Empfehlungsliste 2019

Die Jury des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises unter Vorsitz von Weihbischof Robert Brahm (Trier) hat 15 Titel für die diesjährige Empfehlungsliste des Preises ausgewählt. 60 Verlage haben sich mit 190 Büchern am Wettbewerb beteiligt. Die Entscheidung über den Preisträger wird am 19. März 2019 bekanntgegeben.

Der Preis wird im Mai 2019 in Hamburg durch den Vorsitzenden der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr.  Gebhard Fürst (Rottenburg-Stuttgart), verliehen. Folgende Bücher hat die Jury, der neben Weihbischof Robert Brahm (Vorsitz), Gabriele Cramer (Münster), Cornelia Klöter (Leipzig), Bettina Kraemer (Bonn), Susanne Kriesmer (Burgbrohl), Dr. Heidi Lexe (Wien), Dr. Klara Asako Sarholz (Bottrop), Prof. Dr. Markus Tomberg (Fulda), Elisabeth Wagner-Engert (Ellgau) und Anna Winkler-Benders (Frankfurt) angehören, auf die Empfehlungsliste 2019 gesetzt:

David Arnold: Herzdenker

Arena Verlag, Würzburg 2018 
Übersetzt von Ulrich Thiele 
376 Seiten, ISBN 978-3-401-60371-1, € 17,00
Ab 13 Jahren

Kann man mit dem Herzen denken? Kann es gelingen, trotz widriger Lebensumstände, unerwarteter Schicksalsschläge und erlittenem Unrecht nie die Hoffnung zu verlieren und sich den wertschätzenden Blick auf das Leben und seine Mitmenschen zu bewahren? Der 16-jährige Victor, der eine angeborene Gesichtslähmung hat, verzweifelt fast an dem Versuch, mit dem Tod des geliebten Vaters endlich abzuschließen. Doch dann lernt er die „Helden des Hungers“ kennen, eine Gruppe von vier jungen Leuten, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten. Jeder der vier hat sein ganz eigenes Schicksal, und sie alle können damit umgehen, weil sie bedingungslos von der Gruppe unterstützt werden. Getragen von der selbstverständlichen Solidarität seiner neuen Freunde und ihrem beherzigenswerten Lebensmotto „Sie lebten und lachten und sahen, dass es gut war“ kann Vic seine lähmende Sprachlosigkeit überwinden und Neues zulassen. Doch das ist nur ein Detail dieses anrührenden und trotz seiner vielen gewichtigen Themen nie überfrachteten Romans, der durch die virtuos konzipierten Wechsel verschiedener Erzählperspektiven und unterschiedlicher Zeitebenen immer neue Wendungen bereithält und mit seinem originellen und glaubwürdigen Figurenensemble nachhaltig zu überzeugen weiß.

Antje Damm: Was wird aus uns?

Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2018
144 Seiten, ISBN 978-3-89565-356-8, € 18,00
Für alle

Was wird aus uns? Wer so fragt, erwartet keine schnellen Antworten. Und wer wie Antje Damm eine solch existentielle Frage zum Anlass nimmt, über die Natur nachzudenken, will kein naturwissenschaftliches Faktenwissen abfragen, sondern Horizonte öffnen und zum Nachdenken einladen. Wie vielgestaltig und facettenreich der Begriff Natur ist, zeigen die höchst unterschiedlichen Motive der zahlreichen Fotos und Illustrationen, die von der Autorin gesammelt und in immer wieder überraschenden Kontexten angeordnet wurden. Das große Angebot an Eindrücken, spannenden Perspektivwechseln und hintergründigen Ideen lädt ein zum Nachdenken und Philosophieren über die Vielfalt der Schöpfung, das Verhalten des Menschen und seine Verantwortung für die Umwelt. Die den Bildern zugeordneten, vielfach sehr überraschenden Fragen sind offen formuliert und bieten dem Betrachter erste Denkanstöße für eine vorurteilsfreie Annäherung an die Natur. So wird Antje Damms staunenswert tiefgründige Bildersammlung zu einer Fundgrube der Ideen und zur Grundlage für ein gemeinsames Nachdenken über Gegenwart und Zukunft des Lebens auf der Erde.

