Empfehlungsliste 2024

Die Jury des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises hat neben dem ausgezeichneten Preisbuch für 14 Bilder-, Kinder-, Sach- und Jugendbücher eine Empfehlungsliste erstellt. 63 Verlage haben sich mit 151 Büchern am Wettbewerb um den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis beworben. Die Preisverleihung findet am 16. Mai 2024 im Erbacher Hof in Mainz statt.

Anne Becker: Luftmaschentage

Beltz & Gelberg, Weinheim 2023
ISBN 978-3-407-75759-3, 173 Seiten, € 13,00
ab 10 Jahren

 

Mats hat ein Problem. Andere nennen es selektiven Mutismus, sie nennt es „Madam Schüchtern“ und sieht sie wie eine Krake, die es sich auf ihrem inneren Sofa bequem gemacht hat. Da sitzt sie sehr friedlich – bis jemand Mats anspricht oder sie mit fremden Menschen reden soll. Und schon geraten die vielen Arme in Wallung und in Unordnung und Mats bringt kein Wort mehr heraus. Das macht sie in ihrer Klasse nicht gerade zur beliebtesten Schülerin. Ricci scheint das Gegenteil von Mats zu sein: forsch und extrovertiert lehrt sie mit ihren Sprüchen manchen in ihrem Umfeld das Fürchten. Und weil sie Mats vor den anderen in der Schule in Schutz nimmt, werden sie Freundinnen. Mats wächst behütet auf. Aber als Tochter der Ortspfarrerin steht sie auch unter dem Druck, die Erwartungen der „Schäfchen“ ihrer Mutter zu erfüllen, die selbst mit diesem Erwartungsdruck zu kämpfen hat und auf liebenswerte und sympathische Art versucht, allen gerecht zu werden. Mats rebelliert mit Guerilla-Häkeln, von dem außer Ricci niemand weiß. Ricci ist dagegen in prekären Verhältnissen ohne festen Wohnsitz aufgewachsen und kämpft mit der Unsicherheit und der Haltlosigkeit, die noch immer ihren Alltag prägen.

Anne Becker stellt sehr eindrücklich dar, was es heißt, kein Zuhause zu haben. Warmherzig und humorvoll verwebt sie die beiden Geschichten miteinander, aus denen eine Freundschaft entsteht, in der beide Mädchen sich gegenseitig helfen und unterstützen, aber auch auf ihre je eigene Weise weiterentwickeln. Spannend komponiert sie dabei Kurznachrichten mit Prosatexten, in denen die Geschichte einmal vom Ende und einmal vom Anfang aus aufeinander zu erzählt wird. Zudem setzt Becker „Madame Schüchtern“ gekonnt als Ezählhilfe und Visualisierung von Mats‘ innerer Welt ein. Und wenn Madame einen Anfall bekommt und alles durcheinanderwirbelt, ist das bei allem Ernst der Geschichte auch ein großes Lesevergnügen.
 

Isaac Blum: Ruhm und Verbrechen des Hoodie Rosen

Beltz & Gelberg, Weinheim 2023
Übersetzt von Gundula Schiffer
ISBN 978-3-407-75721-0, 224 Seiten, € 15,00
ab 14 Jahren

 

