| Pressemeldung | Nr. 148
Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Wiesbaden-Naurod: Predigt von Kardinal Rainer Maria Woelki in der Eucharistiefeier
Evangelium: Lk 8, 19–21
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
wir sind heute Morgen Zeugen einer neuen Familiengründung geworden, nämlich die der Familie Jesu. Dabei betont der Evangelist Lukas, dass das Hören auf das Wort Gottes im Leben der Kirche und jeder christlichen Gemeinschaft eine zentrale Rolle spielt. Nach Lukas besteht die Familie Jesu aus denen, die auf ihn hören und versuchen, sein Wort in die Tat umzusetzen. Sie ist gleichsam eine alternative Familie, nicht weil sie etwas gegen verwandtschaftliche Beziehungen einzuwenden hätte, sondern weil sie sämtlichen Beziehungen die Beziehung zu Jesus zugrunde legt, die alle anderen festigt und stärkt.
Der Evangelist erzählt, dass Jesu Verwandte beschließen, ihn aufzusuchen. Vielleicht wollen sie ihn von der Lebensweise abbringen, die er aufgenommen hat und die auch der gesamten Familie einiges an Unannehmlichkeiten bereitet. Vielleicht sind sie gekommen, um ihm sein Tun auszureden oder ihn zumindest darin ein wenig zu bremsen. Als sie an den Ort kommen, an dem sich Jesus aufhält, sehen sie, dass er von einer so großen Menschenmenge umgeben ist, sodass es ihnen nicht möglich ist, zu ihm vorzudringen. Als man Jesus über die Anwesenheit seiner Verwandten informiert, antwortet er geradezu schroff ablehnend. Seine Familie, seine eigentliche, seine wahre Familie – so Jesus – bestehe nur aus jenen, die „drinnen“ sind, die ihn umringen und ihm zuhören. Wer „draußen“ bleibe, gehöre nicht zu seiner Familie, selbst wenn er ein leiblicher Verwandter sei. Denn das Evangelium erschafft eine neue Familie, die nicht durch natürliche, sondern durch jene weitaus festeren Bande zusammengehalten wird, die durch das Wirken des Geistes entstehen. Um ein Teil dieser Familie zu sein, ist es erforderlich, auf das Evangelium zu hören und sich zu bemühen, es in die Tat umzusetzen.
Maria, die Mutter des Herrn, ist hierin allen Vorbild. Als Erste hat sie an das Wort Gottes geglaubt, das ihr – wie Lukas sagt – vom Engel verkündet wurde: „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38). Verwandtschaftliche Beziehungen werden also nicht einfach gering geschätzt. Im Gegenteil: Die Anwesenheit Mariens zeigt, dass der Glaube, den sie in ihren Sohn setzt, die leiblichen Bindungen und damit natürlich auch die verwandtschaftlichen bereichert. Elisabeth weiß um den Glauben Mariens und spricht deshalb über sie die erste Seligpreisung des Evangeliums: „Und selig, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45). Darin ist uns Maria Vorbild. Vorbehaltlos hat sie ihr Leben auf Gott hin ausgerichtet. Sein Wille, sein Wunsch war für sie maßgebend. „Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1, 38). Mit diesem Wort an den Boten Gottes drückt sie ihr Innerstes aus: Sie gehört ganz Gott. Sie hört nicht nur das Wort Gottes, sondern sie handelt auch danach. Und sie hält das durch – nicht nur in frohen Stunden, sondern auch im tiefsten Schmerz, auf Golgatha unter dem Kreuz ihres Sohnes. Dort erst zeigt sich, wie ernst ihr Wort war, das sie dem Engel sagte: „Ich bin die Magd des Herrn“ (Lk 1, 38). Darum preist Elisabeth sie selig: eben weil sie geglaubt hat! Weil sie auf das Wort Gottes gehört und danach gehandelt hat. Glaubend hat sie ihr Herz geöffnet, glaubend hat sie sich Gott übereignet.
Wo immer Menschen so leben und handeln, werden sie in die durch das Evangelium begründete Familie Jesu aufgenommen, werden sie ihm zur Mutter, zur Schwester, zum Bruder (vgl. Lk 8,21). Deshalb schauen wir heute auf zu ihr und bitten sie um ihren mütterlichen Beistand, auf dass wir mehr und mehr teilhaben an ihrem Glauben und unser Glaube weiter wachse und erstarke. So lassen wir uns – wie sie – Tag für Tag ein auf Gottes Anruf und werden dadurch Glied jener Familie der Jünger, die auf sein Wort hören und es tun (vgl. Lk 8,21). Amen.