Empfehlungsliste 2023

Die Jury des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises unter Vorsitz von Weihbischof Robert Brahm (Trier) hat 15 Titel für die diesjährige Empfehlungsliste des Preises ausgewählt. Die Bücher entfalten für Leser und Leserinnen im Kleinkindalter bis in die Jugend auf beispielhafte Weise einen Zugang zu christlichen Werten, religiösem Leben, Interkulturalität und aktuellen gesellschaftlichen Themen. Am Wettbewerb haben sich 67 Verlage mit 177 Büchern beteiligt. Die Entscheidung über das von der Jury bestimmte Preisbuch wird am 20. März 2023 bekanntgegeben. Die Preisverleihung ist am 25. Mai 2023 in Erfurt geplant.

Mehr lesen: Presssmitteilung 23. Februar 2023

Folgende Bücher hat die Jury auf die Empfehlungsliste 2023 gesetzt:

Clive Gifford, Sam Kalda: Die großen Philosophinnen und Philosophen

Insel Verlag, Berlin 2022
Illustration Sam Kalda
Übersetzt von Gabriele Würdinger
ISBN: 978-3-458-17972-6, 64 Seiten,  € 29,90
ab 12 Jahren

 

Spannender und verständlicher Überblick über die Philosophiegeschichte, der zum Weiterdenken anregt

Wir begegnen Gottfried Wilhelm Leibniz, Thomas von Aquin oder Mary Wollstonecraft – um nur drei der insgesamt fast dreißig Denkerinnen und Denker zu nennen. Wer einen Überblick über die Philosophie von deren Beginn bis in die Gegenwart und mit einem Blick in die Zukunft gewinnen möchte – dieses herausragende Sachbuch kann dabei helfen. Je eine Doppelseite konzentriert sich dabei auf einen Begriff. So lernen Kinder und Jugendliche, den großen Fragen des Lebens nachzugehen und können lesen, was zu Wahrheit, Glück, Existenz oder Glaube bereits gedacht wurde und werden von Textlänge und Informationen nicht überladen. Clive Gifford bietet verständlich formuliert einen thematischen Impuls, der dann je nach Interesse weiter vertieft werden kann. Sam Kalda gelingt es, diese anregende Wissensdarbietung klug und in klarem Layout bildlich zu präsentieren, und gleich am Beginn das großformatige Cover zu einem echten Blickfang zu machen. Dabei liegt der Fokus nicht auf dem geschichtlichen Abriss, sondern auf den verschiedenen Schulen und Denkansätzen und den Personen, die eine zentrale Rolle gespielt haben.

Ein Nachschlagewerk als inspirierende Einladung, sich mit Philosophiegeschichte auseinanderzusetzen und auf dieser Basis nun ganz eigene Gedanken zu entwickeln.

Heinz Janisch, Michael Roher: Schneelöwe

Tyrolia, Innsbruck 2022
Illustration Michael Roher
ISBN: 978-3-7022-4076-9, 32 Seiten,  € 16,00
ab 6 Jahren

 

Was glaubst Du, welches Tier in Dir schlummert, das geweckt werden will?

Erstaunliches gibt da der Junge gleich zu Beginn dieser außergewöhnlichen Ich-Erzählung von sich preis: „Ich bin ein weißer Schneelöwe“. Wie ein Schatten verbirgt sich in jedem Menschen ein Tier, das sein Inneres, seine Fähigkeiten und Besonderheiten zum Ausdruck bringt. Im Wechsel der Perspektiven, die vor allem bildsprachlich vermittelt werden, leitet die Geschichte dazu an, sich selbst näherzukommen. Über die behutsame Wortwahl und die feinen Zeichnungen werden die Betrachterinnen und Betrachter über die eigene Sinneswelt hinausgeführt. So gewinnt die Erzählung transzendenten Charakter. Michael Roher wählt mit dem Kugelschreiber ein alltägliches Schreibwerkzeug, das die Gestaltung scheinbar in den Hintergrund rückt, um den Blick frei für das zu machen, was hinter Blau- und Weißfläche steht: der Mensch, der sich neu in der Vergesellschaftung von Tier und Umwelt entdeckt und sich gewissermaßen damit immer wieder neu in die Schöpfung einordnet.

Ein Buch, das alle einbindet, egal welches Geschlecht, welche Hautfarbe, welche Kultur, oder Religion, denn ein Schneelöwe ist man innen drin, so jedenfalls gibt es der Ich-Erzähler vor. Eine Einladung, sich mit der eigenen Identitätsfindung auseinanderzusetzen.

