| Pressemeldung | Nr. 010a

Vortrag von Bischof Dr. Joachim Wanke

Einweihung der Katholischen Arbeitsstelle für Missionarische Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz in Erfurt

Missionarische Pastoral als Herausforderung in der Moderne

Es ist für mich eine Freude, heute mit Ihnen diese neue (und in gewisser Hinsicht auch alte, freilich veränderte) Katholische Arbeitsstelle für missionarische Pastoral hier in Erfurt einzuweihen.

Ich grüße alle, die der Einladung zu dieser Einweihung gefolgt sind ... Ich grüße Herrn Dr. Hubertus Schönemann, den Leiter der neuen Arbeitsstelle, und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es freut mich, dass es gelungen ist, in relativ kurzer Zeit ein Mitarbeiterteam für die Arbeitsstelle zu gewinnen, das schon mit Jahresbeginn in die Arbeit eingestiegen ist. Seien Sie alle herzlich in Erfurt willkommen.

Gleich eingangs möchte ich ausdrücklich den Frauen und Männern danken, die in den beiden Vorgänger-Einrichtungen, in der „Katholischen Sozialethischen Arbeitsstelle (KSA) e. V.“ in Hamm und in der „Katholischen Glaubensinformation e. V.“ in Frankfurt über Jahre hin Dienst getan bzw. diese Einrichtungen beratend mitgetragen haben. Die Erfurter Arbeitsstelle steht in Kontinuität zu der dort geleisteten Arbeit, wenngleich es nun gilt, diese unter veränderten Verhältnissen neu auszurichten und - das sei ehrlich hinzugefügt – auch zu konzentrieren.
Ich danke allen, die diesen Neuanfang ermöglicht haben: der Deutschen Bischofskonferenz, die sich zu dieser Neuerrichtung hier in Erfurt entschieden hat, (P. Langendörfer ist als Sekretär der DBK heute hier anwesend), dem Trägerverein der neuen Arbeitsstelle, besonders Herrn Domkapitular Heinz Heckwolf aus Mainz als dessen Vorsitzenden und P. Manfred Entrich OP als seinem Stellvertreter, der zusätzlich als Leiter des Bereichs Pastoral im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn zusammen mit Herrn Stefan Schohe die Vorbereitungen entscheidend mitgetragen hat.

Mein Dank gilt den Bischöfen der Region Ost, die die Pläne zur Errichtung dieser Arbeitsstelle in einem ehemaligen Teil des Erfurter Priesterseminars wohlwollend begleitet haben; ferner Herrn Generalvikar Dr. Georg Jelich, der die Umsetzung dieser Planung geduldig vorangetrieben und zielstrebig umgesetzt hat. Ich danke auch dem Priesterseminar Erfurt, das sich zugunsten der neuen Arbeitsstelle verkleinert hat – aber so hoffentlich auch durch seinen neuen Nachbarn einen geistigen Zugewinn zu seinem Dienst der Priesterausbildung hier im Osten gewonnen hat. Ferner danke ich Herrn Dombaumeister Andreas Gold und seinem Team, das den Umbau geleitet und begleitet hat, und nicht zuletzt den bauausführenden Firmen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, besonders den Bauleuten vor Ort.

Verehrte Anwesende, meiner Ansicht nach ist die Errichtung dieser Arbeitsstelle, die sich der missionarischen Pastoral widmen will, gerade hier in Erfurt ein programmatisches Zeichen. Vor allem hier im Osten Deutschlands drängt sich ins Bewusstsein, was freilich auch überall in Deutschland mehr und mehr zu spüren ist: Die Verkündigung der christlichen Botschaft muss sich heute dem weit verbreiteten Phänomen einer religiösen Indifferenz stellen. Es ist, als ob hierzulande, besonders natürlich hier in den östlichen Bundesländern, viele Zeitgenossen einen religiösen „Sprachverlust“ erlitten haben. Sie sind nicht mehr in der Lage, bestimmte menschliche Grunderfahrungen in religiösen Worten oder Zeichen auszudrücken. Christlich-kirchliche Vokabeln sind für sie wie „Chinesisch“. Warum das so ist, ist nochmals eine eigene Frage.