Steven Herrick: Ich weiß, heute Nacht werde ich träumen

Thienemann-Esslinger Verlag, Stuttgart 2018
Übersetzt von Uwe-Michael Gutzschhahn

240 Seiten, ISBN: 978-3-522-20246-6, € 15,00
Ab 14 Jahren

Gegen Ende des Romans wird in dessen rhythmisierendem Stil die Theodizeefrage gestellt. Der Gedankenstrom, dem das 14-jährige Ich Harry dabei folgt, entspricht dem Fluss, der den Roman wortwörtlich durchfließt und sowohl die Topografie als auch die literarische Motivik der Ereignisse bestimmt – dem Originaltitel „by the river“ entsprechend.

An diesem Fluss lebt Harry mit seinem Vater und seinem jüngeren Bruder Keith. Hier findet Harry hinein ins Leben. Dem Moment des Staunens folgend, erforscht er Flusslandschaft und Menschen, die hier leben. Im Schwemmgebiet des Pearce Swamp lässt sich Harry gerne im Wasser treiben, sieht hinauf in den Himmel und lauscht seinem Atem. Dort zeigt sich situativ und literarisch eindringlich, dass der Fluss das Werden und Vergehen markiert; dass er gibt, aber auch nimmt: Harrys Mutter ist an den Ufern des Flusses bei einem Autounfall gestorben. Und Linda Mahony, die Harry damals mit ihrer Zuversicht, ihrem Vertrauen auf einen Himmel und mit ihrem bittersüßen Orangenkuchen zu trösten wusste, stirbt sieben Jahre und vier Tage später im Hochwasser.

In diesen Zeitraum sind Steven Herricks Miniaturen gestellt: Einzelne, in lyrischer Prosa gehaltene Kapitel, die jeweils für sich lesbar sind und sich doch zu einem berührenden Gesamtbild zusammenfügen. Einem expliziten chronologischen Handlungsverlauf verweigert sich der Roman und spiegelt damit Harrys Notwendigkeit, die Wirkmacht der Ereignisse in einen sinnstiftenden Zusammenhang zu bringen. Das transitorische Moment von Kindheit und Adoleszenz geht dabei über in ein Erzählen entlang des Flusses und durch dessen metaphorische Strudel hindurch. Heil und Unheil liegen in diesem Fluss begründet, der die lebensspendende Kraft des Wassers gleichermaßen verkörpert wie die Bedrohlichkeit der Flut – wie Vernichtung und Neubeginn.

Steven Herricks Roman bleibt zeitlos, wenn er verschrobene Figuren aus der Gemeinschaft der Kleinstadt herausschält, sie episodenhaft auftauchen und wieder verschwinden lässt. Einzig Johnny Barlow durchzieht in seiner feisten Art die Ereignisse über mehrere Jahre hinweg. Er tritt wie ein kindlicher Halbstarker auf und scheint durch das Faustrecht an Harry gebunden. Anknüpfend an das Motiv von Schuld und Sühne entwickelt sich ein eigener Handlungsstrang entlang der provokativ-schweigenden Übereinkunft zwischen den beiden. Und erst am Ende zeigt sich – natürlich am Pearce Swamp – ein überraschend verbindendes Moment zwischen den mit den kargen Verhältnissen in der Kleinstadt ringenden Jugendlichen. Zu diesem Zeitpunkt hat Harry bereits Claire kennen gelernt. Claire, die den Fluss ganz neu deutet und Harrys Leben und Erleben damit noch einmal neu überschreibt. Denn wenn der Regen kommt, werden die Staubecken geflutet und die Bäche gefüllt.

