| Pressemeldung | Nr. 049

Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, in der Eucharistiefeier am Ostersonntag 2024

Hoher Dom zu Limburg

„Frühmorgens, als es noch dunkel war“ (Joh 20,1): Auch Nachteulen wissen, dass den Tagesanfang eine besondere Stimmung prägt. Während am Abend der Kopf oft voll und das Herz beladen ist mit dem, was nachwirkt und erst einmal verdaut werden will, hat der Morgen etwas Ursprüngliches, Schöpferisches an sich, das hilft, die Müdigkeit zu vertreiben und in den Tag hineinzugehen. Andreas Knapp (*1958) hat diese Frische beschrieben: „der letzte Stern / gibt der Amsel den Einsatz // im Crescendo des Lichts / wächst die Erwartung des neuen Tages / der erste Sonnenstrahl / bricht sich in den Nachttränen // tausendfaches Aufblitzen im Tau / als habe sich der Sternenhimmel // in den Grashalmen verfangen / alle Farben werden neu erfunden // ein Atemzug Ahnung / vom ersten Schöpfungstag“(1). Und der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Schwede Dag Hammarskjöld (1905–1961), notierte in sein Tagebuch: „Jeder Tag der erste – jeder Tag ein Leben. Jeden Morgen soll die Schale unseres Lebens hingehalten werden, um aufzunehmen, zu tragen und zurückzugeben.“ Und Dietrich Bonhoeffer (1906–1945), auch ein Freund der Morgenfrühe, gibt zu bedenken: „In der heiligen Schrift ist der Morgen eine Zeit voller Wunder. Er ist die Stunde der Hilfe Gottes für seine Kirche (Ps 46,6), die Stunde der Freude nach einem Abend des Weinens (Ps 30,6), die Stunde der Verkündigung des göttlichen Wirkens (Zeph 3,5), der täglichen Austeilung des heiligen Mannas (2 Mose 16,13 f.). Vor Tagesanbruch geht Jesus beten (Mk 1,35), in der Frühe gehen die Frauen zum Grab und finden Jesus erstanden, im Morgengrauen finden die Jünger den Auferstandenen am Ufer des Sees von Tiberias (Joh 21,4). Es ist die Erwartung der Wunder Gottes, die die Männer früh aufstehen lässt (1 Mose 19,27 und öfter). Der Schlaf hält sie nicht mehr. Sie eilen der frühen Gnade Gottes entgegen. […] In die ersten Augenblicke des neuen Tages gehören nicht eigene Pläne und Sorgen, auch nicht der Übereifer der Arbeit, sondern Gottes befreiende Gnade, Gottes segnende Nähe.“(2)

„Frühmorgens, als es noch dunkel war“: Die Auferstehung Jesu ist wahrhaftig das große Wunder der Gnade Gottes, mit der er uns beschenkt hat, und es wundert mich nicht, dass diese Erfahrung in den Jüngerinnen und Jüngern in der Frische des Morgens zu wachsen beginnt. Denn auch der Glaube, dass Jesus lebt und mit uns durchs Leben geht, ist nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel einfach da. Er beginnt in aller Regel zart in uns zu reifen, so wie mit dem ersten Strahl des Morgenlichts schon das ein oder andere sichtbar wird, mehr in Konturen als im Detail. Alle Ostererzählungen gehen von einem Mühen und Ringen der Jüngerschar aus: Dass das Schicksal Jesu, dessen qualvollen Tod sie aus der Ferne mit ansehen mussten, nicht am Kreuz besiegelt wird, widerspricht doch aller vernünftigen Einsicht. Auch wenn ihr Rabbi auf dem Weg nach Jerusalem mehrfach seltsame Andeutungen gemacht hatte: Die Auferstehung des Christus und die Auferstehung der Toten sind nicht mit der Logik unserer Erfahrung abzuleiten, sie sind wahrhaftig ein „Einfall“ Gottes – zu vergleichen nur mit seinem ersten wunderbaren Einfall, als er aus Nichts eine ganze Welt erschuf. Und auch dieses Wunder muss man lesen lernen, indem man sich regelmäßig selbst befragt und dabei an Grenzen des Wissens und der Erkenntnis stößt. Ich bin immer neu beeindruckt, wie behutsam die Heilige Schrift mich mitnimmt auf einen Weg, um irgendwann sicherzugehen, dass Gott mein Leben und seine so geschundene Welt in gütigen Händen hält; dass mit Jesus ein Anfang gemacht ist, der Anfang einer neuen Welt voll Lebendigkeit, die auch Gewalt und Hass nicht mehr niederringen können; einer neuen Welt, in der die Opfer von Kriegen, Terror und ungerechten Zuständen Gerechtigkeit erfahren; einer neuen Welt, in der Wahrheit und Güte groß werden können und Bosheit und Verbrechen eingehen wie Unkraut. Dass Liebe und Gewaltlosigkeit am Ende siegen, das ist angesichts der besorgniserregenden Zustände tagein tagaus wahrhaftig schwer zu glauben. Um dahin zu kommen, braucht es einen langen Lernweg. Und weil der nicht unzweifelhaft eindeutig verläuft, brauchen wir gläubige Menschen den, der vor uns her und an unserer Seite und hinter uns geht aus Dunkel und Unsicherheit hinein in den lichten Tag. „Fast alle Ostergeschichten sind wie Geschichten aus dem Morgengrauen, wo die Konturen noch undeutlich sind. Man muss Christus lesen lernen in dem, der wie der Gärtner aussieht […]. Nichts ist offensichtlich, der Glaube ist Lesekunst.“(3) Das ist weiß Gott anspruchsvoll, aber ist es nicht auch faszinierend – und uns Menschen gemäß?