Bezüglich der östlichen Bundesländer ist sicher eine Ursache dafür der Ausfall bzw. die staatlich verordnete Verdrängung von Religion aus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit der vier Jahrzehnte nach dem letzten Weltkrieg. Da die kommunistische Ideologie die Religion und speziell das Christentum zu den reaktionären Kräften zählte, deren gesetzmäßiges Absterben sich freilich merkwürdig verzögerte, versuchte man dieses Absterben staatlicherseits zu beschleunigen. Von Gewicht war neben mancherlei Schikanen und Repressionen vor allem der Ausfall einer religiösen Wissensvermittlung im Bereich der schulischen und außerschulischen Bildung. Viele Menschen sind im Osten Deutschlands in einer völlig religionslosen Atmosphäre aufgewachsen.
Doch sollte die religiöse und kirchliche Situation der neuen Bundesländer nicht zu sehr als Sondersituation betrachtet werden. Die Herausforderungen für eine christliche Verkündigungsarbeit in Ost und West ähneln sich letztlich doch sehr. Zudem machen wir hier im Osten teilweise die merkwürdige Erfahrung, dass sich gerade dort, wo Menschen dem Gottesglauben ganz entfremdet sind, neue Möglichkeiten für die Verkündigung auftun. Sie erfahren in gewisser Hinsicht die Botschaft des Evangeliums als etwas völlig Neues, bisher Unbekanntes. Ihnen fehlen manche Vorurteile gegenüber Kirche und Religion, die manchmal eine Begegnung besser glücken lassen als anderswo. 

Freilich liegen die Gründe für die religiöse Sprachlosigkeit vieler Zeitgenossen sicher noch tiefer. Da ist zum einen die atheistische Prägung der vergangenen Großideologien zu nennen, die Religion als falsches Denken, als Opium für das Volk oder auch als Ressentiment der Zu-Kurz-Gekommenen diskreditierten. Da wäre zum anderen auch manches an den schrecklichen Erfahrungen gerade des 20. Jahrhunderts zu nennen, die Gräuel der Kriege und die ungeheuren Verbrechen, die den Glauben an einen guten und menschenfreundlichen Gott bis in die Wurzel erschütterten - und bis heute für viele fragwürdig machen.

Ich spreche an dieser Stelle gleich einmal einen grundlegenden Einwand an, der von manchen gegenüber einer sich religiös verstehenden Existenz gemacht wird und der das Denken und Empfinden der Moderne durchzieht: Es ist der Verdacht, mit einem religiösen Glauben verliere der Mensch seine Autonomie, seine Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Religion, und eben auch christliche Religion – so lautet der Vorwurf – sei ein Zustand der Fremdbestimmtheit, in der dem Menschen das Recht auf schöpferische Selbstverwirklichung und moralische Autonomie genommen würde. Das ist der geheime Stachel, der viele auch nachdenkliche Menschen vom Glauben an Gott und an das Evangelium abhält.

Darauf mag es manches zu antworten geben, von der Anthropologie her, die weiß, dass wir grundsätzlich dialogische und nicht monologische Wesen sind; von der Theologie her, die aufzeigen kann, dass Gottes Freiheit nicht als Konkurrenz, sondern nur als Ermöglichungsgrund der Freiheit des Menschen zu verstehen ist. Der Psalmist sagt: „In deinem Licht schauen wir das Licht!“ (Ps 36,10). Wer liest, denkt normalerweise nicht ans Auge.

Aber es geht bei der Frage einer Glaubensverkündigung unter heutigen Bedingungen letztlich nicht zuerst um ein Austauschen rationaler Argumente. Bei der Frage, ob es einen Gott gibt und vor allem: ob ich mich diesem Gott anvertrauen kann, geht es bekanntlich um Gründe, die allein das Herz kennt, wie Blaise Pascal sagen würde. Wem kann man beweisen, dass Wasser trägt, wenn er nie den Sprung ins tiefe Wasser wagt? Wem kann man darlegen, dass Freundschaft, dass Partnerschaft nicht passiv macht, sondern im höchsten Maße aktiv, wenn nicht dem, der sich solchen personalen Bindungen selbst aussetzt? Wer einen anderen liebt, bleibt frei, auch wenn er sich als Liebender auf Verantwortung, auf Verpflichtungen einlässt, aber eben auf einer anderen, sein Leben weitenden Wirklichkeitsstufe.

