| Aktuelle Meldung | Nr. 020

„Libyen erweist sich als tödlicher Hafen“

Statement von Erzbischof Heße zu den Berichten über den Tod sudanesischer Schutzsuchender an der libyschen Küste

Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind in der Nacht von Montag auf Dienstag (27. auf 28. Juli 2020) zwei sudanesische Schutzsuchende an der Küste Libyens von „Mitarbeitern der örtlichen Behörde“ erschossen worden. Zuvor vereitelte die libysche Küstenwache den Versuch einer größeren Gruppe von Flüchtenden über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Die Aufgegriffenen sollten in eines der libyschen Internierungslager gebracht werden. Einige von ihnen versuchten, sich dieser Zwangsmaßnahme zu entziehen, wobei zwei Menschen von der Küstenwache erschossen, drei weitere verletzt wurden.

Dazu erklärt Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg), Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz und deren Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen:


„Das Vorgehen der libyschen Küstenwache ist ethisch unvertretbar und auch rechtlich äußerst fragwürdig. Flüchtlinge, die Staatsgrenzen überqueren, sind keine Kriminellen, denen Staaten mit Waffengewalt begegnen dürften. Leider passiert es nicht zum ersten Mal, dass Schutzsuchende, die von Libyen aus die Flucht nach Europa wagen und von der libyschen Küstenwache abgefangen werden, zu Tode kommen, weil sie sich der Inhaftierung in libyschen Internierungslagern entziehen wollen. Die Flüchtlinge werden in diesen Lagern unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten. Auch gibt es Berichte über Folter und Misshandlung. Dass Flüchtlinge sich diesem Schicksal nicht beugen wollen, ist nur allzu verständlich.

Der Schutz der Grenzen und die Durchsetzung staatlichen Rechts gegenüber Schutzsuchenden rechtfertigt nicht den tödlichen Waffengebrauch. Die europäischen Staaten, die mit Libyen bei der Grenzsicherung und Seenotrettung kooperieren, können ihre eigene Verantwortung nicht wegdelegieren. Die aktuellen Vorfälle zeigen erneut, wie gefährdet Flüchtlinge in Libyen sind. Das Land erweist sich als tödlicher Hafen. Vor diesem Hintergrund halte ich die Zusammenarbeit der Europäischen Union mit der libyschen Küstenwache für äußerst bedenklich. Die europäischen Staaten sind aufgerufen, in eigener Verantwortung eine echte Rettungsmission einzurichten, die dem Grundsatz des Schutzes der Menschenwürde und des Lebens gerecht wird.“