Ulrich Hub: Das letzte Schaf

Mit Bildern von Jörg Mühle
Carlsen Verlag, Hamburg 2018

80 Seiten, ISBN 978-3-551-55384-3, € 13,00
Ab 6 Jahren und für alle

„Das ist ja eine schöne Bescherung“, sagt das Schaf, das als letztes angekommen ist. „Jetzt sind wir ganz allein. Das wird bestimmt eine Katastrophe.“

Als die kleine Schafherde mitten in der Nacht vom hellen Lichtschein eines ungewöhnlichen Sterns aufgeschreckt wird, ist es mit der gewohnten Routine vorbei. Die Hirten, die sich sonst immer so aufmerksam um ihre Tiere gekümmert haben, sind spurlos verschwunden. Niemand weiß, was von dem Gerücht zu halten ist, das schnell die Runde macht: Leuchtende Gestalten sollen die frohe Botschaft von der Geburt eines Kindes verkündet haben, das einmal die ganze Welt retten wird. Nach einigem Hin und Her machen sich die Schafe auf den Weg, um dieses Kind anzusehen und ihre Hirten wiederzufinden. Sie kommen zu spät, weil sie auf ihrem abenteuerlichen Weg durch die Nacht immer wieder vom Weg abkommen. Doch am Ende ist aus der ewig zerstrittenen Herde eine Gemeinschaft geworden, die erwartungsvoll in die Zukunft blickt. Die originelle und sehr humorvolle Adaption der biblischen Weihnachtsgeschichte spielt gekonnt mit den Erwartungshaltungen der Leserinnen und Leser und ermöglicht durch die ungewohnte Erzählperspektive einen unverbrauchten Blick auf den Kern der weihnachtlichen Botschaft und ihren Stellenwert in der modernen Festkultur.

Nikola Huppertz, Tobias Krejtschi: Meine Mutter, die Fee

Illustration Tobias Krejtschi
Tulipan Verlag, München 2018

36 Seiten, ISBN 978-386429-369-6, € 15,00
Ab 6 Jahren

Die kleine Fridi versteht nicht, was in letzter Zeit mit ihrer Mutter los ist. Blass und müde sieht sie aus, sitzt stundenlang regungslos im Dunkeln und starrt ins Leere, vernachlässigt ihr Äußeres und bleibt schließlich immer länger im Bett liegen. Je schwieriger der Alltag zuhause wird, desto gereizter reagiert Fridi auf das für sie unverständliche Verhalten der Mutter. Irgendwann glaubt sie, dass die anderen Kinder mit ihren gemeinen Sprüchen doch Recht haben und dass ihre Mutter tatsächlich verrückt geworden ist. Der liebevolle Vater erkennt die seelische Not seiner Tochter und findet einen ungewöhnlichen Weg, ihr die schwere Depression der Mutter kindgerecht zu erklären. Seine Beschreibung der Mutter als Fee spendet dem Mädchen Trost und lässt die Hoffnung auf bessere Tage zu. Nikola Huppertz sensibler Text nähert sich dem schwierigen Thema Depression sehr behutsam und aus einer magisch-kindlichen Perspektive heraus, die kleinen Kindern vertraut sein wird. Gekonnt greifen die leisen und atmosphärisch dichten Illustrationen von Tobias Krejtschi mit ihren kunstgeschichtlichen Zitaten die melancholische Stimmung auf. Sie zeigen die ganze Tragik der familiären Situation und bieten dennoch Raum für Trost und Hoffnung.

Erin Entrada Kelly: Vier Wünsche ans Universum

dtv Verlagsgesellschaft, Reihe Hanser, München 2018
Übersetzt von Birgitt Kollmann 
288 Seiten, ISBN 978-3-423-64044-2, € 14,95
Ab 10 Jahren

