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Brief der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz an die Verantwortlichen in der kirchlichen Jugendarbeit zu einigen Fragen der Sexualität und der Sexualpädagogik

Liebe Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter der Jugendlichen!

In der Jugendkommission haben wir uns seit längerer Zeit mit Fragen beschäftigt, die sich in der modernen Lebenswelt besonders für Jugendliche und junge Erwachsene beim Erleben der Sexualität stellen. Nach einem ausführlichen Informations- und Diskussionsprozess stellen wir Ihnen unsere Überlegungen vor.

Wir wenden uns an die, die in der kirchlichen Jugendarbeit ehrenamtlich oder hauptberuflich Verantwortung tragen und mit jungen Menschen im Gespräch stehen. Wir wenden uns an Jugendseelsorger, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer und auch an die Eltern und laden sie zum Dialog ein.

Wir wissen darum, dass Sie sich als glaubwürdige Partner junger Menschen oft in einer schwierigen Rolle befinden. Wir wissen, dass die Sexualpädagogik ein komplexes Handlungsfeld kirchlicher Jugendarbeit bildet. Wir wissen um die Schwierigkeiten, ohne die Spannungen aufheben zu können. Aber wir wollen einander ermutigen, die Jugendlichen in konkreten Situationen nicht allein zu lassen und miteinander zu lernen.

Wir wollen Ihnen mit diesem Brief unsere Verbundenheit zeigen. Gerne möchten wir Ihre Antworten und Einschätzungen hören, damit wir weiter im Gespräch bleiben.

Ein Wort zuvor: Unser Engagement

Wenn wir Ihnen zum Thema Jugend und Sexualität schreiben, tun wir dies bewusst nicht von einem neutralen Standpunkt aus. Wir stehen auf dem Grund unseres Glaubens, und wir wenden uns an Männer und Frauen im großen Raum unserer Kirche, die sich auf unterschiedliche Weise und in verschiedenen Bereichen einsetzen. Wir alle sind geprägt von unseren Erfahrungen, die wir als katholische Christen und Christinnen machen. Wir sprechen also nicht ohne Voraussetzungen miteinander.

Sexualität gehört zu den Grundvollzügen des Lebens. Besonders Jugendliche erfahren die Sexualität als groß und schön, als geheimnisvoll-unheimlich und überwältigend. Sie suchen Glück und geraten an Grenzen. Der Glaube sagt uns, dass wir in diesen Erfahrungen nicht allein gelassen sind. Gott trägt und begleitet uns, auch wenn wir in Sackgassen geraten. Seine Liebe geht unserer Liebe voraus. Sie leuchtet in menschlicher Liebe auf. Sie richtet auf und heilt, was Menschen erfahren und tun.

Im Glauben gewinnen wir Ermutigung, Wegweisung und Orientierung. Uns hier immer neu zu vergewissern, muss unsere gemeinsame Aufgabe sein. Erinnern wir uns darum an wichtige Grundlagen, auf denen wir aufbauen. Wir sind davon überzeugt, dass eine christliche Gestaltung der Sexualität unserem Menschsein entspricht. Gottes Weisungen und Einladungen treten nicht fremd an uns heran, sondern wollen uns helfen, Menschen nach seinem Bild zu werden. Umgekehrt kann die Sexualität als zerstörerische Kraft wirken, die zur Trennung von Gott und den Menschen führt, wenn sie verabsolutiert und vergötzt wird.

Sexualität ist kein isolierter Lebensbereich. Den Grund für unser ganzes menschliches Leben sehen wir in dem einladenden Bild vom Menschen, das uns in Jesus Christus aufgeht. Menschen finden ihre Schönheit und Würde darin, dass sie - jede Frau, jeder Mann - unverwechselbar vor Gott leben dürfen und zusammen mit der Menschheitsfamilie eine geschwisterliche Gemeinschaft bilden. Als Frau und Mann entsprechen sie dem Bild Gottes. Jesus Christus zeigt uns, dass Frau und Mann zu ganzheitlicher Liebe und lebenslanger Treue befähigt sind. Ihre Liebe gewinnt in der Ehe bleibende Gestalt, drückt sich in der Bereitschaft zu neuem Leben und in der Sorge für die Kinder aus; sie ist die schöpferische Kraft einer neuen Familie, die nicht an blutsmäßige Verwandtschafts- und Sippengrenzen gebunden ist, sondern zu einer neuen Gemeinschaft wachsen will.

So wie Christus uns die Ehe und die neue Familie erschließt, vermittelt er auch eine andere Einladung: Er zeigt Männern und Frauen den Weg der freiwilligen Ehelosigkeit um Gottes und der Menschen willen auf. In dieser Form der Nachfolge Jesu Christi üben sie Verzicht, um in ungeteilter Liebe frei für Gott und die Familie der Menschenkinder zu sein. Auch Formen der Ehelosigkeit bei Menschen mit ihren eigenen Biographien und ihrer konkreten Lebensgeschichte erhalten in diesem Licht ihren persönlichen Sinn.

Der Glaube will den Weg zu einem gelingenden Leben frei machen. Aber das Gelingen darf nicht vordergründig verstanden werden. Wie sehr zum Leben auch das Bestehen von Leid und Scheitern gehört, zeigt sich darin, dass wir Christen den Weg Jesu zum Kreuz als Weg des Lebens bekennen. In jedem menschlichen Leben, in der Ehe wie im Zölibat, werden Spuren vom Kreuz sichtbar, das auch Schmerz, Härte und Verzicht bedeuten kann. Besonders sehen wir das Kreuz Christi in den Alleingelassenen, Gebrochenen, Erniedrigten, Gescheiterten. Wir sind überzeugt: In der lebendigen Beziehung zu Jesus Christus können solche Kreuzeserfahrungen zu einem erfüllten Leben führen.

Unsere Überlegungen sind eingebunden in Leben und Lehre der Kirche. Grundelemente einer Ordnung der Sexualität sind in jüngerer Zeit im Katechismus der katholischen Kirche zusammengestellt worden. Die deutschen Bischöfe haben im katholischen Erwachsenenkatechismus ein umfassendes Bild menschlicher Sexualität im Horizont des Evangeliums vorgestellt.

