| Pressemeldung | Nr. 099

Bilanz der Heimkinder-Hotline

„Ein wichtiger Schritt zur Aufklärung und Aufmerksamkeit“

Die Heimkinder-Hotline der katholischen Kirche schließt am 30. Juni 2012. „Nach einer mehrjährigen erfolgreichen Arbeit ist dieses Angebot der Kirche nicht länger notwendig, weil unterdessen sehr gute andere Angebote geschaffen wurden. Die Hotline war ein wichtiger Schritt zur Aufklärung und Aufmerksamkeit“, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch. „Mit den Anrufen konnten Schicksale ehemaliger Heimkinder aufgeklärt werden. Vor allem hat die Hotline ein Gesprächsangebot für Heimkinder ermöglicht, das ihnen die notwendige und in der Vergangenheit oft versagte Aufmerksamkeit geschenkt hat.“

Seit Januar 2010 haben sich 909 Betroffene bei der Heimkinder-Hotline gemeldet. Die Hotline war das erste bundesweite Angebot dieser Art für ehemalige Heimkinder. Sie richtete sich an Betroffene, die zwischen 1945 und 1975 in katholischen Einrichtungen schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Von den 909 Betroffenen haben 645 telefonisch und 264 im Rahmen einer Online-Beratung die Hotline genutzt. Insgesamt gab es 1.959 telefonische Beratungsgespräche, die meistens zwischen 15 und 60 Minuten dauerten. Unter den Anrufern, die überwiegend im Alter zwischen 40 und 70 Jahren waren, befanden sich mit 55 Prozent etwas mehr Männer als Frauen (44 Prozent).

Von den Anrufern der Hotline berichteten 73 Prozent den Beraterinnen und Beratern von körperlichen Strafen, 53 Prozent von Abwertungen, 48 Prozent von Demütigungen und 46 Prozent von einer rigiden Disziplin. 243 Anrufer gaben an, sexuellen Missbrauch durch Erwachsene im Heim, in der Gruppe oder durch Menschen außerhalb des Heims erfahren zu haben. Viele Betroffene leiden noch heute unter ihren damaligen Erfahrungen. Sie berichten von Ängsten und Zwängen, mangelndem Selbstwertgefühl und Bindungsunfähigkeit, von gescheiterten Beziehungen zu Partnern und Kindern sowie psychischen Störungen und körperlichen Erkrankungen. Einsamkeit war vor allem bei alleinstehenden alten Menschen ein wichtiges Thema.

Die Leiterin der Heimkinder-Hotline, Margarete Roenspies-Deres erklärte: „Die Hotline der katholischen Kirche war für viele Betroffene das Angebot einer ausgestreckten Hand, die sie schon lange erwartet hatten und die sie nun ergreifen konnten. Viele sahen die Hotline auch als einen Versöhnungsschritt durch die Kirche, der einige sehr schmerzvolle Wunden lindern konnte“. Roenspies-Deres wies darauf hin, dass für andere Betroffene die Geste der dargereichten Hand zu spät gekommen sei. „Alle empfanden jedoch die Möglichkeit, über ihr persönliches Schicksal in kirchlichen Heimen mit kirchlichen Mitarbeitern sprechen zu können, als uneingeschränkt gut für ihr persönliches Leben. Sie fühlten sich wertgeschätzt und ernst genommen“, so Roenspies-Deres.

Erzbischof Zollitsch bewertet die Hotline als wichtigen Schritt der Heilung: „Mit der Hotline wurde zum Ausdruck gebracht, dass den Betroffenen die schrecklichen Erlebnisse, die ihnen im Heim widerfahren sind, geglaubt werden und dass es keinen Grund mehr gibt, sie schamvoll zu verschweigen.“ Der Erzbischof dankte den Beraterinnen und Beratern, die sensibel und hilfsorientiert mit den Anliegen der Anruferinnen und Anrufer umgegangen seien.

In den 50er und 60er Jahren gab es nach wissenschaftlichen Studien insgesamt rund 800.000 Heimkinder, davon waren etwa 300.000 in katholischen Einrichtungen untergebracht. Die bundesweite Hotline für ehemalige Heimkinder war ein Angebot der Ehe-, Familien- und Lebensberatung im Erzbistum Köln im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz, des Deutschen Caritasverbandes, der Deutschen Ordensobernkonferenz und des Bundesverbandes katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen.

Hilfsangebote für ehemalige Heimkinder gibt es weiterhin: Bereits seit Januar 2012 können sich ehemalige Heimkinder, die zwischen 1950 und 1975 eine Zeit lang in einem oder mehreren Kinderheimen in der Bundesrepublik Deutschland waren, an die Anlauf- und Beratungsstellen des Fonds Heimerziehung in den westdeutschen Bundesländern wenden. Dieser Fonds wird von der katholischen und der evangelischen Kirche, vom Bund und von den westdeutschen Bundesländern getragen. Für ehemalige Heimkinder aus der DDR werden der Bund und die ostdeutschen Bundesländer vergleichbare Anlauf- und Beratungsstellen zum 1. Juli 2012 in diesen Bundesländern errichten. Auch die katholischen Beratungsstellen für Ehe-, Familien- und Lebensfragen haben weiterhin eine besondere Aufmerksamkeit für die Anliegen ehemaliger Heimkinder.