Navid Kermani: Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen

Hanser Verlag, München 2022
ISBN: 978-3-446-27144-9, 240 Seiten,  € 22,00
ab 16 Jahren

 

Das Versprechen wird eingelöst – ein Vater erzählt seiner Tochter vom Islam und erfüllt damit den letzten Wunsch des Opas.

Im fiktiven Dialog mit seiner zwölfjährigen Tochter setzt Navid Kermani sich mit der Frage nach Gott auseinander. Dabei geht es um die großen Themen und Ereignisse des Lebens: Geburt, Liebe, Tod, Staunen. Er verbindet Religion und Theologie mit Alltagserfahrungen und -szenen und zeigt, wie man alltäglich über Religion nachdenken kann.

Die wertschätzenden Reflexionen des Vaters bringen christliche und islamische Traditionen mit der deutschen Gesellschaft des 21. Jh. ins Gespräch. Das Buch wirbt für die Plausibilität und Relevanz religiöser Weltsicht, die einen eigenen Weltzugang ermöglicht, aber nicht im Gegensatz zu wissenschaftlichen Einsichten steht.

In sogenannten „Extrazeilen“ gibt das Sachbuch immer wieder interessante Exkurse – so etwa zu christlicher und islamischer Architektur oder über Geist und Quantenphysik. So hält man ein eindrucksvolles Werk über Religion in der modernen Gesellschaft aus aufgeklärt islamischer Sicht in Händen und erfährt, dass die wichtigste Quelle seine eigene religiöse und moralische Erziehung sowie familiäre Vorbilder waren. Durch den Charakter des Dialoges mit seiner Tochter gelingt es ihm, auch Jugendliche in ihren kritischen Anfragen an Religion abzuholen.

Susan Kreller: Hannas Regen

Carlsen Verlag, Hamburg 2022
ISBN: 978-3-551-58475-5, 192 Seiten, € 15,00
ab 13 Jahren

 

Josefin, Hanna und ihre ungewöhnliche Freundschaft im gemeinsamen Schweigen

Josefin sieht sich selbst als „langweiligstes Mädchen der Klasse, die es nicht mal zu einem Spitznamen geschafft hat“. Und daher glaubt Josefin auch, dass es für Hanna, die neue Schülerin in der Klasse, eine Strafe ist, dass sie neben ihr sitzen muss. Hanna ist sehr still und nimmt die meiste Zeit ihre Umwelt kaum wahr. Nur dem Regen gegenüber ist sie nicht gleichgültig, vielmehr scheint sie regelrecht in ihm ein – bzw. unterzutauchen.

Neugierig geworden auf das rätselhafte Mädchen, sucht Josefin den Kontakt zu Hanna. Ihre Freundschaft funktioniert aber nach ganz eigenen Regeln und ist geprägt von dem Geheimnis, das Hanna umgibt. Doch mit Geduld und Behutsamkeit gelingt es Josefin, einen Weg zu Hanna zu finden – und als Zeichen ihrer Freundschaft sogar einen Spitznamen von ihr zu erhalten: Josef.

In ihrem humorvollen und sprachlich virtuos konstruierten Roman entwirft die Autorin bis in die Nebenfiguren hinein liebenswürdig-skurrile Charaktere und hält die Spannung bis zum überraschenden Ende. Dabei geht es nicht nur um so wichtige Themen wie Freundschaft, Einsamkeit, Verbundenheit, sondern auch um Identitätsfindung.

Annejan Mieras: Hanno und der Notfall

Gerstenberg, Hildesheim 2022
Illustration Linde Faas
Übersetzt von Andrea Kluitmann
ISBN: 978-3-8369-6106-6, 192 Seiten, € 14,00
ab 9 Jahren

 

Ist Pien wirklich eine polnische Prinzessin oder was steckt hinter ihrem rätselhaften Verhalten?

Warum gerade die seltsame Pien und warum ausgerechnet sein Zimmer? Hannos Mutter, liebevoll Mums genannt, versucht es ihm schonend beizubringen. Hannos Mitschülerin braucht die Hilfe der intakten Familie, weil deren Mutter nicht in der Lage ist, sich zu kümmern. Ein echter Notfall also, aber Hanno hadert mit der Situation und hat so viele innere Widerstände zu überwinden. Zum Glück gibt es Kees. Der begleitet ihn mit guten Gedanken, bietet dem Jungen in seiner Fahrradwerkstatt einen Zufluchtsort und hat immer Zeit zum Reden und
Material für Hannos Eisentiere. Die präsentiert uns Linde Faas als schwarz-weiß Vignetten zu Beginn eines jeden Kapitels. Sprachlich brillant und in lebendigen Dialogen kombiniert Annejan Mieras geschickt zwei Ebenen: die der äußeren Handlung und Wahrnehmung und die der dahinterliegenden inneren, psychischen Wahrheit. Dazu passt auch, dass Piens Gedichte mit eingewoben werden und damit auch ihre Perspektive.