Isaac Blum nimmt uns mit in eine Welt, die den meisten unbekannt sein dürfte. Jehuda „Hoodie“ Rosen ist ein 15-jähriger orthodoxer Jude, der, wie es scheint, naiv und unbefangen durchs Leben geht. Vor ein paar Monaten ist er mit seiner Familie in eine Kleinstadt umgezogen, und hier wird er zum ersten Mal in seinem Leben mit Antisemitismus konfrontiert: Die neue jüdisch-orthodoxe Gemeinde steht dem Block der alteingesessenen Einwohner gegenüber, die sich durch die Siedlungspolitik der Gemeinde bedroht und verdrängt fühlen. Blum beschreibt eindrücklich, wie sich auf beiden Seiten unreflektiert Vorurteile aufbauen, die Stimmung sich schleichend immer weiter auflädt und es zu ersten tätlichen Angriffen kommt. Gleichzeitig analysiert er die Regeln des orthodoxen Judentums und legt auch ihre Ambivalenz offen. Hoodies erstes zartes Verliebtsein in Anna-Marie, die Tochter der Bürgermeisterin und Anführerin des Einwohnerprotestes, lässt ihn unbewusst diese Regeln brechen, was ihn zum geächteten Außenseiter seiner Gemeinde macht. Er beginnt sich mit den Inhalten und den Vorschriften seiner Religion auseinanderzusetzten und erfährt dabei unerwartet Unterstützung durch seine äußerlich tugendhafte und fleißige ältere Schwester Zippy, die jedoch verstanden hat, sich innerhalb der Regeln Freiheiten zu schaffen und sie zu nutzen. Was zunächst nach einer zarten Beziehung à la Romeo und Julia mit Anna-Marie aussieht, entpuppt sich als von der Bürgermeisterin zu ihren Zwecken inszenierte Begegnung. Am Boden zerstört erlebt Hoodie, wie die Gewaltspirale in einem grausamen Attentat eskaliert, das ihn aber zum Helden macht. Am Ende geben sich beide Lager gegenseitig die Schuld an der tödlichen Gewalt. Das ist so eindrücklich beschrieben, dass ein Einsatz des Buches im Schulunterricht gut denkbar ist, um die Mechanismen von Vorurteilen und gewalttätiger Eskalation darzustellen, darüber gemeinsam ins Gespräch zu kommen und Lösungen zu erarbeiten.
 

Sarah Crossan: Toffee

Carl Hanser Verlag, München 2023
Übersetzt von Beate Schäfer
ISBN 978-3-446-27593-5, 352 Seiten, € 19,00
ab 14 Jahren

 

Sarah Crossan webt in diesem Jugendroman zwei Lebensgeschichten ineinander. Allison, 15 Jahre alt, ist von zu Hause weggelaufen. Weil sie kein Obdach findet, schlüpft Allison unbemerkt bei Marla unter, die gegen ihre Demenz kämpft und sie für ihre inzwischen verstorbene Jugendfreundin hält. In Versform enthüllt Crossan allmählich die Geschichte der beiden und beschreibt, wie sich die Frauen, die Erfahrung von Verlust und Gewalt teilen, behutsam annähern. Sie spüren, dass sie zum ersten Mal seit langer Zeit von der jeweils anderen wirklich wahrgenommen und gesehen werden – nicht in ihrer Rolle als Mutter oder Tochter, sondern als der Mensch, der sie sind. Nach und nach erfahren wir, dass Allison seit dem zu frühen Tod der Mutter vom Vater misshandelt wurde. Und Marla von ihrem Sohn respektlos und übergriffig behandelt wird. Während Allison versucht, ihre Erfahrungen zu Hause zu vergessen, will Marla sich unbedingt erinnern, was sie auch an Schönem in der Vergangenheit erlebt hat. Die Verzweiflung, sich nicht erinnern zu können, mündet bei ihr häufig in der für Demenz typischen Aggression. Mit dieser Herausforderung umzugehen und sich aus von Aggression geprägten Verhaltensmustern zu befreien, stellt Allison vor eine schwierige Aufgabe. Dank Marla schafft sie es, allmählich aus ihrem alten Leben auszusteigen und eine neue Perspektive zu entwickeln. Eine Geschichte über das Finden der eigenen Identität und das Erwachsenwerden.
 

Christoph Drösser und Nora Coenenberg: Wir mussten flüchten

Gabriel im Thienemann-Esslinger Verlag, Stuttgart 2023
ISBN 978-3-522-30633-1, 112 Seiten, € 15,00
ab 8 Jahren

 

„Du wachst auf, weil deine Mutter oder dein Vater dich unsanft schüttelt: ‚Wach auf, wir müssen fliehen!‘“ Mit diesem Satz ist Christoph Drösser schon zu Beginn des Buches mitten im Thema und bezieht seine jungen Leser gleich auf einer persönlichen Ebene mit ein. Er schafft es, dieses schwierige, hochaktuelle Thema leicht verständlich und nachvollziehbar darzustellen, ohne dabei einseitig emotional zu werden. Drösser spannt einen Bogen, beginnend bei der Geschichte der Flucht, über Porträts einzelner Kinder, die exemplarisch für unterschiedliche Fluchtgründe und -wege stehen, bis hin zu Geflüchteten, die fern ihrer Heimat berühmt geworden sind. Politische Begriffe wie „Asyl“ oder „Integration“ werden verständlich erklärt. Nora Coenenberg macht durch ansprechende Grafiken und Zeichnungen einzelne Punkte und Zusammenhänge noch schneller und anschaulicher verständlich. Darüber hinaus schafft es Drösser, Vorurteile zu entkräften oder sogar ganz zu dekonstruieren, und bietet eine Argumentationshilfe für alltägliche Situationen und Gespräche rund um das Thema Flucht. Die Texte sind so gehalten, dass sie auch von jüngeren Kindern gelesen und verstanden werden können. Daher kann das Buch sehr gut im Unterricht eingesetzt werden, zumal es konkrete Handlungsempfehlungen für den praktischen Umgang und die Begegnung mit Geflüchteten und die Diskussion zu diesem Thema enthält.
 

