| Pressemeldung | Nr. 079
Pastorale Orientierungen zu Binnenvertriebenen
Der Vatikan hat heute (5. Mai 2020) Pastorale Orientierungen zu Binnenvertriebenen veröffentlicht. Vorangegangen waren Konsultationen des römischen Dikasteriums für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen mit kirchlichen Organisationen aus der ganzen Welt. Das Dokument richtet sich an Diözesen, Pfarrgemeinden und Ordensgemeinschaften, katholische Hilfswerke und Bildungseinrichtungen sowie Akteure aus Politik und Zivilgesellschaft.
Der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz und Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen, Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg), begrüßte die Veröffentlichung als wichtigen Beitrag, um auf die Situation von Binnenvertriebenen aufmerksam zu machen: „In unseren Debatten gerät oft aus dem Blick, dass die meisten schutzsuchenden Menschen innerhalb des eigenen Landes auf der Flucht sind. Sie verlieren ihre Heimat aus den gleichen oder ähnlichen Gründen wie Flüchtlinge, die Staatsgrenzen überschreiten. Aber da sie nicht unter die völkerrechtlichen Vereinbarungen zum Flüchtlingsschutz fallen, ist ihre Lage häufig besonders prekär. Im vergangenen Jahr bin ich in einem provisorischen Camp nahe der äthiopischen Stadt Gondar einer Gruppe von Binnenvertriebenen begegnet: Sie berichteten von der rohen Gewalt, die sie in ihren Dörfern erfahren haben, und von der Hilflosigkeit, die seitdem ihren Alltag prägt. Eine von Ordensschwestern betriebene Bildungs- und Sozialeinrichtung war ihre einzige Anlaufstelle. Infolge von ethnischen und sozialen Spannungen, Klimawandel und Ressourcenknappheit ist die Zahl der Binnenvertriebenen in Äthiopien – ebenso wie in anderen Staaten der Welt – dramatisch angewachsen. Von den Pastoralen Orientierungen geht das klare Signal aus: Die Kirche steht an der Seite der Binnenvertriebenen.“
Im einleitenden Teil des Dokuments werden zunächst Ursachen von Binnenflucht skizziert: Neben bewaffneten Konflikten, Menschenrechtsverletzungen und Naturkatastrophen werden auch rücksichtslos durchgesetzte Entwicklungs- und Infrastrukturprojekte genannt. Wie Papst Franziskus Anfang des Jahres beklagte, fehlt nach wie vor eine „konsequente internationale Antwort ..., um dem Phänomen der Binnenvertreibung entgegenzutreten“. Im Hauptteil des Dokuments werden konkrete Handlungsempfehlungen für die Verbesserung der Situation gegeben. Maßgeblich sind dabei die vier Verben, die Papst Franziskus 2017 mit Blick auf den Globalen Migrationspakt und den Globalen Flüchtlingspakt formuliert hatte: aufnehmen, schützen, fördern, integrieren. So werden beispielsweise unter dem Stichwort „schützen“ Strategien zur Wahrung der Rechte von Kindern, Frauen und Familien, zur Prävention der Rekrutierung von Kindersoldaten sowie zur Verhinderung von Menschenhandel dargelegt. Und unter dem Stichwort „fördern“ stehen unter anderem Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe sowie der Seelsorge im Fokus. Ein abschließender Teil widmet sich der besonderen Relevanz von Kooperation und Vernetzung – zwischen verschiedenen katholischen Akteuren, zwischen Partnern der ökumenischen und interreligiösen Zusammenarbeit sowie zwischen kirchlichen, zivilgesellschaftlichen, staatlichen und überstaatlichen Organisationen.
Bei der Vorstellung des Dokuments in Rom ging der für Migranten und Flüchtlinge zuständige Untersekretär, Kardinal Michael Czerny SJ, auch auf die aktuelle Krisensituation ein: „In Zeiten der Pandemie unterscheidet das Virus nicht zwischen jenen, die wichtig, und jenen, die unsichtbar sind, jenen, die einen festen Wohnsitz haben, und jenen, die vertrieben wurden.“ Gerade unter diesen Umständen wolle der Vatikan mittels der Pastoralen Orientierungen verstärkt darauf hinwirken, dass Binnenvertriebene „erkannt, unterstützt, gefördert und schließlich auch reintegriert werden“. Die Abteilung für Migranten und Flüchtlinge im Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen, die von Papst Franziskus persönlich geleitet wird, legt mit den Pastoralen Orientierungen zu Binnenvertriebenen bereits das dritte Dokument dieser Art vor. 2017 waren 20 Pastorale Handlungsschwerpunkte für die Globalen Pakte zu Migration und Flucht veröffentlicht worden, 2018 Pastorale Orientierungen zum Menschenhandel. Wie nun angekündigt wurde, soll als Nächstes eine Orientierungshilfe zum Thema „Klimamigration“ folgen.
Hintergrund
Gemäß den Leitlinien der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1998 („Guiding Principles on Internal Displacement“) handelt es sich bei Binnenvertriebenen um „Personen oder Personengruppen, die gezwungen oder genötigt wurden, aus ihren Heimstätten oder dem Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts zu fliehen oder diese zu verlassen, insbesondere in Folge oder zur Vermeidung der Auswirkungen eines bewaffneten Konflikts, von Situationen allgemeiner Gewalt, Menschenrechtsverletzungen und natürlichen oder vom Menschen verursachten Katastrophen, und die keine international anerkannte Staatsgrenze überschritten haben“. Das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) zählte 2019 insgesamt 45,7 Millionen Binnenvertriebene (2018: 41,3 Millionen). Zum Vergleich: Die Zahl der Flüchtlinge, die in einem anderen Staat Schutz fanden, wurde für 2019 mit 25,9 Millionen angegeben (2018: 25,4 Millionen). Die drei Länder, die 2019 den größten Zuwachs an Binnenvertriebenen verzeichneten, waren Syrien, die Demokratische Republik Kongo und Äthiopien. Wie das UN-Kinderhilfswerk UNICEF jüngst meldete, ist 2019 auch die Zahl der minderjährigen Binnenvertriebenen stark angestiegen.
Hinweise:
Die Pastoralen Orientierungen zu Binnenvertriebenen können auf Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch unter www.migrants-refugees.va heruntergeladen werden.
Weitere Informationen zum Thema Binnenvertreibung sind unter www.unhcr.org/internally-displaced-people und www.internal-displacement.org verfügbar.