Erster Katholischer Flüchtlingsgipfel 2015

Dokumentation

Angesichts der hohen Zahl schutzsuchender Menschen haben die deutschen Bischöfe auf ihrer Herbst-Vollversammlung im September 2015 beschlossen, einen „Sonderbeauftragten für Flüchtlingsfragen“ zu ernennen. Mit der Schaffung dieses Amtes unterstrich die Deutsche Bischofskonferenz, dass die Fürsorge für Flüchtlinge und Migranten zum Selbstverständnis der Kirche gehört. Erzbischof Dr. Stefan Heße (Hamburg) erhielt das Mandat, die kirchliche Flüchtlingshilfe auf überdiözesaner Ebene zu unterstützen, diese bedarfsgerecht weiterzuentwickeln und  Impulse zu setzen.

Um die Expertise der kirchlichen Flüchtlingshilfe zu bündeln, berief Erzbischof Heße nach seiner Ernennung zum „Sonderbeauftragten für Flüchtlingsfragen“ einen Arbeitsstab ein. Dieser setzt sich aus Fachleuten der nationalen und internationalen Flüchtlingshilfe der Caritas, diözesanen Migrations- und Flüchtlingsbeauftragten, Vertretern der Ordensgemeinschaften und der katholischen Siedlungswerke sowie Mitarbeitern des Sekretariats der Deutschen Bischofskonferenz und des Katholischen Büros zusammen. Gemeinsam wird das Ziel verfolgt, das kirchliche Engagement in der Flüchtlingshilfe in den verschiedenen Handlungsfeldern zu begleiten und zu fördern. Zugleich erörtert der Arbeitsstab politische Entwicklungen im Bereich Flucht und Migration und tauscht sich zu kirchenpolitischen Stellungnahmen und Positionen aus.

Bundesweiter Austausch zum kirchlichen Engagement für Flüchtlinge
Die kirchliche Flüchtlingshilfe lebt davon, dass sich über 5.000 Hauptamtliche und mehr als 100.000 Ehrenamtliche tagtäglich für die Belange schutzsuchender Menschen einsetzen. Um vom Erfahrungswissen der Fachleute und Praktiker zu lernen, lud der „Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen“ am 24. November 2015 zum bundesweit ersten Katholischen Flüchtlingsgipfel ein. Rund 130 Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen kirchlichen Organisationen aus allen deutschen Diözesen nahmen an dem Austausch in Würzburg teil. Stellvertretend für den Einsatz aller Haupt- und Ehrenamtlichen dankte Erzbischof Heße den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihre „Beharrlichkeit und Kreativität“ in der  Flüchtlingshilfe. Ihr Engagement würdigte er als starkes Zeichen der von Papst Franziskus geforderten „Globalisierung der Nächstenliebe“. Gemeinsam gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Frage nach, was die Kirche angesichts der aktuellen Herausforderungen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen leisten kann und muss, damit Notleidenden geholfen wird und unsere Gesellschaft zusammenhält. Im Verlauf des Tages fanden in zehn Arbeitsgruppen intensive Beratungen und Diskussionen zu verschiedenen Themenfeldern sowie ein reger Austausch über „Best-Practice-Projekte“ der kirchlichen Flüchtlingshilfe statt.

Schaffung von Wohnraum
Zum Abschluss des Flüchtlingsgipfels formulierten die Fachleute und Praktiker einige Handlungsempfehlungen: Als wichtiges Themenfeld wurde die Schaffung von Wohnraum identifiziert. Jeder, der in unserer Gesellschaft benachteiligt ist, hat ein Recht auf eine angemessene Unterbringung und Wohnsituation. Die Einhaltung von Unterbringungsstandards in den Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften erleichtert zudem das Ankommen in Deutschland. Auch die interreligiöse und interkulturelle Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, einschließlich des  Sicherheitspersonals, trägt dazu bei, Konflikte zu vermeiden und den Anliegen besonders schutzbedürftiger Gruppen zu entsprechen.

Pastorale und seelsorgliche Begleitung
Die pastorale und seelsorgliche Begleitung der Flüchtlinge leistet sowohl in den Erstaufnahme- und Gemeinschaftsunterkünften als auch bei dezentraler Unterbringung einen wichtigen Beitrag zur Integration vor Ort. Dazu kommt, dass fast alle Schutzsuchenden die dramatischen Fluchterlebnisse, häufig begleitet von Erfahrungen von Trauer und Tod, bewältigen müssen. Hier sind wir als Christen gefordert, den Flüchtlingen die notwendige seelsorgliche Unterstützung zukommen zu lassen.

Ehrenamtliches Engagement
Auch die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer sind auf Seelsorge angewiesen, denn bei ihrem Einsatz werden sie mit vielen belastenden Schicksalen konfrontiert. Zusätzlich wurde angeregt, das  Seelsorgeangebot in arabischer Sprache auszubauen, ohne dabei die Anbindung an die deutsche Ortskirche aus den Augen zu verlieren. Das ehrenamtliche Engagement ist eine tragende Säule der kirchlichen Flüchtlingshilfe. Um professionelle Standards jedoch nicht zu gefährden, ist die Fortbildung und Qualifizierung der Helferinnen und Helfer unerlässlich. Entsprechende Angebote zur Förderung des Ehrenamts müssen ausgebaut werden.