Zoran Drvenkar: Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück

Carl Hanser Verlag, München 2023
ISBN 978-3-446-27594-2, 160 Seiten, € 17,00
ab 11 Jahren

 

Opa ist Kais bester Freund – und sein großer Held. Denn wenn er Geschichten aus seiner Jugend und dem Krieg erzählt, wie er es allein mit einem ganzen Regiment aufgenommen und alle Feinde besiegt hat, ist er sich sicher: So will er auch werden! Seit einiger Zeit gibt es jedoch ein Problem: Opas Gedächtnis ist „Wie eine Seifenblase, die davongeweht wird“. Und deshalb erkennt er Kai auch manchmal nicht. Aber weil er weiß, dass die alten Geschichten Opa immer wieder zurück ins Leben holen, ist Kai Opas Gedächtnis, und so tauchen die beiden an einem Nachmittag in Opas Vergangenheit und einen 70 Jahre zurückliegenden Krieg ein. Dabei muss Kai erkennen, dass er nicht alles über dieses dunkle Kapitel in der Geschichte seines Großvaters weiß – zum Beispiel, dass er gar nicht so heldenhaft war, wie er immer erzählt hat. Und dass Krieg kein Abenteuer oder Spiel ist, sondern auch Hunger, Sterben, Krankheit und Gefangenschaft bedeutet. Aber erst durch das Erzählen und Kais Nachfragen schafft es der Großvater, ihm die Wahrheit über seine vermeintlichen Heldentaten zu sagen.

Manchmal poetisch, manchmal beinahe furios erzählt Zoran Drvenkar die Geschichte der beiden Freunde, die im Zeitraffer die einzelnen Stationen aus Opas Leben durchlaufen. Dabei bleibt er als Erzähler außerhalb des Geschehens, schaltet sich aber immer wieder dazwischen, kommentiert und ordnet ein. Das hilft gerade jüngeren Lesern, mit dem Kriegsgeschehen umzugehen und sowohl Kais wie auch Opas Gefühle zu verstehen. Ein ehrliches und mitreißendes Buch über Erinnern und Vergessen, über Freundschaft, Wahrheit und Hoffnung.
 

Nikola Huppertz: Fürs Leben zu lang

Tulipan Verlag, München 2023
ISBN 978-3-86429-570-6, 200 Seiten, € 16,00
ab 12 Jahren

 

Magali Weill ist eine ganz „normale“ 13-Jährige mit nervigen Eltern, einer ebenso nervigen großen Schwester – und einem Körper, in dem sie sich nicht wohlfühlt. Das liegt vor allem daran, dass sie schon 1,80 m groß ist und ihr der Arzt prophezeit hat, dass sie noch weiter wachsen wird. Ihr eigenes Leben ist zudem schrecklich langweilig. Also beginnt sie ein Tagebuch über das Leben ihrer Nachbarn zu schreiben. Besonders angetan ist sie von Herrn Krekeler, einem eleganten alten Herrn, der immer höflich ist und jeden Tag diszipliniert seine Runde dreht. Aber just jetzt kurz vor Ostern beschließt Herr Krekeler, dass 98 Jahre Leben genug sind und er nun sterben möchte. Während die Nachbarn und auch ihre eigene Familie sich auf das Osterfest vorbereiten, versucht Magali gemeinsam mit Krekelers Enkel Kieran mit dieser Ankündigung klarzukommen, den Willen des alten Nachbarn zu respektieren und, so gut sie es können, in diesen letzten Tagen bei ihm zu sein. Am Ende hat Herr Krekeler allen im Haus nicht nur gezeigt, wie Sterben geht, sondern auch, wie Leben funktioniert. Und Magali gelingt es, sich ein Stück von ihrer Familie zu emanzipieren und ein neues Selbstbewusstsein zu entwickeln.