Eine nachdenkliche und wahrhaftige Freundschaftsgeschichte, die Fragen stellt nach dem geglückten Leben sowie dem gelingenden Miteinander im Alltag, und nicht zuletzt daran erinnert, wie wichtig Empathie ist.

Nils Mohl: Henny & Ponger

Mixtvision, München 2022
ISBN: 978-3-95854-182-5, 320 Seiten, € 18,00
ab 14 Jahren

 

Wer bin ich? Und wo ist mein Platz im Universum?

 

S-Bahn-Station Sternschanze, Linie S 31 Richtung Hamburg-Altona: In der Bahn sitzen Henny und Ponger. Beide lesen im gleichen Buch, und Ponger ist das faszinierende Mädchen sofort aufgefallen. Doch dann zieht sie plötzlich die Notbremse und verschwindet auf spektakuläre Weise aus der Bahn. Ponger kann sie nicht vergessen, nicht nur, weil er ahnt, dass sie verfolgt wird und auf der Flucht ist. Und als sie ihm kurz darauf in Susis Werkstatt gegenübersteht, wo er alte Flipperautomaten wieder in Gang bringt, ist ihm klar, dass sie seine Hilfe braucht. Nach einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd führt Henny ihn schließlich an den Strand der Nordseeinsel Amrum, wo er ihr geheimnisvolles Transportmittel reparieren soll. Hennys Verhalten und ihre rätselhafte Identität machen Ponger immer wieder ratlos, aber andererseits fühlt er sich in der Liebe zu ihr wie vom Blitz getroffen und wie von einem anderen Stern. Und darin scheint ihm alles möglich ...

Nils Mohl hält in diesem dramaturgisch ausgefeilten, sprachlich intensiven und fesselnden Jugendroman wie ein Marionettenspieler geschickt alle Fäden bis zum Schluss in der Hand, und so gelingt ihm eine spannende und temporeiche Mischung aus Roadmovie, Retrotrip, Coming-of-Age- und Liebesroman.

Lena Raubaum, Clara Frühwirth: Worauf wartest du noch?

Tyrolia, Innsbruck 2022
Illustration Clara Frühwirth
ISBN: 978-3-7022-4075-2, 56 Seiten, € 18,00
ab 4 Jahren

 

Das Warten darauf, dass jemand ein tolles Buch vorliest, ist hiermit vorbei!

 

Lena Raubaum und Clara Frühwirth bieten ein kurzweiliges, fantasievolles und intelligentes Mitmachbuch. Kinder und Erwachsene können Hand in Hand vorlesen, zuhören und raten, denn es gibt jede Menge zu entdecken auf den Doppelseiten, die sich um je einen Buchstaben des Alphabets drehen. Und so findet sich auch mittendrin die Antwort auf die Frage, worauf denn die Maus und der Elefant mit dem großen Popcornkarton eigentlich so geduldig warten. Nicht nur das Suchen nach gezeichneten Gegenständen mit dem jeweiligen Anfangsbuchstaben bringen die Betrachterinnen miteinander ins Gespräch. Sondern auch Antworten auf die großen Fragen des Lebens. Jede Doppelseite bietet eine Antwort auf die titelgebende Frage „Worauf wartest du noch?“, die teils komisch, teils absurd, teils philosophisch beantwortet wird.

Die Illustratorin bringt in feinem Strich und einer Mischtechnik aus Bleistift und digitaler Koloration zudem auf jeder Doppelseite sowie dem Vorsatzpapier einen anderen Stuhl zur Geltung – ein Sinnbild des Wartens. Und dann ist er da, der Moment, an dem „endlich jetzt ist“.

Jutta Richter, Petra Rappo: Nil, Nil, ich komme!

Hanser Verlag, München 2022
Illustration Petra Rappo
ISBN: 978-3-446-26219-5, 40 Seiten, € 15,00
ab 3 Jahren

Der Zoo fühlt sich für das Nilpferd nicht nach Heimat an und so begibt es sich auf eine Reise.

