Informationsreise nach Marokko 2020

Der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz und Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen, Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg), hat am 13. März 2020 seine fünftägige Reise nach Marokko und in die spanische Exklave Melilla (9.–13. März 2020) beendet. „Nordafrika ist eine der großen Bruchlinien des internationalen Flucht- und Wanderungsgeschehens und damit auch für Europa von höchster Bedeutung. Das Ziel meines Besuches bestand darin, die bedrängenden Lebensumstände der Geflüchteten mit eigenen Augen zu sehen. Es ging mir aber auch darum, die Auswirkungen des Migrationsgeschehens auf die dort lebende einheimische Bevölkerung kennenzulernen und das Engagement der Kirche zu würdigen.“

Marokko ist seit einigen Jahren nicht mehr nur ein Herkunfts- und Transitland, sondern auch ein Aufnahmeland für Migranten aus Subsahara-Afrika und dem Mittleren Osten. Flüchtlinge, die Menschenrechtsverletzungen und Kriegen zu entkommen suchen, halten sich hier ebenso auf wie Migranten, die die aussichtslosen Verhältnisse in ihren Heimatländern auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen verlassen haben. Viele wollen den Weg nach Europa einschlagen, manche haben sich aber auch mit dem Gedanken arrangiert, sich in Marokko ein neues Zuhause aufzubauen.

In der marokkanischen Hauptstadt Rabat informierte sich Erzbischof Heße bei Treffen mit der Migrationsministerin Nezha El Ouafi und dem Geschäftsträger der Deutschen Botschaft in Marokko, Wolf-Henning Grundies, über die Pläne der marokkanischen Regierung zum Umgang mit dem Migrationsgeschehen und Möglichkeiten internationaler Unterstützung. Ausführlich ließ sich der Erzbischof über Pilotprojekte der marokkanischen Agentur für Arbeit (ANAPEC) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterrichten, die sowohl die Beratung von Rückkehrern als auch Möglichkeiten der Arbeitsmigration nach Deutschland zum Thema haben. Im Gespräch mit dem UNHCR-Repräsentanten François Reybet-Degat wurde das in Entstehung befindliche marokkanische Asylgesetz und die Zusammenarbeit des UNHCR mit den marokkanischen Flüchtlingsbehörden erörtert. „Ich habe viel guten Willen der Regierung und der internationalen Organisationen bei der Bewältigung der schwierigen Aufgaben wahrgenommen. Das ist gerade in Zeiten der zunehmenden Ablehnung von Schutzsuchenden und Migranten von großer Bedeutung. Man darf allerdings auch nicht die Differenz übersehen, die zwischen den Willensbekundungen der Regierung und der konkreten Praxis vor Ort besteht“, erklärte Erzbischof Heße vor seinem Rückflug nach Deutschland.

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Während seines Aufenthalts in Nador und Melilla an der marokkanisch-spanischen Grenze hatte der Vorsitzende der Migrationskommission Gelegenheit, einer größeren Zahl von Flüchtlingen und Migranten zu begegnen. „Mich hat das Gespräch mit den Frauen und Männern tief berührt, die in den Wäldern rund um Nador leben. Sie haben sich aus Ländern Westafrikas bis nach Marokko durchgeschlagen, getragen von der Hoffnung auf ein neues Leben in Europa. Aber die Grenzen sind schwer bewacht und eine tiefsitzende Scham verbietet jeden Gedanken an eine Rückkehr in die alte Heimat. Auf sich allein gestellt, sind diese Menschen hoch verletzlich. Sie berichten von Gewalttaten Krimineller, aber auch von Übergriffen staatlicher Sicherheitsorgane“, so Erzbischof Heße. In Melilla traf der Flüchtlingsbischof Asylbewerber aus der staatlichen Erstaufnahmeeinrichtung, die von ihrem teils lebensgefährlichen Weg über die EU-Außengrenze berichteten. Immer wieder versuchen diese Menschen, Spanien mit Booten zu erreichen oder den stark befestigten Grenzzaun zu überwinden. Dabei sind sie kriminellen Schlepperbanden ausgeliefert. „Ich bin einem kamerunischen Geflüchteten begegnet, der jahrelang immer wieder den Versuch unternommen hat, nach Melilla zu gelangen. Bei seinem letztlich erfolgreichen Anlauf über das Meer kamen, so der Mann, 25 von 80 Bootsflüchtlingen ums Leben“, berichtete Erzbischof Heße. „Mich erschüttern diese menschlichen Schicksale. Es ist wichtig, sie immer neu zu erinnern, damit uns in Deutschland und Europa das Gespür für das wirklich Wichtige nicht verloren geht.“

Obwohl es in Marokko keine einheimischen Christen gibt, leistet die katholische Ortskirche, die ausnahmslos aus Migranten und aus dem Ausland kommenden Ordensgemeinschaften besteht, in der Begleitung und Betreuung von Migranten und Flüchtlingen Beachtliches. „Bei allen konkreten Hilfeleistungen und Aktivitäten steht im Vordergrund, die betroffenen Menschen spüren zu lassen: Wir haben Würde!“, erklärte Erzbischof Heße. Dabei reicht die Hilfe von der Verteilung von Nahrungsmitteln und Decken über die psychosoziale und medizinische Unterstützung bis zu Sprachkursen, rechtlicher Beratung und beruflicher Qualifizierung. Die Erzdiözesen Rabat und Tanger sind hier engagiert, ebenso die Caritas Marokko und die Jesuiten. Im Gespräch machte der Erzbischof von Rabat, Kardinal Cristobal Lopez Romero, nachdrücklich deutlich, dass die Arbeit mit Migranten und Flüchtlingen für ihn einen Schwerpunkt seines Dienstes darstellt. „Ich habe ihn als echten Hoffnungsträger in einer schwierigen Situation kennengelernt“, unterstrich Erzbischof Heße.

Mehr noch als in Marokko ist die Kirche im spanischen Melilla in der Lage, sich den Herausforderungen durch Flucht und Wanderung zu stellen. Neben der praktischen Hilfe rücken hier die Menschenrechtsarbeit und politische Fragen in den Vordergrund.

„Vom Kardinal bis zu den Engagierten vor Ort wurde ich darauf angesprochen, wie wert- und wirkungsvoll die Unterstützung ist, die die Kirche in Marokko und Melilla vonseiten katholischer Organisationen aus Deutschland, wie Caritas International und Misereor, erhält. Diese Hilfe müssen wir fortsetzten!“, so Erzbischof Heße. „Neben der praktischen Unterstützung ist es Aufgabe der Kirche, das Schicksal der Migranten immer wieder auch politisch anzusprechen. Grenzzäune allein sind ganz sicher keine Lösung! Eine humane Gestaltung des Grenzregimes ist erforderlich und auf mittlere Frist müssen Grenzen auch zu Brücken werden! Gerade nach meinem Besuch in der marokkanisch-spanischen Region werde ich diese Botschaft nachdrücklich im öffentlichen und politischen Diskurs unterstreichen.“

Berichterstattung zur Reise