Nikola Huppertz beschreibt Magalis Sinnsuche und die Auseinandersetzung mit Leben und Tod sehr feinfühlig und ohne Schrecken. Dabei erzählt sie mit leisem Humor, voller Wärme und Mitmenschlichkeit vom Kreislauf des Lebens und von der Endlichkeit, die unser Leben als Mensch so kostbar und schön machen.
 

Mareike Krügel: Almuth und der Hühnersommer

Beltz & Gelberg, Weinheim 2023
ISBN 978-3-407-75715-9, 192 Seiten, € 13,00
ab 8 Jahren

 

Eigentlich ist Almuth ein Stadtkind. Aber weil ihr jüngerer Bruder krank ist und ihm die Stadtluft nicht guttut, haben ihre Eltern beschlossen, aufs Land zu ziehen. Und da findet sich Almuth jetzt wieder, mitten in den Sommerferien, in einem fremden Dorf, in dem sie niemanden kennt. Aber Almuth lässt sich davon nicht die Laune verderben. Denn eigentlich findet sie immer jemanden, der gerettet werden muss – und da kommen ihr die Hühner ihres Nachbarn, die von einem Hahn „belästigt“ werden, gerade recht. Was sie Herrn Matthiesen, dem die Hühner gehören, auch gleich mitteilt. Herr Matthiesen ist ein bisschen seltsam, findet Almuth. So ganz allein mit den Hühnern und seinem Garten. Und trotzdem mag sie ihn. Vor allem, weil er sie ernst nimmt und Zeit für sie hat. Denn in ihrer Familie dreht sich meist alles um die Gesundheit ihres Bruders. Aber auch Almuth sorgt sich sehr um ihn und kümmert sich liebevoll darum, dass er den Draht zur Außenwelt nicht verliert, auch wenn er häufig drinbleiben muss und kaum Kontakte zu anderen Menschen hat. So wird Almuth sein Tor zur Welt, indem sie ihm Geschichten aus ihrem Tag erzählt.

Als Almuth Herrn Matthiesen eines Tages ohnmächtig auf dem Küchenfußboden findet und sie geistesgegenwärtig den Rettungsdienst ruft, ist am Ende des Sommers aus Almuth doch irgendwie eine kleine Heldin geworden. Und das Beste: Sie hat mit Joy und Said auch noch Freunde gefunden, die es zu Hause auch nicht ganz leicht haben, was die drei zusammenschweißt und ihnen hilft, gemeinsam Schwierigkeiten zu überwinden und aneinander Halt zu finden. Mareike Krügel hat mit leichter Hand und sehr viel Witz ein kluges und fröhliches Buch über Selbstermächtigung und Freundschaft und viele andere Aspekte des Erwachsenwerdens geschrieben.
 

Pija Lindenbaum: Der erste Schritt

Klett Kinderbuch, Leipzig 2023
Illustration Pija Lindenbaum
Übersetzt von Jana Hemer
ISBN 978-3-95470-276-3, 48 Seiten, € 18,00
ab 4 Jahren

 

Irgendwo im Nirgendwo leben viele Kinder in einem Haus, das sehr an ein Internat erinnert. Aber: Es gibt zwei Gruppen von Kindern. Die einen tun, was ihnen Spaß macht, die anderen erledigen die Arbeit. Und damit das so bleibt, wacht die „Schäfin“ als Autorität darüber, womit die Kinder sich beschäftigen. Aber muss das wirklich so sein? Oder vielmehr: Muss das so bleiben? Oder geht das auch gerechter? Das fragt sich jedenfalls eines der Kinder und setzt damit eine Bewegung in Gang, die zeigt, dass zwischen Tradition und Vorschriften sowie Freiheit und Selbstbestimmung manchmal nicht mehr als ein einziger kleiner Schritt liegt.