Unsere Sexualpädagogik bewegt sich im Rahmen der Ziele und Aufgaben kirchlicher Jugendarbeit. Mit dem Beschluss der Würzburger Synode halten wir fest: "Der Mensch verfolgt das Ziel, sich selbst zu verwirklichen. Er nennt dieses Ziel Glück, Liebe, Friede, Freude, Heil – und selbst im Scheitern lässt er nicht von diesem Ziel. Die Suche nach diesem Ziel prägt sich beim jungen Menschen besonders darin aus, dass er nach Herkunft, Ziel und Sinn seines Lebens fragt, sein persönliches, unverwechselbares Selbst, seine Identität sucht, sich nach Glück sehnt und von seinen Mitmenschen angenommen sein möchte. Hier muss eine kirchliche Jugendarbeit ansetzen. Sie muss den jungen Menschen erleben lassen, dass gerade der christliche Glaube mehr als alle anderen weltanschaulichen Angebote den Weg zur Selbstverwirklichung freimacht und somit auf seine Frage nach Sinn, Glück und Identität antwortet, die immer auch die Frage nach dem Glück, dem Heil und der Identität aller einschließen muss". Wir nehmen Maß am christlichen Gottes- und Menschenbild: "Gelungenes Menschsein lässt sich nach christlicher Überzeugung nie nur aus den sozialen Bedingungen der jeweiligen Zeit und den entsprechenden weltanschaulichen Sinndeutungen ableiten. Der Sinn des Lebens erwächst vielmehr aus der Vorgabe Gottes schöpferischer Liebe: Der Mensch ist nach dem Bild Gottes geschaffen. So wie der Dreifaltige Gott in Liebe gelebte Beziehung und darin 'Leben in Fülle' ist, so verwirklicht sich die Gottebenbildlichkeit des Menschen vor allem in lebenserfüllender Begegnung und Gemeinschaft. Das gilt für seine Beziehung zu Gott, zu den Mitmenschen, zur Schöpfung und zu sich selbst. Wenn der Mensch in dieser vierfachen Beziehung leben lernt, kann er sich zu dem Bild entwickeln, dessen Urbild der Schöpfer ist".

Die Sexualpädagogik in der kirchlichen Jugendarbeit sehen wir im Kontext dieser Aussagen. Menschliche Identität wächst in der Entwicklung von Beziehungsfähigkeit und Kommunikation unter der Begleitung Gottes.

1. Wir nehmen wahr
1.1 Wir nehmen heute eine komplexe Situation mit Ambivalenzen und Widersprüchen wahr. Einerseits gehört Sexualität zu den nicht mehr öffentlich tabuisierten Lebensvollzügen. Damit hat sich eine Entkrampfung ergeben. Sie zeigt sich im Verständnis vieler Eltern gegenüber dem Sexualverhalten ihrer Kinder. Die Liberalisierung der Sexualität provoziert nicht mehr eine dramatische Veränderung im Sexualverhalten junger Menschen wie in den zu Ende gehenden 60er und den beginnenden 70er Jahren.

Andererseits wird das ganze Leben zunehmend sexualisiert: Sexualität wird zur Ware auf dem Erlebnismarkt, der sich in der Werbung vielfältig widerspiegelt. Das schnelle Erlebnis soll mühsame und auch enttäuschende Erfahrungen der Beziehungsarbeit in einer Partnerschaft kompensieren. So entsteht das Scheinbild einer Sexualität ohne personale Beziehung und deren Störanfälligkeit. Die beginnenden Diskussionen über "Cyber-Sex" verweisen auf Möglichkeiten spontaner "ungefährlicher und ungefährdeter" sexueller Bedürfnisbefriedigung.

Durch die pausenlose Darstellung der Sexualität und das öffentliche Gespräch können Jugendliche unter einen Konformitäts- und Anpassungsdruck geraten. Der Schein einer Sexualität ohne Risiko wird dadurch verstärkt, dass sichere Verhütungsmethoden als selbstverständlich vorausgesetzt werden und Abtreibung vielfach als letzter Ausweg akzeptiert wird. Eine besondere Herausforderung stellt die Gefährdung durch AIDS dar. Jugendliche müssen lernen, ihr zu begegnen und geraten an Grenzen.

Die Sexualisierung beeinflusst das Sprachverhalten junger Menschen: Die Sexualisierung von Sprache und Gestik wird alltäglich und erschwert das Einüben eines der Liebe entsprechenden Sprachspiels.

1.2 Wir nehmen wahr, dass Partnerbeziehungen von der großen Mehrheit der Jugendlichen mit personal orientierten Wertvorstellungen wie Treue, Vertrauen, Ehrlichkeit, gegenseitiger Akzeptanz, Zärtlichkeit und Wahrhaftigkeit verbunden werden. Eingebettet sind diese Haltungen in die Hochschätzung von Freundschaft und Kommunikation. Beziehungsabbrüche werden als Scheitern wahrgenommen, das nicht einfach "weggesteckt" wird. Das Misslingen von Beziehungen verursacht Leiden. Diese Beobachtung steht dem Vorurteil der Leichtfertigkeit des Umgangs Jugendlicher miteinander entgegen.

Wie auch sonst in ihrem Leben sind junge Menschen in den Beziehungen zu anderen noch voller Unsicherheit. Es fehlt ihnen an Erfahrungen und verlässlichen Urteilen. Sie suchen nach Normen und stellen sie zugleich wieder in Frage.

1.3 Wir nehmen wahr, dass für viele junge Menschen Sexualität eine wichtige Lebenserfahrung darstellt. Indem sie Beziehungen zu anderen Menschen suchen, wollen sie ihre eigene Beziehungsfähigkeit erproben. Sie hoffen, dass es ihnen gelingt, Sexualität in personaler Partnerschaft als Quelle von Lebensglück zu erfahren.

