wird, durch einen Countdown. Zu Beginn lässt sie ihre Protagonistin fragen: „Schon mal darüber nachgedacht, warum das so ist, dass Zeit nicht immer gleich schnell vergeht? Und warum fangen Countdowns eigentlich immer bei Zehn an und zählen dann runter bis zur Null, so als könnte danach nichts mehr kommen? Vielleicht ist dein ganzes Leben ein Countdown, und Null ist dann der Moment, in dem du stirbst.“ Aber die Null ist nicht das Ende, das Kapitel „Null (Komma nix)“ verweist darauf, dass es weitergeht: Tonis Vater legt sich zu seiner vor dem Zelt liegenden Tochter und beide schenken sich gegenseitig Trost. In den Ablauf der langen Nacht streut Köhler kunstvoll Notizen Tonis ein; aufgeschrieben, um sich an möglichst viele Situationen mit ihrer Mutter und an ihre Gefühle in der schwierigen Zeit des Sterbens und der Trauer zu erinnern.

Zusammen mit den kongenialen Illustrationen von Bea Davies schafft es der Roman, kindgerecht, voller Komik und zugleich ernsthaft mit dem schwierigen Thema umzugehen. Der Tod eingebettet in das Leben, in die besondere Freundschaft zweier Mädchen, die begleitet werden durch liebenswerte Erwachsene wie Zanna, Tonis Vater und YumYums Mutter.

Und auch wenn Religion aus YumYums kritischer Perspektive abgelehnt wird, hält der Roman insgesamt die Frage offen, was nach dem Tod kommt. Den Blick himmelwärts gerichtet – durch den sky zum heaven – gibt er Hoffnung und tröstet, ohne zu vertrösten. Die Begrenztheit einer rein wissenschaftlichen Perspektive wird deutlich: Wissenschaft allein kann den Tod nicht erklären, dafür braucht es andere Sprachen, die Schwerelosigkeit und Schwere miteinander vereinen, z. B. die Einschreibungen der Liebe im selbstkonstruierten Sternbild „Superpower-Himmelsherz“, das Davies auf einer Doppelseite am Ende einfängt. Immer wieder unterstreicht die Sprache ihrer Illustrationen das Zusammenspiel von Beheimatung (im fragilen Zelt) und Unbehaustheit (in den Weiten des Weltalls) – wie auch im gelungenen Buchcover. Die transzendente Dimension bleibt durchgängig spürbar. So auch zum Schluss, wenn Toni in ihrer letzten Notiz den paulinischen Gedanken, die Liebe höre niemals auf (1 Kor 13,8), mit der Aussage fortschreibt, „dass wir in der Liebe unsterblich sind“. Die Zeichen, die die tote Mutter sendet – wie die lange Sternschnuppe zu Beginn der Nacht – haben sakramentalen Charakter. Im Sinne einer solchen Kommunikation über den Tod hinaus erzählt Toni am Nullpunkt (noch vor „null Komma nix“) die Gute-Nacht-Geschichte ihrer Mutter so, dass die Verstorbene zur Adressatin ihrer eigenen Geschichte wird – und zwar derart, dass „Toni über Nacht Flügel wuchsen“.

Enne Koens: Von hier aus kann man die ganze Welt sehen

Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2024
ISBN 978-3-8369-6248-3, 208 Seiten, € 17,00
ab 10 Jahren

 

Deetje, genannt Dee, wohnt mit ihrer Mutter in einem Hochhaus am Rand der Stadt. Sie liebt ihr Zuhause und vor allem deren Bewohner, die aus der ganzen Welt kommen. Eines Tages findet sie auf der Straße einen Brief, doch Absender und Adressat sind durch den Regen nicht mehr zu erkennen. Also öffnet sie ihn, um vielleicht etwas über beide zu erfahren. Aber alles, was sie zunächst herausbekommt, ist, dass der Schreiber den Empfänger des Briefs sehr vermisst. Dieses Gefühl kennt sie. Denn ihren Vater hat sie nie kennengelernt. Zusammen mit ihrem besten Freund Vito befragt sie alle Menschen im Haus. Aber immer, wenn sie der Lösung ein Stück näherkommen, tauchen neue Fragen auf. Am Ende löst sie nicht nur das Rätsel um den Brief, sondern auch das um ihren Vater. So wird die Suche nach dem Ursprung des Briefes auch zu einer Suche nach der eigenen Herkunft.

