| Pressemeldung | Nr. 031

Predigt von Bischof Dr. Franz-Josef Bode, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz

Eucharistiefeier zur Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Vierzehnheiligen

Lesungen: Jona 3,1–10    
Evangelium: Lk 11,29–32

„Hier ist einer, der mehr ist als Jona.“ – „Hier ist einer, der mehr ist als Salomo.“ Liebe Schwestern und Brüder, das Wörtchen „mehr“ spielt in der Botschaft Jesu, ja im gesamten Heilsplan Gottes eine besondere Rolle. Immer wieder geht es um das „Darüber hinaus“, das „Mehr als“, um den göttlichen Komparativ, möchte ich sagen. „Ihr seid mehr wert als viele Spatzen“ (Lk 12,7). „Wenn Gott die Lilien des Feldes schon so kleidet, wie viel mehr euch“ (vgl. Lk 12,28).

„Liebst du mich mehr als diese?“ wird Petrus gefragt (Joh 21,15). „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer …“ (Mt 5,20). „Gott ist größer als unser Herz“ (1 Joh 3,20). – Dahinter steht der Komparativ Gottes.

Viele Gestalten der Kirchengeschichte haben sich darauf eingelassen, ließen sich von diesem „magis“ faszinieren und provozieren. „Alles zur größeren Ehre Gottes“ und „Deus semper maior“ bilden die Grundmelodie ignatianischer Spiritualität bis hin zu der menschlichen Erfahrung: „Es muss im Leben mehr als alles geben.“

Was das für Ignatius bedeutet, hat der geistliche Dichter Andreas Knapp sehr intensiv herausgestellt:

der Pilger

nicht mehr eingeschlossen
von der Wunschwelt im Stammschloss
herunter vom hohen Ross
zu Fuß nur und doch
entschlossen zur Ferne

mit der Muschel am Ohr
hörst du das Rauschen
deiner Sehnsucht Brandung
das gelobte Land aber
liegt diesseits des Meeres

durchlaufene Schuhe nur
führen dich ins Unbegangene
Wanderer zwischen Fernsicht und Heimweh
Grenzüberschreiter
ins immer mehr

Andreas Knapp, in: ders., Brennender als Feuer. Geistliche Gedichte, Würzburg 2004, S. 68

Wanderer zwischen Fernsicht und Heimweh, Grenzüberschreiter ins immer mehr. – Diese Grenzüberschreitung erwartet Jesus von uns, wenn er uns kein anderes Zeichen gibt als Jona und kein anderes als Salomo. Das ist die Herausforderung zur immer neuen Umkehr zum wahren Leben, das Christus selbst ist, und die Herausforderung zur immer neuen Freundschaft mit der Weisheit, die er selbst ist. Diese Grenzüberschreitung, diese Provokation, nicht bei sich selbst, nicht bei seiner eigenen Gewohnheit, nicht in seiner eigenen „Blase“ – sagen wir heute – zu bleiben, ist begründet in dem göttlichen Komparativ: Gott ist immer größer und mehr als wir denken, wissen, fühlen, aussprechen.

„Gott ist größer als unser Herz“. Dieses Wort aus dem ersten Johannesbrief ist mein bischöflicher Wahlspruch: Maior est Deus corde nostro. In den über 30 Jahren meines bischöflichen Dienstes habe ich immer neu erfahren dürfen, welche Dynamik in diesem Komparativ steckt. Wenn wir im Superlativ sagen: „Gott ist der Größte!“, dann ist das richtig – und setzt doch irgendwie einen Schlusspunkt.

Der 1986 in Paris verstorbene französische Jesuit, Soziologe, Historiker und Kulturphilosoph Michel de Certeau bestreitet gar den Superlativ. In seinem Buch „Der Fremde oder Einheit in Verschiedenheit“ schreibt er: „Ebenso wenig können wir sagen, Gott ist ,der Größte‘, als stünde uns die gesamte Hierarchie der Größen zur Verfügung und könnten wir von einem Beobachtungspunkt aus, der uns das Panorama aller Dinge zeigt, die Spitze der Pyramide anzeigen und entdecken. Vom ,Größten‘ zu sprechen, würde bedeuten, dass wir alles insgesamt kennen. Doch das stimmt nicht. Wohl können wir sagen, und die Erfahrung lehrt es uns: ,Gott ist größer‘. Das heißt: Er hört nicht auf, sich uns zu offenbaren durch die Tatsache, dass er in jedem Moment und auch bezogen auf jegliche Erkenntnis größer ist als die Vorstellungen aller gesellschaftlichen oder persönlichen Erfahrungen, die wir uns von IHM machen. Dieser ,unbegrenzte Komparativ‘ gibt das wieder, was wir ohne Ende anzuerkennen haben. Anders gesagt, das Unendliche ist nicht anders erfahrbar als durch einen Schritt weiter, indem wir das, was wir von ihm wissen oder schon wahrnehmen, als Fehlgriff ansehen.“

Michel de Certeau, Der Fremde oder Einheit in Verschiedenheit, Stuttgart 2018, S. 31

Soweit Certeau.

Der Komparativ hält dynamisch offen, weil es immer noch ein Mehr, ein Darüber hinaus gibt, weil sich immer noch neue Horizonte öffnen. „Je mehr ich dich finde, desto mehr suche ich dich“, sagte die heilige Katharina von Siena, und nicht: Je mehr ich dich suche, desto mehr finde ich dich.