1.4 Wir nehmen wahr, dass jüngere Jugendliche frühzeitige sexuelle Kontakte auch deshalb eingehen, weil sie fehlende Zuwendung in der Familie und im sozialen Umfeld durch Freundschaft ergänzen wollen. Ihre Sehnsucht nach Wärme und Geborgenheit findet eine vorläufige Erfüllung. Sie ist allerdings nicht hinreichend, weil die frühkindlichen Mangelerfahrungen nicht einfachhin ausgeglichen werden können.

1.5 Wir nehmen wahr: Die Liebe wird hoch geschätzt. An Paarbeziehungen werden auch idealisierte, mitunter überfordernde und falsche Erwartungen gerichtet. Diesen hohen Erwartungen muss allerdings nicht die Realisierung der Liebesbeziehung auf Lebenszeit entsprechen. Die Treuevorstellung hat sich geändert. Treusein gilt für die Zeit der gelingenden Beziehung. Liebe und Treue werden zunehmend voneinander getrennt. Treue wird oft nicht mehr als notwendige Konsequenz der Liebe gesehen.

Im Hintergrund stehen auch gesellschaftliche Wandlungen: Aus einer gesellschaftserhaltenden Institution wird ein "Liebesbündnis auf Zeit": "Der Rechtfertigungsmodus der Ehe ist nicht mehr traditional und materiell (Erbregelungen von Hof und Macht), sondern emotional und individuell. Die Liebesehe, die mit der Vergänglichkeit der Liebe ihren Sinn und Zusammenhalt gewinnt und gefährdet, verdrängt die auf unterschiedlichen Aufgaben und materiellen Interessen gegründete Pflichtehe". Auch bedingen die hohen personalen Erwartungen an die Ehe eine größere Bereitschaft zur Auflösung, wenn ihre personale Qualität nicht mehr gegeben ist.

Diese gesellschaftliche Wirklichkeit reicht in die Alltagserfahrungen der Kinder und Jugendlichen hinein, die – wenn nicht selbst von der Scheidung der Eltern betroffen – doch in ihrem nächsten Umfeld mit der Scheidung als gesellschaftlich akzeptiertem Ende einer ehelichen Lebensgemeinschaft konfrontiert sind.

1.6 Wir nehmen wahr, dass es nicht mehr einfach gelingt, das Jugendalter klar vom Erwachsenenalter zu trennen. Die Lebensphase, in der u.U. verschiedene Berufe erlernt und unterschiedliche – durchaus beanspruchende – Versuche unternommen werden müssen, das Leben in die eigene Hand zu nehmen, hat sich ausgedehnt. Einerseits erfolgt die sexuelle Reifung früher, andrerseits verlagert sich die Möglichkeit, das eigene Leben auch ökonomisch selbst zu bestreiten, immer weiter ins junge Erwachsenenalter hinein. Somit ergibt sich eine noch größere zeitliche Differenz zwischen sexueller Reife und erwachsener Selbständigkeit. Diese Situation begünstigt voreheliche Lebensgemeinschaften, die sexuelle Partnerschaft einschließen, ohne dass die Bedingungen für eine Elternschaft bereits gegeben sind. Voreheliche Lebensgemeinschaften werden als selbstverständlich angesehen. Die Partnerschaftsvorstellungen decken sich durchaus mit traditionellen Vorstellungen. So ist die Verlässlichkeit des Partners ebenso wichtig wie gute Kommunikation, Verständnis, gegenseitige Akzeptanz und Treue. Die Partnerschaften sind relativ stabil, die Fluktuation ist gering. Der Ehepartner ist nur für etwa die Hälfte der erste feste Partner überhaupt.

1.7 Auch im Blick auf homosexuelle Beziehungen sind Veränderungen festzustellen. Wir nehmen ein häufiges "coming out" homosexueller Menschen wahr und sehen die Auswirkungen auch in der kirchlichen Jugendarbeit. Vorstellungen, die Zahl homosexuell Veranlagter würde dadurch zunehmen, erweisen sich als falsch. Auch ist festzustellen, dass zeitweilige homosexuelle Kontakte unter Jungen in der Pubertät und Adoleszenz in den letzten Jahrzehnten deutlich zurückgegangen sind.

1.8 Wir nehmen wahr, dass gerade auch Jugendliche durch die öffentlich vorgestellten Freiheiten im Bereich der Sexualität überfordert werden. Sie sind in der Gefahr, sich mehr zuzutrauen, als sie verantworten können, und Enttäuschungen ausgesetzt.

Wir nehmen wahr, dass Jugendliche von einer allgemeinen Stimmung, jeder solle auch im Bereich der Sexualität das tun, was er für richtig hält, beeinflusst werden und dass das Verständnis für etwas, das in sich gültig sein soll, verlorengeht.

Wir nehmen wahr, dass eine schulische Sexualerziehung, die lediglich biologische Fakten vermittelt und sich nicht mit anderen Fächern verbindet, zur Banalisierung der Sexualität beiträgt. Die Banalisierung und Instrumentalisierung der Sexualität sind auch vielfach in den Medien zu beobachten.

1.9 Wir nehmen wahr, dass nach wie vor Jugendliche – auch durch Gruppen gefördert - die voreheliche Enthaltsamkeit wertschätzen und damit deutlich einen eigenen Standpunkt im Konzert der unterschiedlichen Lebensentwürfe setzen. Eine solche Einstellung ist heute vielfach angefochten. Sie kann oft nur dann durchgehalten werden, wenn Jugendliche sich gegenseitig positiv bestärken. Sie braucht Hilfe durch verantwortliche Begleiter und Begleiterinnen. Sie sollen die Jugendlichen unterstützen, damit sie mit einer freien Entscheidung ihren persönlichen Weg finden. So können die Jugendlichen erfahren, dass Verzicht auf voreheliche geschlechtliche Beziehungen keine Ablehnung der Sexualität oder Angst vor ihr bedeutet.

