| Pressemeldung | Nr. 108
Debatte um Neuregelung der Suizidassistenz
Am 6. Juli 2023 stimmt der Deutsche Bundestag über die fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidassistenz der Abgeordneten Castellucci, Heveling, Kappert-Gonther, Strasser, Pau u .a. sowie der Abgeordneten Helling-Plahr, Künast, Scheer, Sitte u. a. ab. Den Initiatoren beider Gesetzentwürfe gebührt Respekt, dass sie sich diesem ethisch wie rechtlich herausfordernden Thema stellen. Dazu erklärt heute (2. Juli 2023) der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing:
„Mit den Gesetzentwürfen reagieren die Abgeordneten auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 –, das eine politische wie ethische Debatte um Suizid und Suizidassistenz und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen ausgelöst hat. An dieser Debatte und der Diskussion um eine Neuregelung der Suizidassistenz haben sich neben zahlreichen Organisationen, Institutionen, Verbänden und gesellschaftlichen Gruppen auch die katholische Kirche und ihr Wohlfahrtsverband, der Deutsche Caritasverband, beteiligt.
Suizidassistenz ist drei Jahre nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Realität in Deutschland. Ein prozedurales Schutzkonzept, das auch das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zu regeln nahelegt, muss jedenfalls die Balance von Autonomie und Verantwortung, von Freiheit und Fürsorge, von Individualität und einem Leben in Beziehung so wahren, wie es für ein humanes Zusammenleben erforderlich ist. Es muss daher auch den vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten Gefahren Rechnung tragen, die von einem Angebot von Suizidassistenz für die Autonomie des Einzelnen ausgehen, und der Tendenz entgegenwirken, dass sich der assistierte Suizid als selbstverständliche Form der Lebensbeendigung durchsetzt. In diesem Sinn treten wir für eine gesetzliche Regelung der Suizidassistenz ein.
Es gilt ein qualitativ anspruchsvolles und umfassendes legislatives Schutzkonzept zu entwickeln, das, soweit wie möglich, die Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches zu gewährleisten versucht und zugleich ein dem Leben zugewandtes Gesamtklima und eine Kultur gegenseitiger Fürsorge und Zuwendung bewahrt. Benötigt wird ein angemessener Qualitätsmaßstab für eine verlässliche fachliche Begutachtung der Freiverantwortlichkeit und der Dauerhaftigkeit des Suizidwillens. Hierfür bedarf es einer besonderen psychologischen und medizinischen Kompetenz. In einem legislativen Schutzkonzept kommt der Beratung eine hohe Bedeutung zu. Dazu sollte keine spezielle Infrastruktur für eine Beratung zur Suizidassistenz aufgebaut werden, sondern die Beratung sollte im bestehenden, allgemeinen Regel- und Beratungssystem verortet sein, um eine an allen Sorgen und Nöten des Suizidwilligen ausgerichtete, niedrigschwellige und offene, fachliche Beratung sicherzustellen. So weitet sie den Blick über das Beratungsanliegen ‚Suizid/Suizidassistenz‘ hinaus auf mögliche Ursachen des Suizidwunsches, baut auf vorhandenen Vernetzungsstrukturen auf und erleichtert multiprofessionelle Unterstützung. Auch brauchen diejenigen Schutz, die in schwierigen Situationen nicht mit dem Thema Suizid(assistenz) konfrontiert werden wollen (vgl. BVerfG, Rn. 235).
Der Vorschlag der Abgeordnetengruppe Helling-Plahr/Künast trägt den genannten Aspekten anders als der Entwurf der Abgeordneten um Castellucci/Heveling nicht hinreichend Rechnung. Der Entwurf der Abgeordneten um Helling-Plahr/Künast enthält keine Vorgaben für die notwendige fachliche Qualifikation der Ärztinnen und Ärzte, die das letal wirkende Mittel verschreiben. Eine verpflichtende Einbindung von Psychotherapeuten/Psychiatern im Verfahren ist nicht vorgesehen. Die Bewertung, ob ein freiverantwortlicher Wille vorliegt, soll der ärztlichen Einschätzung, unterstützt durch die Beratungsbescheinigung im konkreten Einzelfall, vorbehalten bleiben. Dies gilt auch für Fälle der Demenz oder psychischen Störung. Die Abgeordneten der Gruppe Helling-Plahr/Künast gehen davon aus, dass mit Blick auf bestehende Strafbarkeitsrisiken die Ärztinnen und Ärzte im eigenen Interesse den fachlichen Rat Dritter einholen werden.
Bei der im Entwurf der Abgeordnetengruppe Helling-Plahr/Künast vorgesehenen Einrichtung einer flächendeckenden spezifischen Beratungsinfrastruktur für Suizidassistenz – errichtet und finanziert durch die Bundesländer – besteht die Gefahr einer Engführung der Beratung auf einen vorgegebenen Verfahrensschritt auf dem Weg zur Durchführung der Suizidassistenz. Zudem sind die Verfahren und Fristen zu kurz, um von einem echten Übereilungsschutz sprechen zu können: Nach dem Entwurf können Ärztinnen und Ärzte im Regelfall bereits drei Wochen nach erfolgter Beratung das letal wirkende Mittel ausstellen.
Wir müssen als Gesellschaft darauf achten, dass keine Situation entsteht, in der ein älterer oder kranker Mensch oder ein Mensch in einer existenziellen Krise eher eine gute Infrastruktur der Suizidassistenz vorfindet als ausreichende und angemessene Rahmenbedingungen, um sich vertrauensvoll in Pflege zu begeben, Hilfe zu erhalten und Hilfe anzunehmen. Für ein überzeugendes Schutzkonzept kommt es entscheidend darauf an, welche Signale der Gesetzgeber mit der Neuregelung des assistierten Suizids an die Gesellschaft sendet. Daneben ist die Suizidprävention im Sinne des Entschließungsantrags der Abgeordnetengruppe Castellucci/Heveling zu stärken, auszubauen und noch in dieser Legislaturperiode ein umfassendes Suizidpräventionsgesetz zu verabschieden. Beides gehört zusammen.
Uns als Kirche ist es ein herausragendes Anliegen, eine Kultur der Lebensbejahung und gegenseitige Fürsorge zu erhalten. Wir sind als Christinnen und Christen getragen von dem Glauben, dass Gott ein Freund des Lebens ist, der jeden einzelnen Menschen bedingungslos annimmt und ihn auch in schweren Zeiten nicht alleine lässt.“