Eine poetisch und warmherzig erzählte Geschichte, in der vielschichtige Themen aus der Sicht der Hauptfigur betrachtet und beschrieben werden. So wird für Leserinnen und Leser ein Perspektivwechsel möglich, der auch die eigene Sicht der Dinge verändern kann, zum Beispiel in Bezug auf soziale Brennpunktviertel oder die Vorurteile gegenüber Menschen, nicht nur denen mit einem Migrationshintergrund. Das gilt aber auch für Fragen, die Kinder wie Erwachsene betreffen, wenn es um Freundschaft und Zusammenhalt, um Vergebung und Versöhnung, um Religion und die eigene Herkunft geht.

Joke van Leeuwen: Ich bin hier

Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2024
ISBN 978-3-8369-6256-8, 120 Seiten, € 15,00
ab 5 Jahren

 

Jona geht jeden Tag nach der Schule in das Hochhaus, in dem ihr Vater arbeitet. Meist ist ihr dabei ziemlich langweilig. Und so beschließt sie eines Tages, herauszufinden, wohin diese kleine Tür am Ende des Flurs führt. Am Ende ihrer Suche landet sie auf dem Dach des Gebäudes. Hier fühlt sie sich frei wie ein Vogel.

Als dann der Ort und damit auch die unteren Geschosse des Hochhauses von einer Flut überspült werden, bleibt Jona allein zurück, weil sie bei der Evakuierung vergessen wurde. Aber sie verliert nicht den Mut, sondern beschließt, sich selbst zu helfen: Zunächst sucht sie sich aus den verlassenen Büros Dinge zusammen, die ihr beim Überleben helfen: Kekse, Saft, Decken, Kissen. Dann baut sie auf dem Dach aus verschiedensten Materialien den Schriftzug „Ich bin hier!“, denn bei einer Flut, so denkt sie, wird die Rettung aus der Luft kommen. Das Hochhaus wird zu Jonas einsamer Insel, die Erzählung zu einer Robinsonade. Zuletzt wird Jona von ihrem Vater gerettet – wobei man das Gefühl nicht loswird, dass sie sich eigentlich selbst gerettet hat.

Die seltsam dystopische und dennoch positive Stimmung des Textes wird durch die kindgerechten und lustigen Illustrationen und Schriftbilder der Autorin unterstützt, die den Text erst komplettieren. Ein Buch, das sich in einer eigentlich katastrophalen Lebenssituation erfolgreich auf seine resiliente Protagonistin verlässt und lesenden Kindern zum Glück auch einiges zutraut.

Sara Lundberg: Der Vogel in mir fliegt, wohin er will

Moritz Verlag, Frankfurt 2024
ISBN 978-3-89565-464-0, 128 Seiten, € 18,00 
ab 10 Jahren

 

Meisterhaft erzählt Sara Lundberg in diesem Buch aus dem Leben der schwedischen Malerin Berta Hansson (1910–1994). Von Kind an setzte Berta sich gegen ihren scheinbar vorgegebenen Lebensweg als Hausfrau und Mutter in einer patriarchal geprägten Gesellschaft zur Wehr. Denn sie hatte einen Traum: Sie wollte Künstlerin werden. Als kleines Kind wird sie darin noch von ihrer Mutter unterstützt, als diese stirbt, braucht der Vater Berta als Arbeitskraft auf dem Hof der Familie. Unterstützung findet sie schließlich beim Dorfarzt, der ihr Talent erkennt und den Vater davon überzeugt, sie ihren Weg gehen zu lassen, sodass sie schließlich ihren Traum verwirklichen kann.

Als Grundlage für ihr stimmungsvolles Porträt dienten Sara Lundberg Tagebucheinträge und Briefe von Berta Hansson. Ihre mutige Auflehnung gegen Konventionen und Traditionen kann auch heute als wegweisende Inspiration zur Emanzipation verstanden werden. Das Buch ist aber nicht nur Künstlerbiografie, sondern selbst große Kunst. Denn Sara Lundberg greift in ihren Bildkompositionen gekonnt den Stil der expressionistischen Künstlerin auf. So gelingt ihr ein wunderschönes, poetisches Buch über die Kunst und den unbändigen Willen, seiner Seele Flügel zu verleihen.