Integration und Bildung
Im Hinblick auf die langfristige Integration von Flüchtlingen hielten die Anwesenden des Katholischen Flüchtlingsgipfels fest: Flüchtlinge müssen nach ihrer Ankunft in Deutschland so schnell wie möglich in unser Bildungssystem – das heißt in Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen und außerschulische Bildungseinrichtungen – integriert werden. Auch die katholische Bildungslandschaft kann und soll die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen vorantreiben. Um die damit verbundenen Herausforderungen zu meistern, müssen die pädagogischen Fachkräfte, Lehrerinnen und Lehrer fortgebildet werden. Insbesondere im Hinblick auf interreligiöse und interkulturelle Fragestellungen, die Vermittlung von „Deutsch als Fremdsprache“ und Alphabetisierung, ist Schulungsbedarf vorhanden. Gerade die katholischen Bildungsträger im außerschulischen Bereich, die katholischen Lehrerfortbildungswerke und die katholischen Akademien können hier einen wichtigen Beitrag leisten. Im Hochschulbereich ist die Frage zu klären, auf welche Weise Flüchtlinge, trotz rechtlicher Zulassungshindernisse, Zugang zu Bildung erhalten können. Das beträchtliche Engagement der Hochschulgemeinden verdient größere Anerkennung und Unterstützung.

Integration und Arbeit
Integration erfolgt auch am Arbeitsplatz. Daher wurde der Sonderbeauftragte gebeten, sich für eine frühzeitige Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen stark zu machen. Diese ist nur dann realistisch, wenn berufliche Bildung möglich ist. Während des Asylverfahrens muss so früh wie möglich die Förderung von Talenten und Potentialen im Vordergrund stehen. In diesem Bereich sollen die Angebote von kirchlichen Einrichtungen und Verbänden, die dem Sprach- und Kompetenzerwerb dienen, ausgebaut werden. Zudem soll geklärt werden, inwiefern kirchliche Einrichtungen Ausbildungs- und Arbeitsgelegenheiten für Flüchtlinge schaffen können.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Beim Katholischen Flüchtlingsgipfel wurde ein besonderes Augenmerk auf die Versorgung und Begleitung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gelegt. Als besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen müssen unbegleiteten Minderjährigen eine angemessene Unterbringung und ein besonderer Betreuungsschlüssel von pädagogischem Fachpersonal zuteilwerden. Den maßgeblichen Orientierungsrahmen liefern dabei die Standards der staatlichen Jugendhilfe.

Gesundheit und psycho-soziale Begleitung
Im Bereich Gesundheit und psycho-soziale Begleitung konstatierten die anwesenden Praktiker und Fachleute eine dramatische Unterversorgung. Die Nachfrage von Angeboten zur Trauma-Bewältigung ist groß, kann aufgrund des Mangels an personellen und finanziellen Mitteln jedoch nicht gedeckt werden. Die kirchlichen Einrichtungen müssen ihren Beitrag leisten, dass diesem Engpass entgegen gewirkt wird.

Interreligiöser und interkultureller Dialog
Der interreligiöse und interkulturelle Dialog leistet einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt. Daher sollen zukünftig auch gemeinsame Projekte von Juden, Christen und Muslimen in der Flüchtlingshilfe verstärkt gefördert werden.

Internationale Flüchtlingshilfe und politische Positionierungen zu Fragen von Flucht und Asyl
Auch wurden Aufgaben in der internationalen Flüchtlingshilfe und politischen Positionierungen zu Fragen von Flucht und Asyl diskutiert. Um Fluchtursachen nachhaltig bekämpfen zu können, müssen auf europäischer und internationaler Ebene humanitär verantwortbare politische Lösungen angestrebt und umgesetzt werden. Der Sonderbeauftragte soll in diesem Zusammenhang zukünftig die kirchliche Perspektive immer wieder in den politischen Prozess einbringen. Richtungsweisend für politische Stellungnahmen der Kirche ist der Grundsatz, dass jeder Mensch, der bei uns Zuflucht sucht, menschenwürdig behandelt werden muss.

„Leitsätze des kirchlichen Engagements für Flüchtlinge“
Neben den Diskussionen in den einzelnen Workshops diente der Katholische Flüchtlingsgipfel dazu, über die „Leitsätze des kirchlichen Engagements für Flüchtlinge“ zu beraten. Die Fachleute und Praktiker der kirchlichen Flüchtlingshilfe brachten hierzu ihre Vorschläge und Empfehlungen ein. Auf ihrer Frühjahrs-Vollversammlung haben die deutschen Bischöfe die „Leitsätze“ dann diskutiert, ergänzt und verabschiedet. Die Leitsätze dienen sowohl einer tragfähigen ethischen Orientierung als auch einer bedarfsgerechten Weiterentwicklung der kirchlichen Flüchtlingshilfe. Bei ihrer Erstellung leisteten die Anregungen und Impulse des Katholischen Flüchtlingsgipfels einen unverzichtbaren Beitrag.

Pressemitteilung