Länderthema – Rückblick

Mit der 2003 gegründeten Initiative „Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit“, wollen die deutschen Bischöfe in den Kirchengemeinden, aber auch in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit verstärkt auf die Diskriminierung und Drangsalierung von Christen in verschiedenen Teilen der Welt aufmerksam machen.

 2019-Verfolgte-Christen-Tschad_Titelbild.jpg © Andy Spyra Photography
Kreuzträger beim feierlichen Einzug in die Kirche Sacre-Cœr in N‘Djaména zum Sonntagsgottesdienst

2019: Sahel-Region

Jedes Jahr gibt es ein wechselndes Schwerpunktland, das der Vorsitzende der Kommission Weltkirche, Erzbischof Dr. Ludwig Schick (Bamberg), in einer Dialog- oder Solidaritätsreise besucht. Zudem erscheint zu diesem Land eine Informationsbroschüre in der Reihe „Arbeitshilfen“ der Deutschen Bischofskonferenz.

Zuletzt ist der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Ludwig Schick (Bamberg), vom 11. bis 15. Juni 2019 zu einem Solidaritätsbesuch in den Tschad gereist. In diesem Jahr steht die nordafrikanische Sahel-Region im Fokus der Initiative. In den Ländern des Sahel ist bereits seit Jahren eine zunehmende Radikalisierung von Teilen der islamischen Bevölkerung zu beobachten, die gezielt aus dem Ausland gefördert wird.

Informationsbroschüre

Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit: Sahel-Region. Eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz. Arbeitshilfen Nr. 309 (Bonn 2019)
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Bilder aus der Sahel-Region (Tschad)

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Die Sahel-Region südlich der Sahara besteht aus Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Nigeria, Niger, Tschad und Sudan. Sie ist eine der ärmsten Gegenden weltweit. Zu den wesentlichen Merkmalen gehören eine durch den Terrorismus verursachte instabile Sicherheitslage, ein hohes Bevölkerungswachstum und ein gering ausgeprägtes Bildungs- und Gesundheitswesen. Schlechte Regierungsführung und Korruption verhindern Fortschritte in Verwaltung und Infrastruktur. Bedingt durch die geografische Lage und den Klimawandel bedrohen regelmäßig Dürren die ohnehin fragilen Lebensgrundlagen der Menschen. Rund 33 Millionen leiden an Mangel- und Unterernährung. Ressourcenkonflikte zwischen Sesshaften und Nomaden um den Zugang zu den fruchtbaren Böden sind Grund für Konflikte. Die zunehmende Zahl von Binnenflüchtlingen ist eine Folge dieser Auseinandersetzungen.

Christen und Muslime haben traditionell harmonisch in der Sahel-Region zusammengelebt. Dieses gute Miteinander ist durch die Entwicklung der vergangenen Jahre jedoch in Gefahr geraten. Die islamistische Terrororganisation Boko Haram destabilisiert die Region immer wieder durch massive Terroranschläge. Die brutale Gewalt richtet sich auch und bevorzugt gegen Kirchen und Vertreter von Religionsgemeinschaften, die sich nicht der Alleinherrschaft von Boko Haram anschließen und unterwerfen wollen. Die christlichen Kirchen werden außerdem als westlich abgetan. Dabei spielt auch die starke und wachsende politische Einflussnahme Saudi-Arabiens eine bedeutende Rolle. In erheblichem Maße hat die Förderung des radikal-wahhabitischen Islam in der Region zu Spannungen zwischen Christen und Muslimen geführt. In der Folge wurden auch soziale Konflikte – wie die Auseinandersetzung zwischen nomadischen Viehzüchtern und sesshaften Bauern – in gefährlicher Weise religiös aufgeladen. In dieser Situation stellt der Frieden zwischen Christen und Muslimen eine zentrale Frage für die Zukunft der Region dar.

Die Situation der Christen in der Sahel-Region am Beispiel des Tschad
Als Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz habe ich, Erzbischof Schick, im Juni dieses Jahres den Tschad besucht. Ich wollte mir selbst ein Bild machen von der derzeitigen Lage der dortigen Kirche und dem oftmals spannungsreichen Zusammenleben von Christen und Muslimen. Im Fokus der Reise stand der Besuch von Einrichtungen des interreligiösen Dialogs und von Friedens- und Versöhnungsprojekten. In Gesprächen mit offiziellen Vertretern der katholischen Kirche, mit vielen Gläubigen, denen ich nach den Gottesdiensten begegnet bin, mit muslimischen Religionsvertretern, Politikern und Diplomaten konnte ich so die komplexe Lage im Tschad kennenlernen.