Bart Moeyaert: Morris. Der Junge, der den Hund sucht

Carl Hanser Verlag, München 2024
ISBN 978-3-446-28117-2, 64 Seiten, € 15,00
ab 6 Jahren

 

Morris lebt vorübergehend bei seiner Oma. Ihrem Hund Houdini gelingt es wie seinem Namensgeber immer wieder, zu Hause auszubüxen. Morris begibt sich dann in der verschneiten Bergwelt oberhalb des Hauses auf die Suche. Bald kennt er die Wege, vorbei an Felsbrocken, Dornbüschen und seltsam geformten Bäumen hinauf Richtung Gipfel.

Eines Tages gerät Morris auf dem Rückweg mit Houdini in einen Schneesturm und wird von einem fremden Jungen gerettet, der ihm einen Unterschlupf zeigt. Als der Sturm vorüber ist und sie den Weg zu Omas Haus antreten wollen, stellt sich ihnen Randy Pek in den Weg, der Vater des Jungen und ein unangenehmer und häufiger Besucher von Morris Oma. Gewalt liegt in der Luft – doch in diesem Moment entscheidet sich Morris, keine Angst mehr zu haben und wächst über sich selbst hinaus.

Eine beeindruckende, poetische Erzählung, die in ihrer Form, den Motiven und in der Art der Zeichnungen häufig an ein Märchen erinnert. Letztlich ist es auch wie viele Märchen eine Geschichte von Kindern, die sich selbst ermächtigen, indem sie ihre Angst und die Gefahr durch ihren Mut überwinden – und durch ihre Mitmenschlichkeit. Denn Morris und der Junge, der ihm das Leben rettet, teilen nicht nur schwierige Lebenserfahrungen, sondern auch die Sehnsucht nach Geborgenheit und Gemeinschaft. Ein literarisches, kunstvoll illustriertes Buch, das mit vielen Symbolen und Überraschungseffekten arbeitet, aber auch in der Deutung vielschichtig und offen bleibt.

Klara Persson, Charlotte Ramel: Meins!

Carl Hanser Verlag, München 2024
ISBN 978-3-446-28079-3, 32 Seiten, € 15,00
ab 3 Jahren

 

Als Sally hört, dass ihr Freund Nico heute zum Spielen kommt, meint sie: „Aber das Eichhörnchen darf er nicht haben, das ist nämlich ganz allein meins.“ Mama schlägt vor, es so lange in den Schrank zu legen, bis Nico wieder gegangen ist. Ein guter Plan – aber weil das nicht das Einzige ist, das sie lieber für sich allein haben möchte, verschwinden neben dem Brettspiel auch ihr Bett, der Fernseher, der Kühlschrank und schließlich sogar Mama im Schrank. Und Nico, denn auch ihren Freund möchte Sally mit niemandem teilen. 

 

Ein wunderbar skurriles Bilderbuch, in dem es um den so wichtigen kindlichen Entwicklungsschritt vom Nicht-Teilen-Wollen hin zu der Einsicht geht, dass Spielen und neue Erfahrungen gemeinsam viel mehr Spaß machen – und dass Kinder aber auch manchmal einen Raum ganz für sich brauchen. Die detailreichen, witzigen, spritzigen und temporeichen Zeichnungen, die noch einmal eine ganz eigene Sprache sprechen, sind dabei ein großer Spaß für kleine, aber auch für große Leserinnen und Leser, über die sich herzlich gemeinsam lachen lässt.

Jens Rassmus: Regentag

Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2024
ISBN 978-3-7795-0726-0, 64 Seiten, € 20,00
ab 4 Jahren

 

Dieses „Silent book“ ohne Text erzählt auf zwei Ebenen, was ein Geschwisterpaar erlebt, als es wegen des Regens einen Tag drinnen verbringen muss. Zunächst langweilt es sich. Einer schaut ins Handy, während die andere zu überlegen scheint. Dann formt sie mit den Händen einen Gipfel über ihrem Kopf – und die Fantasiereise der beiden beginnt. Neben ihren Händen werden einfach Gegenstände wie ein Ball, ein Stuhl, ein Eimer Farbe zum Ausgangs- und Mittelpunkt verschiedenster verspielter Vorstellungswelten, wobei die realen wie auch die Fantasiewelten kreativ ineinandergreifen. Hier werden Raum und Zeit außer Kraft gesetzt, es werden Bäume und Hochhäuser bestiegen und Landschaften durchquert. So entsteht eine Erzähldynamik in den Bildern, die einen wunderbaren Rhythmus zwischen Abenteuer und Entschleunigung findet.