Ist alles, was in einem Leben passiert, Zufall? Oder steckt ein tieferer Sinn hinter Ereignissen, die Menschen schicksalhaft zusammenführen? Die Lebenswege höchst unterschiedlicher Kinder berühren sich, und dieses Aufeinandertreffen wird für jeden von ihnen zu einem Wendepunkt. Da ist der schüchterne Virgil, der sich als Versager fühlt und unter den Mobbingattacken von Chet leidet, der wiederum seine Schwächen hinter Gemeinheiten versteckt. Denen ist auch die gehörlose Valencia ausgeliefert, die diese Angriffe selbstbewusst ignoriert und trotzdem unter nächtlichen Albträumen leidet, weil sie nicht weiß, wie sie mit der Überbehütung durch ihre Eltern zurechtkommen soll. Beide Kinder suchen die Hilfe von Kaori, die felsenfest an ihre hellseherischen Fähigkeiten glaubt. Nach einem Zusammenstoß mit Chet bleibt Virgil hilflos zurück. Schnell wird klar, dass eine Rettung nur dann gelingen kann, wenn sich die anderen gemeinsam auf die Suche nach ihm machen. Erin Entrada Kelly erzählt spannend und voller Sympathie für ihre gradlinigen und authentischen Protagonisten vom Glück unverhoffter Freundschaft, von Selbstüberwindung und neuem Lebensmut und vom unerschütterlichen Glauben an die Möglichkeit, gemeinsam das Schicksal in die Hand nehmen zu können.

Irmgard Kramer: 17 Erkenntnisse über Leander Blum

Loewe Verlag, Bindlach 2018
352 Seiten, ISBN 978-3-7855-8911-3, € 17,95
Ab 14 Jahren

Seit frühester Kindheit sind Leander und Jonas beste Freunde. Sie teilen eine unbedingte Leidenschaft für die Kunst, der sie alles andere unterordnen. Gemeinsam sind sie BLUX, ein vielbeachtetes Sprayer-Duo, dessen Identität niemand aus der Szene kennt. Mit der Zeit haben die beiden Freunde eine faszinierende Technik entwickelt, in der der eine den anderen intuitiv ergänzt. Diese Symbiose zerbricht, als sich Leander Hals über Kopf verliebt und zum ersten Mal andere Prioritäten setzt. Nach Jonas‘ plötzlichem Tod droht Leander an seinen Schuldgefühlen zu zerbrechen. – Am ersten Schultag nach den Ferien sitzt Lila neben einem neuen Schüler, zu dem sie sich trotz seiner abweisenden Haltung immer stärker hingezogen fühlt. Irritiert von seinem widersprüchlichen Verhalten und fasziniert von dem dunklen Geheimnis, das ihn umgibt, sammelt sie ihre Beobachtungen in 17 Erkenntnissen über Leander Blum. Durch kunstvolle Verschränkungen unterschiedlicher Zeitebenen und in wechselnden Erzählperspektiven gelingt Irmgard Kramer die überzeugende Geschichte einer tiefen Freundschaft, die im Ringen um künstlerische Selbstversicherung Halt und Sicherheit gibt. Der Coming-Of-Age-Roman erzählt in kraftvoller Bildersprache, wie weit der Weg vom Sehen zum wirklichen Erkennen ist.

Rose Lagercrantz, Eva Eriksson: Glücklich ist, wer Dunne kriegt

Moritz Verlag, Frankfurt a. M. 2018
Illustration: Eva Eriksson 
Übersetzt von Angelika Kutsch 

192 Seiten, ISBN 978-3-89565-369-8, € 12,95
Ab 7 Jahren

Wieder einmal ist die Sehnsucht der 7-jährigen Dunne nach ihrer besten Freundin riesengroß. So groß, dass sie ihre Großmutter schließlich überreden kann, sie allein mit dem Zug ins ferne Norrköping fahren zu lassen, wo Ella Frida seit ihrem Umzug wohnt. Es wird eine aufregende Reise, und Dunne, die wegen ihrer lebensbejahenden Art auch „die kleine Glückliche“ genannt wird, braucht neben Beharrlichkeit und Mut tatsächlich jede Menge Glück, damit dieser erste Schritt zur Selbständigkeit am Ende gut ausgeht. Auch wenn am Ziel zunächst niemand wartet und Dunne ganz allein am verschneiten Bahnhof steht, gibt sie sich nie auf und findet auch deshalb in den entscheidenden Momenten Halt und Hilfe. Glaubwürdig und mit viel Einfühlungsvermögen in kindliche Gefühlswelten und unterstützt durch die lebensnahen und sensiblen Illustrationen von Eva Eriksson erzählt Rose Lagercrantz von den großen und kleinen Momenten im Leben ihrer gradlinigen und nie idealisierten Heldin. Dunne kann trotz vieler Enttäuschungen und Verluste auf den Rückhalt liebevoller Menschen vertrauen und findet so den Mut, sich die Neugier auf Veränderungen zu bewahren. Ein intensives und sehr wahrhaftiges Leseerlebnis für Leseanfängerinnen und - anfänger.

