Geschichten vom Bruder Franz – Lene Mayer-Skumanz
Wie kaum ein anderer Heiliger hat Franz von Assisi die Phantasie der Nachwelt beschäftigt. Die Gefahr der Verniedlichung und Versüßlichung eines Heiligenlebens, das gerade für unsere Zeit beispielhaft sein könnte, ist dabei unübersehbar. Lene Mayer-Skumanz umgeht diese Gefahr, indem sie sich vorurteilsfrei auf die "Geschichten vom Bruder Franz" einlässt. Nicht die Verfremdung um der vermeintlichen Aktualität willen ist ihr Ziel, sondern der sachlich genaue Bericht anhand der historischen Quellen und Wundererzählungen. So entstand ein Buch für Kinder ab acht Jahren, das die gewinnende Menschlichkeit und den natürlichen Charme des Heiligen auf unverstellte Weise zeigt. Die Autorin hat dabei - ein Zugeständnis an die Adressaten ihrer Darstellung - das Schwergewicht auf die Kindheitsgeschichte des Heiligen gelegt. Die Spiritualität von Franz wird nicht, wie es die Überlieferung will, aus einem plötzlichen Bekehrungserlebnis hergeleitet. Stattdessen ergibt sie sich folgerichtig aus prägenden Kindheitserfahrungen, wobei hier an erster Stelle die Erziehung durch die Mutter zu nennen ist. Es wäre ungerecht, wollte man diese psychologisierende Umdeutung als eine Verzeichnung der ursprünglichen Heiligenbiographie bewerten. Sie macht vielmehr das Lebensschicksal des Francesco Bernadone den heutigen Lesern plausibler und eröffnet vor allem den Kindern Möglichkeiten zur Identifikation.
Die Erzählerin gebraucht eine behutsame und einfache Sprache, deren Poesie und innerer Rhythmus sich erst beim Vorlesen richtig erschließen. Der heilige Franz ist in ihrem Buch nicht nur ein schwärmerischer Vogel-prediger und schon gar kein weltferner Idylliker. Er offenbart die ganze Strenge und religiöse Entschiedenheit seines Charakters. Im Gegensatz zu vielen Kinderbüchern, die lediglich den Schöpfungsglauben thematisieren, macht Lene Mayer-Skumanz an der Person des Bruder Franz den unverzichtbaren christlichen Zusammenhang deutlich zwischen Schöpfungsglauben einerseits und Erlösungsglauben andererseits. Die Kreuzesnähe des Heiligen, die auch durch seine Stigmatisierung zum Ausdruck kommt, wird den Kindern immer wieder ins Bewusstsein gehoben: „Es rufen die armen Menschen, es rufen die Tiere, es ruft mich Jesus vom Kreuz“.
Dass ein Kinderbuch die Tiefe eines Heiligenlebens nicht völlig ausloten kann, versteht sich hier von selbst. Das gilt auch für die historische Szenerie, die lediglich kurz angedeutet wird und die kirchenpolitische Bedeutung des Heiligen. Über solche notwendigen Lücken in den "Geschichten vom Bruder Franz" helfen die anschaulichen Schilderungen der Autorin hinweg, die Fülle der erzählten Alltagsbeobachtungen.
Lene Mayer-Skumanz hat ein farbiges und unterhaltsames Buch geschrieben, dessen religiöse Botschaft wie selbstverständlich im Text mitschwingt. Kinder werden daran Freude haben und gleichzeitig zum Nachdenken angeregt über einen Heiligen, der ihnen sehr fern steht und doch wieder auf eine unvermutete Weise ganz nahe. Das äußere Erscheinungsbild dieser kindgemäßen Heiligenbiographie ist an Aquarell-Illustrationen mit harmonischen Farben geknüpft. In ihnen wird die Atmosphäre der südlichen Landschaft besonders gut eingefangen, während die Personendarstellung eher gefühlhaft-liebliche Akzente setzt.