Das weiß auch der Apostel Paulus und gibt seiner Gemeinde den Hinweis: „Richtet euren Sinn auf das, was oben ist, nicht auf das Irdische! Denn ihr seid gestorben und euer Leben ist [noch] mit Christus verborgen in Gott“ (Kol 3,2–3). Ja, es gilt, das neue Leben zu entdecken. Mit der Richtung „nach oben“ empfiehlt Paulus aber gewiss nicht die fahrlässige Haltung eines „Hanns Guck-in-die-Luft“; wie bald würden wir straucheln. Ich deute es so: Wenn Du den lebendigen Christus suchst, achte auf das, was Dir „anstößig“ im wahrsten Sinn des Wortes erscheint, was Dir widerständig vorkommt und Dich zum Nachdenken bewegt. Christus tritt eher im ungewohnt Neuen auf Deine Lebensbahn als in der Gewohnheit; eher im ehrlichen Einspruch eines Freundes, einer Freundin, als in beruhigender Bestätigung; eher durch Verunsicherung als in Gewissheiten, die Du nie hinterfragst. Ungewöhnliche Gedanken, aufrüttelnde Einsichten, herausfordernde Lebensumstände, kantige Zeitgenossen: Der auferstandene Christus bevorzugt es, Dich „vom Hocker zu reißen“, darum vertraue auch darauf, dass er Dich in Krisenzeiten, Brüchen und Konflikten nicht im Stich lässt, sondern durch sie hindurch zu größerem Gottvertrauen und tieferer Lebensweisheit führen will. Ostern will uns in Gang bringen, damit uns aufgeht, was Gott seit ewigen Zeiten schon vorhat: „Was alt ist, wird neu, was dunkel ist, wird licht, was tot war, steht auf zum Leben, und alles wird heil in dem, der der Ursprung von allem ist, in unserem Herrn Jesus Christus“, wie es ein Gebet in der Osternacht formuliert (Oration nach der siebten Lesung der Osternacht). Ostern – als Substantiv klingt das eigentlich viel zu statisch für das, was heute los ist und losgehen will. Als Tätigkeitswort könnte es vor Dynamik nur so sprühen. Der britische Lyriker und Jesuit Gerard Manley Hopkins (1844–1889) hat sich einfach herausgenommen, „ostern“ als Verb zu gebrauchen. „Lassen wir Christus in uns ostern, als Tagesanbruch in unserer Dunkelheit“, sagt er: „Let him easter in us“: Ja, lassen wir den Auferstandenen mit seiner Frische und seiner Kraft in uns „ostern“. Amen. Halleluja!

Lesungen:     Apg 10,34a.37–43; 1 Kor 5,6b–8
Evangelium:    Joh 20,1–18

Fußnoten:

  1. Andreas Knapp, Geburt des Morgens, in: ders., Beim Anblick eines Grashalms. Naturgedichte (Würzburg 2017), 78
  2. Dietrich Bonhoeffer, Illegale Theologenausbildung: Finkenwalde 1935–1937 (Gütersloh 2015), 871 ff.
  3. Fulbert Steffensky, Schutt und Asche. Streifzüge durch Bibel und Gesangbuch (Stuttgart 2023), 207.


Hinweis:

Die Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing in der Eucharistiefeier am Ostersonntag ist untenstehend auch als PDF-Datei verfügbar.

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