Es gibt Bindungen, die frei setzen. Und zu ihnen gehört der christliche Gottesglaube. Solche Bindungen sind aber nicht andemonstrierbar. Sie müssen erprobt werden, um ihre innere Evidenz zu erweisen. Das ist ähnlich wie bei Bindungen an Werte: Wenn man von ihnen nicht ergriffen wird, sind Belehrungsversuche mit der Zielrichtung ihrer Verinnerlichung meist aussichtslos. Was man aber tun kann ist: Man kann solche Bindungen bezeugen, man kann von ihnen erzählen, man kann sie empfehlen („vorschlagen“ – proposer, wie der bekannte Brief der französischen Bischöfe „Proposer la foi“ formuliert). Und genau das – bezeugen, erzählen, vorschlagen – sind die Felder, innerhalb derer sich eine missionarische Pastoral ereignen kann.

Was ich als grundlegende Aufgabe für unsere Kirche in Deutschland benennen möchte, sage ich mit den Worten unseres Papstes (in seinem Brief an die Bischöfe vom 10. März 2009): „In unserer Zeit, in der der Glaube in weiten Teilen der Welt zu verlöschen droht wie eine Flamme, die keine Nahrung mehr findet, ist die allererste Priorität, Gott gegenwärtig zu machen in dieser Welt und den Menschen Zugang zu Gott zu eröffnen.“ Und noch einmal einige Sätze weiter: „Die Menschen zu Gott, dem in der Bibel sprechenden Gott zu führen, ist die oberste und grundlegende Priorität der Kirche ...“

Die Deutsche Bischofskonferenz hat in den letzten Jahren den Gedanken einer neuen missionarischen Präsenz des Evangeliums in Deutschland nachdrücklich herausgestellt. Das hat bei vielen ein zustimmendes Echo gefunden. Aber es zeigten sich gleich auch die Ratlosigkeiten. Ja, es ist wieder „Zeit zur Aussaat“, um diese biblische Metapher zu gebrauchen. Aber gibt es auch den aufnahmebereiten Ackerboden? Es braucht Glaubende, die gegenüber anderen in Glaubensdingen ihr Herz auftun und bezeugen, „zu welcher Hoffnung sie berufen sind“. Aber wo finden sich solche gläubigen Frauen und Männer, die in einer überzeugenden Weise – unaufgeregt, mit „Bodenhaftung« und menschenfreundlich – vom Glauben an Gott und was er in ihrem Leben bewirkt, sprechen können?

Die Aufgabe ist skizziert. Es braucht eine Kirche, die bereit ist, in gewandelter Zeit wieder neu „Missionskirche“ zu werden – wobei das in Bayern und im Rheinland anders aussehen wird als in Thüringen und Sachsen. Alles, was diesem Ziel dient, sollte in unseren Diözesen Vorrang haben. Darüber immer neu Verständigungen herbeizuführen, zwischen Amtsträgern und allen Gläubigen, zwischen Pfarrseelsorge und katholischer Verbandsarbeit, zwischen Theologie, Bildungsarbeit und caritativen Diensten - eben in der Breite derer, denen an einer Präsenz des Evangeliums hier in Deutschland auch in Zukunft gelegen ist, nicht zuletzt auch in ökumenischer Verständigung, das ist alle Mühe wert. Unsere neue Arbeitsstelle ist genau in dieses Aufgabenfeld einzuordnen, als Dienstleister für alle Diözesen unseres Landes.

In dieser Grundoption einer missionarischen Pastoral ist freilich implizit eine weitere mitgegeben: Es braucht eine innere Annahme der Situation, in die Gott unsere Kirche mit ihrer Seelsorge hineinführt. Ich sage sofort dazu: Diese Annahme besagt nicht Angleichung oder gar Kapitulation vor dem Zeitgeist, was immer das auch sei. Wer anerkennt, dass wir in einer offenen, geistig-pluralen Gesellschaft leben, anerkennt damit noch nicht den Pluralismus, den manche in dieser Gesellschaft bis hin zum Exzess der Vergleichgültigung jedweder Suche nach Wahrheit und Lebenssinn treiben.