1.10 Die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen (Mt 19,12) bleibt in der Gesellschaft ein Stachel im Fleisch. Durch eine Gleichsetzung von "Liebe" und "Sex" wird das Leben eines Zölibatären oft als Leben ohne Liebe abqualifiziert. Wo aber junge Menschen einem gelungenen zölibatären Leben begegnen, nehmen wir auch Nachdenklichkeit wahr. Sie erleben, dass Sexualität nicht alles ist und Enthaltsamkeit nicht das Fehlen von Liebe bedeutet. Im Kontext heutiger Gesellschaft kommt dem Zeugnis der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen eine wichtige Bedeutung zu.

1.11 Zwischen den kirchlichen Normen zum Sexualverhalten und dem tatsächlichen Verhalten Jugendlicher und Erwachsener besteht vielfach ein Graben. Die Kirche hat als orientierende Institution einen Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverlust zu verzeichnen. Besonders Jugendliche sehen sich im Prozess der Individualisierung vor die Aufgabe gestellt, in eigener Verantwortung die Gestaltung ihres Lebens und damit auch die Bildung eines subjektiven Sinnhorizonts zu übernehmen. Die alltäglichen Lebenserfahrungen und kirchliche Normen scheinen nur schwer miteinander vereinbar.
Sorgfältiges Wahrnehmen der Situation gehört zu den Grundvoraussetzungen einer kirchlich verantworteten Sexualpädagogik im Handlungsfeld Jugendarbeit. Nur auf dieser Grundlage ist eine differenzierte ethische Beurteilung möglich.

2. Wir freuen uns
2.1 Bei aller Ambivalenz der öffentlichen Einstellungen zur Sexualität zeigt sich bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein enthusiastisches Vertrauen in die Liebe. Dieses Vertrauen wollen wir stützen, ohne die Augen vor der Brüchigkeit menschlicher Existenz zu verschließen. In ihm entdecken wir Spuren der "unsichtbaren Religion" im Leben Jugendlicher. Es eröffnet Fragen nach dem Sinn menschlicher Beziehung, nach dem, was trägt und worauf Verlass ist. Es erschließt die Dimension der Hoffnung.

So sind Erfahrungen der Jugendlichen ein Ansatzpunkt für die sexualpädagogische Arbeit. Sie bieten die Möglichkeit, die Sensibilität für die Bedeutung sexueller Beziehungen zu pflegen. Wir wünschen uns, dass sich ein Raum eröffnet, um über Wertvorstellungen Jugendlicher und über christliche Sinngehalte menschlicher Sexualität in einen guten Austausch zu treten. Er ist den Prinzipien der Klarheit und des Dialogs verpflichtet und hat die gegenseitige Achtung zur Voraussetzung.

2.2 Wir wollen uns mit Verständnis auf die Sinnsuche junger Menschen einlassen. Ihre Suchbewegungen sollen unvoreingenommen aufgenommen werden. "Junge Menschen entdecken neu den Wert von Sinnlichkeit und Lust und versuchen, Sexualität – gerade ein zentrales Lebensthema junger Menschen – aus jeder funktional-sachlichen Definition zu lösen" . Indem sie oft eine Kommerzialisierung der Sexualität ablehnen, weil sie zu kostbar ist, um als Ware missbraucht zu werden, treffen sie sich im Kern mit der Grundauffassung der Kirche. Dass für Jugendliche lebendige personale Beziehung und Kommunikation in der Partnerschaft zentrale Wertvorstellungen sind, kann eine Bereicherung für die Kirche darstellen.

2.3 Eine nicht geringe Anzahl von Jugendlichen will in großer religiöser Entschiedenheit leben und das eigene Leben nach den Maßstäben des Evangeliums gestalten. Das zeigt sich auch in einer neuen Suche nach sinnstiftenden Normen für den Bereich der Sexualität und in der Erwartung entsprechender kirchlicher Weisungen. Wir freuen uns über ein neu wachsendes Verständnis für Enthaltsamkeit und über die Bereitschaft, Sexualität im vollen Sinn für die Liebe in einer ehelichen Bindung aufzubewahren. Verantwortliche in der kirchlichen Jugendarbeit stehen vor der Herausforderung, solche Bewegungen in guter Weise zu begleiten. Sie sollen die kirchlichen Weisungen in verständlicher Sprache und mit einsichtigen Begründungen vermitteln. Nicht zuletzt sind sie zu einem persönlichen Glaubens- und Lebenszeugnis aufgerufen.

2.4 Wenn Anfragen und Erfahrungen von Jugendlichen, ihre Lebenswelten und das Lebensthema Sexualität als Chance verstanden werden, führt sexualpädagogisches Handeln in der kirchlichen Jugendarbeit auch zu einer Suchbewegung nach dem, was junge Menschen der Kirche zu sagen haben. Um einen neuen Zugang zu den Menschen unserer Zeit zu finden, muss die kirchliche Verkündigung über Sexualität, Ehe und Familie ihre Erfahrungen ernst nehmen.

Ebenso kann der deutliche Widerspruch, der um des Evangeliums willen in der Gemeinschaft der Kirche notwendig ist, vor die Alternative Jesu Christi führen. Gerade Jugendliche, die offen für alternative Lebensmöglichkeiten sind, können durch sie neue, unerwartete Dimensionen des Lebens entdecken.
Kritischer Widerspruch, eine verständnisvolle Interpretation, Respekt, Geduld und Barmherzigkeit gegenüber dem, was vorläufig und unvollkommen ist, können der Ausdruck für das Bemühen sein, den unterschiedlichen Lebenssituationen gerecht zu werden.

3. Wir fragen uns
Angesichts der Skepsis Jugendlicher und Erwachsener im Blick auf die kirchliche Sexuallehre müssen wir uns der Erfahrung stellen, dass eine frühere kirchliche Sexualerziehung Verletzungen hervorgerufen hat, wo sie konkrete Lebenssituationen nicht differenziert genug beurteilt hat oder auch zu sehr von anderen Einflüssen – man denke an den Puritanismus und seine Auswirkungen – geprägt wurde.

