| Pressemeldung | Nr. 033

Predigt von Erzbischof Dr. Ludwig Schick

Gedächtnisgottesdienst für die verstorbenen Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz zur Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Vierzehnheiligen

Gebet Sauerstoff der Erneuerung der Kirche

Beten gehört zur Verfassung der Kirche

Die Bergpredigt ist das Grundgesetz der Kirche, von Jesus Christus selbst verkündet. Es enthält, wie jedes Grundgesetz, die Grundpflichten und Grundrechte – beziehungsweise die Wesenselemente – des Christseins und der ganzen Christen-Gemeinschaft, der Kirche.

In der Bergpredigt wird zweimal und sehr ausführlich über das Gebet gesprochen. Kein anderer Grundrechtsartikel – nicht das Fasten, das Verzeihen oder Vergeben, die Bruder-/Schwester- und Feindesliebe, die Gerechtigkeit oder Barmherzigkeit – wird so ausführlich behandelt wie das Beten.

Im 6. Kapitel des Matthäusevangeliums gibt Jesus Anweisungen, wie wir Christen beten sollen (5–8). Beten darf keine Show-Veranstaltung, pharisäisch oder bigott sein, kein Plappern, wie es die Heiden tun, vertrauensvoll und hörbereit auf Gott soll das Beten sein. Dann übergibt Jesus das Urgebet der Christenheit, das Vaterunser (5–15), mit den Worten: „So sollt ihr beten.“ Das Vaterunser ist also Maß und Richtschnur all unseres Betens. Das 7. Kapitel (7–11) der Bergpredigt enthält die Pflicht zu beten. „Bittet, … klopft an“, mit der Ermutigung, es vertrauensvoll zu tun. Denn Gott weiß, was wir brauchen und gibt uns Gutes.

Beten ist Pflicht

Gott rügt die, die nicht beten und bitten. Im Psalm 50 sagt er seinem Volk: Nicht wegen deinem Brand- und Schlachtopfer rüge ich dich. Ich rüge dich, weil du nicht betest. Wörtlich: „Ruf mich an am Tag der Not, dann rette ich dich und du wirst mich ehren“ (Ps 50,15). Die heutige Lesung aus dem Buch Ester und das Evangelium aus der Bergpredigt unterstreichen die Pflicht zu beten und sind Einladungen, besonders das Bittgebet zu pflegen.

Ruft mich an am Tag der Not

Wir haben derzeit viele Nöte. Der Krieg in der Ukraine ist eine furchtbare Not: furchtbar im wahrsten Sinn des Wortes! Er tötet und zerstört und versetzt Millionen Menschen in Furcht und Schrecken. Er treibt Millionen in die Flucht, vor allem Frauen und Kinder. Er zerstört Schöpfung und Zukunft in der Ukraine, in Europa und weltweit. Ruf mich an am Tag der Not, auch in der Not der Corona-Pandemie, die nicht vorbei ist. Ruf mich an in der Not: auch du Kirche, die so verwundet und geschwächt ist, durch Missbrauch, Fehlentwicklungen, Reformstau. Ich will dir ja helfen, damit du mich ehrst und mir dienst! – sagt Jesus auch dazu. Ruft mich an – in allen euren Nöten, ich will euch retten und ihr werdet mich ehren!

Wann und wie beten wir?

Aber wir rufen Gott nicht an, solange wir meinen, alles selbst regeln zu können mit unserer Wissenschaft und Technik, mit unserem Verstand und unserem Vermögen. Erst wenn uns das Wasser bis zum Hals steht und wir nicht mehr weiterwissen, uns auch von den Menschen verlassen fühlen, dann rufen wir Gott an und schreien zu ihm. So aber machen wir Gott zum „Deus ex machina“, zu einem Maskottchen oder Talisman. Das ist aber Gott nicht und das ist kein Beten, wie Gott es will! Beten meint, immerzu, zu jeder Gelegenheit, zu jeder Stunde und jeden Tag alles mit Bitte und Dank vor Gott hintragen, was unser Leben bewegt. Betet ohne Unterlass, schrieb Paulus den Thessalonichern. Das muss konkret sein. So gehen wir zu Gott hin und in ihn ein; leben und wirken wir aus ihm.