Im Miteinander der beiden Ebenen wird die Schönheit des Unsagbaren zum zentralen Motiv. Dabei zeigt sich im liebevollen Blick auf die kindliche Vorstellungskraft, dass auch wahr sein kann, was in der Realität nicht sichtbar oder erklärbar ist. In dieser Hinsicht leistet das Bilderbuch einen wertvollen Beitrag zum religiösen Symbolverständnis. Da das Buch ganz ohne Text auskommt, ermöglicht es die Teilhabe aller Leserinnen und Leser – unabhängig von Sprache und Herkunft. Zudem fordert es dazu auf, im gemeinsamen Anschauen eine Geschichte zu den Bildern zu erzählen, und fördert auf diese Weise die Fähigkeit, etwas in und zur Sprache zu bringen.

Kathrin Steinberger: Der Rosengarten

Tyrolia Verlag, Innsbruck 2024
ISBN 978-3-7022-4195-7, 288 Seiten, € 22,00
ab 14 Jahren

 

Als ihr Vater mitten im Ersten Weltkrieg bei einem Unfall stirbt, ist Rosa mit 15 Jahren plötzlich Waise und landet als Haushaltshilfe bei Frau Gruber, die in einem der Außenbezirke von Wien lebt. Die alte gebrechliche Frau macht Rosa das Leben schwer. Bald wird ihr klar, dass Frau Gruber Geld und Lebensmittel hortet und sich so beinahe jeden Wunsch erfüllen kann, während die Menschen in der Nachbarschaft hungern und frieren.

Gleichzeitig entdeckt sie auf dem Nachbargrundstück das „Rosengartl“, die Wirtschaft, die Frau Gruber mit ihrem Mann betrieben hat. Dorthin zieht sie sich nun immer zurück, wenn die alte Dame endlich eingeschlafen ist. Eines Abends findet sie hier einen jungen Mann: Simon. Er hat eine tiefe Wunde am Bein und hohes Fieber – und ist fahnenflüchtiger Soldat, obwohl er kaum älter ist als Rosa. Ein gefährliches Versteckspiel beginnt, in dessen Verlauf Rosa unglaubliche Kräfte entwickelt.

Dieses wichtige Buch erzählt von einer Epoche, deren Schrecken und Grausamkeiten wir oft nicht mehr im Blick haben. Durch die jungen Protagonisten wird sie Jugendlichen heute zugänglich gemacht. Eindrücklich wird die Entwicklung Rosas vom behüteten Kind hin zur jungen Frau geschildert, die Verantwortung übernimmt und sich mutig vor andere stellt. Durch Simon erfährt sie viel über den Krieg und das schreckliche Tun derer, die daran beteiligt sind. Am Ende ist es das Vertrauen ineinander und der Glaube aneinander, durch die sie es schaffen, alles hinter sich zu lassen und sich gemeinsam auf den Weg in eine bessere und vor allem gemeinsame Zukunft zu machen.

Elisabeth Steinkellner, Michael Roher: Heupferdchen hüpf!

Tyrolia Verlag, Innsbruck 2024
ISBN 978-3-7022-4190-2, 24 Seiten, € 12,95
ab 2 Jahren

 

Eine Situation, die alle Eltern kennen: Man muss etwas erledigen und hat es auf Erwachsenenweise dabei wieder einmal ziemlich eilig – bis einem die Kinder zeigen, dass der Weg eigentlich viel spannender ist als das Ziel. In diesem für Kinderhände gemachten Pappbilderbuch ist es das kleine Heupferd, das sich mit dem großen Heupferd aufmacht, um etwas fürs Abendessen einzukaufen. Unterwegs stößt es auf so viele kleine Wunder am Wegesrand, die es zu bewundern gibt, dass es dabei die Zeit vergisst. Trotz mehrfacher Ermahnungen, jetzt endlich weiterzugehen, entdeckt das kleine Heupferd die Dinge in seinem ganz eigenen Tempo und öffnet gleichzeitig dem großen wieder die Augen zum Staunen über so viel Schönheit im Kleinen.