Während meiner Reise wurde mir deutlich, dass die Kirche im Land vor gewaltigen Herausforderungen steht. Im Tschad leben ca. 120 ethnische Gruppen. Der trockene Norden wird mehrheitlich von nomadischen, muslimisch-arabisch geprägten Gruppen dominiert, während im fruchtbaren Süden sesshafte, afrikanisch-christliche Bauern leben. Insgesamt sind 58 Prozent der Gesamtbevölkerung Muslime und 35 Prozent Christen, darunter 18,5 Prozent Katholiken. Insbesondere seit Einführung der IV. Republik am 4. Mai 2018, die faktisch die uneingeschränkte Macht des Präsidenten festschreibt, hat sich das Verhältnis unter den Religionsgemeinschaften verschlechtert. Grund dafür sind zunehmende Verstöße gegen das laizistische Prinzip zugunsten des Islam. So werden Ministerämter meist an Muslime vergeben, islamischen Fernsehprogrammen wird vergleichsweise viel Sendezeit eingeräumt, die Weihnachts- und Osterferien an staatlichen Universitäten werden nicht mehr berücksichtigt. Die Kirche vor Ort interpretiert diese Entwicklung als Beweis für eine immer weiter voranschreitende Islamisierung und Arabisierung des Tschad.

Trotz der repressiven Haltung des Staates ist mir deutlich geworden: Die Kirche wird gerade im Angesicht der sozialen und politischen Herausforderungen von den Menschen als wesentlicher Motor für Gerechtigkeit und Frieden wahrgenommen. So gilt das von Jesuiten betriebene Zentrum für Studien und Ausbildung für Entwicklung (CEFOD) in N’Djaména, das der Ausbildung von Fachkräften dient, als Paradebeispiel kirchlicher Bildungsarbeit. Die vielen katholischen Grundschulen und Gymnasien im Tschad sind ebenfalls Zeichen der Hoffnung. Sie sind bemüht, das geringe Bildungsniveau im Land zu verbessern, und bringen Schüler unterschiedlicher Religionszugehörigkeit zusammen. Mit all dem versucht die Kirche – wie mein Amtsbruder Erzbischof Djitangar ausdrücklich betonte – eine christliche Wertebasis in der Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Als wichtiges Instrument dient dabei auch der katholische Radiosender im Land, der öffentlich die Menschenrechte einfordert und durch Aufklärung der Bevölkerung soziale Spannungen zu entschärfen versucht.

Der christlich-islamische Dialog
Der staatlichen Parteinahme zugunsten von Muslimen und wachsender Radikalisierung tritt die Kirche im Tschad mit interreligiösen Dialoginitiativen entgegen. Wichtige Orte sind das von Misereor und dem evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt unterstützte Zentrum „Al-Mouna“ sowie das von Comboni-Missionaren geführte „Tente d’Abraham“ in N’Djaména. Beide Zentren bieten Mediationen zwischen Muslimen und Christen im Konfliktfall an, die sich gezielt an Priester, Pastoren, Imame und die Vorsteher der Stadtbezirke in der Hauptstadt richten. Bibliotheken mit französischer und arabischer Literatur, ein Theater, in dem Christen und Muslime zusammen auf der Bühne stehen, sowie regelmäßig stattfindende Konferenzen zum interreligiösen Dialog helfen, religiös aufgeladene Spannungen zwischen Christen und Muslimen aufzulösen. So trägt die Kirche zu einer „Kultur des Friedens“ in der tschadischen Gesellschaft bei.

Den Willen zum Dialog zwischen Christen und Muslimen zeigte mir auch ein weiteres Versöhnungsprojekt. Im mehrheitlich muslimischen Norden des Tschad, in der Provinzstadt Mongo, traf ich mit dem dortigen Apostolischen Vikar, Bischof Henri Coudray SJ, zusammen. In dem von Bischof Coudray gegründeten „Ältestenrat“ treffen sich Christen und örtliche Imame zum Austausch über die Bibel und den Koran. Der „Ältestenrat“ dient der Konfliktprävention: Christen und Muslime begeben sich auf eine „Pilgerschaft des Friedens“, indem sie über alltägliche Spannungen und theologische Unterschiede ihres Glaubens diskutieren. Davon profitiert die gesamte Bevölkerung in der Region.

All das ist Zeugnis der Glaubensfreude der katholischen Minderheit. Trotz schwieriger Lebensverhältnisse bemüht sie sich, das Evangelium praktisch umzusetzen. Über die Grenzen des Tschad hinaus konnte ich auf meinen Reisen durch Mauretanien, Nigeria und Burkina Faso erleben, wie die Ortskirchen in der Sahel-Region Zeichen der lebendigen Hoffnung der Liebe Christi für alle Menschen sind. Als Vermittler zwischen den Religionen, Friedenstifter und Motoren einer ganzheitlichen Entwicklung dienen die Ortskirchen den Menschen, damit sie das „Leben in Fülle“ (Joh 10,10) haben.