| Aktuelle Meldung | Nr. 017
Zur Diskussion um eine rechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs
In der derzeitigen Diskussion über die strafrechtliche oder außerstrafrechtliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs ist aus christlicher Perspektive, die wir in ökumenischer Gemeinsamkeit vertreten, auf einige grundlegende Aspekte hinzuweisen, die bei aller sachlichen Kontroverse nicht aus dem Blick geraten dürfen.
Grundlegend für alles staatliche Regeln und Handeln ist die unverletzbare Würde des Menschen, die ihm von allem Anfang an und bis zum Ende seines Lebens zukommt und als solche anzuerkennen, zu achten und zu schützen ist. Das Lebensrecht jedes Menschen ist als Ermöglichungsbedingung eng mit seiner Würde verbunden. Dies trifft sich mit der christlichen Glaubensüberzeugung, dass das Leben des Menschen heilig ist und kostbar in den Augen Gottes.
Aufgrund der deshalb gebotenen Sorgfalt und auch aufgrund der Erkenntnisse der medizinischen Forschung ist der Beginn des menschlichen Lebens zu einem frühen Zeitpunkt der Entwicklung anzusetzen. Dabei stellt sich der Zeitpunkt der abgeschlossenen Verschmelzung von Ei- und Samenzelle als der „willkürärmste“ Zeitpunkt (Wolfgang Huber) dar, als der Zeitpunkt also, dessen Annahme als Beginn des menschlichen Lebens sich am deutlichsten anbietet. Es ist der Zeitpunkt, zu dem das Genom des Menschen vollständig vorliegt, so dass er sich von da an als Individuum der Spezies Mensch kontinuierlich durch die Entfaltung des angelegten Potenzials entwickelt. Das Bundesverfassungsgericht, das in dieser Frage zurückhaltend argumentiert hat, hat sich in seinen entsprechenden Entscheidungen allerdings soweit festgelegt, dass spätestens mit der Nidation (d.h. der Einnistung des Embryos in der Gebärmutter) von einem menschlichen Leben auszugehen ist, dem Würde und Lebensschutz zukommen. Lebensschutzkonzepte, die dem Menschen, der sich als Mensch und nicht zum Menschen entwickelt, von vorneherein und prinzipiell je nach Entwicklungsstufe und extrauteriner Lebensfähigkeit einen abgestuften Lebensschutz zubilligen, verbieten sich in dieser Perspektive. Sie eröffnen zudem die erhebliche Gefahr, die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens dann in Konsequenz auch im Hinblick auf andere Lebenssituationen abzustufen und damit aufzuweichen.
Staat, Gesellschaft und individuelle Personen stehen vor diesem Hintergrund vor der Aufgabe, das menschliche Leben zu beschützen. Dabei ist klar, dass das Leben des ungeborenen Kindes letztlich nicht gegen und ohne seine Mutter geschützt werden kann. In dieser Hinsicht stellen Gesundheit und Selbstbestimmung der Frau eigenständige Rechtsgüter dar, die im Fall eines Schwangerschaftskonfliktes zu berücksichtigen sind. Es ist dabei unabweisbar, dass eine Reduzierung auf die abstrakte juristische Abwägung von Rechtspositionen den unter konkreten Lebensbedingungen entstehenden Schwangerschaftskonflikten nicht gerecht wird. Eine humane und hochentwickelte Gesellschaft und ein Sozialstaat sind hier gefordert, auch über geeignete Rahmenbedingungen dem entgegenzuwirken, dass externe soziale Faktoren die Entscheidung für oder gegen einen Schwangerschaftsabbruch wesentlich bestimmen. Auch die Kirchen stehen hier in einer Verantwortung und müssen sich der Frage stellen, ob sie diesem Anspruch in ausreichendem Maß gerecht werden.
Die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, wie die deutsche Rechtsordnung sie gegenwärtig festlegt, stellt ein fein austariertes Konzept dar, das dazu dient, den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens ebenso wie die Rechte der Frau sicherzustellen. Es ist als solches auch das kompromisshafte Ergebnis tiefgreifender gesellschaftlicher Auseinandersetzungen, welches eine erheblich befriedende gesellschaftliche Wirkung entfaltet hat. Dabei dient die Verortung im Strafrecht auch dazu, das Lebensrecht des ungeborenen Kindes im Bewusstsein der Menschen, der Gesellschaft und des Staates wachzuhalten. Die Tatsache, dass der Schwangerschaftsabbruch unter Einhaltung der Maßgaben dennoch straffrei gestellt ist, gewährleistet, dass die Rechte der Frau nicht in ungerechtfertigter Weise beeinträchtigt werden. Die Beratungspflicht ist ein integraler Bestandteil dieses Gesamtkonzepts und trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht allein medizinische Fragen zu beachten sind. Sie kann zudem dazu beitragen, Frauen in komplexen und bedrängenden Situationen Hilfe anzubieten, zu der sie sonst keinen Zugang fänden.
Bei aller Kritik und allen Anfragen, die man sicherlich auch an dieses Regelungskonzept stellen kann, ist doch unbedingt zu beachten, dass man einen gesellschaftlichen Kompromiss, der sich als weitgehend konsensfähig und auch nach einer längeren Geltungsdauer noch immer als tragfähig erwiesen hat, nicht unbedacht aufkündigen sollte. Die Gefahr einer Vertiefung gesellschaftlicher Gespaltenheit ist, gerade im Blick auf andere Länder und Gesellschaften, erheblich. Einer solchen Entwicklung sollten Christen nicht unvorsichtig Vorschub leisten.
Kirchenpräsident i. R. Bischof
Dr. h.c. Christian Schad Dr. Franz-Josef Overbeck