Und in dem tiefen Innewerden dieses Größerseins Gottes, dieses mehr als Jona und Salomo, ist auch mit alledem umzugehen, was uns widerfährt, weil wir nichts zu Gott machen, was nicht Gott ist: weder die Pandemie, noch der Schrecken des Krieges. Weder die Lage der Kirche, noch unsere eigene Befindlichkeit. Weder unser eigenes Ich, noch unsere Sünde und Schuld. Auch nicht die Menschen und Dinge, an denen wir hängen. Weder die Vergangenheit, die uns nicht loslässt, noch die Zukunft, die wir erträumen, und auch nicht die Gegenwart, der wir oft fliehen möchten.

Wenn Gott größer ist als unser Herz und Christus mehr ist als Jona und Salomo, als alle Propheten und alle Weisheit, dann lockt er uns heraus, eine größere Gerechtigkeit zu leben, die an seinem Leben ihr Maß nimmt; dann lockt er uns heraus, mehr auf ihn zu vertrauen als auf uns selbst und alle anderen; dann überschreiten wir auch unsere Sicht von Tradition und Kirche in einer lebendigen, dynamischen Entwicklung durch die Zeit; dann werden wir Grenzen überschreiten, fasziniert vom immer Größeren und vom Mehr der Liebe; dann widerstehen wir durch diese Offenheit für das Größere Gottes allen menschlichen Komparativen, die uns schon so lange bedrängen, immer besser und größer sein zu müssen, immer höher hinaus. Und dann erkennen wir auch in den derzeitigen Herausforderungen, wie sie uns genau darin dämpfen, da wir die Fragilität des Lebens und des Friedens neu erkennen müssen und die Begrenztheit irdischer Ressourcen.

Der göttliche Komparativ bedeutet doch, dass wir nie fertig sein können mit diesem Gott, mit diesem Christus, dass wir aber auch nie fertig sein können mit seinem Abbild, dem Menschen. Es bedeutet die Herausforderung zur immer größeren Liebe – „Liebst du mich mehr als diese?“ – und die Herausforderung, dem größeren Leben zu trauen über unser Leben und unseren Tod hinaus. Es bedeutet die Herausforderung, unterwegs zu bleiben mit dem Volk Gottes und allen Menschen auf der Suche nach neuen Horizonten in der lebendigen Tradition des Glaubens. Es bedeutet, Pilger der Hoffnung zu sein, was Papst Franziskus sich vom Heiligen Jahr 2025 besonders erwartet. Es bedeutet, der Dynamik des Heiligen Geistes selbst zu trauen, der der Garant der Vielheit in seinen Gaben ist und zugleich der Garant der Einheit und das Band der Liebe. Deshalb hat Papst Franziskus in Evangelii gaudium so deutlich den Vorrang der Zeit vor dem Raum, den Vorrang des Prozesses, des Weges vor dem definierten Raum beschrieben (EG 222–225), weil der göttliche Komparativ uns in Bewegung hält, auch im Ringen um die richtigen Schritte für die Zukunft.

Gerade befassen wir uns in der Bischofskonferenz fast zwei Tage mit den großen Themen des Synodalen Weges. Es geht um das Verständnis vom Menschen und seinen Beziehungen vor Gott und den Auftrag der Kirche in dieser Zeit: wie in ihr Kirche der Beteiligung, der Partizipation zu leben ist; wie das Miteinander von Männern und Frauen zu gestalten ist; wie in ihr Priestertum und Sakramentalität zu leben sind und wie menschliche Beziehungen gelingen können. Es geht darum, wie in Zukunft die immer größere Liebe Gottes aufleuchten kann durch den Auftrag der Kirche in einer Welt, die sich so sehr sehnt nach Orientierung, nach Licht, nach Vertrauen, nach Hoffnung, nach Liebe.

Und dabei geht es eben im Synodalen Weg, der ja selbst dieser Dynamik des Komparativs entspringt, um mehr als um Machtverteilung, um mehr als nur Funktionieren, um mehr als nur formale Gerechtigkeit für Männer und Frauen, um mehr als nur sexuelle Beziehungen in der Geschlechtlichkeit der Liebe, sondern es geht um die Ganzheit des Lebens.

Ich wünsche mir, dass uns das in den kommenden Schritten gelinge, diese immer größere Liebe Gottes wieder in Demut und Selbstbewusstsein, in Nüchternheit und Leidenschaft in die Welt zu tragen, die genau darauf wartet.

Lassen Sie mich schließen mit einem weiteren Gedicht von Andreas Knapp zu dem Leitsatz des Ignatius „Omnia ad maiorem Dei gloriam“ – Alles zur größeren Ehre Gottes:

mehr
und mehr
und immer mehr

je mehr
der heißhunger entgrenzt ist
umso spiraliger treibt er dich ins maßlose

nur mehr
der richtung umkehr
kann dich retten

nicht mehr
in zwanghaftem ehrgeiz
aus eigenwillen
vielmehr
in freier liebesverschwendung
um SEINETwillen

nunmehr
alles zu Gottes
größerer Ehre

omnia
ad maiorem
Dei gloriam

mehr noch
alles IHM
zu liebe

Omnia
amoris
causa

Andreas Knapp, in: ders., Brennender als Feuer. Geistliche Gedichte, Würzburg 2004, S. 76/77

Omnia amoris causa. Amen.

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