3.1 Wir fragen uns, ob das vom Evangelium ermöglichte und uns anvertraute Ideal der Ehe nicht eine Würdigung des Bemühens um Treue und personale Lebensgemeinschaft im Jugendalter zulässt, die der jeweiligen personalen Qualität Rechnung trägt. "Im Vorraum der vollen sexuellen Gemeinschaft gibt es ein breites Spektrum sexueller, das heißt aus der geschlechtlichen Bestimmtheit des ganzen Menschen erwachsender Beziehungen unterschiedlicher Intensität und Ausdrucksformen, auch eine Stufenleiter der Zärtlichkeiten. Diese Beziehungen können als gut und richtig gelten, solange sie Ausdruck der Vorläufigkeit sind und nicht intensiver gestaltet werden, als es dem Grad der zwischen den Partnern bestehenden personalen Bindung und der daraus resultierenden Vertrautheit entspricht. Volle geschlechtliche Beziehungen freilich haben ihren Ort in der Ehe" . Der gesellschaftliche Alltag zeigt, dass die christliche Überzeugung, die Ehe als Ort für die vollendete sexuelle Gemeinschaft anzusehen, von vielen nicht mehr nachvollzogen wird. Hier wird sicher auch deutlich, dass unsere christliche Wertvorstellung von der Ehe verlorengeht: Gott hat die Sexualität auf die Ehe hin geschaffen, und im Raum der Ehe behält sie ihre eigene Würde. Unter dieser Rücksicht muss bei vorehelichen und außerehelichen Lebensgemeinschaften nach den Motiven gefragt werden. Bei vielen Formen liegt kein grundsätzlicher Vorbehalt gegen die Ehe vor, wohl aber die Vorstellung, dass zu einer Beziehung neben Liebe und Geborgenheit auch die sexuelle Gemeinschaft gehört. Wo das Zusammenleben von der Suche nach den Werten einer Beziehung geprägt ist, entspricht es zwar nicht der Vollform verbindlicher Liebe und Treue. Es soll aber auch nicht auf eine Stufe mit Beziehungen gestellt werden, in denen die genannten Werte keine Rolle spielen und Sexualität nur zur Lustbefriedigung gesucht wird.

3.2 Die Entfaltung der Sexualität ist im Leben junger Menschen als Prozess wachsender Reife zu verstehen. Hier gibt es gelungene und misslungene Zwischenstufen, aber nur in wenigen Fällen schon ausgereifte, nicht mehr veränderbare Einstellungen. Die Kirche wird sich deshalb besonders als Partner verstehen, der hilft, Einstellungen zu verändern, neue Erfahrungen zu machen und das Gelingen des Lebens vor Gott nicht aus dem Auge zu verlieren. Gerade im Bereich der Sexualität kann ein behutsamer Helfer mehr verändern als jemand, der verurteilt. Wir möchten die kirchliche Sehweise nicht vor allem warnend und mahnend, sondern werbend und überzeugend vorstellen.

3.3 Wir fragen uns, welche Bedeutung Veränderungen der Einstellungen zur Sexualität für die Kirche haben können. Auch das gemeinsame Suchen von Jugendlichen und Erwachsenen in der Kirche ist ein Selbstvollzug christlichen Lebens. Aus ihm können Jugendliche und Erwachsene lernen. Wir fragen uns auch, wie im Gespräch mit Jugendlichen eine Erneuerung und Evangelisierung der Kirche erfolgen kann. Sie hat immer Umkehr und Bekehrung zur Voraussetzung - Christen sollen sich dieser Welt nicht anpassen (Röm 12,2) – , aber wir gehen davon aus, dass die überlieferte Botschaft und die Tradition der Kirche auch durch die Lebenssituationen und Lebensthemen der Jugendlichen neu gehört werden können.

Hier gibt es keine schnellen Antworten. Wir brauchen dazu einen Raum ehrlichen Ringens. Aber die Kirche wird so zu einer Lerngemeinschaft, die "Zeichen der Zeit" zu deuten versucht.

4. Wir hören
Mitten in den Erfahrungen heute wollen wir neu hören, was Jesus Christus und mit ihm die biblische Botschaft, wie sie in der Kirche lebendig ist, sagen. Einige Eindrücke und Punkte heben wir hervor.

4.1 Jesus Christus ruft jeden Menschen bei seinem Namen: So bin ich berufen, Gottes Willen zu tun. Ich darf mich von seiner Liebe ergreifen lassen, umkehren und das Leben gewinnen.

Jesus verkündet das Reich Gottes, die Frohe Botschaft von Gottes Zuwendung, die uns zur Umkehr einlädt. In ihm ist das Reich Gottes da. Es ist angebrochen, aber für uns noch nicht vollendet. Jesus zeigt uns, woran wir es erkennen können: Wo Liebe und Gerechtigkeit walten, wo Menschen ihre Mitmenschen achten und nicht ausbeuten, wo Menschen nicht herrschen, sondern den Dienst als christliche Selbstverwirklichung verstehen, entdecken wir seine Spuren. Jesus zeigt uns in seiner Stellung zum Sabbatgebot, dass die Norm dem Menschen dient und nicht der Mensch der Norm.
Jesus ist gekommen, die Sünder zu berufen und nicht die Gerechten. Er zeigt uns, dass es entscheidend auf das Herz des Menschen, seine innere Haltung ankommt. Die Menschen "reinen Herzens" werden in der Bergpredigt gepriesen. Im Herzen zeigen sich auch die menschliche Zwiespältigkeit und die Kraft des Bösen. Zu dem Schlechten, das aus dem Herzen kommt, gehören neben anderem "die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch..." (Mk 7,21 f; vgl.. Mt 15,19).

Jesus Christus begründet eine neue Form von Gemeinschaft, eine neue Familie. Sie wurzelt in der Bereitschaft, nach Gottes Willen zu leben. Und Jesus Christus bringt Gottes ursprünglichen Schöpfungsgedanken wieder zu Geltung, dass Mann und Frau in der Ehe "ein Fleisch" sind und für immer zusammengehören.

Zugleich spricht das Evangelium direkt im Anschluss an das Wort über die Ehe die Einladung zur Ehelosigkeit "um des Himmelreiches willen" aus , die zu "fassen" eine eigene Radikalität verlangt (Mt 19,3–12).