Unsagbar traurig starrt das kleine Nilpferd in die Pfütze voller Wasser. So kann es nicht weitergehen, das Leben im Zoo. Zwar wird es täglich von dem Wärter Bratbüttel versorgt, doch sehnt es sich nach seiner unbekannten Heimat am Nil. Auch mit den anderen Tieren gibt es nur noch Ärger, und so fasst das von Heimweh geplagte Nilpferd einen alles verändernden Entschluss. Es macht sich auf den Weg zum Nil. Jutta Richter erzählt poetisch, stellenweise lyrisch, klangvoll und mit starker Emotion, dass man die weite, beschwerliche Reise an der Seite des Tiere gerne auf sich nimmt. Immer mit dabei im Ohr: der eingängige, titelgebende Refrain: „Nil, Nil, ich komme!“

Petra Rappo arbeitet mit monochromen Farbflächen in gedeckten Tönen und leichter Textur. In Kombination mit den fein gezeichneten Tierkonturen fühlt man sich an japanische Farbholzschnitte erinnert. Mehrere textlose Doppelseiten füllt Rappo stilsicher mit den Reiseetappen quer durch die unterschiedlichen Landschaften, damit ist das Buch auch für kleine Kinder ansprechend. Vermutlich kann jeder beim Vorlesen an seine eigene Sehnsuchtssituation denken, und sich mit dem liebenswürdigen, rotwangigen Nilpferd identifizieren. Da ist der Nil offensichtlich das Paradies, und der Moment sinnlich und intensiv, als es selig die Schnauze in den Fluss hineintaucht.

Romana Romanyschyn, Andrij Lessiw: Als der Krieg nach Rondo kam

Gerstenberg, Hildesheim 2022
Übersetzt von Claudia Dathe und Oksana Semenets
ISBN: 978-3-8369-6203-2, 40 Seiten, € 18,00
für alle

 

Was kann ihn stoppen, den furchtbaren und herzlosen Krieg?

Die Fantasiefiguren Danko, Fabian und Sirka leben in der zauberhaften Stadt Rondo. Auf einem Stadtplan ist alles schön zu sehen, vor allem die Attraktion der Stadt, das singende Gewächshaus, in dem die Blumen Konzerte geben. Aber dass der Friede und die Ruhe nicht ewig währen, müssen die zerbrechliche Glühbirne, der pinke Luftballonhund und der reisefreudige Papiervogel bitter erfahren. Denn der laute, zerstörerische Krieg bricht aus und das Dunkle übernimmt die Macht. Das ukrainische Künstlerpaar arbeitet intensiv Hand in Hand und schafft mit einer Kombination aus filigraner Zeichnung, Collage und effektvoll eingesetzter Typografie tief beeindruckende Bilderbuchkunst. Wie die Farben wechseln und die neue Lichtstimmung und der Krieg in großen Lettern inmitten von Panzern in die Stadt kommt, prägt sich ein. Aber die Bewohner und Bewohnerinnen geben nicht auf und trotzen dem Krieg mit Kreativität, Gesang und Licht. Frieden schaffen wird zur gemeinschaftlichen Aufgabe, die kreativer Mittel bedarf. Nicht verschwiegen wird, dass der Krieg bleibende Wunden hinterlässt und die Gemeinschaft vor unsägliche Herausforderungen stellt. Und klar wird hier auch: Rondo und ein solcher Konflikt könnten überall sein. Entstanden ist das Buch 2014 zur Annexion der Krim durch Russland und ist zum Beginn des Angriffskrieges auf die gesamte Ukraine in deutscher Übersetzung erschienen.

Erna Sassen: Ohne Dich

Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2022
Illustration Martijn van der Linden
Übersetzt von Rolf Erdorf
ISBN: 978-3-7725-3113-2, 264 Seiten, € 20,00
ab 14 Jahren

 

Zwangsverheiratet statt Menschenrechtsanwältin – von Zivans fremdbestimmtem Leben und Joshuas unstillbarer Sehnsucht nach ihr

 

Joshua und Zivan sind seit der Vorschule ein Herz und eine Seele. Wie schön wäre es, wenn alles einfach so weitergehen würde. Aber auf die beiden kommt eine unsagbar große Herausforderung zu. Die Familie des Mädchens stammt aus dem Irak. Nun muss Zivan gegen ihren Willen die Niederlande verlassen und soll mit ihrem Cousin im Irak zwangsverheiratet werden. Erna Sassen erzählt meisterhaft, ungemein feinfühlig und mit leisen Zwischentönen von einem sensiblen, künstlerisch begabten 15-jährigen Jungen. Es geht um seelische Schmerzen, Verlusterfahrung und um die Schwierigkeit, weiterzuleben. Kongenial die zahlreichen schwarzweiß Zeichnungen von Martijn van Linden, die den Anschein erwecken, man halte das Skizzenbuch des talentierten Jungen in Händen. Zu sehen sind Zivan in unzähligen Posen, außerdem Wölfe, Ziegen und immer wieder die Buchstaben ihres Vornamens.