Agnès de Lestrade, Valeria Docampo: Die Schneiderin des Nebels

Mixtvision Verlag, München, 2018
Illustration: Valeria Docampo 
Übersetzt von Anna Taube 

48 Seiten, ISBN 978-3-95854-130-6, € 17,90
Ab 5 Jahren

Wer im Leben Schlimmes erleben musste, hat oft das Gefühl, als liege ein grauer Schleier wie Nebel über allem. So geht es Rosa, die das Trauma der Trennung ihrer Eltern und der Abwesenheit des Vaters verdrängt hat, um sich von der Trauer nicht überwältigen zu lassen. Die Stoffe, die sie mit ihrer geheimnisvollen Gabe aus Nebelschleiern zu weben versteht, sind bei vielen Menschen im Land begehrt, weil sich unter ihnen alles Schwere und Unangenehme verstecken lässt. Als Rosas Vater endlich wieder Kontakt zu ihr sucht, kann sie die belastenden Erinnerungen überwinden. „Mit einem Mal ist Rosas Herz eine Sonne.“ Der Nebel verzieht sich, ein Neuanfang ist möglich und fortan webt sie ihre Stoffe aus Sonnenlicht. Die Inszenierung des knappen Textes und der atmosphärisch dichten filigranen Illustrationen spiegelt auf kunstvolle Weise den Prozess der Veränderung wider. Die schwarz-weißen Bilder mit eingefügten halbtransparenten Seiten in flüchtigem Nebelgrau wandeln sich zu einem Tableau in wärmenden lichtgelben Farbtönen und erzählen auf höchst eindrucksvolle Weise von Verlust und Trauer und von der Sehnsucht nach Heilwerdung.

Elisabeth Steinkellner: Dieser wilde Ozean, den wir Leben nennen

Beltz & Gelberg in der Verlagsgruppe Beltz Julius Beltz, Weinheim 2018
236 Seiten, ISBN 978-3-407-75436-3, € 13,95
Ab 15 Jahren

Antonia und Simon, die sich ganz zufällig über den Weg laufen, stecken beide in einer existentiellen Krise und sind sich selbst fremd geworden. Gerade weil ihre Nöte nicht unterschiedlicher sein könnten, erhalten beide durch die unverbindliche Nähe und im Austausch mit dem unvoreingenommenen Gegenüber den notwendigen Impuls für eine läuternde Bestandsaufnahme. Antonia steckt in einem Leben fest, das durch die psychische Erkrankung und den Selbstmord des Bruders geprägt ist. Die Sprachlosigkeit in ihrer Familie lässt sie glauben, kein Recht auf eine eigene Zukunft zu haben und jede emotionale Bindung in Frage stellen zu müssen. Der zurückhaltende und introvertierte Simon will seinem als eng und ereignislos empfundenen Alltag entkommen und sucht verzweifelt nach der erlösenden Freiheit durch ein sinnerfülltes Leben, das den Idealvorstellungen seiner Träume und Fantasien entspricht. In starken Bildern und Metaphern erzählt Elisabeth Steinkellner von der existentiellen Verunsicherung junger Menschen, von ihrer großen Sehnsucht nach Substanz und Tiefe, von der Notwendigkeit, Altes loszulassen und zu neuen Horizonten aufzubrechen und von der Hoffnung, den ureigenen Platz im Ozean des Lebens finden zu können.