Pija Lindenbaum zeichnet eine Bergidylle in kräftigen Farben. Die Szenen, die mit liebevollen Details versehen sind, lassen viel Raum zur Interpretation. So trägt die Schäfin beispielsweise Purpur und einen großen weißen Faltenkragen. Anfangs erkennt man die privilegierten Kinder auch an ihren kuttenartigen Kleidern, selbst wenn alle den gleichen Topfhaarschnitt haben. Je weiter sich die Geschichte entwickelt, desto individueller und subversiver werden die Figuren. Ein witziger, aber tiefgehender Lesespaß für die ganze Familie, der zeigt, wie wichtig es ist, Regeln und Traditionen zu hinterfragen und mutig den ersten Schritt zu tun, wenn es um Veränderungen und Gerechtigkeit geht.
 

Constance Ørbeck-Nilssen und Øyvind Torseter: So Dunkel!

Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2023
Übersetzt von Maike Dörries
ISBN 978-3-8369-6187-5, 48 Seiten, € 16,00
ab 4 Jahren

 

Weil der kleine Junge auf dem Heimweg zu spät dran ist, nimmt er den Aufzug, obwohl ihm das eigentlich verboten ist. Es kommt, wie es kommen muss: Der Aufzug bleibt stecken und plötzlich ist der Junge in tiefster Dunkelheit allein in diesem kleinen Raum gefangen. Er weiß, dass es einen Ausweg gibt: Der orange Notknopf leuchtet als einziges Licht in all der Schwärze. Aber noch mehr verboten als Aufzugfahren ist das Drücken dieses Knopfes.

Ørbeck-Nilssen und Øyvind Torseter haben das Buch ausschließlich in Schwarz, Weiß, Blaugrau und leuchtendem Orange illustriert. Darin kommen die Gefühle des Protagonisten in besonderer Weise zum Ausdruck. Wenn er sich beispielsweise seinen Ängsten ausgeliefert fühlt, kann man das in dem vielen Schwarz auf der Seite beinahe spüren. Ebenso, dass er von dieser schwarzen Angst beinahe erdrückt wird in der Enge des Aufzugs.

Was dem Jungen schließlich gegen die beinahe übermächtige Angst hilft, ist die Erinnerung an ein schönes Erlebnis mit seinem Vater, bei dem er sich geborgen, durch ihn beschützt und unterstützt fühlte. Daraus zieht er den Mut, den Notknopf schließlich doch zu drücken, sich also Hilfe zu holen in seiner Bedrängnis – und letztendlich ist es die dadurch bereits erworbene Resilienz, die ihm hilft, seine Angst zu überwinden und sich aus dieser misslichen Situation zu befreien.
 

Alois Prinz: Franz von Assisi

Gabriel im Thienemann-Esslinger Verlag , Stuttgart 2023
ISBN 978-3-522-30590-7, 272 Seiten, € 17,00
ab 14 Jahren

 

Alois Prinz nähert sich Franz von Assisi auf ungewöhnliche Weise: Er wandert den Weg von Assisi nach Rom, den schon Franz von Assisi selbst gegangen ist, um seine Gemeinschaft von Papst Innozenz III. anerkennen zu lassen. Beginnend in Assisi, erkundet er die Gegend, in der Franz aufwuchs, um dann auch seinem Weg durch sein weiteres Leben zu folgen. Spannend ist, dass Prinz dabei ein anderes Bild von Franz zeichnet, als gemeinhin bekannt ist. Von manchen früheren Biografen verklärt und aus der Entstehungszeit heraus interpretiert, wurde vieles in Franziskus' Leben theologischen Deutungen angepasst. Denn eigentlich war er nicht sehr religiös, und „heilig“ zu sein, war ihm fremd. Er war ein Suchender, der schließlich in dem von ihm gewählten Weg sein Glück fand.

Prinz hinterfragt in seinem Buch nicht nur die Legendenbildung um das Leben von Franz von Assisi, er zieht auch immer wieder Parallelen zu unserer Zeit heute. So macht er deutlich, dass sowohl die Lebensfragen, mit denen Franz konfrontiert war und auf die er eine Antwort zu finden suchte, als auch die übrigen Themen, mit denen er sich beschäftigte, wie zum Beispiel Nachhaltigkeit, Bewahrung der Schöpfung oder Gerechtigkeit, von brennender Aktualität sind. Daher eignet sich das Buch sehr gut als Geschenk zur Firmung oder Konfirmation, aber auch als Grundlage, um mit jungen, engagierten Menschen ins Gespräch zu kommen.
 

