Begrüßungsansprache – Kardinal Karl Lehmann

Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Begrüßungsansprache anlässlich der fünften Verleihung des „Kunst- und Kulturpreises der deutschen Katholiken“ am 20. November 2004 in der Bundeskunsthalle Bonn

Sehr geehrter Herr Professor Richter, verehrte Frau Richter, liebe Familienangehörige und Freunde des Künstlers, lieber Herr Präsident Professor Meyer, liebe Mitbrüder, sehr geehrte Damen und Herren!

Der „Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken“ wurde 1990 von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken ins Leben gerufen, um den fruchtbaren Austausch zwischen Kirche und zeitgenössischer Kunst zu fördern. Wir wollten mit diesem Preis gleichsam einen Wendepunkt in der früher nicht immer ganz einfachen Wechselbeziehung markieren. Denn in den letzten hundertfünfzig Jahren war die Beziehung zwischen Kirche und der nach eigenem Verständnis „autonomen“ Gegenwartskunst oft geprägt von einem emotionalen Wechselbad zwischen Schlagabtausch und Kommunikationsverweigerung. In jüngerer Zeit aber beginnt der „Bruch zwischen Evangelium und Kultur“, den Papst Paul VI. seinerzeit beklagte, gerade auf dem Gebiet der Künste in vielen Bereichen langsam zu heilen.

Kirche und Gegenwartskunst erleben sich heute in besonderer Weise aufeinander verwiesen: „Das Thema der Kirche und das Thema der Künstler … ist der Mensch, das Bild vom Menschen, die Wahrheit vom Menschen“ – so hat es Papst Johannes Paul II. 1980 bei seinem Pastoralbesuch in Deutschland vor Publizisten und Künstlern formuliert. Und in der Tat: Gerade die visuellen Künste widmen sich heute mehr denn je der Synthese religiöser und anthropologischer Inhalte und transportieren diese weiter in die Reflexion der Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die sich zwar als eine säkulare begreift, die sich aber spätestens seit dem 11. September 2001 und seit den Anschlägen von Madrid intensiv mit der gesellschaftlichen und politischen Dimension von Religion auseinandersetzt. Eine Gesellschaft, in der viele Menschen auch im Bereich der persönlichen Sinnsuche einer oft synkretistischen, diffusen Religiosität anhängen. Es gibt ein wachsendes Bedürfnis, das Alltagserleben an einen transzendenten Sinn rückzubinden. Dieses Bedürfnis nach Rückbindung, also nach „Religion“, spiegelt sich auch in der Kunst wider, sei es auf der Biennale di Venezia, auf der Kasseler Documenta oder an anderen künstlerischen Ereignis-Orten.

Die zeitgenössische Kunst thematisiert oft den Menschen in seiner Kontingenz und Bedrohtheit. Es scheint, als ob der Mensch aus dem Elend und der Gewalt, die ihn umgeben, die Hand ausstreckt und nach Erlösung schreit. Theologie und Kirche müssen dafür noch viel sensibler werden.

Damit korrespondiert eine zweite Strömung der Gegenwartskunst, die zu der erst genannten nur in einem scheinbaren Widerspruch steht: Es gibt sie wieder, die bekennenden Ästheten unter den Künstlern. Sie vermitteln reine Schönheit, die offensichtlich dankbar angenommen wird. Dieser Trend scheint mir großenteils nicht nur ein oberflächlicher Ästhetizismus zu sein. Er wird vielmehr genährt aus einer unterschwelligen Sehnsucht des heutigen Menschen nach Erlösung: Der Mensch will aus aller Hässlichkeit seines bedrohten Daseins ausbrechen in die Geborgenheit reiner Schönheit.

Die fundamentale Infragestellung der menschlichen Autonomie durch die Zwänge der Welt führt dazu, dass auch die Kunst weitgehend die Selbsttäuschung aufgegeben hat, nichts als sie selbst zu sein. Heute greift die Kunst zunehmend die existenziellen Fragen und Erfahrungen der Menschen mit der ihr eigenen Dynamik auf. Sie tut dies nicht als Lieferantin gebrauchsfertig-wohlfeiler Antworten, sondern indem sie im sokratischen Sinne Fragen stellt. Das war es ja, was Sokrates lehrte: Den Denkfaulen, die eine bequem anwendbare Antwort einfordern, kann mit einer herausfordernden Gegenfrage zur Mobilisierung der eigenen, verschütteten Lebenskompetenz verholfen werden. Weil wir in einem Zeitalter leben, das häufig vom Nutzenkalkül regiert wird, stellen wir in vielen Lebensbereichen nur Fragen, die wir auch knapp und effizient beantworten können – nennen wir sie einmal die kleinen Fragen. Mehr noch: Wir leben in einer Gesellschaft, die uns die großen Fragen ausreden will. Deshalb sind Menschen wichtig, die uns lehren, an den großen Fragen festzuhalten: Und da rangieren die Künstler sicherlich mit an vorderer Stelle. Sie stellen unser oft eindimensional fest zementiertes Weltbild immer wieder heilsam in Frage. Schon Friedrich Hölderlin hat dies dankbar festgestellt, wenn er seinen Zeitgenossen zuruft: „Lern im Leben die Kunst, im Kunstwerk lerne das Leben! Siehst du das eine recht, siehst du das andere auch.“