Beide Wirklichkeiten stehen so in einem engen Zusammenhang. Beide sind Weisen, das eine Geheimnis des Bundes Gottes mit den Menschen darzustellen und zu leben. Ohne Achtung für die Ehe kann es auch keine gott-geweihte Jungfräulichkeit geben; wenn die menschliche Sexualität nicht als ein hoher, vom Schöpfer geschenkter Wert betrachtet wird, verliert auch der um des Himmelreiches willen geleistete Verzicht auf sie seine Bedeutung.

4.2 Christen haben, wie wir es an Paulus sehen (1 Kor 7,25; 9,5), die freiwillige Ehelosigkeit um Gottes und der Menschen willen seit den neutestamentlichen Zeiten hoch geschätzt. Und sie haben mit großer Kraft und Begeisterung die Ehe und die Familie im engeren und im weiteren Sinn in Ehren gehalten und sie gegen jede Herabsetzung verteidigt. Christen haben sich zur Keuschheit und Enthaltsamkeit ermutigt und so in der sie umgebenden heidnischen Welt den verschiedenen Formen und Spielarten der Unzucht widersprochen. Sie haben auf diese Weise Zeichen gesetzt, die zu einem positiven Erkennungsmerkmal für sie wurden und in der damaligen Welt Respekt fanden.

4.3 Die biblische und christliche Botschaft zur Sexualität hat viele Aspekte, die jeweils neu entdeckt werden müssen. In der Mitte steht immer die Würde des Menschen vor Gott. Menschen entsprechen ihr in der Bereitschaft, ihr sexuelles Verhalten unter der Maßgabe der Liebe und der Verantwortung zu entwickeln. Die biblische Botschaft zeigt, dass Sexualität, Freude an ihr und die Möglichkeit, Leben weiterzugeben, gute Gaben Gottes sind.
Beim Gespräch wird es darauf ankommen, die Wertvorstellungen unseres Glaubens in konstruktiver Auseinandersetzung mit den jungen Menschen zu verdeutlichen. Gerade weil manche Ablehnung aus Unkenntnis erfolgt und durch vergröbernde, klischeehafte Darstellungen gefördert wird, müssen die Inhalte differenziert und authentisch vorgestellt werden. Wir müssen eine gute Sprache, mit der wir Verheißungen und Herausforderungen der christlichen Botschaft zusammen mit den Jugendlichen angemessen verstehen können, noch finden. Nicht die Normen allein, nicht Druck oder Angst helfen zu verantwortlichen Entscheidungen.

Zur christlichen Überzeugung gehört die Vermenschlichung der Sexualität, d. h. weder ihre Verteufelung noch ihre Vergötzung. So werden existentielle Grunderfahrungen ermöglicht: Selbstannahme (Identität), die Annahme des anderen (Beziehung), die Erfahrung der Lust und der Fruchtbarkeit des Menschen. Liebe, Lust und Fruchtbarkeit ergänzen sich gegenseitig: Das Einswerden von Mann und Frau ist offen für neues Leben.

Die Kehrseite ist in unserer realen Welt nicht zu übersehen. Sexualität kann missbraucht werden zu Machtausübung und Demütigung, sie kann zur Sucht werden, die Probleme zu vergessen, aber nicht zu lösen hilft. Auch wenn Sexualität instrumentalisiert oder nur für bestimmte Zwecke funktionalisiert wird, erfolgt eine Manipulation, die die menschliche Entfaltung behindert. Im Evangelium erfahren wir, wie Jesus Menschen von Krankheiten und Leiden heilt. Er befreit sie aus Abwertungen und Unterdrückungen. Er mahnt uns: Menschen dürfen nicht verzweckt werden. Entschieden tritt er für die Würde der Frau ein. Er zeigt, dass Gott den beziehungsfähigen Menschen will. Die Heilung der gekrümmten Frau, die Heilungen von Blinden und Lahmen, Tauben und Stummen stellen gestörte Beziehungsmöglichkeiten wieder her. Jesus heilt körperliche Gebrechen, befreit von der Sünde und warnt vor ihr und er befreit zum Gotteslob. Alle verweist er auf ein wirklich geheiltes Leben: Er will, dass wir das Leben in Fülle haben (Joh 10,10).

4.4 Das biblische Bild der Sexualität, das wir in der Kirche vermitteln, wird durch einzelne Regeln und Normen bestimmt. Sie wollen in ihrem Gesamt dazu beitragen, dass ein Menschenleben sich entsprechend entwickeln kann und dass besonders die Schwachen geschützt werden.
Wir laden dazu ein, die Normen zu Sexualität und Ehe, zu Elternschaft und Empfängnisverhütung, zur vorehelichen Sexualität, zur Homosexualität, zur Selbstbefriedigung im Kontext der biblischen Weisungen und Einladungen zu sehen und sie in einer verständnisvollen Sicht aufzunehmen. Sie vertieft kennenzulernen und sich das nötige Wissen um Sinn und Inhalt der Normen anzueignen, ist dafür eine entscheidende Voraussetzung.

Normen wollen nicht isoliert werden. Sie haben ihren Ort im ganzen einer sittlichen Persönlichkeit und ihrer Entwicklung. Sünde und Schuld hängen zum einen von der objektiven Tat ab, zum anderen aber auch von den Umständen, Situationen und persönlichen Voraussetzungen. Christen sind aufgerufen, besonders auch im Gespräch mit geeigneten Persönlichkeiten zu einem personalen Urteil zu gelangen und ihre Lebensform zu finden. Gerade die Beichte bietet hier eine wichtige Hilfe an. Christen wissen, dass ihr Leben in der Welt immer auch von der Wirklichkeit des Kreuzes geprägt ist. Härte und Verzicht, Versagen und neues Bemühen sind nicht nur Lebensrealitäten, sondern christliche Wahrheiten, hinter denen die Heilszusage Jesu Christi steht. Sie ermöglicht Umkehr, Vergebung und Versöhnung.

5. Wir stellen uns
Indem wir hören, die Fragen erwägen und abwägen, sie mit den Situationen heute vergleichen, indem wir uns dem Ideal annähern und uns von ihm ansprechen lassen, folgen wir der Einladung, das Leben zu gewinnen. Dabei ist jede und jeder persönlich aufgerufen, niemand kann seine Verantwortung abtreten.

