| Pressemeldung | Nr. 059
Bischofskonferenz nimmt Bericht zur reproduktiven Selbstbestimmung mit Sorge wahr
Heute (15. April 2024) ist in Berlin der Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin veröffentlicht worden. Dazu erklärt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Georg Bätzing:
„Den heute veröffentlichten Bericht der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin und die in ihm enthaltenen Empfehlungen an den Gesetzgeber nimmt die Deutsche Bischofskonferenz mit großer Sorge wahr. Angesichts der mit den Empfehlungen aufgeworfenen fundamentalen Fragen, die die Grundlagen unserer Gesellschaft betreffen, halten wir eine intensive, grundlegende Auseinandersetzung mit dem Kommissionsbericht in ethischer und juristischer Perspektive für zwingend erforderlich. Die Ergebnisse zur Neukonzeption des Schwangerschaftsabbruchs betrachten wir als zu einseitig. Die geltende Rechtslage schützt sowohl Selbstbestimmung und Gesundheit der Frau als auch das ungeborene Kind.
Die Arbeitsgruppe 1 der Kommission empfiehlt eine umfassende Neukonzeption der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Mindestens in der Frühphase der Schwangerschaft soll nach dieser Empfehlung der Abbruch, ohne dass es einer Beratung bedarf, rechtmäßig und straffrei sein. In den ersten Wochen nach Nidation habe, so wird argumentiert, das Lebensrecht des Embryos/Fetus geringes Gewicht. Erst in der Spätphase der Schwangerschaft, und zwar erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Fetus ex utero lebensfähig ist, soll der Gesetzgeber den Abbruch grundsätzlich nicht erlauben.
Die Empfehlungen der Kommission beruhen auf der Annahme, ein Schwangerschaftsabbruch verletze das ungeborene Kind nicht in seiner Menschenwürde, wobei die Kommission meint, gute Gründe dafür anführen zu können, dass das ungeborene Kind überhaupt kein Träger von Menschenwürde sei. Ferner geht die Kommission davon aus, dass dem ungeborenen Kind lediglich ein abgestufter Lebensschutz zukomme. Sie bringt es auf die Formel, dass, je kürzer die Schwangerschaft bestehe, desto eher ein Schwangerschaftsabbruch zulässig sei, und dass je fortgeschrittener das Gestationsalter sei, desto gewichtiger die Belange des Ungeborenen seien. Erst ab extrauteriner Lebensfähigkeit sei demnach das Lebensrecht des ungeborenen Kindes derart erstarkt, dass es einen grundsätzlichen Vorrang vor den Grundrechten der Schwangeren habe. Ein vollwertiges Lebensrecht soll das Kind nach der Auffassung der Kommission schließlich erst mit Geburt erlangen.
Damit widerspricht die Kommission nicht zuletzt zentralen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zur Menschenwürde und zum Lebensschutz Ungeborener, auf denen die derzeit geltenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch beruhen. Das BVG leitet aus den Grundrechten eine enge Verknüpfung der Würde des ungeborenen Kindes mit einem ihm zukommenden, vollwertigen Lebensschutz mit dem Zeitpunkt der Nidation ab. Wir halten diese Ausführungen des BVG nach wie vor für richtig. Eine Relativierung der fundamentalen Würde jedes Menschen, auch des ungeborenen Kindes, und eine Relativierung, Einschränkung oder Abstufung des damit verbundenen Grundrechts auf Leben halten wir für falsch.
Zu den zentralen anthropologischen Grundaussagen des christlichen Glaubens gehört die Heiligkeit und Unantastbarkeit jedes individuellen menschlichen Lebens, das es deshalb nach Kräften zu schützen und zu entfalten gilt. Christen setzen sich für eine Gesellschaft ein, in der das uneingeschränkte Lebensrecht aller Menschen gewahrt und so die Grundlage für ein menschliches und solidarisches Miteinander gelegt wird. Auch beim vorgeburtlichen Leben handelt es sich von Anfang an um individuelles Leben, das als menschliches Leben immer ein sich entfaltendes Leben ist. Es hat nach christlicher Auffassung Anspruch auf den gleichen Schutz seines Lebens und ihm kommt die gleiche Würde zu wie einem geborenen Menschen. Für hochproblematisch und in sich widersprüchlich halten wir, dass gerade die Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen und das völlige Angewiesensein auf die werdende Mutter eine Begründung für eine verminderte staatliche Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Kind darstellen sollten.
Die Arbeitsgruppe 2 der Kommission legt nahe, das Verbot der Eizellspende aufzugeben und diese gesetzlich zu regeln. Sie hält es ferner für rechtlich zulässig, unter engen Voraussetzungen auch eine Leihmutterschaft in Deutschland gesetzlich einzuführen. Allerdings erachtet sie es auch für rechtlich möglich, die bestehenden Verbote von Eizellspende und Leihmutterschaft aufrechtzuerhalten. Insbesondere die Leihmutterschaft werfe eine Reihe ethischer, rechtlicher und praktischer Fragen auf und berge selbst in altruistisch angelegten Modellen ein Potenzial für Umgehungen und Missbrauch.
Wir sind der Auffassung, dass die Praxis der Leihmutterschaft die Würde der Frau und des Kindes verletzt. Das Kind sollte nicht zu einem Objekt der Kommerzialisierung und die Frau, die das Kind austrägt, nicht instrumentalisiert werden. Auch die Kommission sieht das hohe Risiko, dass bei der Durchführung einer Leihmutterschaft Rechte der beteiligten Personen verletzt werden. Sie schlägt rechtliche Regelungen vor, die diese Risiken eindämmen sollen. Wir haben hingegen erhebliche Zweifel, dass rechtliche Regelungen, die in der Leihmutterschaft angelegten grundsätzlichen Probleme auflösen können. Zu Recht vermutet die Kommission, dass auch eine sogenannte altruistische Leihmutterschaft Teil eines Geschäftsmodells der Reproduktionsmedizin sein kann. Zudem erscheint es paradox, von der Leihmutter im Sinne des Ungeborenen eine hohe pränatale emotionale Bindung an das Kind und gleichzeitig eine möglichst problemlose nachgeburtliche Trennung von ihm zu erwarten. Wir sprechen uns daher dafür aus, an den Verboten von Eizellspende und Leihmutterschaft in Deutschland festzuhalten.“