Kirche – Gemeinschaft der Betenden

Die Kirche ist eigentlich eine Gemeinschaft der Betenden oder anders formuliert: Ohne Gebet und ohne Betende gibt es keine Kirche. Kirche besteht aus Betenden. Wenn das Zweite Vatikanische Konzil sagt, dass Kirche Gemeinschaft mit Gott und untereinander ist, so der erste Satz in der Kirchenkonstitution Lumen gentium, und wenn es im ersten Kapitel der Pastoralkonstitution Gaudium et spes heißt, dass die Jünger Christi an Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen teilnehmen, dann ist genau das gemeint. Gemeinschaft mit Gott haben wir durch unser Beten, heilsame Gemeinschaft untereinander haben wir, indem wir miteinander und füreinander beten. An Trauer und Angst der Menschen nehmen wir teil durch unser Beten, das selbstverständlich zur Tat wird, der Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft. Das Gebet stärkt Freude und Hoffnung im Alltag des Lebens.

Erneuerung der Kirche durch das Gebet

Zur Erneuerung der Kirche gehört die Erneuerung des Gebetes: Das persönliche Gebet, das Morgengebet – jeden Morgen –, die Gebete vor und nach dem Essen, das Gebet am Abend. Erneuerung der Kirche wird es nicht geben, wenn wir nicht den Gottesdienst am Sonntag wieder zur guten Gewohnheit an jedem Sonntag machen. Eine Erneuerung der Kirche braucht die Erneuerung der Sakramentenfrömmigkeit, der Taufe, der Firmung, der Eucharistiefeier und aller Gottesdienste, auch des Ehesakramentes und der Krankensalbung. Bischöfe, Priester, Diakone, unsere pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen zuerst Experten im Beten sein, sowie Lehrmeister und Lehrmeisterinnen des Betens. Der hl. Ambrosius hat in einer Predigt im 4. Jahrhundert in seinem Buch über den geistlichen Dienst De officiis geschrieben: Wenn du einem Menschen das Beten gelehrt hast, dann hast du alles Gute, was du ihm tun konntest, für ihn getan.

Beten lernen

Beten, lernen und lehren, es zum Habitus des Lebens zu machen, ist nicht einfach, aber möglich. Wenn man es gelernt hat und täglich – ohne Unterlass – vollzieht, dann ist es erlösend und wohltuend für das ganze Leben. Der betende Mensch spürt jeden Tag die Geborgenheit, die der Glaube an den guten Gott schenkt. Ihm wird jeden Morgen die Hoffnung zuteil, dass der Tag gut wird – trotz aller Furcht und Ängste. Im Beten spürt er, dass es Zukunft gibt, dass es gut weitergeht, dass es schöne Aussichten gibt, weil es Gott gibt. Er spürt auch im Beten tagtäglich, dass es sich lohnt, sich für das Gute durch Nächstenliebe, durch Versöhnung, durch Einsatz für den Frieden nah und fern einzusetzen. Das Gebet entmachtet uns nicht, sondern ermächtigt. Es nimmt uns nicht die Verantwortung, sondern macht uns verantwortungsvoll. Es macht uns nicht gleichgültig, sondern sensibel und engagiert. Das Gebet lässt uns schreien zu Gott in unseren Nöten und hört dann auch den Schrei Gottes an uns: Mach dies und jenes, mach dich auf, pack an, tu, geh voran!

Der liebe Gott

Gott ist der liebe Gott, aber nicht der oberste Gutmütige. Er kritisiert die Aggressionen und Gewalttaten. Er verurteilt Machtmissbrauch, besonders an Kindern, Jugendlichen, Frauen. Der liebe Gott straft auch, nicht aus Rache, sondern damit Unrecht gesühnt wird und Abwegige wieder in die Spur kommen. Er toleriert unsere Freiheit und führt trotzdem zum guten Ziel. Dabei bleibt er immer der ganz Andere, der Unbegreifbare – Totaliter aliter – der total Andere, den wir nicht begreifen können; an den wir aber glauben dürfen. „Si comprehendis non est Deus“, hat Augustinus geschrieben. „Wenn du ihn begreifst, ist es nicht Gott.“

Die Fastenzeit hat einen dreifachen Sinn: Beten, verzichten auf das Überflüssige und Schädliche, um das Gebotene und Nützliche zu genießen, und in Werken der Liebe Gutes zu tun. Lernen wir das Beten, liebe Schwestern und Brüder. Es ist Voraussetzung für die richtige, vernünftige Lebenseinstellung – für das Fasten Voraussetzung auch, das Gute zu tun. Das Gebet ist auch unabdingbar für die Erneuerung des eigenen christlichen Lebens und für die Erneuerung der Kirche, die Gemeinschaft der Betenden.

„Ruf mich an, dann rette ich dich und du wirst mich ehren“, bittet uns der Herr.

Amen.

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