Anja Reumschüssel: Über den Dächern von Jerusalem

Carlsen Verlag, Hamburg 2023
ISBN 978-3-551-58514-1, 336 Seiten, € 16,00
ab 13 Jahren

 

Ein Buch, das vom Thema her nicht aktueller sein könnte. Und dabei nimmt uns die Autorin Anja Reumschüssel mit zu den Wurzeln dieses schwierigen Konfliktes, nämlich in die Zeit der Gründung Israels. 1947: Tessa hat das KZ in Deutschland überlebt und reist nun illegal nach Palästina, wohin ihr Vater kurz vor dem Krieg emigriert war. Tessa fühlt sich fremd in Jerusalem, wo sie sich nicht nur mit ihrem Vater, sondern auch vielen anderen Jüdinnen und Juden ein Haus teilen muss. Also weicht sie auf das Hausdach aus, um für sich zu sein – und hier trifft sie den Halbwaisen Mo. Er ist Muslim und hat seinen Vater bei einem israelischen Attentat verloren. Trotz all ihrer Unterschiede und ihrer unterschiedlichen Ansichten freunden sich die beiden an.

Der Roman hat aber noch eine zweite zeitliche Ebene, die in der Gegenwart spielt. Hier begegnen wir der jungen israelischen Soldatin Anat. Sie fühlt sich zerrissen zwischen den Erwartungen ihrer ehrgeizigen Mutter und ihren eigenen Erwartungen ans Leben. Bei einer Übung lassen die Kameraden Anat allein nahe einem palästinensischen Dorf im Westjordanland zurück. Und hier begegnet sie Karim, einem Jungen, der mit seiner Familie in einem Flüchtlingsheim wohnt. Er hilft Anat, unentdeckt und unbeschadet zurück nach Jerusalem zu kommen. Im Gegenzug rettet Anat Karim nach seiner Festnahme während einer Demonstration aus dem Gefängnis. Sie lernen sich etwas näher kennen – und müssen feststellen, dass sie auf ganz besondere Weise verbunden sind: Anat ist die Enkelin von Tessa und Karim der Enkel von Mo. Und so gelingt im Kleinen, was als Hoffnung für das ganze Land am Ende des Buches steht: zumindest die Begegnung und das gegenseitige Verstehen der beiden Konflikparteien und die Bereitschaft, miteinander ins Gespräch zu kommen. Das Buch vermittelt faktenreich wichtige Grundlagen für die aktuelle Diskussion. Dabei ergreift die Autorin nicht Partei für eine der beiden Seiten, sondern stellt die verschiedenen Aspekte und Sichtweisen auf den Konflikt verständlich und nachvollziehbar, aber neutral dar.
 

Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw: Hierhin, dahin – Immer in Bewegung

Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2023
Übersetzt von Claudia Dathe
ISBN 978-3-8369-6189-9, 64 Seiten,  € 26,00
ab 6 Jahren

 

Wir tun es jeden Tag; tatsächlich ist es sogar wichtig, damit wir gesund bleiben, aber kaum jemand denkt darüber wirklich nach: Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw haben in ihrem Buch ein Kompendium der Bewegung zusammengestellt. Es beginnt mit einer roten Linie, die sozusagen als Lebensweg des Einzelnen betrachtet werden kann. Auf den folgenden Seiten weitet sich dann die Perspektive und es wird anhand der Illustrationen nachvollziehbar und erlebbar, dass das einzelne Leben, egal, ob von Mensch oder Tier, immer mit dem von anderen zusammenhängt und letztlich in ein großes Ganzes eingebunden ist, das unsere Welt darstellt. Dabei hat man bei der Lektüre das Gefühl, sowohl in die Bewegung wie auch in das Eingebundensein mit jeder Seite mehr mit hineingenommen zu werden.

In außergewöhnlichen und dynamischen Bildern verfolgt man verschiedenste Arten und Weisen der Bewegung durch Raum und Zeit: historische Linien von der Steinzeit über Entdeckungsfahrten bis hin zu Fluchtbewegungen, religiöse oder philosophische Strömungen, Bewegungen zu Wasser, in der Luft oder an Land, Flug- oder Laichrouten von Tieren, aber auch technische Entwicklungen und deren Verbreitung. Jede Doppelseite befasst sich mit einem neuen Aspekt und wird in Bildern und mit einem kurzen Text entwickelt. Ein facettenreiches Buch, in dem es viel anzuschauen und zu entdecken gibt, gerade auch für jüngere Kinder.
 