Shaun Tan: Reise ins Innere der Stadt

Aladin Verlag, Stuttgart 2018
Übersetzt von Eike Schönfeld   
288 Seiten, ISBN 978-3-8489-2118-8, € 28,00
Ohne spezielle Altersangabe

Ein Hochhaus, dessen 87. Stockwerk von Krokodilen bewohnt wird; ein Sitzungssaal voller Frösche, ein kleiner Junge, der seine uneingestandene Angst als riesige Eule imaginiert, die im Krankenzimmer auf ihn wartet und deren Anwesenheit ihn trotz seines anfänglichen Erschreckens tröstet… In bildstarken, oft geheimnisvoll verrätselten kurzen Geschichten und Gedichten erzählt Shaun Tan vom ambivalenten Spannungsverhältnis zwischen Mensch und Tier und stellt dabei immer aufs Neue unsere gewohnte Sicht auf Tiere in Frage. Im Zentrum der mal anklagenden, mal melancholischen und trotzdem leidenschaftlich für eine bessere Zukunft plädierenden Parabeln steht das Tier –als geliebter Freund genauso wie als Wirtschaftsgut, dessen Wert sich nach dem Nutzen bestimmt, den es den Menschen bringt. Eindrücklicher noch als die symbolisch aufgeladenen Texte sind die farbgewaltigen, mal surrealen, mal magisch realistischen Illustrationen. Sie schreiben die Geschichten fort und finden mit ihren irritierenden Inszenierungen starke Bilder für Verlust, Isolation und Trauer. Die vielschichtigen Deutungsmöglichkeiten geben aber auch kreativen Ideen von einem neuen Miteinander von Mensch und Tier Raum.

Dianne Touchell: Foster vergessen

Königskinder im Carlsen Verlag, Hamburg 2018
Übersetzt von Birgit Schmitz
256 Seiten, ISBN 978-3-351-56042-1, € 16,99
Ab 16 Jahren

Foster liebt seinen lebenszugewandten Vater und taucht mit ihm, dem fantasiebegabten Erzähler, in immer neue kreative Geschichtenwelten ein, die ihm Welterklärung und Selbstvergewisserung zugleich bieten. Als der Vater sich auf zunächst kaum wahrnehmbare Weise verändert, immer häufiger unter Gedächtnislücken leidet und schließlich in seinem oft beängstigend fremden und erschreckenden Verhalten kaum mehr wiederzuerkennen ist, ist der 7-jährige Junge völlig überfordert. Die Angst, dass sein Vater auch ihn komplett vergessen könnte, wird zum Albtraum, auf den er mit Trotz und Ablehnung reagiert. Die Mutter verleugnet die Schwere der Alzheimer Erkrankung bis zur Selbstaufgabe und lässt es zu, dass ihre Beziehung zu Foster immer schwieriger wird und das Familienleben völlig aus den Fugen gerät. Dianne Touchell schildert schonungslos und unsentimental die täglichen Demütigungen und Katastrophen, die die Diagnose Demenz für Betroffene und Angehörige bedeutet und beleuchtet aus kindlicher Perspektive die existentiellen Fragen, die sich angesichts eines radikalen Verlusts stellen. Hoffnung bietet allein die wachsende Bereitschaft, Hilfe anzunehmen und die Erkenntnis, dass Fosters vom Vater übernommene Liebe zum Erzählen auch dessen Persönlichkeit lebendig hält.

Anja Tuckermann, Mehrdad Zaeri, Uli Krappen: Der Mann, der eine Blume sein wollte

