| Pressemeldung | Nr. 081

Predigt von Bischof Dr. Georg Bätzing zu Pfingsten

im Hohen Dom zu Limburg am 28. Mai 2023

© F. Schuld/Bistum Limburg
Bischof Georg Bätzing predigt im Kaiserdom.


Liebe Geschwister im Glauben,

alle in unserem Land feiern heute Pfingsten und genießen morgen einen weiteren arbeitsfreien Tag. Und kaum jemand wird freiwillig auf dieses lange Wochenende verzichten, auch wenn immer weniger Menschen die christliche Bedeutung dieses Festes kennen. Danach befragt, hört man Antworten wie diese: „Weiß nicht.“ „Da wurde Jesus gekreuzigt.“ „Maria ging in den Himmel.“ „Hat was mit der Auferstehung zu tun, oder?“ „Irgendwas mit Palmzweigen.“ Mehr noch als Weihnachten und Ostern leidet das Pfingstfest unter einer zunehmenden inhaltlichen Entleerung. Gewiss hat das auch damit zu tun, dass sich um Pfingsten herum wenig eigenes Brauchtum entwickelt hat. Am ehesten noch werden wir uns in der Bevölkerung darauf verständigen können, ein Frühlingsfest zu feiern. Den Bedeutungsverlust bis hin zu einer weitgehenden Ignoranz gegenüber christlichen Wurzeln hat vor Jahrzehnten bereits der Komiker Heinz Erhardt (1909–1979) unnachahmlich festgehalten:

„Wer ahnte, dass zum Weihnachtsfest
Cornelia mich sitzen lässt?
Das war noch nichts: zu Ostern jetzt,
hat sie mich abermals versetzt!
Nun freuʼ ich mich auf Pfingsten –
nicht im Geringsten!“

Wer wissen möchte, was Christinnen und Christen weltweit mit diesem Fest verbinden, dem sei wie eine wunderbare Verdichtung aller Inhalte eine Antiphon der Pfingstvesper empfohlen: „Heute sind die 50 Tage erfüllt. Heute erschien der Heilige Geist den Jüngern im Zeichen des Feuers. Heute schenkte er ihnen die Gaben der Gnade. Er sandte sie aus in die ganze Welt, zu predigen und zu bezeugen: Wer glaubt und sich taufen lässt, der wird gerettet.“ Heute!, wohlgemerkt. All dieses wunderbare Wirken Gottes wird nicht nur als Reminiszenz an etwas Vergangenes beschrieben. Immer wieder geschieht es, dass der Geist Jesu Christi die Gläubigen erfüllt und ihnen die Gaben der Gnade schenkt, damit sie anderen nützen. Und der Impuls, aus den geschützten Räumen hinauszugehen und sich unter die Leute zu mischen, um ihnen zu bezeugen: „Wer glaubt, wer Jesus in sein Leben einlässt, wer auf Gott vertraut, der wird gerettet“ – dieser Impuls trifft uns heute ebenso wie die kleine Schar damals in Jerusalem. Wer sagt uns eigentlich, dass sich Menschen heute davon nicht berühren lassen und für das große Anliegen des Herrn zu gewinnen sind? Pfingsten ist heute wie damals die Initialzündung einer Kirche der Vielfalt, der vielen Sprachen, Kulturen, unterschiedlichen Biografien und Herkünfte. Pfingsten geschieht nicht einmalig, es kann immer wieder geschehen, erhofft und erbetet, miteinander erwartet und von Gott geschenkt werden.

Alle in unserem Land feiern heute Pfingsten. Für mich ist es keineswegs eine Art Naturgesetz, dass es in Zeiten wachsender Pluralisierung und Säkularisierung immer weniger Menschen sind, die um die eigentliche Bedeutung wissen. Warum sollte es denn nicht wieder eine wachsende Zahl interessierter und informierter – ja schließlich auch gläubiger Zeitgenossinnen und Zeitgenossen geben können?

