| Pressemeldung | Nr. 103
Fünfter Katholischer Flüchtlingsgipfel
Gestern (24. Juni 2020) fand der fünfte Katholische Flüchtlingsgipfel statt. Wegen der Corona-Pandemie konnte er nicht, wie ursprünglich geplant, in Erfurt abgehalten werden, sondern wurde in digitaler Form durchgeführt. Auf Einladung von Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg), Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz und Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen, nahmen rund 150 Praktiker, Experten und Ehrenamtliche an der Online-Konferenz teil, um sich über verschiedene Aspekte der Unterstützung und Integration von Flüchtlingsfamilien auszutauschen.
In seiner Begrüßung ging Erzbischof Heße auf den Kontext des diesjährigen Gipfels ein: „Die Situation der Flüchtlinge gab in den letzten Monaten immer wieder Anlass zu großer Sorge. Da waren etwa die Bilder von den entsetzlichen Zuständen auf Lesbos, die Angst vor der Ausbreitung des Corona-Virus in den überfüllten Lagern, die Befürchtung, dass der Flüchtlingsschutz in Zeiten der Pandemie faktisch eingeschränkt wird, die Berichte von weiteren Toten im Mittelmeer. Erst kürzlich meldete das Flüchtlingshilfswerk der UNHCR einen traurigen Höchststand: Fast 80 Millionen Menschen waren 2019 auf der Flucht, davon über die Hälfte Binnenvertriebene. Wir dürfen niemals die Menschen hinter diesen Zahlen vergessen: Kinder, Jugendliche, Frauen, Männer, Familien – Menschen auf der Suche nach einem Leben in Sicherheit und Würde.“
Im Namen der Deutschen Bischofskonferenz dankte Erzbischof Heße allen, die in der kirchlichen Flüchtlingshilfe aktiv sind: „Unter erschwerten Bedingungen haben Sie sich in den vergangenen Wochen – beherzt und kreativ – für die Anliegen schutzsuchender Menschen eingesetzt.“ Von dem Gipfel gehe ein klares Signal aus: „Auch in Zeiten der Pandemie setzen wir unser Engagement für Flüchtlinge fort!“ Erzbischof Heße unterstrich die besondere Bedeutung, die das Thema des diesjährigen Gipfels für die kirchliche Flüchtlingsarbeit hat: „In seiner jüngsten Botschaft zum katholischen Welttag des Migranten und Flüchtlings hat Papst Franziskus erneut daran erinnert: Die Heilige Familie ist eine Flüchtlingsfamilie. Der Einsatz für die Anliegen schutzsuchender Familien ist für Christinnen und Christen daher eine Herzenssache. Familie ist die grundlegende Form der Gemeinschaft, der Ort, an dem wir Menschlichkeit lernen. Sie ist ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung und die Stabilität einer Person und für das gesellschaftliche Zusammenleben. Um die Würde des Individuums zu schützen, müssen Staat und Gesellschaft zugleich auch das Wohlergehen der Familie fördern. Dies gilt, weil sie besonders verletzlich sind, gerade auch für Familien mit Flucht- und Migrationserfahrungen.“
Die Aufnahme von Flüchtlingsfamilien, etwa von den griechischen Inseln, und Erleichterungen bei der Familienzusammenführung gehörten ebenso zu den Anliegen der kirchlichen Flüchtlingshilfe wie die Unterstützung von unbegleiteten Minderjährigen und die Förderung der Integration durch die verschiedenen kirchlichen Dienste. Es gelte dabei, sowohl die einzelnen Familienmitglieder als auch die Familie als Ganzes in den Blick zu nehmen: „Die Mütter und Väter, ebenso wie die Kinder und Jugendlichen, sehen sich in Deutschland angekommen oft mit neuen Rollenvorstellungen, Erwartungen und Umgangsformen konfrontiert. Sie müssen sich nicht nur in das Neue einfinden, sondern gleichzeitig auch das Alte bewältigen – etwa die traumatischen Folgen von Krieg und Flucht. Das ist ein wahrer Kraftakt, der allen Beteiligten viel abverlangt. Dass es dabei auch zu Konflikten kommt, ist kaum verwunderlich. Umso wichtiger ist es, dass den geflüchteten Familien Menschen zur Seite stehen, die ihnen ein Gefühl von Wertschätzung und Sicherheit vermitteln. Dies ist ein wesentlicher Auftrag der kirchlichen Flüchtlingshilfe.“
In seinem Vortrag zur Integration von Flüchtlingsfamilien legte Prof. Dr. Thomas Faist, Professor für Transnationale Beziehungen, Entwicklungs- und Migrationssoziologie an der Universität Bielefeld, dar: „Die Willkommenskultur ist für Flüchtlingsfamilien weiterhin von Bedeutung. Sie leistet einen entscheidenden Beitrag für die emotionale Unterstützung und die soziale Positionierung der Mitglieder von Flüchtlingsfamilien. Dabei sollten wir uns von Vorstellungen zu Kleinfamilien verabschieden und berücksichtigen, dass viele Flüchtlingsfamilien erweiterte, multilokale, multigenerationale und grenzübergreifende Formen aufweisen. Familien sind auch strategische Einheiten, in denen Mitglieder ungleich in Entscheidungen über Migration bzw. Flucht, Anpassung, Rückkehr und transnationale Kommunikation eingebunden sind. Integration ist in diesem Zusammenhang als ein häufig mühsamer Aushandlungsprozess zu verstehen, der für das Erreichen der Ziele Teilhabe und sozio-kulturelle Anerkennung die Alltagspraktiken von und innerhalb von Familien einbeziehen muss.“
In fünf Arbeitsgruppen bestand für die Teilnehmer die Möglichkeit zum Austausch. Dabei standen verschiedene Praxisfelder der kirchlichen Flüchtlingshilfe im Fokus.