Ein Jugendbuch über Religion, über das Aufbrechen von Rollen, Gewalt gegen Frauen und auch ein Buch über die Kunst. Denn nicht umsonst trägt Joshua den Spitznamen „Rembrandt“.

Jürg Schubiger, Rotraut Susanne Berner: Eines Nachts im Paradies

Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2022
Illustration Rotraut Susanne Berner
ISBN: 978-3-7795-0675-1, 24 Seiten, € 18,00
für alle

 

Was ist eigentlich das Wesentliche an all der paradiesischen Fülle?

Die runde Ausstanzung auf dem Cover des Bilderbuchs gibt den Blick mitten ins Paradies geschickt frei. Unzählige Tiere und Pflanzen sind da zu entdecken und natürlich – Adam und Eva. Die beiden betrachten den Sternenhimmel, philosophieren über die Ewigkeit und Evas Überdruss. Darüber geraten sie in heftigen Streit. Doch der fördert etwas Gutes zutage: Adam erfindet den Kuss. Rotraut Susanne Berner setzt in ihrem zeitlosen Illustrationsstil in kräftigen Farben zahlreiche Tiere mitten ins Bild und markiert mit dem Mond und dem Granatapfelbaum den Kreislauf des Lebens. Schon im Hohelied Salomons untermalt der Granatapfel die Schönheit der Frau und gilt als Symbol der Fruchtbarkeit. Kinder bekommen vermutlich über die satte Farbigkeit leicht Zugang und werden auf fast jeder Seite etwas rundes Rotes entdecken.

Über alle Altersgruppen hinweg aber kann man sich über Paradiesvorstellungen austauschen. Die Dimension der Transzendenz Gottes wird zwar nie explizit erwähnt, prägt aber dennoch das gesamte Bilderbuch – durch die Fragen nach der Ewigkeit im eindringlichen Text und der Darstellung der Lebensfülle im Bild.

Gulraiz Sharif: Ey hör mal!

Arctis Verlag, Zürich 2022
Übersetzt von Meike Blatzheim und Sarah Onkels
ISBN: 978-3-03880-054-5, 208 Seiten, € 15,00
ab 13 Jahren

 

Ali kann sich unendlich glücklich schätzen, so einen großen Bruder wie Mahmoud zu haben. Von ihm innerlich bestärkt und geschützt kann er zu Alia werden.

Was für ein Sommer! Eigentlich dachte der fünfzehnjährige Mahmoud, dass er wie immer in der unansehnlichen Hochhaussiedlung östlich von Oslo rumhängt und die Zeit sinnlos totschlägt. Aber es kommt ganz anders als gedacht. Besuch aus Pakistan kündigt sich an und sein zehnjähriger Bruder Ali bringt die komplette Familie durcheinander. So gerne schaut er sich Prinzessinnen-Filme an, liebt Kleider, Himbeer-Lipgloss und schönen Nagellack. Selten hat man eine jugendliche Erzählerstimme, die authentisch und kraftvoll die Leserinnen in ihren Bann zieht. Die provokante und politisch unkorrekte Sprache Mahmouds und seine Äußerungen zur norwegischen Politik, seiner Familie, den religiösen Vorstellungen und seinem pakistanischen Onkel Ji sind humorvoll und voller Sprachwitz. Sogleich sind seine Gedanken und Worte emotional und berührend. Worauf kommt es wirklich an? Seine Mutter bezieht selbstbewusst Position (gegen den Vater) und steht kompromisslos zu ihren Kindern und der Transidentität Alis. Doch alle in Mahmouds Familie machen eine tiefgreifende Entwicklung durch. So kann Familie auch wieder ein Segen sein. Alia lässt das unentwegte Grübeln und ist sich irgendwann Gottes uneingeschränkter Liebe sicher. Am Ende können alle den Gedanken der Schuld am „Anderssein“ von Alia verneinen und stehen geschlossen hinter ihr.