Ich meine vielmehr eine Bereitschaft, sich auf diese offene, liberale, aber auch fragende und suchende Gesellschaft einzulassen, auf die Menschen, so wie sie heute sind, nicht wie sie nach unseren christlichen Vorstellungen sein sollten. Es braucht eine innere Empathie für Zeitgenossen, die tief in ihrem Herzen von den Herausforderungen der Moderne, etwa der ungeheuren Ausweitung unseres Wissens und unserer Fertigkeiten fasziniert, aber auch verunsichert sind. Das sieht zum Teil im Osten anders aus als im Westen. Aber insgesamt ist das geistige Umfeld, in dem wir das Evangelium auszurichten haben, in Ost und West gleich: Es gilt standzuhalten einer Ratlosigkeit, die fragt, was der verkündigte Gott des christlichen Glaubens mit dem eigenen Leben und dem Zustand unserer Gesellschaft zu tun haben könnte.

Die Lebensoptionen sind heutzutage so vielgestaltig und unterschiedlich geworden, das Herkommen der Einzelnen und die dahinter stehenden Traditionen so brüchig, dass Menschen bis in die Mitte unserer Gemeinden hinein die bisher tragenden Selbstverständlichkeiten des Christlich-Katholischen anfragen und für sich neu begründen müssen. „Hier stehe ich - und ich könnte auch ganz anders!“ Das ist in Kurzfassung die Diagnose einer Befindlichkeit, die den Pluralismus und die Kontingenzerfahrungen der Gegenwart treffend kennzeichnet. Diese Situation anzunehmen, sich ihr zu stellen und in diesem nicht mehr vom christlichen Glauben dominierten Umfeld das Evangelium neu präsent zu machen, das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir als Kirche stehen.

Was hat das für Konsequenzen für den Weg unserer Kirche? Ich nenne drei Aufgaben, denen sich unsere Kirche mit ihren derzeit immer noch beachtlichen quantitativen und qualitativen Ressourcen verstärkt stellen muss:

(1)  Wir brauchen eine Vertiefung und „Verheutigung“ unserer Gottesverkündigung. Das ist zunächst eine intellektuelle Herausforderung, in der sich angesichts heutiger Welt- und Lebenserfahrungen der Menschen Theologie und Bildungsarbeit unserer Kirche bewähren müssen, aber auch eine Herausforderung für die öffentliche Verkündigung, für die Katechese und den Religionsunterricht. Es gilt, angesichts gegenwärtiger Infragestellungen des Glaubens verantwortet „Gott denken“ zu können, sonst droht die Gefahr, dass wir uns ins Sektenhafte verabschieden.
Damit verbunden ist eine pastoral-praktische Herausforderung: Vermehrt werden in Zukunft „Wege erwachsenen Glaubens“ notwendig, die Einzelne und kleine Gruppen in eine mündige, auskunftswillige und auskunftsfähige Form des Christseins heute einweisen, bis hin zu einer Einübung dieses Christseins im modernen Lebensalltag mit seinen Fragen und Paradoxien. Die Pfarrgemeinden werden dabei ein wichtiger „Glaubensort“ bleiben, aber für zunehmend viele Menschen eben nicht der einzige. Wo sind solche Lebensorte des Menschen heute, die für ihn zu persönlichen und gemeinschaftlichen Glaubensorten werden könnten? Welche Rolle spielt dabei die Welt der Medien, die uns immer mehr bestimmt? Solche und andere Fragen dieser Art zu erkunden und auszuloten, wird eine wichtige Aufgabe dieser Arbeitsstelle werden. Dabei sollte sich auch die Theologische Fakultät in Erfurt und die Theologie insgesamt mit ihren Möglichkeiten einbringen.