Saša Stanišić: Wolf

Carlsen Verlag, Hamburg 2023
Illustration Regina Kehn
ISBN 978-3-551-65204-1, 192 Seiten, € 14,00
ab 10 Jahren

 

Was passiert, wenn ein eingefleischtes Stadtkind auf Natur trifft? Der altkluge junge Ich-Erzähler dieser Geschichte wird von seiner Mutter mangels anderer Betreuungsmöglichkeit für eine Woche in ein Ferienlager geschickt – Saša Stanišićs Ausgangspunkt für einen humorvollen Abgesang auf Lagerfeuerromantik und Naturverklärung. Dabei bleibt der Ich-Erzähler bei allem, was geschieht, außen vor, er beschreibt, was er erlebt, ohne jedoch seine Beobachterrolle zu verlassen oder in das Geschehen einzugreifen. Und das, obwohl er oft gern anders handeln würde. So gelingt es, die Mechanismen gesellschaftlicher Ausgrenzung symbolisch an den gruppendynamischen Prozessen, die sich hier beobachten lassen, aufzuzeigen.

Der Ich-Erzähler ist selbst einer dieser Ausgegrenzten. Aber er teilt sich die Hütte mit einem Jungen, der noch weiter außen steht als er selbst: Jörg, den der Erzähler aus der Schule kennt, ist aufgrund seiner Andersartigkeit schon oft Opfer von Mobbing gewesen. Er hat es jedoch geschafft, darauf mit Resilienz zu reagieren. Das heißt: Vieles verletzt ihn zwar, aber es erschüttert ihn nicht in seinen Grundfesten. Etwas, das er dem Ich-Erzähler voraus hat, denn auch wenn er sich das tagsüber nicht anmerken lässt, wird er nachts von großen Ängsten heimgesucht. Der namensgebende Wolf ist ein Sinnbild für diese Angst. Regina Kehn setzt das mit ihren Zeichnungen sehr eindrücklich in Szene. Gleichzeitig erzählen ihre Bilder etwas, das über den Text hinausgeht und sozusagen zwischen den Zeilen zu finden ist.

Am Ende schafft es der Ich-Erzähler, über sich hinauszuwachsen, indem er sich trotz seiner Furcht vor den Mobbern für Jörg einsetzt und Hilfe holt, wo er selbst nicht mehr weiterkommt. Und so verwandelt sich der Wolf vom Angsttier in einen Beschützer.
 

Kathrin Wexberg (Hg.): Immer mal wieder zum Himmel schauen

Tyrolia Verlag, Innsbruck 2023
Illustration Michael Roher
ISBN 978-3-7022-4080-6, 128 Seiten, € 22,00
ab 6 Jahren

 

Kann eine Zeile ein Gebet sein? Ja, und so lang ist das kürzeste Gebet in Kathrin Wexbergs außergewöhnlicher Sammlung. Neben altbekannten Texten wie einigen Psalmen findet man darin für dieses Buch geschriebene Gebete verschiedenster Autorinnen und Autoren, zum Beispiel von Lena Raubaum oder Elisabeth Steinkellner. Ergänzt wird das Ganze von Klassikern wie dem „Sonnengesang“ von Franz von Assisi oder Dietrich Bonhoeffers „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Kathrin Wexberg hat die Gebete in sechs Kategorien unterteilt: „Alltägliches“, „Tagesablauf & Jahreskreis“, „Entscheidende Momente im Leben“, „Grundgebete“, „Psalmen und Gebete mit Gedichten“ und „Segen“. Für verschiedene Altersstufen und Gelegenheiten lässt sich jeweils ein passendes Gebet finden. Michael Roher hat die Texte mit liebevollen, erfrischenden Illustrationen ansprechend illustriert. Einige der Gebete sind mit erklärenden Fußnoten versehen, beispielsweise zum Kreuzzeichen oder wenn es wichtige Informationen zur Autorenschaft gibt. Die Texte sind für Kinder gut zugänglich und orientieren sich an ihrer Lebenswelt.
 

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