Andreas Steinhöfel, Melanie Garanin: Völlig meschugge?!

Carlsen Verlag, Hamburg, 2022
Illustration Melanie Garanin
ISBN: 978-3-551-79609-7, 288 Seiten, € 20,00
ab 10 Jahren

 

Eine ausführliche Rezension finden Sie unter: Preisbuch 2023

Anna Woltz: Nächte im Tunnel

Carlsen Verlag, Hamburg 2022
Übersetzt von Andrea Kluitmann
ISBN: 978-3-551-58474-8, 224 Seiten, € 16,00
ab 13 Jahren

 

Wie kann man leben und lieben, wenn um einen herum der Wahnsinn tobt?

 

London 1940 – während des Bombardements der Stadt durch die Deutschen suchen Ella, ihr kleiner Bruder Robbie und die Jugendlichen Jay und Quinn Schutz in der U-Bahn. „Wir waren zu viert, aber einer von uns wird sterben“, warnt die niederländische Autorin gleich zu Beginn ihre Leser und erzählt aus der Perspektive der 14-jährigen Ella von einer Zeit, in der die Angst und die Ungewissheit auch für Kinder zum Alltag gehören und sie gleichzeitig lernen müssen, im Ausnahmezustand zu leben und zu überleben. Ella ist gerade erst von einer Polio-Infektion mit einer Behandlung in „eiserner Lunge“ genesen und leidet daher in den U-Bahntunneln unter Platzangst. Robbie versteht den Krieg zunächst eher als Abenteuer. In der Schlange vor dem Tunnel treffen sie auf den 16-jährigen Jay, der mit krummen Geschäften Geld für seine jüngeren Geschwister auftreibt. Die 15-jährige Quinn ist vom sicheren Landsitz der adligen Familie in die Stadt geflohen, um dort zu helfen. Trotz dieser bedrohlichen und manchmal hoffnungslos scheinenden Situation gelingt es den Kindern und Jugendlichen, sich gegenseitig Halt zu geben, Freude und Leid miteinander zu teilen und an- und miteinander zu wachsen.

Anna Woltz versteht es, mit lebendigen Dialogen zu fesseln und Figuren zu schaffen, die man so schnell nicht vergisst. Neben moralischen Fragen, die gerade in Kriegszeiten eine wesentliche Rolle spielen, ist das Buch vor allem ein Hoffnungszeichen in schweren Zeiten und für allen Leserinnen empfohlen, die heute in ähnlichen Situationen leben müssen oder Krieg am eigenen Leib erfahren haben.

Lucia Zamolo: Jeden Tag Spaghetti

Bohem Press, Münster 2022
ISBN: 978-3-95939-205-1, 128 Seiten, € 16,00
ab 10 Jahren

 

Wie begegnet man Mikro-Aggressionen, Diskriminierungen und toxischen Komplimenten, nur weil man einen fremdklingenden Namen trägt?

Ihr Name verrät es und sie muss sich in regelmäßigen Abständen erklären: „Mein Vater kommt aus Italien“. Irgendwann reicht es Lucia Zamolo und die Entscheidung fällt, sich in einem neuen Werk künstlerisch damit auseinanderzusetzen. So entsteht ein sehr persönliches Buch, das eigene Gedanken und Gefühle durch eine intensive und differenzierte Recherche rund um das Thema Identität erweitert. Zamolo lässt Freunde zu Wort kommen, unternimmt Ausflüge in die Psychologie, befasst sich mit ihren italienischen Vorfahren und dem hartnäckigen Vorurteil, dass nur in Italien köstliche Tomatensoße gekocht wird. Sie erklärt den Begriff des Alltagsrassismus, den Unterschied zwischen Migrationshintergrund und Migrationserfahrung, sowie die Vor- und Nachteile von Schubladendenken.

Das alles erzählt sie mit viel Leichtigkeit und Humor, ohne den nötigen Ernst dabei zu verlieren. Dahinter steht der Wunsch, mehr Sensibilität und Umsicht unter den Mitmenschen zu schaffen. Faszinierend ist auch, wie Text und Illustration in zarten Farbtönen eine äußerst stilsichere und fein ausgeklügelte Einheit bilden. Die handschriftliche, verblüffend variationsreiche Typografie ermöglicht Betonungen, und pointiert den Inhalt auf ästhetische Art und Weise. Ansprechend, thematisch wertvoll und aufklärerisch – jedoch ohne erhobenen Zeigefinger.

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