Verantwortliche in der Kirche stehen hier in einer besonderen Pflicht. Sie sind der Gemeinschaft der Kirche und der christlichen Wahrheit verpflichtet und suchen in diesem Raum ihren persönlichen Standort. Sie nehmen Jugendliche in ihrer Verantwortung ernst und begleiten sie auf ihrem Lebensweg.

5.1 Wir wollen nicht den bequemen Weg der Anpassung, aber auch nicht den einer Doppelmoral einschlagen.
Wir stellen uns der Einladung und Weisung Jesu Christi, hören, was die biblische und kirchliche Tradition sagt, und versuchen, diese Botschaft in unsere Zeit hinein zu übersetzen. Wir bemühen uns, klar und ohne Beschönigung zu sehen, was uns heute begegnet. Wir erkennen, dass sich Jesu Einladung nicht mit dem deckt, was viele Menschen tun. Aber seine Weisungen und sein Ruf zur Umkehr richten sich an alle Menschen.

Wir wollen uns bemühen, Widersprüche, in denen wir stecken, nicht vorschnell aufzulösen. Spannungen zwischen dem, was das eigene Verhalten bestimmt und einem selber plausibel erscheint, und der Lehre der Kirche müssen eine Herausforderung bilden.
Vor allem wollen wir uns der persönlichen Begegnung mit Jesus Christus öffnen und unter seinem guten Blick erkennen, was er uns zutraut und wie wir von ihm mit unseren Möglichkeiten in den Dienst genommen werden.

5.2 Sich stellen muss in besonderer Weise heißen, das Gewissen zu bilden, zu Gewissensentscheidungen zu finden und andere in diesen Prozessen zu begleiten. Wir sehen es als eine Ehre an, das Gewissen als "das Heiligtum des Menschen" zu entdecken. Hier ist jede und jeder persönlich angesprochen und ernst genommen. Indem wir bei Jesus Christus und in der kirchlichen Tradition in die Schule gehen, helfen wir unserem Gewissen zur Formung und Reifung.

Im Blick auf das Gewissen gewinnt die sexualpädagogische Arbeit ihre personale Qualität. Sie begleitet den Einzelnen und lässt ihn den Raum seiner Freiheit entdecken, damit er verantwortete Entscheidungen treffen kann. "Die ethische Erfahrung im Gewissen des Menschen ist nirgendwo intensiver als dort, wo der Mensch Verantwortung für andere übernimmt. Kern dieser Gewissensentscheidung ist dann das Doppelgebot der Liebe (vgl. Mt 22,37-40)" . Auf der Suche nach Verwirklichung des Liebesgebotes müssen wir zu Entscheidungen kommen. Eine sorgfältige Gewissensentscheidung verdient Respekt. Aber sie muss ihre Richtigkeit auch messen lassen. Sie braucht die Orientierung am Wort Gottes und an der Lehre der Kirche. Irrtum und Wahrheit können nicht dasselbe Recht für sich beanspruchen.

Gerade in der Jugendarbeit erfahren wir uns alle auf dem Weg. "In der Zeit unseres irdischen Lebens sind wir immer auf der Suche nach dem Gelingen unserer Liebe. Zwar wissen wir, dass wir gut sein und das Gute tun sollen, aber wir wissen nicht immer schon im vornherein, was in vielen Lebenssituationen das wahrhaft Gute ist. Nicht selten geschieht es, dass wir trotz aller Bemühungen nicht die volle und ganze Wahrheit herausfinden, weil unsere Erkenntnis und Einsicht nicht ausreicht und weil wir nicht alle Aspekte der jeweiligen Handlungssituation durchschauen. Aber wir können unser Handeln auch nicht immer aufschieben, bis wir alles ganz genau wissen und beurteilen können. Die Situation verlangt, dass wir uns entscheiden und gemäß unserer Entscheidung handeln. Wenn wir redlich nach der Wahrheit suchen und uns entsprechend unserer Einsicht und Erkenntnis entscheiden, wahren wir die Treue zum Gewissen". So muss die Begleitung Jugendlicher bei der Gewissensbildung eine zentrale Dimension pädagogischen Handelns sein. Die Gewissensbildung ist ein lebenslanger Lernprozess. Im Jugendalter muss sie "Erziehung zur Eigenverantwortung sein. Der Jugendliche darf weder zu sehr eingeengt, noch bei Fehlverhalten alleingelassen werden. Forderungen müssen sein, dürfen aber nicht überfordern; sie müssen einsehbar sein und beim Jugendlichen zur Überzeugung führen können, dass es sinnvoll ist, sie sich zu eigen zu machen und nach ihnen zu leben".

5.3 Im Bemühen um eine geglückte und menschliche Sexualität stellen wir uns der Aufgabe, die christliche Alternative eines von Gott ins Dasein gerufenen und erlösten Menschenlebens zu entdecken. Wir sind der Überzeugung, dass das biblische und christliche Bild menschlicher Sexualität nicht lebensfeindlich oder lebensverneinend ist.

Normen, auch wenn sie in der Ausformung zeitbedingte Züge tragen, wollen schützen und Halt geben. Keine menschliche Gesellschaft, keine Gemeinschaft aber auch kein einzelner Mensch kann auf Dauer ohne Normen gut leben. Normen bedeuten oft auch eine Einschränkung. Wir erinnern aber daran, dass damit etwas Menschliches und Positives zum Tragen kommen kann, das wir nicht verlieren dürfen. Menschliches Leben soll nicht in Befriedigung und Sattheit, in Überfluss und reinem Wohlleben aufgehen. Beherrschung und Verzicht, auch Triebverzicht, gehören dazu. Die Fähigkeit zur Enthaltsamkeit ist Bestandteil wirklicher Liebe. Die Bibel weiß, dass wir das Leben neu entdecken, wenn wir von uns selbst absehen, wenn wir Gott das Beste geben, um es dann auf neue Weise zu empfangen. Für Christen wird eine "Kultur des Verzichts" durch die "evangelischen Räte" - die Berufung Jesu Christi zu Armut, Keuschheit und Gehorsam unterstrichen und bestimmt. Sie sollen in den unterschiedlichen Biographien und Lebenssituationen ein Wesensmoment eines jeden Christenlebens sein. Die Gabe der Sexualität ist uns anvertraut, damit wir sie gestalten und beherrschen, ob in der Ehe oder in der Ehelosigkeit. Eine in diesem Sinn verstandene Keuschheit verlangt, wie auch in anderen Bereichen, Mut und auch Kampf - ein Einsatz der wertvoll ist, weil er neue Dimensionen eröffnen kann.