Tulipan Verlag, München 2018
Illustration: Mehrdad Zaeri, Uli Krappen   

52 Seiten, ISBN 978-3-86429-409-9, € 15,00
Ab 5 Jahren und für alle

Ein Schrankenwärter, der tagein tagaus gewissenhaft seiner Arbeit nachgeht und auch in seiner Freizeit wenig Abwechslung hat, will endlich ausbrechen aus dem Einerlei des Alltags und sehen, ob das Leben nicht mehr zu bieten hat als das Immergleiche. Er will Fantasie und bunte Farben nicht länger aus seinem Leben verdrängen und traut sich, von seinen Wünschen und Hoffnungen zu träumen. Was wäre, wenn er eine Blume wäre und ein Leben voller Licht und Farbe führen könnte, wenn er sich an den schönsten Orten frei entfalten könnte und Freude und Glück in das Leben anderer Menschen brächte? Wenn er die engen Grenzen seines Körpers hinter sich lassen könnte und frei von lähmenden Konventionen wäre - nicht nur für sich allein, sondern auch im Miteinander? Diese Sehnsucht nach Sinn und Erfüllung im Leben wird in Anja Tuckermanns Erzählung zu einer zauberhaften Hommage an die Kraft der Fantasie, die viel mehr ist als ein unerfüllbarer Traum. Die dynamischen Bilder von Mehrdad Zaeri und Uli Krappen füllen die anfänglich triste und begrenzte Welt am Schrankenwärterhaus mit immer bunter werdenden Blütenwelten und zeigen, dass die Welt voller Wunder ist.

Jochen Voit, Hamed Eshrat: Nieder mit Hitler! oder Warum Karl kein Radfahrer sein wollte

avant-verlag, Berlin 2018
Illustration: Hamed Eshrat
   
152 Seiten, ISBN 978-3-945034-98-9, € 20,00
Ab 12 Jahren

Die Anfang der 40er Jahre gegründete Erfurter Widerstandsgruppe, der neben dem Gründer Jochen Bock auch Karl Metzner und drei weitere Schulfreunde angehörten, engagierte sich mit Flugblättern gegen den Terror des NS-Regimes. Die Jugendlichen wurden denunziert und von der Gestapo verhaftet und entgingen nur mit Glück der Todesstrafe. Der Lebensweg Metzners, der nach dem Krieg als evangelischer Pfarrer in der DDR wirkte und aufgrund dieser Berufswahl und seiner mutig vertretenen pazifistischen Überzeugungen ein zweites Mal ins Visier eines Unrechtsregimes geriet, ist ein überzeugendes Beispiel dafür, dass es auch in einer Diktatur möglich ist, trotz persönlicher Gefahr seine Überzeugungen zu vertreten und die eigene Integrität zu bewahren. Die unmittelbar anschauliche und stets auf die handelnden Personen fokussierte Erzählweise der Graphic Novel und die geschickte, farblich abgesetzte Verschränkung der unterschiedlichen Zeitebenen macht Geschichte erlebbar und bietet jungen Menschen auch durch die Einbeziehung von Originaldokumenten einen authentischen Blick auf einen Mann, der kein Held sein wollte und dennoch Vorbild ist.

Alex Wheatle: Liccle Bit. Der Kleine aus Crongton

Verlag Antje Kunstmann, München 2018
Übersetzt von Conny Lösch 
  
256 Seiten, 978-3-95614-231-4, € 18,00 A
Ab 14 Jahren

Anerkennung und Zugehörigkeit sind für Jugendliche wichtige Themen. Auch der 14-jährige Lemar sucht seinen Platz im Leben. Er hadert nicht nur mit seiner geringen Körpergröße, die ihm den Spitznamen Liccle Bit eingebracht hat, sondern fühlt sich auch zu Hause in der beengten Wohnung zwischen einer vom Leben enttäuschten Mutter und einer frustrierten alleinerziehenden Schwester unbeachtet und unverstanden. Nur in der Zuwendung der liebevollen Großmutter und beim Zeichnen findet der künstlerisch begabte Junge zuweilen die erhoffte Anerkennung. Als ihn der Bandenchef seines Viertels um einen Gefallen bittet, lässt er sich auf einen dubiosen Botengang ein und gerät ungewollt mitten in einen Bandenkrieg mit Toten und Verletzten. Verzweifelt und voller Schuldgefühle sucht er einen Ausweg aus seinem aussichtslos scheinenden Dilemma und hätte nie erwartet, ausgerechnet bei seiner Familie und bei Freunden Rückhalt und Unterstützung zu finden. Alex Wheatle erzählt dialogreich, pointiert und mit erkennbar viel Verständnis für die Stärken und Schwächen all seiner sehr differenziert gezeichneten Figuren vom Suchen nach Identität, von individueller Schuld, von Liebe und Zuwendung und von der Verantwortung jedes Einzelnen für das Zusammenleben in einer sozialen Gemeinschaft.

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