Sowohl die Kirche als auch die Kunst sind schon oft totgesagt worden. Vielleicht hat gerade dies zwischen beiden ein Solidaritätsgefühl geweckt? Offenbar leben Totgesagte, wenn auch durch Verwandlungen hindurch, länger. Zwischen Kirche und Gegenwartskunst hat sich eine nachbarschaftliche Nähe entwickelt. Eine Nähe, die keine Identität vorgibt, aber bei aller Verschiedenheit dennoch wechselseitig inspirierend wirkt. Immer wieder gibt es unverhoffte, aber vielleicht gerade dadurch fruchtbare Begegnungen. Künstlern, die solche Begegnungen anzubahnen helfen, gilt die Ehrung des „Kunst- und Kulturpreises der deutschen Katholiken“. Preisträger der letzten vierzehn Jahre waren der Literat Andrzej Szczypiorski, der Architekt Karl-Josef Schattner, die Komponisten Petr Eben und Bertold Hummel und der Filmregisseur Theo Angelopoulos: Das Bemühen um einen ästhetischen Ausdruck, der Immanenz und Transzendenz als produktiv-inspirierendes Kraftfeld vereint, hat durch diese Künstler wertvolle Impulse erhalten.

Heute übergeben wir den Kunst- und Kulturpreis der deutschen Katholiken zum fünf-ten Mal. Der Preisträger ist ein Maler, den die „Sunday Times“ den „hervorragendsten deutschen Gegenwartskünstler“ nennt. Gerhard Richter verdient dieses Prädikat zweifellos zu Recht. Und zwar nicht in erster Linie deshalb, weil er einer der nachgefragtesten Stars des internationalen Kunstmarktes ist. Sondern weil in seinem Œuvre auf existenzielle Weise etwas sichtbar wird, was unsere empirische Wahrnehmung übersteigt. Daher haben Präsident Professor Dr. Hans Joachim Meyer und ich dem Votum der Preisjury aus vollstem Herzen und mit besonderer Freude zugestimmt. Ich darf bei dieser Gelegenheit den Juroren ganz herzlich für ihren fachlichen Rat dan-ken: Herrn Professor Dr. Gottfried Boehm, Frau Professor Dr. Carla Schulz-Hoffmann, Herrn Professor Dr. Dr. Thomas Sternberg, Herrn Dr. Guido de Werd und dem Direktor der Bundeskunsthalle Dr. Wenzel Jacob. Herr Dr. Jacob wird als Hausherr heute vertreten durch seinen Mitarbeiter Kay Heymer, dem ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank für die außerordentliche Gastfreundschaft übermitteln möchte. Einen besonderen Dank spreche ich überdies meinem verehr-ten, lieben Mitbruder Bischof Dr. Friedhelm Hofmann, nun in Würzburg, aus, der den Juryvorsitz innehatte und nachher auch die Laudatio halten wird. Als ein Bischof, der in Kunstgeschichte promoviert wurde, hier im Erzbistum Köln viele Kontakte zur Welt der Kunst hatte und nun in Würzburg viele wertvolle Schätze der Kunst und Kultur hüten darf, ist er dafür besonders kompetent.

Was ich selbst bislang von den Werken des Preisträgers gesehen habe, hat mich sehr beeindruckt. Gerhard Richter ist nicht nur ein Lehrmeister des erkenntniskritischen Blicks, sondern auch einer, der wie kein anderer die Sehnsucht nach dem Absoluten, Versöhnenden, Erlösenden auszudrücken vermag. Von den Antworten, die der Glaube anbietet, erfahren wir bei ihm nichts im unmittelbaren Sinn, wohl aber sehr viel von den Fragen, die diesen Antworten entsprechen. Aber was wären Antworten, ohne dass jemand fragt? Das Fragen sei die Frömmigkeit des Denkens, sagt Martin Heidegger. Nur wer substanziell fragt, findet auch substanzielle Antworten. Dafür gebührt ihm unser Dank und unsere Anerkennung, und dafür wollen wir ihn heute mit unserem Kunst- und Kulturpreis auszeichnen. 

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