5.4 Wir selbst ebenso wie Jugendliche wissen, dass es im Bereich von Partnerschaft, Freundschaft und verantwortlich gelebter Sexualität nicht nur Misslingen und Scheitern, sonder auch Versagen und Schuld gibt. Auch dieser dunklen und beschämenden Realität müssen wir uns stellen. Die Gewissheit von Gottes Barmherzigkeit gibt uns den Mut, Schuld einzugestehen und die Menschen, an denen wir schuldig geworden sind, um Vergebung zu bitten. Solche Erfahrungen befähigen auch zu einem Dienst der Versöhnung an jungen Menschen, die möglicherweise angesichts eigener nicht wieder gut zu machender Schuld verzweifeln wollen. Anders als eine Pädagogik, die in einseitiger Weise Fehler und Schuld gerade im sexuellen Bereich betont hat, wollen wir es als unsere Aufgabe ansehen, die Berufung zu einem Leben in Liebe zu wecken und angesichts dieser Perspektive zu Umkehr einzuladen. Eine sachgerechte und jugendgemäße Hinführung zu den kirchlichen Formen der Versöhnung und zum Bußsakrament halten wir für eine wichtige Aufgabe.

Unter diesen Aspekten gewinnt die christliche Alternative ihre Überzeugungskraft. Wir sehen es als ein lohnendes und reizvolles Ziel an, sich auf sie einzulassen.

5.5 Den Fragen um Homosexualität und Homosexuelle in der Kirche müssen wir uns in der Jugendarbeit ohne Angst und Vorurteile stellen, auch wenn wir nicht zu glatten Lösungen finden.

Selbstverständlich muss es sein, dass jeder homosexuelle Mensch seine unverwechselbare Würde als Sohn und Tochter Gottes, als Bruder und Schwester Christi besitzt. Sie gehören wie die anderen zur Kirche und sollen sie als Ort geschwisterlicher Gemeinschaft erfahren. Dass Christen in der Kirche zur Diskriminierung von Homosexuellen beigetragen haben, gehört zu den zwiespältigen Kapiteln unserer Geschichte.

Wir verstehen, dass junge Homosexuelle, die sich ihrer Würde bewusst sind, gegen Diskriminierungen kämpfen und sich um eine verantwortliche Sexualität bemühen. Aber wir stellen uns der Herausforderung der biblischen und kirchlichen Tradition, die Einheit von Mann und Frau sowie die Weitergabe des Lebens als Grundlage und Ziel menschlicher Sexualität zu sehen. Darauf müssen junge Menschen hingewiesen und dazu hingeführt werden. Die Kirche hat praktizierte Homosexualität immer als in sich nicht in Ordnung angesehen. Somit verbietet es sich, praktizierte Homosexualität in der kirchlichen Jugendarbeit als wählbare Alternative darzustellen.

Homosexuelle sind wie Heterosexuelle dazu eingeladen, ihre Sexualität nach ihren Möglichkeiten in das Ganze ihrer Persönlichkeit zu integrieren. Auch Homosexuelle haben einen Anspruch auf Hilfe und Begleitung auf dem Weg zu einem verantwortlichen Leben, dem wir uns auch in der Jugendarbeit stellen müssen. Die Einsicht, dass praktizierte Homosexualität nicht eine der Ehe zwischen Mann und Frau gleichwertige Variante verbindlich gelebter Sexualität ist, darf in der Kirche nicht zu Diskriminierungen führen.

Die große, geheimnisvoll-unheimliche, schöne Macht der Sexualität ist uns Menschen geschenkt, als Gabe anvertraut. Damit sie ihrem Ziel zu dienen vermag, wird sie für uns zur Aufgabe, die wir in Verantwortung gestalten dürfen. Dass unser ambivalentes, vielfach gebrochenes Leben in Christus geheilt und geheiligt wird, dürfen wir als Zusage und Ermutigung erfahren.

6. Wir laden ein und ermutigen
Wir laden mit unserem Brief dazu ein, das Gespräch über die aufgenommenen Fragen in einem guten Geist und allen Schwierigkeiten zum Trotz ohne Angst fortzusetzen. Jugendliche, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der kirchlichen Jugendarbeit, Eltern und Bischöfe stehen miteinander unter diesem Anspruch. Im Hören, im Austausch und im gemeinsamen Ringen können uns Schritte gelingen, die einen neuen Umgang auf diesem Feld ermöglichen. Unterschiedliche Erfahrungen können produktiv sein. Gemeinsam aus ihnen zu lernen, ist unser Wunsch. Wir setzen auf das weiterführende Gespräch mit Ihnen und freuen uns über Rückmeldungen zu Inhalt und Form unseres Briefes an Sie.

Wir ermutigen Sie, die Jugendlichen als gute und faire Partner zu begleiten. Verstehen wir kirchliche Jugendarbeit auch als ein Lernfeld, auf dem wir uns ins Leben einüben, Spannungen aushalten und Konflikte bestehen! Wir alle dürfen und sollen ein Leben lang Lernende bei dem einen sein, der unser aller Lehrer ist.

Die Bischöfe in der Jugendkommission, unterstützt von den Beraterinnen und Beratern, danken Ihnen und sind bereit, Sie in Ihrer Arbeit nicht allein zu lassen.

Bischof Dr. Franz-Josef Bode, Osnabrück
Vorsitzender der Jugendkommission der Deutschen Bischofskonferenz

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