| Pressemeldung | Nr. 076
Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht Arbeitshilfe zur Situation der Christen in Zentralasien
Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlicht heute (8. Mai 2024) eine Arbeitshilfe zur Situation der Christen in den zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Die Veröffentlichung ist Teil der Initiative Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit, die alljährlich den Blick auf die Lebensumstände von Christen in einem bestimmten Land oder einer Region richtet, wo die Religionsfreiheit keine Selbstverständlichkeit ist.
Bischof Dr. Bertram Meier (Augsburg), Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, erklärt zur gesellschaftlichen Rolle der Christen in Zentralasien: „Christen werden in der Region nicht verfolgt, aber das Leben als kleine Minderheit in autoritär regierten Staaten stellt eine große Herausforderung für die Katholiken und andere christliche Gemeinschaften dar. Die Machthaber sind in allen Staaten noch sehr von sowjetischer Religionspolitik geprägt. Sie instrumentalisieren den Glauben für Machtpolitik und misstrauen dem Eigenleben der Religionsgemeinschaften. Religiöse Aktivitäten müssen stets angemeldet und vom Staat erlaubt werden.“ Es gelte hier allerdings zwischen Kasachstan und den übrigen Staaten zu unterscheiden, so Bischof Meier: „In Kasachstan sind die russisch-orthodoxe und die katholische Kirche relativ groß und werden als Kultur der eingewanderten und dorthin deportierten Menschen gesehen, denen eine gewisse Autonomie zugestanden wird.“ In den anderen Staaten Zentralasiens leben nur zwischen 150 und wenigen Tausend Christen, die meist von Missionaren aus Osteuropa, Spanien oder Südamerika betreut werden. Für diese bedeute die staatliche Regulierung von Religion eine hohe bürokratische Hürde und konfrontiere die Verantwortlichen mit kaum zu erfüllenden Auflagen.
„Die Religionspolitik in den zentralasiatischen Staaten ist darauf ausgerichtet, den islamischen Extremismus zu bekämpfen. Die diesbezüglichen Regelungen betreffen auch andere Konfessionen“, erläutert Thomas Helm, Vorsitzender der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft. Es seien mehr oder weniger strenge Gesetze zum Schutz der Religion vor ausländischen Einflüssen beschlossen worden, die gerade für die international geprägten Katholiken nachteilig seien. „Bei nur 150 Katholiken in einem Land wie Tadschikistan sind Berufungen äußerst selten und die Christen dort auf Priester aus dem Ausland angewiesen. Wenn die staatliche Registrierung aber einen Staatsbürger als Gemeindeleiter und das Verbot von ausländischen Einflüssen vorsieht, stellt das die Katholiken vor elementare Probleme.“
Der Geschäftsführer des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis, Dr. Markus Ingenlath, unterstreicht die hohe Bedeutung der ausländischen Ordensgemeinschaften, die nach 1990 in die Region kamen und dort fast alle pastoralen Mitarbeiter stellen: „Die Ordensgemeinschaften in Zentralasien sind ein Zeichen der Hoffnung und des Engagements. Ermutigt durch einen Auftrag von Papst Johannes Paul II. übernehmen sie seitdem Verantwortung für die Ortskirche und die Verkündigung des Evangeliums. Papst Franziskus hat dies bei seinem Kasachstan-Besuch gleichfalls gewürdigt.“
Die Schwierigkeiten bei der Ausübung von Religion und die allgemeinen gesellschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen des Lebens in Zentralasien führen zu einer hohen Emigrationsrate unter den Christen. Besonders die Nachfahren der Russlanddeutschen und der polnischen Minderheiten in Kasachstan nutzen die Möglichkeiten, in die Europäische Union auszuwandern. Bischof Meier erinnert an die Verantwortung der Kirche für die Diaspora: „Die Gemeinden auf dem Land sterben aus, die jungen Menschen gehen in die großen Städte oder gleich nach Europa, um Arbeit zu finden. Die Seelsorge für die verbliebenen älteren Menschen bedarf unserer besonderen Unterstützung.“ Die katholische Kirche leistet hier einen großen Beitrag zur Aufrechterhaltung der pastoralen Tätigkeiten, aber auch im sozialen Bereich und in der Pflege.