Apropos Zeitgenossenschaft: Das Beispiel Pfingsten macht bereits deutlich, dass wir nicht alle im selben Jetzt leben. Äußerlich mag das so scheinen. Aber damit leben wir noch lange nicht mit den anderen zusammen in gemeinsam geteilter Wirklichkeit. Der Lyriker und Essayist Durs Grünbein (*1962) hat sich anlässlich einer Preisverleihung über den Begriff der Zeitgenossenschaft Gedanken gemacht und dabei ein spannungsreiches Gefüge von Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit aufgedeckt (Durs Grünbein, Geistesgegenwart. Ein Ausdruck, der mir viel bedeutet, wenn nicht sogar alles, in: F.A.Z., Nr. 100, 29. April 2023, 20). Genügend Beispiele lassen sich nennen: Neueste Technologie geht Hand in Hand mit den ältesten Vorurteilen. Satelliten im All, Smartphones und ChatGPT in der Hand und in der Fußgängerzone Konflikte mit Messerstechereien. Impfstoffe neuester Machart, Hirnimplantate und Durchbrüche in der Krebsforschung und gleichzeitig uralte Verschwörungsmythen und Hassbotschaften. Wachsendes Bewusstsein für Schöpfungsverantwortung, während gleichzeitig mitten in Europa Städte bombardiert und andernorts demokratische Rechtsprinzipien ausgehöhlt und offen angegriffen werden. „Die Bedrängnis Europas“, so der Schriftsteller, „erinnert an die längst überwundenen Zeiten des Kalten Krieges und schließt die Menschen auf diesem Kontinent in einen Wartesaal ein, erzwingt eine Politik, die das Neue aufschiebt, die Konzentration auf die Rettung der Erde, den drohenden Klimakollaps. Ein einzelner Führer hat die Weltordnung empfindlich gestört und sein Land, Russland, das auf dem Wege der Besserung war, in ein Abenteuer gestürzt, dessen Folgen unabsehbar sind. Die Androhung eines Atomschlags als letztes militärisches Mittel hängt wie ein Damoklesschwert über den Häuptern von Millionen. Man hat von einer ‚Zeitenwende‘ gesprochen, mit anderen Worten, wir alle sind in einer neuen Gegenwart angelangt.“

So also sind wir Zeitgenossen, aufgewacht in einer neuen Gegenwart, „Agenten des geteilten Lebensaugenblicks”, aber auch dessen Zeuginnen und Zeugen. Bei aller Unterschiedlichkeit der Lebensweisen und der Wahrnehmungen – zumindest all denen, die sich verantwortlich fühlen für ein gelingendes Leben, ja, die sich für ein besseres Leben für viele Menschen aktiv einsetzen, könnte ein besonderer Sinn für die Gegenwart gemeinsam sein. Das wäre jedenfalls mehr als ein Minimalkonsens, wo Zeitgenossenschaft am Ende nur so viel heißt wie Dabei-gewesen-zu-sein, während etwas geschah. Für Grünbein, der sich selber als halbherzigen Atheisten bezeichnet und keine religiöse oder kirchliche Bindung lebt, ist die „Geistesgegenwart“ ein Ausdruck, der ihm viel bedeutet und von dem er sich beanspruchen lässt. Und hier schließt sich für mich ein Kreis zu Pfingsten und eine Annäherung unterschiedlicher, aber durchaus verwandter Bedeutungen. Denn der Lyriker macht den Begriff der Geistesgegenwart an seiner Arbeit anschaulich: „Wie ein Gedicht entsteht, werde ich oft gefragt. Aus Geistesgegenwart Tag für Tag, antworte ich, abwartender Wahrnehmung, Beobachtung der Verhältnisse ohne Intention, kommt der Blitz einer Sekunde, der alles verdichtet. Man kann ein Gedicht leicht dahinschreiben, dazu braucht es oft nur Minuten, aber sich aufmachen, einen Begriff zu erkunden, dauert ein ganzes Studium. Lebenszeit ist der Rahmen, in dem alle Begriffe, alle Worte und ihre Bedeutungen erst nach und nach ihre Konturen gewinnen.“

Warum sollte aus „gläubiger Geistesgegenwart“, der alltäglichen, geduldigen Beobachtung der Gegenwart, in der Gott für uns Zeichen der Zeit verbirgt und enthüllt, nicht auch durch den Geistesblitz Gottes Neues entstehen, kreativ und verdichtend, was wir so lange schon im Innersten suchen und erhoffen? Frieden – ganz konkret und alle Menschen umfassend. Wahrheit – die andere wertschätzt und inkludiert. Gerechtigkeit – endlich für alle und mit allen geteilt. Das wäre ein Gedicht: Angelegt und angeregt von Gottes Geist, der nicht nur einmal, sondern in einem fort Einheit schafft, wo Trennung war, und Gaben schenkt, die auf den Himmel als Ursprung verweisen. Heute ist Pfingsten. Pfingsten für alle. Wäre es doch nur endlich so! Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe. Amen.

Lesungen:     Apg 2,1–11;  1 Kor 12,3b–7.12–13
Evangelium:     Joh 20,19–23

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