Die abschließende Podiumsdiskussion im digitalen Plenum widmete sich wiederum schwerpunktmäßig der Situation von Flüchtlingsfamilien. In ihrem Beitrag ging die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Annette Widmann-Mauz, auf die aktuelle Situation ein: „Die Corona-Pandemie ist für viele Familien eine große Herausforderung. Gerade auch geflüchtete Familien stehen vor schwierigen Fragen: Wie helfen sie ihren Schulkindern, wenn sie selbst nur geringe Deutschkenntnisse haben? Und wie können sie Sprach- und Integrationskurse wahrnehmen, wenn die technischen Möglichkeiten nicht da sind? Um hier gezielt zu helfen, fördern wir die Sprachbildung bei Kindergartenkindern etwa über das Gute-Kita-Gesetz und unterstützen Netzwerke, die sich um geflüchtete Familien kümmern. Denn gerade jetzt geht es darum, dass Familien trotz Corona keine wertvolle Zeit verlieren, sondern bei der Integration weiter vorankommen.“
Erzbischof Heße betonte: „Familie ist ein Schlüssel zu gelingender Integration. Wer den Schmerz der familiären Trennung ertragen und über das Schicksal der weit entfernt lebenden Angehörigen besorgt sein muss, kann sich nur schlecht auf ein neues Leben einlassen. Gerade Kinder, die Krieg und Flucht erlebt haben, brauchen ein Umfeld, in dem neues Vertrauen wachsen kann. Die Erfahrungen der kirchlichen Flüchtlingsarbeit zeigen: Wenn Schutzsuchende mit ihren engsten Angehörigen vereint sind und jedes Familienmitglied die notwendige Förderung erhält, kann es ihnen gelingen, die Schrecken des Krieges hinter sich zu lassen.“ Vor diesem Hintergrund appellierte Erzbischof Heße an die politischen Verantwortungsträger, Familienzusammenführungen rasch und unbürokratisch zu ermöglichen.
Angesprochen auf die Entwicklung der kirchlichen Flüchtlingshilfe würdigte der Sonderbeauftragte die rund 45.000 Ehrenamtlichen und die 5.100 Hauptamtlichen, die 2019 in der kirchlichen Flüchtlingshilfe aktiv waren. Ebenso dankte er für den fortwährenden Einsatz der (Erz-)Bistümer und der kirchlichen Hilfswerke, die 2019 rund 116,1 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt haben, darunter 38,7 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe im Inland. Erstmals wurden für das Jahr 2019 auch Zahlen zum Engagement der Diözesen im Bereich der Familienzusammenführung erhoben. Alle (Erz-)Diözesen unterstützen die Familienzusammenführung sowohl ideell als auch praktisch. Die überwiegende Mehrzahl habe für diesen Zweck auch finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, so Erzbischof Heße. Im Jahr 2019 wurden 663.000 Euro aufgewendet, wodurch mehr als 2.000 Personen, davon mehr als die Hälfte Kinder, bei der Wiedervereinigung mit ihrer Familie unterstützt wurden.
Hinweise:
Die Eröffnungsansprache von Erzbischof Heße und die Statistik zur Flüchtlingshilfe finden Sie untenstehend als pdf-Dateien. Alle Zahlen zur Flüchtlingshilfe sind auch auf der Internetseite zur katholischen Flüchtlingshilfe unter www.fluechtlingshilfe-katholische-kirche.de verfügbar.