Die liebevollen und klugen kurzen Reime animieren beim Vorlesen zum Nach- und Mitsprechen. Dabei ist die Geschichte farbenfroh in Szene gesetzt: Jede Doppelseite hat eine andere Grundfarbe, sodass sich bereits kleine Kinder gut in der Geschichte orientieren können. Dem Zeichner Michael Roher gelingt es, die Heupferdchen durch eindrucksvolle Mimik und Gestik lebendig werden zu lassen, sodass man sie gleich beim ersten Lesen ins Herz schließt. So kann man bereits mit den Kleinsten dieses Buch und damit die Magie der Achtsamkeit und die Vielfalt der Sinneseindrücke gemeinsam entdecken.

Anna Woltz: Atlas, Elena und das Ende der Welt

Carlsen Verlag, Hamburg 2024
ISBN 978-3-551-55938-8, 192 Seiten, € 12,00
ab 12 Jahren

 

Elena hat es mit ihren 13 Jahren zur gefragten Influencerin geschafft. Aber ein Post reicht, um einen Shitstorm auszulösen. Sie weiß sich nicht mehr anders zu helfen, als in den Sommerferien zu ihrer Tante auf deren entlegenen Hof zu fliehen. Hier trifft sie auf eine Welt, die ihr vollkommen fremd ist – und auf Atlas, der sie ebenso fasziniert wie ängstigt: Jede Nacht verschwindet er stundenlang in der Dunkelheit. Außerdem hütet er ein Geheimnis: einen versteckten Raum voller Lebensmittel und anderer wichtiger Dinge zum Überleben. Doch trotz aller Gegensätze entspinnt sich eine Verbindung zwischen den beiden, die ihnen am Ende dabei hilft, die eigenen Ängste und Selbstzweifel hinter sich zu lassen und gemeinsam und aneinander zu wachsen.

Anna Woltz erzählt die Geschichte abwechselnd aus der Perspektive von Atlas und Elena. Dabei kommen neben Cybermobbing auch Themen wie komplexe Familienverhältnisse, Prepping, erste Liebe und Trauer um ein verlorenes Elternteil zur Sprache. Es gelingt ihr so, die Annäherung der beiden Protagonisten, die durch ihre je eigene Katastrophe belastet sind, unglaublich zart und glaubwürdig zu beschreiben. Wie beide immer mehr hinter die Geschichte des/der jeweils anderen kommen, ist spannend und mitreißend, aber immer auch empathisch dargestellt.

Barbara Yelin: Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung

Reprodukt Verlag, Berlin 2023
ISBN 978-3-95640-396-5, 192 Seiten, € 29,00
ab 16 Jahren

 

Barbara Yelin erzählt in dieser eindrucksvoll komponierten Graphic Novel die Geschichte der Jüdin Emmie Arbel (geb. 1937 in Den Haag), die 1942 mit ihrer Familie deportiert wird. Sie selbst überlebt die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen, ihre Eltern und Großeltern werden ermordet. Nach dem Krieg kommt sie mit ihren beiden Brüdern, die ebenfalls überlebt haben, in einer Pflegefamilie unter. Doch statt hier ein neues Zuhause zu finden, setzt sich ihr Leidensweg fort, weil sie vom Pflegevater immer wieder missbraucht wird. 1949 wandert sie mit ihrer Pflegefamilie nach Israel aus, aber auch im Kibbuz fühlt sie sich isoliert, bis sie ihr Leben selbst in die Hand nimmt.

Barbara Yelin gelingt es, mit ihren zart getuschten Bildern in über 900 Panels die Lebensgeschichte von Emmie Arbel beinahe dokumentarisch genau abzubilden und zugleich die komplexen Gefühlswelten, die im erinnernden Gespräch entstehen, feinfühlig, beinahe intim einzufangen, ohne ihrer Protagonistin dabei zu nahe zu treten. Damit hat sie ein aufstörendes und gleichzeitig ermutigendes Buch geschaffen, das zeitgeschichtliche Dokumentation, Porträtzeichnung sowie literarisch-visuelle Reflexion über das Erinnern auf Basis persönlicher Begegnungen und intensiver Gespräche mit einer Zeitzeugin des Holocausts vereint und für junge Menschen zugänglich macht.