(2)  Wichtige Orte kirchlich-missionarischer Präsenz werden auch künftig Diakonie-Orte sein. Unsere Kirche wird solche Räume brauchen, auch wenn die öffentliche Hand vieles nicht mehr so wie früher finanziell fördern kann. Weniger könnte dann auch mehr sein. Aber ohne solche Orte, an denen „das Sakrament des Bruders und der Schwester vor den Kirchentüren gespendet wird“ (wie Hans Urs von Balthasar einmal gesagt hat), kann Kirche nicht auskommen. Das können Schulen, Kindergärten, Bildungseinrichtungen sein, das können kleinere Initiativen Einzelner und Gruppen auf der Basis bürgerschaftlichen Engagements sein, aber eben auch überkommene oder neue Orte der Leib- und Seelsorge, in denen Kirche den Dienst der Fußwaschung im Sinn des Herrn leistet. Ich bin dankbar, dass die Bereitschaft, Orte der Diakonie auch als Orte der Pastoral neu zu entdecken und zu stärken, beim DCV und anderen Trägern katholischer Sozialarbeit, aber auch in den größer werdenden Pfarreien am Wachsen ist. Auch in dieser Hinsicht sollte unsere neue Arbeitsstelle die Tendenzen und Veränderungen in der Gesellschaft analysieren und bewerten, die die Akteure sozialer Arbeit und die Formen bürgerschaftlichen ehrenamtlichen Engagements betreffen. Wir können als Kirche davon nur profitieren.

(3)  Und schließlich brauchen wir mittelfristig, gerade angesichts des derzeitigen Streites um das Erbe des letzten Konzils eine Vertiefung der theologischen, liturgischen und spirituellen Kompetenz - beim Klerus und beim Gottesvolk. Wenn es zum Wesensvollzug der Kirche gehört, dass sie feiert, was sie bekennt, und dass sie betet, was sie glaubt, wird das Grundwasser einer soliden liturgischen Frömmigkeit und spirituellen Bildung an Bedeutung gewinnen. Glaubensinformation ist und bleibt ein dringliches Desiderat, und deshalb sei hier noch einmal dankbar an jene erinnert, die in den eingangs erwähnten Vorgänger-Arbeitsstellen in Hamm und Frankfurt a. M. sich lange solchen Aufgaben gewidmet haben. Sicher, es gibt viele vergleichbare Bemühungen in den Diözesen zur Glaubensinformation und Glaubensbildung, bistumsübergreifend etwa in Würzburg „Theologie im Fernkurs“ oder den „Fernkurs Liturgie“, den das Liturgische Institut in Trier anbietet. Auch an die on-line-Dienste mancher Diözesen sei hier erinnert.

Der Katholik von morgen muss ein informierter Katholik sein – und er wird sich aus dem Grundwasser einer Frömmigkeit speisen müssen, die den heutigen Herausforderungen, ja Infragestellungen des christlichen Glaubens standhalten kann. Ich plädiere dafür, dass das Stichwort „gebildete Frömmigkeit“ wieder einen guten Klang in unserer Kirche erhält.  

Und dass alle diese Aufgaben noch einmal umfangen werden von der Frage, wie das Erschließen des Gotteshorizontes und der Möglichkeit von Kirchenberührung auch medial vermittelt werden kann, sei hier noch einmal ausdrücklich erwähnt. Auch dies wird eine wichtige Aufgabe der neuen Arbeitsstelle sein, wobei sie dabei aufmerksam die Bemühungen, die in unseren Diözesen in Deutschland und im Ausland dazu existieren, wahrnehmen und an andere vermitteln sollte.
Vielleicht könnte man eine Grundaufgabe von Kirche und ihrer Pastoral heute mit dem Stichwort kennzeichnen: „Anknüpfungsmöglichkeiten für das Evangelium erkunden.“

Das wird in den verschiedenen Regionen der Bundesrepublik sehr unterschiedlich sein. Auch der Osten ist nicht so religionslos wie manche meinen. Spurenelemente des Christentums sind hier durchaus auch gegeben: Feiertagskultur, mancherlei Brauchtum, Interesse an Geschichte bzw. auch persönliche Erfahrungen, an die man anknüpfen kann: die Tatsache der eigenen Taufe, bruchstückhaftes Wissen um Religion, die Begegnung mit Fremdreligionen.

Doch sollten auch andere, vielleicht noch tiefer im Wesen des Menschen ansetzende Anknüpfungen in den Blick genommen werden. Aus meiner Erfahrung heraus ist das besonders die Erfahrung einer glückenden Beziehung, manchmal auch nur die Sehnsucht danach, oder auch die Erfahrung eines Scheiterns solcher Beziehungen. Solche Erfahrungen bilden so etwas wie ein „Tor zur Transzendenz“. Beziehungen kann man bekanntlich nicht machen. Sie sind zutiefst Geschenk. Und doch bestimmen ihr Gelingen oder Misslingen die Qualität des Lebens. Einige Beispiele für diese Art der Anknüpfung der christlichen Verkündigung an die Lebenssituation von Menschen sind im Bistum Erfurt entwickelt worden, etwa Segnungsgottesdienste, die den Blick für das Geschenk von Freundschaft und Partnerschaft stärken, das nächtliche Weihnachtslob für Nichtchristen, die Feier der Lebenswende für junge, ungetaufte Menschen, das monatliche Totengedenken als Angebot für Bewohner der Stadt Erfurt, die ihre Angehörigen haben anonym bestatten lassen, die „Kosmas und Damian-Liturgie“ für Langzeitkranke und Behinderte, die trotz aller medizinischen Hilfe mit ihren Einschränkungen weiterleben müssen, oder seit drei Jahren die Aktion von Theologiestudenten für Besucher des Erfurter Weihnachtsmarktes „Folge dem Stern“, die ihnen den Sinn des Weihnachtsfestes erschließen wollen.

In einer nichtchristlichen, von säkularer Ethik gespeisten Gesellschaft gilt es, stärker als in einer christentümlich geprägten Gesellschaft in der Verkündigung des Glaubens neue Wege zu gehen. Dabei geht es um ein Anbieten des Glaubens, das nicht „von oben“ her kommt, sondern das aus einer Haltung der Grundsympathie mit den Menschen jene Momente des Evangeliums zum Leuchten bringt, die den Menschen eine Identifizierung mit der christlichen Botschaft von innen her ermöglichen. Glaubensverkündigung und Seelsorge können ja nur „Hebammendienste“ im Blick auf das Gottesverhältnis der Menschen leisten, niemals den Glauben „produzieren“. Dieses Wissen verhindert zum einen die vorschnelle Etikettierung und Abwertung von Menschen als rettungslos unreligiös. Sie beflügelt zum anderen den seelsorglichen Einfallsreichtum, unter Umständen auch neue Wege in der Verkündigung an Nichtchristen zu beschreiten. Ich erhoffe mir hier von unserer Arbeitsstelle förderliche Impulse, wobei wir freilich diese Aufgabe nicht hierher nach Erfurt aufatmend abdelegieren können.
Was mich für unsere Pastoral zuversichtlich stimmt: Es gibt eine wachsende Sehnsucht nach dem Heiligen in der Gesellschaft, auch wenn atheistische Gereiztheiten und Tendenzen zum Blasphemischen ebenso (vielleicht gerade deswegen?) zu registrieren sind. Die Präsenz des Religiösen in der Gesellschaft transformiert sich – aber das Religiöse verschwindet nicht. Auch wenn sich die Gestalt von Kirche und die Praxis ihrer Pastoral stark verändern wird, bin ich von der bleibenden Aktualität des Evangeliums, das die Kirche den Menschen jeder Zeit anbieten darf, überzeugt. Der christliche Glaube wird sich in Zukunft freilich stärker qualitativ präsentieren und weniger quantitativ. Auch heute gilt das Wort: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts“ (Joh 6,63). Es braucht in einer sich ins Subjektive und Beliebige weiter verlierenden Moderne eine Spiritualität, die dem einzelnen Christen Stehvermögen verleiht und ihm hilft, sich dennoch anderen Positionen gegenüber als dialogfähig zu erweisen.

Die alte Selbstverständlichkeit gewinnt wieder neue Evidenz: Nur die Beter werden als Christen bestehen. Eine Kirche, die im Gottesgeheimnis fest verwurzelt ist, bleibt auch heute für die Menschen interessant. Dass dies so ist, darauf gründet meine Hoffnung – auch für unsere Kirche in Deutschland, die in eine neue Zeit hinein unterwegs ist.

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