Renovabis-Geschäftsführer Dr. Ingenlath betont: „Die Renovabis-Partner können in diesen Ländern eine einzigartige Brückenfunktion zwischen Europa und Asien erfüllen, indem sie als Übersetzer von Kultur und Glaube dienen, um Kontinente und Glaubenswelten miteinander zu verbinden.“ Diese Brücke hilft auch, die Emigranten mit ihrer Heimat in Kontakt zu halten und Lebensperspektiven zu eröffnen, die Abwanderung entgegengesetzt werden können. Die Hilfe von Renovabis und Caritas international erreicht nicht nur die Katholiken vor Ort und lindert gravierende Armut in diesen Ländern. Die Hilfe aus christlichem Geist prägt so auch die Wahrnehmung der Katholiken in der Bevölkerung positiv. Das Selbstverständnis der partnerschaftlichen Unterstützung der Christen Zentralasiens beschreibt Dr. Ingenlath so: „Katholisch sein bedeutet, nicht nur für Katholiken, sondern für alle Menschen guten Willens in dieser Region offen und ansprechbar zu sein, in einem Geist der Dienstbereitschaft und Nächstenliebe.“
Die Arbeitshilfe versammelt Überblicksdarstellungen und Berichte zur Lage der Religionsfreiheit und über die kirchliche Arbeit in mehreren Staaten der Region. Zu Beginn steht eine grundlegende Einordnung der zivilgesellschaftlichen Situation in den Staaten Zentralasiens von Thomas Helm. Er beschreibt die Transformation der Gesellschaft von der kommunistischen Ära in die Gegenwart und die damit verbundenen Probleme und richtet den Blick auch auf die aktuelle Situation. Die langjährige Länderreferentin für Zentralasien bei Renovabis, Dr. Angelika Schmähling, berichtet über das kirchliche Engagement in Kasachstan und umreißt den Spielraum, den die katholische Kirche dort für ihre Arbeit nutzen kann. Wie schwierig die Lage der sehr kleinen Minderheit in Tadschikistan ist, beschreibt die Mitarbeiterin von Caritas international, Parvina Tadjibaeva, in ihrem Artikel über den in Tadschikistan lebenden argentinischen Pater Pedro Lopez IVE. Von ähnlichen Problemen in einem noch stärker isolierten Land spricht Pater Andrzej Madej OMI, einer von nur zwei katholischen Priestern in Turkmenistan. „Das Auto ist meine Kapelle“ – so bringt er im Interview die extreme Diaspora-Lage auf den Punkt. Pater Anthony James Corcoran SJ, Apostolischer Administrator in Kirgisistan, stellt die große religiöse Toleranz der Bevölkerung heraus, die dauerhafter sei als die Religionspolitik der Regierung, die zwischen restriktiveren Phasen und Erleichterungen changiert.
Hintergrund
Die Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan verbindet, bei allen Unterschieden im Detail, eine weitgehend gemeinsame Geschichte und eine vergleichbare politische Ausgangslage. Über lange Zeit prägten die Region an der historischen Seidenstraße ein weltoffener Islam und der Austausch durch den Handel zwischen Ostasien, Russland und Europa. Im 20. Jahrhundert waren diese Länder Teilrepubliken der Sowjetunion, aus der sich 1991 alle fünf als autoritär geführte Staaten herauslösten. In Zentralasien dominiert heute ein staatlich kontrollierter Islam, den die jeweiligen Machthaber von den extremistischen Strömungen des Islam abzuschotten versuchen, die aus den südlichen Nachbarländern nach Zentralasien drängen. Das Christentum ist dort eine kleine Minderheit und in orthodoxe, katholische und protestantische Gläubige aufgespalten. Den größten Anteil an der Gesamtbevölkerung machen die Christen in Kasachstan aus. Viele, vor allem Wolgadeutsche und Polen, sind in der sowjetischen Zeit als Angehörige ethnischer Minderheiten in die wenig besiedelten Steppenregionen Zentralasiens deportiert worden.
Die Arbeitshilfe Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit – Zentralasien gibt einen Überblick über die Situation der Christen in diesen Ländern. Sie erläutert aktuelle Konfliktlinien innerhalb der Gesellschaft, analysiert die Hintergründe und lässt Mitglieder der Ortskirche zu Wort kommen.
Die Initiative Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit wurde von den deutschen Bischöfen 2003 ins Leben gerufen, um für die Lage bedrohter Glaubensgeschwister zu sensibilisieren. Mit Publikationen, liturgischen Handreichungen und öffentlichen Veranstaltungen wird auf die teilweise dramatischen Verhältnisse christlichen Lebens in verschiedenen Teilen der Welt aufmerksam gemacht. Zusätzlich pflegen die Bischöfe mit Solidaritätsreisen den Kontakt zu den unter Druck stehenden Ortskirchen. In Deutschland sucht die Bischofskonferenz auch immer wieder das Gespräch mit Politikern und gesellschaftlichen Akteuren, um auf bedrohliche Entwicklungen hinzuweisen. Jährlicher Höhepunkt der Initiative ist der Gebetstag für verfolgte und bedrängte Christen am 26. Dezember (Stephanustag), der in allen deutschen Diözesen begangen wird.
Hinweise:
Die Arbeitshilfe Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit – Zentralasien kann in der Rubrik Publikationen als Broschüre (Arbeitshilfen Nr. 340) bestellt oder als PDF-Datei heruntergeladen werden.
Weitere Informationen finden Sie auf der Themenseite Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit.